Clara Zetkin 19201206 Zur kommunistischen Schulpolitik

Clara Zetkin: Zur kommunistischen Schulpolitik

(6. Dezember 1920)

(Diskussionsrede auf dem Vereinigungsparteitag der KPD und der linken USPD)

[”Bericht über die Verhandlungen des Vereinigungsparteitages der USPD (Linke) und der KPD (Spartakusbund). Abgehalten in Berlin vom 4. bis 7. Dezember 1920. Anhang: Bericht über die 1. Frauen-Reichskonferenz am 2. Dezember 1920 in Berlin”, Berlin 1921, S. 125/126.]

Meinerseits möchte ich Ihnen dringend anraten, nicht der Anregung des Genossen Schrapel beizutreten und die Frage der Elternbeiräte im Zusammenhang mit einem so genannten Kulturprogramm aufzufassen und zu behandeln. Was heißt überhaupt Kulturprogramm? Unser ganzes Programm ist Kulturprogramm. Unser Agrarprogramm ist Kulturprogramm. Unser Agrarprogramm, unsere Beschlüsse in der Frage der Arbeitslosenfürsorge, der Gewerkschaften und der Jugendbewegung, alle unsere Beschlüsse, die abzwecken auf eine gesteigerte politisch-revolutionäre Aktivität des Proletariats, sind Teile eines gewaltigen Kulturprogramms.

(Sehr richtig!)

Mit dieser Tätigkeit schaffen wir die feste, gesicherte Grundlage für eine höhere Kultur der breiten Massen.

(Sehr richtig!)

Wie denken Sie sich ein besonderes Kulturprogramm? Wie wollen Sie das abgrenzen? Ein solches Programm bekommt allzu leicht in diesen Zeiten den Beigeschmack literarisierender, ethisierender, ästhetisierender Spielerei mit Kunst und Wissenschaft.

Genossen und Genossinnen! Kunst und Wissenschaft sind ernste Dinge, Kunst und Wissenschaft sind sehr große, sind hohe Werte, und sie gehören dem Proletarier. Das Proletariat muss sie sich als sein Erbteil erkämpfen. Aber das geschieht nicht durch kleine Organisatiönchen, das geschieht nicht durch kleine Organe, das geschieht nicht durch Spielerei, sondern augenblicklich ist der politische Kampf — es mag uns zusagen oder nicht —, ist die Politik — sie mag uns angenehm sein oder nicht — das Werkzeug, um Kulturarbeit für das Proletariat zu leisten.

(Sehr richtig!)

Was so betrachtet notwendig sein wird, um die Kultur zum Erbteil der großen Masse zu machen muss geschehen, denn — verstehen Sie mich recht — ich erachte es auch als praktische Notwendigkeit, dem Proletariat den Zugang weit offen zu legen zu den Gefilden der Wissenschaft und Kunst. Ich rechne damit als mit einer praktischen Notwendigkeit, die revolutionäre Kampftüchtigkeit zu steigern, indem wir alle Springquellen geistigen, sittlichen Lebens in den breitesten Massen erschließen und rauschen lassen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein; das ist und bleibt eine Wahrheit, die wir nicht erst aus der Bibel zu lernen brauchen. Je stärker die geistigen, die sittlichen Werte eines Menschen sind, je höher das Maß seines Wissens, die Entfaltung all seiner Kräfte und Talente, um so größer wird auch das Maß revolutionärer Kraft, revolutionärer Erkenntnis, revolutionären Tatwillens sein, das für den Umsturz des Seelen knechtenden Kapitalismus, für den Ausbau des Kommunismus eingesetzt werden kann.

Aber gerade, wenn wir das Ziel festhalten, möchte ich Sie dringend warnen, zu experimentieren mit so genannten Kulturprogrammen. Fassen wir die Frage der Elternbeiräte ganz nüchtern auf, nicht als ein Partikelchen eines Kulturprogramms, sondern in ihren durch die Situation gegebenen politischen Zusammenhängen mit dem Schulprogramm. Wir haben ein kommunistisches Schulprogramm, und wenn wir die Frage der Elternbeiräte behandeln wollen, so muss es im Anschluss an das kommunistische Schulprogramm geschehen, auf das übrigens die Leitsätze des Genossen Hoernle wiederholt mit aller Bestimmtheit hinweisen.

Für uns handelt es sich gegenwärtig darum, durch unsere Leitsätze die Aufmerksamkeit des Proletariats auf zwei sehr schlichte, aber sehr charakteristische Tatsachen hinzulenken, nämlich erstens darauf, dass die Schulreform trotz der Novemberrevolution schändlich bankrott gemacht hat,

(Sehr richtig!)

dass die so genannte Schulreform nichts bedeutet als die Aufrechterhaltung der alten Klassenbildung, der Armeleutebildung, für das Proletariat. Sie verfolgt den alten doppelten Zweck der Volksbildung: dem Kapitalismus leistungsfähiges:, tüchtiges Maschinenfutter zu sichern und, wenn es Not tut, dem kapitalistischen Staat, der bürgerlichen Klassendiktatur, billiges Kanonenfutter.

(Sehr gut!)

Dann auf die andere Tatsache, die im Zusammenhang damit steht: Die bürgerlichen Todfeinde der Befreiung des Proletariats sind in den gegenwärtigen Augenblicken drauf und dran, die Schule in einem Maße zu ”politisieren”, wie es noch nicht der Fall gewesen ist. Gegen diese Ziele und Absichten gilt es, das proletarische Elternhaus, die proletarische Familie zu mobilisieren. Gegen die bürgerlichen Gewalten, die die Schüler jetzt aufrufen zum Bettelngehen für die Abstimmung in Oberschlesien und andere nationalistische Zwecke, gilt es, die kommunistische Erkenntnis und den kommunistischen Willen der Eltern in den Elternbeiräten zu mobilisieren. Mit ihren klaren Einsichten, mit ihrem Wollen, dass ihre Kinder heranwachsen sollen zu einem freien, stolzen, revolutionären Geschlecht, müssen sich die Elternbeiräte den Einflüssen der Konterrevolution, der ganzen bürgerlichen Welt entgegenstellen.

Und noch eins bezwecken die Elternbeiräte: die nötige Verbindung herzustellen zwischen der öffentlichen Erziehung durch die Gesellschaft und für die Gesellschaft und der Erziehung im Heim durch die Eltern. Not tut die Erziehung zur Solidarität, zum Bewusstsein der Zusammenhänge, die jedes einzelne Glied der Gesellschaft, hoch oder niedrig, begabt oder unbegabt mit ehernen Banden mit allen anderen verknüpfen. Not tut aber auch bei der Erziehung die Berücksichtigung der Individualität. Die Elternbeiräte sollen in beiden Richtungen wirken.

Genossen und Genossinnen! Ich möchte Ihnen empfehlen, dass Sie den Leitsätzen zustimmen, die hier vorliegen. Bringen Sie dadurch Ihre Erkenntnis zum Ausdruck, dass für Sie gegenwärtig die Frage der Schulreform und des Unterrichtes in erster Linie nicht eine pädagogische Frage ist. Die Schulreform von diesem Gesichtspunkt aus aufzufassen ist Sache der Pädagogen. Für das Proletariat ist die Frage in erster Linie eine Politische Frage. Darum muss jetzt das kommunistische, das proletarische Heim sich den gegenrevolutionären Einflüssen der Schule entgegenstemmen. Es gilt für Sie in diesem Augenblick nicht nur, die Zukunft Ihrer Kinder zu wahren, sondern auch die Zukunft Ihrer Klasse. Es gilt, ein großes Hemmnis für den Kampf wider die Gegenrevolution aus dem Wege zu räumen.

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