Clara Zetkin 19220124 Gegen das reaktionäre Reichsschulgesetz

Clara Zetkin: Gegen das reaktionäre Reichsschulgesetz

(Rede im Reichstag, 24. Januar 1922)

[”Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 352, Berlin 1922, 158. Sitzung, S. 5527-5532. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band II, S. 476-495]

Meine Damen und Herren! Was der Herr Staatssekretär gestern und heute über das Reichsschulgesetz vorgetragen hat, war meines Erachtens keine Begründung des Entwurfes, sondern eine Entschuldigung, ein Plädoyer für mildernde Umstände. Der Herr Staatssekretär sagte freilich, wir dürften an diesen Entwurf nicht mit dem Maßstab der Pädagogik herantreten, wir müssten ihn aus politischen Gesichtspunkten heraus betrachten. Und er begründete diese seine Forderung damit, man dürfe von einem Gemälde nicht verlangen, dass es klinge. Sehr schön, Herr Staatssekretär, bleiben wir bei diesem Vergleiche! Jedenfalls haben wir dann das Recht, von einem Gemälde zu verlangen — wenn es gut sein soll —‚ dass es Wärme und Glanz der Farbe, Festigkeit und Großzügigkeit der Zeichnung und einen Inhalt habe. Nach diesen Gesichtspunkten muss ich sagen: Der Gesetzentwurf als ”Gemälde” betrachtet, als politisches Werk, taugt ebenfalls nichts. Politisch gewertet ist meines Dafürhaltens dieser Gesetzentwurf nicht eine schöpferische politische Tat, die neue, höhere soziale Lebensformen gestaltet, sondern etwas ganz anderes. Es ist eine faule Frucht von dem faulen Baume des Schulkompromisses vom August 1919 zu Weimar.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Aber haben wir überhaupt ein Recht, diesen Entwurf lediglich unter dem Gesichtswinkel der Politik zu betrachten? Ich sage: nein! Täten wir es, so wären wir zünftige Politikaster und nichts weiter. Die Politik ist nicht Selbstzweck, die Politik ist ein Werkzeug, manchmal ein recht unvollkommenes und hässliches Werkzeug, um soziales Leben zu gestalten. Und in diesem Sinne hatte die Politik jetzt die Aufgabe, höhere pädagogische Formen, höheres pädagogisches Leben, eine vollkommenere Volksschulbildung zu schaffen. In dieser Richtung ist aber der Entwurf durchaus negativ.

Wie liegen denn die Dinge? Wenn je die Volksschule die Aufgabe hatte, die höchstmögliche Summe von Entwicklungsfähigkeit, von Leistungsfähigkeit aus den breitesten Massen herauszuarbeiten, dann in dieser geschichtlichen Stunde. Wir alle sind einig darin, dass es sich gegenwärtig darum handelt, wieder aufzubauen, was vernichtet worden ist oder was verfällt. Ich weiß sehr wohl, dass wir Kommunisten, wir auf der Linken, uns grundsätzlich von Ihnen (nach rechts und zum Zentrum) darin unterscheiden, auf welcher Grundlage aufgebaut werden muss. Sie sagen: auf kapitalistischer Grundlage; wir erklären: auf kommunistischer, auf sozialistischer Grundlage. Aber darin begegnen sich unsere Meinungen: Aufgebaut muss werden! Und der Aufbau kann nicht bloß das Werk dieser Generation sein. Es handelt sich darum, das heranwachsende Geschlecht dafür im höchsten Maße körperlich, geistig und sittlich geeignet und fähig zu machen. Deshalb messen wir gegenwärtig einem Reichsschulgesetz die höchste Bedeutung bei.

Ein Reichsschulgesetz ist seit Jahrzehnten die Hoffnung und Sehnsucht aller fortgeschrittenen Schulreformer und Pädagogen gewesen. Es galt jetzt, durch ein Reichsschulgesetz den Inhalt der Volksschule neu, so vollkommen wie nur möglich zu gestalten. Den breitesten Massen des heranwachsenden Geschlechtes musste die höchstmögliche Entwicklung aller körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte gesichert werden. Es galt zu diesem Zwecke, den ganzen Schulbetrieb, das gesamte Volksschulwesen in großzügiger, grundlegender Weise nach pädagogischen und sozialen Gesichtspunkten neu zu gestalten Und das war auch nur möglich, wenn den Erziehern und Lehrern ohne Unterschied des Geschlechtes die nötige Freiheit verbürgt wurde, im wahrsten Sinne des Wortes erzieherisch wirken zu können, den weichen Ton der kindlichen Seele, des kindlichen Geistes, zu formen auf die höchsten Ziele gerichtet. Nicht nur, wie der Herr Staatssekretär gestern sagte, um machtvolle Persönlichkeiten zu entwickeln.

Ich möchte dieser Forderung noch eine andere hinzufügen. Die machtvolle Persönlichkeit allein tut es nicht. Sie muss innerlich verbunden sein mit dem Werk der vergangenen Geschlechter, auf deren Schultern die Gegenwart und Zukunft stehen, sie muss sich innerlich sozial solidarisch verbunden fühlen mit den Gliedern der Gesellschaft von heute.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten und Sozialdemokraten.)

Diese soziale, innere, geistig-sittliche Verbundenheit ist zusammen mit stark entwickelter Persönlichkeit ausschlaggebend dafür, dass die Entwicklung zu höherer Kultur breitester Massen führt und nicht endet mit der Heranzüchtung von bloßen Herdentieren und einzelnen Übermenschen.

(Sehr gut! links.)

Worauf es ankommt, ist, das Durchschnittsniveau der Kinder des Volkes auf eine weit höhere Stufe des Erblühens und der Leistungstüchtigkeit zu heben. Soll das geschehen, so konnte in dieser Stunde ein Reichsschulgesetz nicht vorübergehen an bestimmten materiellen Nöten. Es musste dem entgegenwirken, dass die materielle Not den Schulbetrieb, die Gestaltung des Volksschulwesens selbst behindert und beengt. In den Gemeinden und in den Staaten fehlt es vielfach an den Mitteln, die für diese Zwecke zur Verfügung stehen. Der Gesetzentwurf durfte nicht vorübergehen an der anderen Tatsache, dass ein großer Teil der Kinder des Volkes durch Unterernährung, ja durch den nackten Hunger außerstande gesetzt ist, den gebotenen Volksschulunterricht im vollen Maße auszunutzen.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Er durfte auch nicht vorübergehen an der materiellen Not, an den materiellen Sorgen der Lehrerschaft. Denn was bedeuten sie? Herabminderung der Leistungsfähigkeit! Er musste bedacht sein, die Leistungstüchtigkeit der Lehrerschaft zu steigern, nicht nur durch entsprechende Gestaltung ihrer materiellen und sozialen Lage, auch noch durch ein anderes: durch Verwendung all der Kräfte, die auf dem Gebiete der Volksbildung und Volkserziehung zu Gebote stehen. Was sehen wir jedoch? Dass ein großer Teil der Kräfte, die ausgebildet und fähig sind, Volksbildner, Volkserzieher zu sein, aus dem Schulbetrieb einfach ausgeschaltet werden.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Warum? Weil man sparen will. Wir haben in allen deutschen Einzelstaaten überfüllte Schulklassen und die Tatsache, dass Hunderte von Lehrerinnen aus ihrem Amt vertrieben worden sind. Die aus dem Krieg zurückgekehrten Männer sind wieder in ihre früheren Stellen eingesetzt worden, und die Schulen verfügen nicht über die Mittel, die Gesamtheit dieser Lehrkräfte nebeneinander beschäftigen zu können.

Ich spreche nicht von dem blutigen Unrecht, das persönlich jenen Lehrerinnen geschieht, die heute aus ihrem Amt entlassen nachdem man sie während des Krieges als ”Nothelferinnen” herbeigerufen hat. Ich betone das soziale Unrecht gegen die Kinder, wenn man aus dem Volksschulbetrieb Kräfte ausschaltet, die ihrer Berufsbildung, die ihrer Veranlagung nach geeignet wären, das körperliche, das geistige Leben vieler Kinder zum schönsten Erblühen zu bringen.

Meine Damen und Herren! An allen diesen Dingen und vielen anderen noch ist der Reichsschulgesetzentwurf, der uns vorliegt, vorübergegangen, ohne auch nur Notiz zu nehmen. Ist es überhaupt wirklich ein Reichsschulgesetz, das da geschaffen werden soll? Ich sage: nein! In Wirklichkeit bringt dieser Entwurf eine gesetzliche Verankerung des Rechtes der Einzelstaaten über die Volksschule. In allen entscheidenden Punkten wird verwiesen auf das Landesrecht und auf die Landesgesetzgebung als die letzten entscheidenden Instanzen über die Durchführung der im Gesetz ganz allgemein niedergelegten Grundsätze. Die Einzelstaaten — das könnte unter Umständen eine Förderung des Volksbildungswesens bedeuten! Wir haben in der Tat Einzelstaaten, die sich bemüht haben — seitdem die Verfassung in Weimar geschaffen worden ist —‚ die Volksschule im Sinne des Fortschritts zu ändern: so Braunschweig, so Sachsen, wohl auch Thüringen. Aber ist jemand unter uns, der sich einreden wird, in Bayern und in Preußen würde das Recht der Landesgesetzgebung über die Volksschule irgendwie in fortschrittlichem Sinne ausgeübt werden? Nein! Das Reichsschulgesetz liefert in Wirklichkeit in den entscheidenden Bestimmungen die Volksschule an die Landesgesetzgebung aus, das heißt an die Reaktion. Charakteristisch für diese Reaktion ist eins. In Preußen ist kürzlich dank der Großen Koalition ein Kultusminister berufen worden, der kurz vorher erklärt hatte, die deutsche Schule, die deutsche Kultur müsse wieder im Zeichen des Geistes von Potsdam stehen.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Was besagt das? Es besagt, dass der nämliche militaristisch-monarchistische Geist wieder in der Schule herrschend sein soll, der in idealer Konkurrenz mit der imperialistischen Profit- und Machtgier der modernen Kapitalisten Deutschland in das gegenwärtige Chaos und in das Elend hineingetrieben hat.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Was bringt der Reichsschulgesetzentwurf weitet? Er ”verankert” noch ein anderes in der Reichsgesetzgebung, nämlich Zersplitterung der Volksschule. Er legt vier verschiedene Arten von Volksschulen fest. Dabei ist zu bedenken, dass in der Verfassung von Weimar in den Gemeinden aus Gründen der Konfession oder Weltanschauung auch noch Privatvolkschulen für die Minderheiten vorgesehen sind. Aber diese Zersplitterung ist von pädagogischem und kulturellem Standpunkt durchaus nicht gleichgültig. Sie besagt: geringere Leistungsfähigkeit. Und gerade in dieser Zeit der materiellen Enge, der materiellen Armut, wäre es doppelt nötig, alle Kräfte, alle Mittel zu konzentrieren — sowohl die materiellen wie die persönlichen Mittel —‚ um eine höhere Leistungsfähigkeit der Volksschule zu erzielen.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Dazu ein anderes. Nicht genug damit, dass in der Gesellschaft des Klassengegensatzes — ich bediene mich eines Vergleichs, eines Ausdrucks, der dem Herrn Staatssekretär Schulz in früheren Zeiten auch geläufig gewesen ist —‚ nicht genug damit, dass die Kinder in der Schule dieser Gesellschaft in vertikaler Richtung gespalten und auseinander gerissen werden nach Besitz, nach der Zufälligkeit der Geburt, der sozialen Stellung des Vaters. Jetzt werden und sollen weiterhin die Kinder noch durch die Zersplitterung von Konfession und Weltanschauung in horizontaler Richtung ebenfalls auseinander gerissen werden. Der Herr Staatssekretär hat früher erklärt, eine solche horizontale Spaltung der Kinder in der Schule nach dem religiösen Bekenntnis ein Hohn auf den Begriff der Volkserziehung sei. Und der Grund dieser Zersplitterung? An ihrer Wurzel liegt, wie erklärt wird, der Wille, die religiöse oder weltanschauliche Einstellung ”der Erziehungsberechtigten”. Ich bekenne offen, in der Frage der Erziehung soll man dem Kinde gegenüber nicht von Erziehungsberechtigten reden, sondern vom Erziehungsverpflichteten.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Erziehungsberechtigt ist das Kind, das ein Recht darauf hat, erzogen zu werden, erziehungsverpflichtet ist in erster Linie der Staat als Vertreter der Gesellschaft, der alle Kräfte des Kindes nutzbar werden sollen, die eines Tages von der materiellen und kulturellen Leistungstüchtigkeit des Kindes Gewinn hat. Hinter der Pflicht des Staates zur Erziehung der Kinder soll die Pflicht der Eltern dazu nicht etwa ausgelöscht und vernichtet werden. Nein, meiner Auffassung nach muss der elterliche Einfluss auf die Erziehung, auf die Entwicklung der Kinder ein stärkerer sein und vor allen Dingen mit einem weit höheren geistigen und sittlichen Inhalt erfüllt werden als gegenwärtig. Aber die höhere, die ausschlaggebende Pflicht zur Gestaltung der Volkserziehung steht dem Staat zu. Er darf sich deshalb in der Gestaltung des Volksschulwesens nicht durch das religiöse oder nichtreligiöse Bekenntnis der Eltern bestimmen lassen. Religion ist Privatsache! Kirche und Staat sind durch die Verfassung von Weimar getrennte Mächte geworden. Das konfessionelle Bekenntnis der Eltern, die Weltanschauung, mag sie religiös oder nichtreligiös sein, hat als Privatsache ihr volles Recht, und als Privatsache ist deshalb auch der religiöse Unterricht der Kinder zu betrachten. Er soll nicht durch den Staat, sondern durch die Eltern selbst organisiert werden,

(sehr wahr! bei der Kommunistischen Partei.)

die es aus ganz bestimmter innerlicher Überzeugung heraus für ihre Pflicht halten, ihre Kinder im Sinne einer religiösen oder nichtreligiösen Weltanschauung zu erziehen.

Wir finden aber in dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, dass letzten Endes aufs Neue die alte Bekenntnisschule, der alte Einfluss der Kirche über die Schule, ”verankert wird”. Ich begreife nicht, weshalb die Frau Abgeordnete Lang-Brumann hier einen solchen Klagegesang angestimmt hat über die angebliche Hintansetzung des religiösen Bekenntnisses durch den Entwurf. Nach diesem Entwurf bleibt die alte Bekenntnisschule mit all ihrer Machtfülle für die Kirche bestehen. Und mehr noch: Die Gemeinschaftsschule, die geschaffen werden soll, ist doch nichts anderes als eine modernisierte und maskierte Bekenntnisschule. Über diese Tatsache kommen wir nicht hinweg. Es kommt nicht auf das Etikett an, das ihr aufgeklebt wird, sondern auf den Inhalt, den sie haben wird. Nach diesem Inhalt wird die reichsgesetzlich festgelegte Gemeinschaftsschule so gut wie die offene Bekenntnisschule Konfessionsschule oder Doppelkonfessionsschule sein.

Der Herr Abgeordnete Hellmann meinte, dass der nichtreligiösen Einstellung der Eltern durch die weltlichen Schulen, die Weltanschauungsschulen Rechnung getragen sei, die auf Antrag errichtet werden können. Ich bestreite das. Ich will nicht auf all die Schwierigkeiten eingehen, die in der Praxis zu überwinden sind, wenn auf Antrag die Errichtung solcher weltlichen und solcher Weltanschauungsschulen durchgesetzt werden soll. Aber ich weise auf eine andere Tatsache hin. Die weltlichen Schulen und die Weltanschauungsschulen werden dem Gesetzentwurf dem ungeheuer großen Gebäude, dem stolzen Dom der Bekenntnisschule, der religiösen Schule, angeklebt wie ein paar kleine, bescheidene Schwalbennester.

(Zustimmung bei den Kommunisten.)

Außerdem erlaube ich mir eine Frage: Was soll eine weltliche Schule sein, die nicht Weltanschauungsschule ist? Ich habe in meinem vielleicht unlogischen Weiberverstand den Eindruck, dass von dieser weltlichen Schule, die nicht Weltanschauungsschule ist, das gleiche gilt, was Zettel in Shakespeares Drama sagt: ”Ich bin nicht Mann, nicht Weib.” Tatsächlich ist eine weltliche Schule ohne Weltanschauungsunterricht nach meinem Dafürhalten überhaupt ein Garnichts, ein Schemen. Gibt es überhaupt eine Einstellung, die nicht Weltanschauung ist,

(sehr gut! rechts.)

sei sie religiös, sei sie nichtreligiös? Ich finde diese Klassifikation nach ”Bekenntnis” und ”Weltanschauung‘‘ überhaupt sachlich innerlich unlogisch. Denn wie liegen die Dinge? Zeigen Sie mir ein einziges Bekenntnis, das nicht Weltanschauung wäre!

(Lebhafte Rufe im Zentrum und rechts: Sehr richtig!)

Zeigen Sie mir eine einzige Weltanschauung, die nicht Bekenntnis wäre, die nicht als Bekenntnis heraustritt, die nicht Lebensanschauung und Lebensgestaltung werden soll. Deshalb ist diese Einteilung meines Erachtens durchaus unhaltbar. Ich denke ihr gegenüber mit Goethe:

Denn eben wo Begriffe fehlen,

Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.”

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Hier steckt wahrhaftig nichts hinter den Worten als entweder die freiwillige oder die unfreiwillige Unklarheit über den Begriff. Ich glaube, es steckt auch dahinter eine gewisse — wie soll ich mich parlamentarisch ausdrücken — Furcht, von nichtchristlicher und nichtkirchlicher Weltanschauung zu reden, eine Furcht davor, Schulen, die nichtchristlicher, die sozialistischer Weltanschauung sein sollen, in der Gesetzgebung offen gleiches Recht zuzuerkennen.

Wir Kommunisten weisen diese weltlichen Nebenschulen als Kampfziel zurück. Wir wollen nicht, dass die Kinder, deren Eltern ihrer Weltanschauung nach auf einer nichtchristlichen, nichtreligiösen Grundlage stehen, von den anderen Kindern abgesondert und gleichsam hinter Gittern in einem kleinen Käfig unterrichtet werden sollen. Wir verlangen vielmehr die Weltlichkeit der Schule, aller Schulen. Wir sagen: Heraus mit jedem konfessionellen, mit jedem Religionsunterricht aus der Schule!

(Sehr gut! auf der äußersten Linken.)

Wir stellen diese Forderung nicht etwa aus Feindschaft gegen die Religion, sondern umgekehrt.

(Zurufe aus dem Zentrum.)

Ich werde das Nötige dazu sagen. Wir erheben diese Forderung nicht aus Feindschaft gegen die Religion.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Aus was denn?)

Ich konnte Ihnen darauf mit Schiller antworten: ”Aus Religion”, aus Verständnis für Religion. Denn die Religion ist eben nicht Dogma, ist auch nicht ”Priesterlug und Priestertrug”, wie so oft von seichter Freidenkerei behauptet worden ist. Die Religion ist vielmehr außerordentlich bedeutsames und hochzuschätzendes kulturelles Ergebnis. Die Religionen, und zwar nicht bloß die christliche Religion, sondern auch andere Religionen, haben ein Wesentliches, ein Unausschaltbares zu der kulturellen Entwicklung, zu dem kulturellen Emporstieg der Menschheit beigetragen.

(Sehr wahr! im Zentrum und rechts.)

Die Religionen haben einen bedeutsamen sozialen Inhalt; insbesondere hat das Christentum einen wertvollen sittlichen Inhalt an die gesamte moderne Kulturentwicklung abgegeben.

(Sehr richtig! rechts.)

Aber neben dem religiösen Inhalt steht das Dogma der Kirche, stehen die Dogmen der Konfessionen, und die haben gar nichts mit Religion zu tun.

(Sehr gut! auf der äußersten Linken.)

Im Gegenteil, diese Dogmen sind oft Hindernisse und Schädiger wahrer religiöser Empfindung.

(Sehr wahr! auf der äußersten Linken.)

Was der Religionsunterricht gibt, ist nicht wahre Religiosität; denn wahre Religiosität kann nicht nach Kalendertagen und nicht nach dem Glockenschlag gelehrt werden, weil sich danach die religiöse Stimmung weder bei den Schülern noch beim Lehrer einstellen wird. Religiöses Empfinden ist ein ganz persönliches, tiefes Erleben. Manche von uns haben es noch, viele haben es heute nicht mehr auf Grund gerade der kulturellen Entwicklung, zu der auch die Religion ihr Teil beigetragen hat.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Nicht religiöses Empfinden wird im Religionsunterricht vermittelt, sondern Dogmenkenntnis. Aber dieser Dogmenunterricht ist vom pädagogischen Standpunkt aus eines der rückständigsten Unterrichtsfächer im Schulbetrieb.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Er belastet das Gedächtnis auf Kosten der Entfaltung der selbständigen Arbeit des Geistes. Er lehrt die Abdankung des selbständigen, freien Denkens vor dem Glauben.

(Zurufe im Zentrum und rechts.)

Dogmenunterricht ist ein Hindernis freier geistiger Entfaltung. Denken Sie nun an die Unsumme von Memorierstoff, zum großen Teil von unverstandenem Memorierstoff, der den Kindern in den Religionsstunden eingepaukt wird.

Dazu kommt noch eins: Die meisten der zu lehrenden Dogmen sind überhaupt für das Verständnis der Kinder gar nicht geeignet. Religion, Dogma, Abfinden mit den Dogmen einer Kirche, ist Sache der Erwachsenen, die über Kenntnisse, über Lebenserfahrung, über eine reiche Summe von geistigen und sittlichen Voraussetzungen für religiöse Stimmung, für Dogmenbewertung verfügen. Das unreife Kind besitzt nicht die geistige und sittliche Voraussetzung zum Unterscheiden und zum Prüfen, zum Wählen.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten — Lachen rechts und im Zentrum und Zurufe zu den Kommunisten. — Gegenrufe von den Kommunisten.)

Ach, lassen Sie sie doch lachen! Es ist doch angenehm, wenn in dieser Zeit und bei ernsten Dingen Leute gibt, die sich noch freuen können.

Meine Damen und Herren! Wir meinen, dass Weltanschauung — mag sie christlich sein, mag sie nichtchristlich sein — nicht als besonderes Unterrichtsfach vermittelt werden kann, sondern sie wird durch den gesamten Wissens- und Bildungsstoff den Kindern vermittelt. Ob Sie den Religionsunterricht ausschalten oder nicht, es kommt auf die Gestaltung, den Inhalt des gesamten Unterrichts an, ob er konfessionell wirken wird oder nicht. Es kommt auf den Inhalt der Schulbücher an bis herab zu der Vorschrift für das Schönschreiben, ob die Volksschule religiöse, konfessionelle Einstellung übermittelt oder nicht.

Wir wollen nicht, dass der Religionsunterricht in den Schulen durch einen besonderen Moralunterricht oder einen Weltanschauungsunterricht ersetzt werde. Warum nicht? Weil der dargelegten Auffassung entsprechend, auch Moral und Weltanschauung nicht sauber auf Flaschen abgezogen verabreicht werden können. Sie müssen als Erfahren, als Erleben an das Kind herantreten. Wir verlangen daher ein anderes: nämlich, dass eine ganz neue soziale Atmosphäre für den Unterricht geschaffen wird. Diese neue soziale Atmosphäre muss geschaffen werden und hervorgehen aus dem gesamten Unterricht, dem Geist der Schule. Weltanschauung muss in dieser Atmosphäre die glühende Seele, das stark klopfende Herz sein in jedem Unterrichtsstoff, in jedem Wissensstoff, in jeder Bildungsgelegenheit, bei allem, was an das Kind herantritt. Daneben haben die Eltern unverkümmertes Recht, außerhalb der Schule ihre Kinder in irgendeiner religiösen, konfessionellen oder besonderen weltlichen Weltanschauung unterrichten zu lassen. Das ist Privatsache. Wir sind der Ansicht, dass den Kindern in einer neuen sozialen Atmosphäre des Schulbetriebs das starke soziale Gemeinschaftsgefühl vermittelt werden muss, das mit der Vergangenheit und mit der Gegenwart verbindet.

(Zuruf bei den Deutschnationalen: Klassenkampf!)

Auch der Klassenkampf, werter Herr, ——

(Zuruf bei den Deutschnationalen: Ist das die Gemeinschaft?)

Das ist die Gemeinschaft, jawohl! Der Klassenkampf ist die Gemeinschaft aller Ausgebeuteten, aller Unterdrückten, kurz, der ungeheuren Mehrzahl gegen die kleine Minderheit, die sie ausbeutet, knechtet, unterdrückt. Indem der Klassenkampf darauf abzielt, dass die heutige Gesellschaft der Klassengegensätze überwunden wird durch eine Gesellschaft der Brüderlichkeit, ist er die bittere Vorfrucht der künftigen großen Gemeinschaft aller.

(Große Heiterkeit und Zurufe rechts. — Gegenrufe bei den Kommunisten.)

Ihre Hände sind wohl nicht mit Blut befleckt? Ich verweise nur auf die Tatsache des Weltkrieges. Es bedurfte aber nicht des Weltkrieges, um die kapitalistische Gesellschaft bluttriefend zu zeigen.

(Erneute Zurufe.)

Ich musste auf den Zwischenruf eingehen. Andere haben das auch getan. Gleiches Recht für alle, sogar für eine Kommunistin, geehrter Herr!

Ich sage: Sie reden von uns als blutbefleckt! Schweigen würde Ihnen geziemen angesichts der Tatsache, dass in Zeiten des Friedens, in den Jahren vor dem Weltkriege, durchschnittlich 10.000 Proletarier auf dem Schlachtfeld der Arbeit gefallen sind

(sehr richtig! bei den Kommunisten.)

und gegen 500.000 verwundet wurden.

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten. Zurufe rechts.)

Ich möchte doch zum Beweise bitten, dass die Herren einmal eine Statistik darüber aufnehmen, wie viel kapitalistische Unternehmer bei Betriebsunfällen zu Tode gekommen sind.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Doch zurück zur Sache, meine Damen und Herren! Wir sind der Überzeugung, dass die neue, starke Gemeinschaftsatmosphäre dadurch geschaffen werden muss, dass die Schule aus einer Lernschule, aus einer geistigen Drillanstalt zu einer Erziehungsschule umgewandelt wird.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Das erfolgreichste, beste Mittel dazu ist der Arbeitsunterricht, ist der Produktionsunterricht. Wir erblicken im Arbeitsunterricht das wirksamste Mittel, alle körperlichen, alle geistigen, alle seelischen Kräfte und Begabungen des Kindes voll zu entfalten, zu wirklichem Erblühen und zur höchsten Betätigung zu bringen. Beim Arbeitsunterricht werden die Kinder mit Ehrfurcht vor den Dingen, vor allem Seienden, vor den Mitmenschen erfüllt. Denn sie werden durch die Methode nicht nur wie bei dem Anschauungsunterricht vor die Dinge geführt. Nein, sie werden in das Wesen der Dinge geführt, sie müssen sich mit ihrer Seele, sie müssen sich mit all ihren Kräften der Dinge bemächtigen, um gestalten zu können. Und bei ihrer Erziehung durch Arbeit zur Arbeit werden sie gleichzeitig zu jener brüderlichen Gesinnung, kameradschaftlichen Gesinnung erzogen, die eine Voraussetzung für das Erblühen neuen, höheren kulturellen Lebens ist. Bei der Arbeit lernt das Kind sowohl den Wert der Leistungen anderer, der ihm gegebenen Hilfe schätzen wie auch den Wert und die Schranken des eigenen Wissens und Könnens. Es lernt, sich dienend, gebend mit anderen in Beziehung zu setzen. Durch Arbeitsunterricht wird das Kind viel stärker zur Selbstdisziplin, zur Unterordnung, zur Selbstbeherrschung erzogen als durch das tote, mechanische Lernen nach dem Buch.

Aber dieser Unterricht, der beste Unterricht, würde fruchtlos, wenn nicht dazu die Sorge des Reiches, die Sorge der Erziehungsanstalten für den physischen Unterhalt der Kinder treten würde.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Schon vor dem Kriege hat Herr Cuno, Oberbürgermeister von Hagen, sehr richtig darauf hingewiesen, dass die Schulspeisung das nötige Korrelat der allgemeinen Schulpflicht ist.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

In diesen Tagen gesteigerter materieller Not, in denen unsere Kinder zu Tausenden vor dem Fluch der Unterernährung geschützt werden sollen durch Quäkerspeisung, durch amerikanische Hilfe, in dieser Zeit ist es notwendiger als je, an die Verwirklichung dieser Forderung zu gehen.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Wir fordern ferner, dass das Volksschulwesen gestaltet werde mit Ausschaltung der Schulautokratie der einzelnen Leiter, überhaupt mit Zurückdämmung, mit Unterdrückung der Schulbürokratie. Das kann nur geschehen, wenn die Eltern ihren vollen Einfluss auf die Volksschule geltend machen. Nicht bloß individuell, sondern namentlich organisiert durch die Elterbeiräte.

In den Elternbeiräten soll jene höhere Väterlichkeit und Mütterlichkeit zum Ausdruck kommen, die als ihr Kind, für sie Verpflichtungen trägt vor dem Gewissen und vor der Gesellschaft, nicht nur ihr Fleisch und Blut anerkennt, sondern jedes Kind, ganz gleich, wer die Eltern sind, als eine Verpflichtung zur Erziehung für jedes fremde Elternpaar stellt. Und mit den Elternbeiräten zusammen müssen die proletarischen Organisationen anderer Art ihren Einfluss geltend machen. Nur dann werden die Schulverwaltung und der Schulbetrieb wirklich auf demokratische Grundlage gestellt werden.

Es ist hier so stark die Notwendigkeit nationaler Erziehung betont worden. Ich behaupte, dass in den Schulen auch der internationale Kultureinfluss voll zur Auswirkung kommen muss. Volle Entfaltung nationalen Lebens hat nicht zur Voraussetzung Absperrung von der Kultur anderer Länder.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten und bei den Sozialdemokraten)

Umgekehrt, sie muss befruchtet werden durch die Kultur der anderen Völker, und je ungehemmter, je stärker und reicher von allen Seiten die besten Kultureinflüsse an das deutsche Kind heranströmen, um so kraftvoller und reicher wird Deutschlands Entwicklung sein.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Das Schulgesetz, das uns vorgelegt wurde, ist sehr weit davon entfernt, auch nur andeutungsweise den ersten Schritt in der Richtung solcher Reformen zu bilden. Man wird sich auf die Unmöglichkeit berufen, die materiellen Mittel dafür zu beschaffen. Ach nein, wir haben den großen geschichtlichen Beweis, dass trotz der größten wirtschaftlichen Nöte, trotz der äußersten politischen Schwierigkeiten das Schulwesen gehoben werden kann. Wir haben den großen geschichtlichen Beweis vor uns in dem Aufblühen des Schulwesens, der Volksbildung in Sowjetrussland.

(Seht wahr! bei den Kommunisten. — Lachen rechts.)

Jawohl, Sie lachen da über Dinge, die Sie nicht kennen.

(Widerspruch rechts.)

Gehen Sie nach Sowjetrussland!

(Zurufe rechts: Nein! Nein! — Heiterkeit und Zurufe.)

Sowjetrussland könnte Sie alle gut ertragen, dessen können Sie sicher sein. Es braucht Ihre Anwesenheit wirklich nicht zu fürchten. Es ist mit anderen materiellen, politischen, militärischen und geistigen Mächten fertig geworden, als Sie sie repräsentieren.

Ich sage, das russische Volksschulwesen ist aufgeblüht, es hat Beispiel gewaltigen Fortschritts gegeben, Wie es die Geschichte keines Zeitalters kennt.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten. — Lachen rechts.)

Die Volksschulen Sowjetrusslands haben sich in einem Maße vermehrt, das unglaublich schien und unter dem Zarismus unmöglich gewesen wäre. Die Volksschulen sind unvergleichlich besser geworden. In den vier Jahren Revolution ist durchgeführt: die Einheitlichkeit des Unterrichts, die Weltlichkeit des Unterrichts —

(Zuruf rechts: Auf dem Papier!)

nicht bloß auf dem Papier — und die Unentgeltlichkeit des Unterrichts. Der gesamte Unterricht wird auf der Grundlage des Arbeitsunterrichts umgestellt. Gewiss, ich gebe zu, Sowjetrussland braucht sich wahrlich dessen nicht zu schämen, dass angesichts der gegebenen Umstände und der Riesenaufgabe erst der Anfang zu einem durchgreifenden Wandel geschehen ist. Sowjetrussland braucht sich der Tatsache nicht zu schämen, dass die Schuleinrichtungen technisch und organisatorisch noch vielfach mangelhaft sind, weil die materiellen Voraussetzungen für entsprechende Höchstleistungen fehlen. Ich gebe auch zu, dass manchmal experimentiert und getastet wird, dass manches unterbleibt, was nötig wäre, dass manches zu früh in Angriff genommen wird und wieder abwelkt. Aber trotz alledem hat Sowjetrussland auf dem Gebiete Volksschulwesens eine Titanenarbeit geleistet, deren Spuren nicht wieder untergehen können.

Wenn heute sich Ihr Ideal (nach rechts) erfüllen würde — was ich nicht glaube —‚ wenn heute in Russland die Arbeitermacht wieder geknebelt würde: Was diese Macht ins Bewusstsein von Millionen, durch die Bildung von Millionen geschaffen das ist nicht auszurotten, das wird unsterblich weiterleben sich weiterentwickeln.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten)

Jedenfalls steht diese Tatsache fest: In Sowjetrussland sind durch die proletarische Revolution die sozialen und politischen Hindernisse für die höchste Entfaltung des Volksschulwesens in einem Umfange aus dem Wege geräumt worden‚ ist durch die Proletarierherrschaft dem Fortschritt in einem Maße das Tor geöffnet worden, wie es in keinem anderen Staate der Welt augenblicklich auch nur annähernd der Fall ist.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Es hat eine Zeit gegeben, in der auch der Herr Staatssekretär Schulz mit Leidenschaft die gleichen Forderungen vertreten hat, die hier von mir entwickelt worden sind. Noch 1911 hat er in seinem Buche über ”Die Schulreform der Sozialdemokratie” auf Seite 4 erklärt, dass es sich für das Proletariat nicht darum handeln dürfe, den alten, verfallenen, zerstückelten und geflickten Bau der bürgerlichen Schulreform weiter auszubessern.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Das Ideal der Sozialdemokratie, das Schulideal des Proletariats sei vielmehr der große, weite, lichte Schulpalast der Zukunft. Der Herr Staatssekretär hat mit großer Leidenschaft, mit allen Gründen, über die der sachkundige Pädagoge und über die der geschulte sozialdemokratische Politiker verfügte, insbesondere die volle Weltlichkeit der Schule, die Beseitigung des Religionsunterrichts aus ihr verfochten. Der Herr Staatssekretär war sich durchaus nicht im Unklaren darüber, dass es bei der Schulreform für die Besitzenden um ihre Macht geht, daher ihr Widerstand; dass die Verwirklichung aller proletarischen Forderungen das Ergebnis der Politik sein würde. Allerdings einer anders eingestellten Politik als der, die er heute auch in Bezug auf die Schule mitmacht, nämlich die Politik des schärfsten proletarischen Klassenkampfes. Als vorantreibende Macht für das Proletariat im Kampf um die Schule hat er deshalb nicht nur die heiß lodernde Bildungssehnsucht der proletarischen Massen gewertet, sondern auch den Anstoß den das Proletariat dabei durch den Widerstand der Reaktion erhält. 1906 erklärte er zum Beispiel in seinem Referat über die Schulfrage auf dem sozialdemokratischen Parteitage zu Mannheim:

Doch wir wären ungerecht, wenn wir nicht auch unserer lieben Freunde, unserer Feinde, in diesem Zusammenhang gedenken wollten. Auch die politischen Reaktionäre, insbesondere die von den verbündeten konservativen Krautjunkern, freikonservativen Schlotbaronen und nationalliberalen Scharfmachern unter dem zwiefachen Segen der Gescheitelten und Geschorenen siegreich vorgedrungenen preußischen Schulreaktionäre haben ihr voll gerüttelt Maß Anteil an dem gesteigerten Interesse der Arbeiterschaft in den Schul- und Erziehungsfragen.”

Meine Herren und Damen! Die Töne, die wir jetzt von dem Herrn Staatssekretär Schulz gehört, haben doch etwas sehr anders geklungen. Früher haben wir gehört den unentwegten, klaren Vorkämpfer der Schulreform, den Vorkämpfer des Proletariats, das im Klassenkampf vorwärts zur Kultur drängt. Jetzt haben wir gehört den Träger eines Amtes in einer Regierung der Koalition, der mit dem nötigen Maß von ”Staatsweisheit” gesprochen hat. Nichts mehr davon, dass die Besitzenden der Volksschule ihre Macht über das Proletariat erhalten wollen!

(Lachen und Zurufe bei den Kommunisten.)

Ich bin weit entfernt davon, dem Herrn Staatssekretär Schulz aus dieser seiner Wandlung einen persönlichen Vorwurf zu machen. Über ihm stehen stärkere Gewalten. Was uns in seiner Wandlung entgegentritt, das ist nicht das persönliche Moment, sondern Symptom für den politischen Verfall der Partei, der er angehört und die seinerzeit in Weimar auf das Kompromiss mit dem Zentrum eingegangen ist. Sagen Sie mir nicht: aus Achtung vor der Religion. Wo war bei all den politischen Mächten, die kompromissselten, die Achtung vor der Religion während der vier Jahre Weltkrieg, als alle zehn Gebote des Herrgotts zu dem Sie sich bekennen, tagtäglich mit Füßen getreten wurden?

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Nein, bestimmend war die Rücksicht auf das Zentrum und auf die anderen bürgerlichen Parteien als politische Macht, die die Macht der Bourgeoisie verteidigten, und nichts weiter. Das Ergebnis dieses Kompromisses haben wir vor uns in dem zwiespältigen, widerspruchsvollen Charakter der Bestimmungen der Weimarer Verfassung über die Volksschule. Und wir haben jetzt den sehr schlechten Ableger dieses Kompromisses vor uns in dem Reichsschulgesetzentwurf.

Meine Herren und Damen! Wir Kommunisten sind trotzdem für die Überweisung dieses Gesetzentwurfes an einen Ausschuss, und wir werden bemüht sein, mit aller Energie an der Verbesserung des Gesetzes in Übereinstimmung mit unserer eigenen grundsätzlichen Auffassung mitzuarbeiten. Aber wir täuschen uns nicht. Wir wissen, dass das Schicksal dieses Gesetzes nicht entschieden und dass die Entscheidung über das Volksschulwesen nicht gefällt werden wird in diesem Reichstage oder in irgendeinem Parlament. Wir lehnen es ab, den Kampf für unser Schul- und Erziehungsideal zu führen als einen Kulturkampf gegen die katholische oder die evangelische Kirche, gegen irgendein religiöses Bekenntnis. Wir werden den Kampf für unser Schulideal führen als das, was er sein muss, als einen Teil des proletarischen Klassenkampfes.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten)

Wir werden ihn führen nicht für kleine weltliche abgesperrte Schulen, sondern für die Weltlichkeit der Schule und für alle unsere Forderungen. Wir appellieren für die Unterstützung in diesem Kampfe nicht an Sie, des dürfen Sie überzeugt sein. Wir rufen für die Durchfechtung dieses Kampfes die Massen draußen. Die Massen der Schaffenden sollen sich mit der Erkenntnis von dem Werte der Erziehung ihrer Kinder zu vollwertigen menschlichen Persönlichkeiten erfüllen. Sie sollen sich erfüllen mit dem Gefühl ihrer Verantwortlichkeit für eine Volksschule, die ihren Kindern die entsprechende Ausbildung sichert. Sie sollen uns erfüllen mit dem Willen, dafür zu kämpfen. Wir wissen mit Marx, dass auch Theorie Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift. Wir werden dafür sorgen, dass die Erkenntnis, die Einsicht die Massen draußen ergreift und ausschlaggebende Macht wird, eine Macht, die sich in steigendem Maße für die Eroberung der politischen Macht im Staate einsetzt. Denn eine durchgreifende, grundlegende Schulreform steht nicht vor der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, sie wird eine ihrer wichtigsten und wertvollsten Früchte sein.

(Beifall bei der Kommunistischen Partei)

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