Clara Zetkin 19211010 Um Sein oder Nichtsein der Italienischen Sozialistischen Partei

Clara Zetkin: Um Sein oder Nichtsein der Italienischen Sozialistischen Partei

(10. Oktober 1921, Rede auf dem Parteitag der Italienischen Sozialistischen Partei in Mailand)

[Clara Zetkin und Henri Walecki, ”Dem Reformismus entgegen. Reden auf dem Parteitag der Sozialistischen Partei Italiens in Mailand mit einer Einleitung über die Ergebnisse des Parteitages”, Hamburg 1921, S. 21-43. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band II, S. 357-380]

Genossen, Freunde! In tiefster Seele bewegt, ergreife ich vor euch das Wort. Ich empfinde stark das Glück, mich unter den Vertretern eines Teils — und ich kann wohl mit Recht sagen: des größten Teils der organisierten Proletarier Italiens zu befinden, unter den Vertretern der Sozialistischen Partei, die in ihrer ruhmreichen Geschichte zwei unvergängliche Blätter von internationaler Bedeutung aufweist.

Unter Führung der Sozialistischen Partei haben sich breite proletarische Massen in Italien während des Weltkrieges dem Chauvinismus, dem kapitalistischen Imperialismus entgegen geworfen, haben sie über dessen schmutzigen Sturmfluten stolz und kühn das Banner des revolutionären, internationalen Sozialismus erhoben, der Verleumdungen und Beschimpfungen nicht achtend, ungeschreckt durch Gefahren, Verfolgungen und Opfer. Angesichts des schmachvollen Bankrotts der II. Internationale war das eine Tat, eine national und international fortwirkende Tat.

Und abermals war es eine Tat, eine national und international fortwirkende Tat, als die Italienische Sozialistische Partei als die erste große sozialistische Partei Westeuropas ihren Anschluss an die III., an die Kommunistische Internationale, erklärte. Mit Bekenntnis und Tat rief sie damit den Proletariern aller Länder zu: ”In diesem Zeichen werdet Ihr siegen, in diesem Zeichen müsst Ihr siegen!” Ein französisches Sprichwort sagt: Noblesse oblige, Adel verpflichtet. Auch die Vergangenheit verpflichtet! Genossen, Freunde! Ich hoffe, dass in eurer Tagung der revolutionäre Geist leben und wirken wird, der mit festen, klaren Zügen die beiden unsterblichen Blätter eurer Geschichte geschrieben hat, die ich hervorhob.

Freilich! Ich fürchte, es wird nicht die Mehrheit der Parteidelegierten sein, für deren Auffassung und Haltung das zutrifft. Und diese Befürchtung wirft einen dunklen Schatten auf meine Freude, unter euch zu sein. Der Schatten wächst heraus aus der Krise, die euer Verhältnis zur Kommunistischen Internationale stört. Diese Krise ist nichts anderes als die zwangsläufige Fortsetzung der Krise innerhalb der Italienischen Sozialistischen Partei selbst, eine Krise ihres Verhältnisses zu den miteinander auf Leben und Tod ringenden Klassen des Proletariats und der Bourgeoisie, eine Krise ihres Verhältnisses zur Revolution.

Die Partei steht vor einer geschichtlichen Wende. Der Kongress wird zu entscheiden haben, ob die Italienische Sozialistische Partei die sanften Pfade der Reform der bürgerlichen Ordnung wandern soll oder ob sie vielmehr vorwärts stürmen will auf dem rauen, gefahr- und opferbesäten Weg der proletarischen Revolution. Nur im inneren, organisierten Zusammenhang mit der Entscheidung über diese Elementarfrage wird die zweite Frage ihre Antwort finden: die des Verhältnisses der Italienischen Sozialistischen Partei zur Kommunistischen Internationale. Denn wie die Heimat- und Auslandspolitik der kapitalistischen Regierungen nur zwei Seiten ein- und derselben Sache sind — Ausdehnung und Befestigung der ausbeutenden Herrschaft der Bourgeoisie über das Proletariat —‚ so schließt sich auch die nationale und internationale Politik der sozialistischen, der proletarischen Parteien zum Ring. Die Gesamtheit dieser Politik wird als unteilbares Ganzes ihr Gepräge erhalten entweder vom demokratisch-sozialen Reformismus oder aber von der proletarischen Revolution. Eine offen oder verhüllt reformistische Partei kann nun und nimmer revolutionäre Politik treiben, die Voraussetzung der Zugehörigkeit zur Kommunistischen Internationale ist. Deshalb wächst jede Krise in der Politik einer Sektion der Kommunistischen Internationale über die Grenzen des Nationalen hinaus und muss zur Krise im Verhältnis auch zur Internationale werden.

Angesichts der weittragenden Entscheidung, vor die die nationale und internationale Krise im Leben der Italienischen Sozialistischen Partei den Kongress zu Mailand gestellt hat, hielt es das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale für seine selbstverständliche Pflicht, durch Beauftragte an der
Tagung teilzunehmen. Ihr wisst, dass Genosse Lunatscharski leider nicht am Kongress teilnehmen kann. Ich überbringe eurer Tagung die herzlichsten, brüderlichen Grüße der Exekutive sowie der Kommunistischen Partei Russlands und der Kommunistischen Partei Deutschlands. Diese hatte noch einen besonderen Vertreter zum Kongress delegiert, der jedoch bisher nicht eingetroffen ist. Ihr dürft überzeugt sein, dass die Exekutive mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit und Anteilnahme die Arbeiten und Beschlüsse eurer Tagung verfolgt. Und was ich euch im Auftrage des Exekutivkomitees und der genannten Parteien versichere, das gilt für die Millionen und aber Millionen von Enterbten und Unterdrückten in allen Ländern, die von der Überzeugung durchglüht sind, dass die Kommunistische Internationale die junge, emporstrebende Weltmacht ist, die den Kapitalismus bezwingt und den Kommunismus zum Siege trägt. Herz und Hirn dieser Millionen lauschen und warten in leidenschaftlicher Spannung auf eure Entscheidung in der Frage: Revolution im Kampfe Schulter an Schulter mit dem Weltproletariat oder Reform im Zusammenwirken mit der nationalen Bourgeoisie.

Mit höchstem Interesse harren auch eure Todfeinde, harren die Todfeinde der befreiungssehnsüchtigen Lohnsklaven und Kreuzesträger aller Länder eurer Entschließungen. Dürfen sie hoffen, dass in Italien an Stelle des Brandens stolzer, revolutionärer Kampfeswogen seichte, milde Reformwässerlein friedlich plätschern? Müssen sie fürchten, dass die proletarischen Kämpfe zur Verteidigung von Lohn, Arbeitszeitverkürzung etc. sich verbreitern, steigern, zusammenfließen zu kraftvollen Bewegungen, in denen es um die politische Macht geht? Wer seit Wochen, Monaten verfolgt, mit welcher Befriedigung die bürgerliche Presse Italiens und des Auslands jede Äußerung einer ”Mauserung” der Italienischen Sozialistischen Partei zu einer Reformpartei verzeichnet, als Zeichen wachsender ”Mäßigung”‘ und ”Vernunft” beklatscht und begönnert: der weiß auch, wie solche Zeichen vom Standpunkt des Proletariats und seiner Befreiung aus zu werten sind. Bebel pflegte zu sagen: ”Wenn die Gegner mich loben, so frage ich mich erschreckt, ob ich nicht eine große Dummheit begangen habe.”

Genossen, Freunde! Die Achtung vor euch, die Bewunderung für die Vergangenheit der italienischen Partei machen es mir zur Pflicht, offen zu sprechen; auszusprechen, was von euren Bruderparteien in allen Ländern empfunden wird, peinlich, schmerzlich empfunden wird. Die Italienische Sozialistische Partei hat seit dem Kongress zu Livorno [1921] keinen Schritt vorwärts zur Kommunistischen Internationale getan. Umgekehrt: Sie ist um zwei Schritte von ihr nach rückwärts zurückgewichen. Diese Entwicklung bringt nur die andere, die zugrunde liegende und entscheidende Tatsache zum Ausdruck: Die Italienische Sozialistische Partei hat auch nicht einen Schritt vorwärts in der Richtung der proletarischen Revolution getan, sie ist dagegen zwei Schritte nach rückwärts zum Reformismus, zur Verbürgerlichung, zurückgewichen. Die meisten der dem Kongress vorliegenden Anträge und Resolutionen bekunden das, mögen sie nun von Anhängern der Kollaboration oder des zentristischen Einheitskomitees oder aber von unitarischen Maximalisten auf der Linken formuliert worden sein, mögen sie sich auf die allgemeine Politik der Partei beziehen oder auf ihre Stellung zur Kommunistischen Internationale. Immerhin kann die alte überkommene revolutionäre Ideologie, zur bloßen Phraseologie herabgesunken, in den Anträgen und Resolutionen noch kleine Triumphe feiern, eine Art gespenstisches Leben führen. Tönende revolutionäre Worte verhüllen den reformistischen Kern.

Klarer, eindeutiger bezeugt die Politik seit Livorno die wachsende Wandlung zum Reformismus. Die parlamentarische Fraktion wird in steigendem Masse aus einer Beauftragten, einer Dienerin der Partei zu ihrer selbständigen, souveränen Herrin. Sie stumpft nach ihrem Gutdünken die Schärfe ihres Kampfes gegen die bürgerlichen Parteien und die Bourgeoisregierung ab, sie vertauscht Angriffsposten mit der Stellung ”wohlwollender Neutralität”. Die Partei stellt den sehr realen Waffen der faschistischen Mörderbanden die ungefährlichen Worte christlicher Ethik entgegen; sie schließt mit diesen Truppen der Gegenrevolution einen Pakt, einen Waffenstillstand, der nichts bindet als die revolutionäre Energie des Proletariats in dem aufgezwungenen Verteidigungskampf, einen Waffenstillstand, der die Arbeiter entwaffnet, den Faschisten dagegen den Dolch, das tödliche Blei, die Macht zur Demolierung und Einäscherung der Volkshäuser lässt. Die Partei zerbricht die einheitliche wirtschaftliche Kampffront der Arbeiter, indem sie auf die unabweisbare Pflicht verzichtet, in den Gewerkschaften den reformistischen, antirevolutionären Geist der Amsterdamer Internationale niederzuzwingen, die Gewerkschaften mit der revolutionären Zielklarheit und wegsicheren Energie von Moskau zu erfüllen. Unter der trügerischen Losung, die Einheit der Organisationsform schützen zu wollen, liefert sie die Einheit des Organisationsgeistes und Organisationswillens einer kurzsichtigen, zünftigen Gewerkschaftsbürokratie aus. Wirtschaftliche Kämpfe der Arbeiter für Teilforderungen, für lokale Ziele wären zu weiten, zu vertiefen, wären zu politischen Kämpfen ausreifen zu lassen, die unter Führung der Partei zu einem Vorwärts würden auf dem Wege zur Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat und die Aufrichtung seiner Diktatur.

Was aber tut die Partei? Sie lässt diese elementar aus dem Boden der Klassengegensätze hervorbrechenden Bächlein der proletarischen Energie, des proletarischen Kampfwillens versanden und versickern in der Arbeitsgemeinschaft von Gewerkschaftsführern und Kapitalisten, von Ausgebeuteten und Ausbeutern, in der ergebenen Genügsamkeit bettelhafter Konzessionen. Noch andere Erscheinungen bestätigen, dass die Sozialistische Partei auf dem Weg von der Revolution zum Reformismus rasch fortschreitet. Gewiss: nicht ohne Widerstand in den eigenen Reihen zu begegnen, jedoch dieser Widerstand ist nach der Spaltung in Livorno zu schwach gewesen, dass er die reformistische Entwicklung der Mehrheit, der Partei als Ganzes, nicht aufzuhalten, ja nicht einmal zu verlangsamen vermochte.

Wie im Mittelpunkt eines Brennglases alle einfallenden Lichtstrahlen sich zu einem hellen Flecken vereinigen, so sind in der Diskussion vor dem Parteitag und über dessen Aufgaben alle reformistischen Entwicklungslinien in der Partei zusammengefasst scharf in Erscheinung getreten. Das Gebot der Stunde für die Partei ist klar und müsste zwingend sein. Auch in Italien hat das kapitalistische Unternehmertum auf der ganzen Linie die große Offensive zur härteren Ausplünderung und Knechtung des Proletariats begonnen. Es will die wirtschaftliche Krise nützen, um den Arbeitern die geringen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen wieder abzupressen, die es ihnen unter dem Druck der vom Kriege geschaffenen Situation und in der ersten Nachkriegszeit gewähren musste. Die ausgebeuteten Massen allein sollen die Opfer und Kosten des imperialistischen Raubkrieges tragen, sollen mit Schweiß und Blut, mit Verderben und Sterben eine Renaissance der zerfallenden kapitalistischen Wirtschaft, die Wiederbefestigung der Bourgeoisordnung und Bourgeoismacht ermöglichen.

Der bürgerliche Staat unterstützt und vervollständigt auf politischem Gebiet und mit allen politischen Machtmitteln den Vorstoß der Kapitalisten. Er versagt schmählich angesichts der sozialen Aufgaben, die die hinterlassenen Kriegsnöte und die Schrecken der Produktionszerrüttung, der Arbeitslosigkeit stellen. Er liefert damit die breitesten Massen der Werktätigen schutzlos als Beute dem Profithunger der kapitalistischen Schichten aus. Er sieht seelenruhig der Ausplünderung dieser Massen als Verbraucher durch Spekulanten und Wucherer zu und nimmt ihnen ebenso seelenruhig die letzten Centesimi durch Steuern aus der Tasche. Er segnet heuchlerisch den Waffenstillstand zwischen Faschisten und Sozialisten, begönnert aber heimlich, ja fast offiziell den tückischen Faschismus und lässt seine Carabinieri, seine Truppen, seine Guardia Regia gegen streikende und demonstrierende Arbeiter los.

Aug in Auge mit dieser Situation, was müsste der Kongress der Partei sein? Ein Tag gewaltigen Rüstens zum gesteigerten, verschärften revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus, gegen die bürgerliche Ordnung. Der Kongress müsste die Ziel- und Wegklarheit, die Entschlossenheit und Fähigkeit der Partei Vergrößern, um den Massen der Schaffenden führend voranzuschreiten bei der Verteidigung ihrer Lebensinteressen von Tag Zu Tag, im Ringen für die Eroberung der politischen Macht, die Aufrichtung ihrer Diktatur, den Aufbau der Sowjetordnung. Er müsste die Mittel und Wege prüfen, alle Möglichkeiten Untersuchen, den moralischen und politischen Einfluss der Partei auf das werktätige Volk zu erweitern und zu stärken, auf das werktätige Volk, inbegriffen die schon proletarisierten oder sich rasch proletarisierenden kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, alle die Angestellten und Beamten, die heute zu vielen Zehntausenden ”hungernd mit dem Hirn pflügen”. Der Kongress müsste die Fähigkeit der Partei erhöhen, durch Arbeit und Kampf das Vertrauen der Massen zu gewinnen, sie zu mobilisieren, aktionswilliger und aktionstüchtiger zu machen im Ringen mit dem ausbeutenden Kapitalismus, zum Sturm für ihre Befreiung.

Die Diskussion vor dem Kongress hatte die Genossen in Reih und Glied der Partei psychisch, moralisch und politisch für diese Aufgabe einzustellen. Nicht aber solches revolutionäres Bereitsein und Bereitmachen war der hervorstechendste Wesenszug dieser Diskussion. Ihr A und O war die Frage der ”Kollaboration”, des Zusammenwirkens von bürgerlichen Parteien und Sozialistischer Partei, von Bourgeoisie und Proletariat, auf allen Gebieten des sozialen Lebens, in der Wirtschaft und im Parlament, als Krönung des Ganzen die Zusammenarbeit von Sozialisten und Bourgeoisie in der Regierung. ”Kollaboration”, letzten Endes nur ein neues Wort für eine alte Sache: für Ministerialismus, Millerandismus. Die Diskussion über die Aufgaben des Parteitages war in der Presse und in den Organisationen der Partei zum großen Teil ein ebenso zäher und leidenschaftlicher Kampf der so genannten Konzentrationspolitiker für die ”Harmonie der Klassen”, die Gemeinsamkeit ihrer Interessen gegenüber dem ”Lande”, für die sozialistische Ministerherrlichkeit. Und dies ist besonders bedeutsam: Auch die Opposition gegen den ”Kollaborationismus” hatte überwiegend ihre Wurzel nicht in einer revolutionären Auffassung. Sie war und ist bei den unitarischen Maximalisten und erst recht bei den Zentristen verquickt mit ausgesprochen reformistischen Gedankengängen. Konsequent zu Ende gedacht müssen diese Gedankengänge zum Ministerialismus führen. Der ”Kollaborationismus” der Parteirechten ist konsequenter, bewusster Reformismus. Der Reformismus des Parteizentrums und der Mehrheit der Parteilinken trägt die Tendenz im Schosse, sich zum ”Kollaborationismus” auszuwachsen. Dieser Entwicklung ist nun und nimmer zu steuern durch papierne Bannstrahlen wider den ”Ministerialismus”. Ihr ist nur zu begegnen durch die Überwindung des Reformismus, jedes Reformismus, durch die Einstellung der Partei und ihrer gesamten Betätigung auf die Revolution.

Aber, so erklären die Verfechter der ”Kollaboration” und namentlich auch des sozialistischen Ministerialismus, liegt nicht der Eintritt von Sozialisten in Regierungen des bürgerlichen Klassenstaates auf dem Wege der Revolution, der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, ja ist er nicht schon ein Teil der Machteroberung, der Revolution des Proletariats? Ist er nicht der unvermeidliche historische Ausdruck einer Art Schwebezustand im Machtverhältnis von Bourgeoisie und Proletariat zueinander? Noch zu schwach, um der Bourgeoisie die ganze Staatsmacht zu entreißen, ist das Proletariat doch bereits so stark, dass die Bourgeoisie einen Teil dieser Macht an die Arbeiterklasse, an ihre politische Vertretung abgeben muss. Jeder Ministersitz eines Sozialisten bedeutet eine der Bourgeoisie entrissene proletarische Machtposition, die dem proletarischen Klasseninteresse, der Erweiterung und Befestigung der proletarischen Macht dient.

Wir Kommunisten haben eine grundsätzlich andere Wertung des ”Zusammenwirkens der Klassen” und des ”Ministerialismus” im Besonderen als die Reformisten verschiedenen Grades und verschiedener Farbe. Wir erklären klipp und klar: Sowenig eine blendende Straßenlaterne der leuchtende Mond ist, so wenig sind sozialistische Ministerposten in bürgerlichen Regierungen Machtpositionen des revolutionären Proletariats. Dieses erlangt die Staatsgewalt nicht im Zusammenwirken seiner politischen Vertreter mit bürgerlichen Parteien im Parlament, mit bürgerlichen Ministern in der Regierung; es muss sie im revolutionären Kampf den bürgerlichen Parteien und Regierungen entreißen. Es erobert sie Schritt für Schritt bis zum letzten entscheidenden Schlag auf den Schlachtfeldern des Klassenkampfes durch anschwellende Massen von reifer Erkenntnis und reifem Tatwillen. Es erschachert sie nicht in wirtschaftlichen und sozialen Körperschaften, nicht in Parlamenten durch freundnachbarliche, harmonische ”positive” Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie.

Sozialistische Ministerposten in bürgerlichen Regierungen machen das Proletariat nicht zum ”Herrn im Hause des Staates”, wie in Deutschland die Scheidemänner fabeln. Sie machen die sozialistischen Parteien zu Gefangenen, zu Dienern in diesem Hause. Sie mehren nicht die Macht des Proletariats, sondern täuschen es durch leeren Schein über seine Machtlosigkeit. Die Hindrängung großer Teile der Sozialistischen Partei Italiens auf die ”Kollaboration” bedeutet deshalb alles andere als stärkeres Rüsten zum Kampf gegen den Kapitalismus und seinen Staat. Sie läuft in der Praxis hinaus auf das Abrüsten, die politische Waffenniederlegung des Proletariats. Die ”Kollaboration” ist in dieser geschichtlichen Stunde der klassische Ausdruck des Reformismus als Verzicht auf die Revolution, als Verzweiflung an der Revolution.

Ist denn die ”Kollaboration”, der ”Ministerialismus”, solch eine lockende politische terra incognita, dass die Italienische Sozialistische Partei ihren Kurs darauf einstellen dürfte? Die Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung sagt entschieden: Nein!

Die englische Arbeiterbewegung stellt nach dem reformistisch glaubensselig gewordenen Karl Kautsky noch immer den klassischen Typus der westeuropäischen Arbeiterbewegung dar. Das englische Proletariat hat am frühesten die vorgebliche Erweiterung und Befestigung seiner politischen Macht durch die ”Kollaboration” von Arbeiterführern mit der Bourgeoisie, mit den bürgerlichen Parteien und bürgerlichen Regierungen kennen gelernt bis zu Hendersons Ministerherrlichkeit in der ”Kriegsregierung”. Und das Ergebnis? Die blutigen Nöte der .Arbeitslosen; die Einkerkerung der Gemeinderäte von Poplar, die sich weigerten, besondere Steuern zu erheben; der fortschreitende Abbau der Löhne; die Aufbietung der Polizei und des Militärs gegen den heldenhaften Kampf der streikenden Grubensklaven haben es erst wieder in unseren Tagen den Ausgebeuteten Englands ins Bewusstsein gebrannt.

Der Segen des ”Millerandismus” für die französischen Arbeiter? Einige recht mittelmäßige sozialpolitische Gesetze, die auch ohne den Streber Millerand gekommen wären und die zum großen Teil auf dem Papier geblieben sind. Dazu sehr fühlbare Säbelhiebe und tödliche Kugeln für streikende und demonstrierende Proletarier. Eine Riesenbeschwindelung des Proletariats, ein Riesenverrat an ihm, die große ”Kollaboration” der Klassen im Zeichen der ”heiligen Einheit” der so genannten ”Vaterlandsverteidigung” mit Viviani, Thomas und sogar Jules Guesde als Ministern! Das Fazit: Null! Es sei denn, man buche für Frankreichs Proletariat als ”Machtzuwachs”: viele Hunderttausende Tote, Krüppel, Sieche nicht im Kampf für die Befreiung, sondern im Bruderkrieg für die Profit- und Herrschaftsgier der ausbeutenden Kapitalisten; unerhörte materielle Opfer zur Bestreitung der Kosten des Krieges und seiner Folgen; Verfolgungen überzeugter Pazifisten; Maßregelungen von Lehrern und Lehrerinnen, von Beamten, die ”umstürzlerischer Gesinnung” verdächtig sind; Prozesse und Gefängnisse für Kommunisten, Syndikalisten, für die sozialistische Jugend; das Aufgebot bewaffneter Macht gegen Streiks und Manifestationen; die Schwächung, Zerrüttung, Korrumpierung und Kompromittierung der Sozialistischen Partei, der Gewerkschaftsbewegung.

Zwei geradezu klassische Beispiele von den Erfolgen der ”Kollaboration”, und zwar der ”Kollaboration unter den günstigsten geschichtlichen Umständen”, nämlich nach einer Revolution, deren ausschlaggebender Träger das Proletariat war: Die Kerenski-Periode in Russland war der Triumph der ”Kollaboration”, die Verwirklichung des Traums von dem Zusammenwirken der Parteien und Klassen bei ”positiver” Reformarbeit mit Teilung der Macht in Staat und Regierung im Namen der Demokratie. Was aber charakterisiert die Kerenski-Periode, deren verschwundener Herrlichkeit Menschewiki und Sozialrevolutionäre noch nachtrauern, die sie erneuern möchten? Die Unterwerfung des Friedenswillens der Arbeiter und Bauern unter die Machtgelüste der nationalen und internationalen Imperialisten in der Julioffensive. Konstitutionelle Freiheiten und soziale Reformen — in Programmen, auf dem Papier. Keine Zügelung der kapitalistischen Ausbeutungsgewalt über das Proletariat, kein Beginn einer Agrarreform. Die außerhalb des politischen Harmoniekränzchens der Regierenden gebliebenen Bolschewiki gehetzt wie flüchtiges Wild; die Kerker überfüllt mit politischen ”Verbrechern”; viele Hunderte von Proletariern bei Manifestationen ermordet; Zehntausende meuternder Soldaten an der Front gestandrechtet, mit Maschinengewehren in den Kampf getrieben. Kurz, der vollendetste Bankrott der ”Kollaboration”, die die Menschewiki und Sozialrevolutionäre zu ohnmächtigen Gefangenen und Lakaien der Bourgeoisie und ihrer Parteien machte.

In dem ”revolutionären” Deutschland verkörperte sich die ”Kollaboration” wirtschaftlich in der ”Arbeitsgemeinschaft” der ”gleichberechtigt” zusammen sitzenden Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, politisch in den Koalitionsregierungen, bei denen die Mehrheitssozialdemokraten offene Teilnehmer oder stille Gönner und Stützen waren und sind. In Wirklichkeit begann die politische ”Kollaboration” zwischen Proletariat und Bourgeoisie sofort nach der Revolution vom November 1918 nicht bloß als offener Verrat der Ebert und Scheidemann an der Revolution, sondern auch als aktive und passive Mitschuld der Haase und Dittmann. Sie begann mit dem Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, auf die Zerstörung des alten bürgerlichen Herrschafts- und Verwaltungsapparates, auf den Ausbau revolutionärer Räte des schaffenden Volkes; begann mit der Auslieferung der Macht an die Nationalversammlung, was unter den gegebenen Umständen besagen musste: an die besitzenden und ausbeutenden Klassen. Die reife Form der politischen ”Kollaboration” wurde die Koalitionsregierung mit und ohne Mehrheitssozialdemokraten und Gewerkschaftsführern als Ministern. Der Anfang der politischen ”Kollaboration” der Scheidemänner war das Bündnis mit der kleinbürgerlichen Demokratie, den Demokraten und Zentrümlern, ihr Ausgang ist der Pakt mit der Großbourgeoisie. Der sozialdemokratische Parteitag zu Görlitz hat bereits grundsätzlich die regierende ”Kollaboration” gesegnet, die von Scheidemann über Stresemann bis Stinnes, den ungekrönten Kaiser Deutschlands, reichen soll. In der Unabhängigen Sozialdemokratie aber zählen die Hilferding und Breitscheid nur noch an den Knöpfen ihrer Weste ab, ob nicht auch sie die Ehre und die Macht solcher ”Kollaboration” teilen sollen.

Die Früchte der ”Kollaboration”? Die Wiederaufrichtung und Befestigung der bourgeoisen Klassenherrschaft auf der ganzen Linie, auch nicht der winzigste Versuch der verheißenen Sozialisierung der Wirtschaft; der Schwindel des Betriebsrätegesetzes, das die Räte aus revolutionären Beauftragten der Arbeiter und Angestellten in Werkzeuge der Ausbeuter verwandelt; Lohnabbau, Verlängerung der Arbeitszeit und gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit; eine drohende Arbeitertrutzgesetzgebung, die den Achtstundentag aufhebt und das Streikrecht knebelt; Ausplünderung der verbrauchenden Massen durch die vereinigten Fabrikanten, Agrarier, Spekulanten und Schieber; von den Regierenden ermöglichte Steuerdrückebergerei der Kriegsgewinnler und Kriegswucherer, erbarmungsloser Steuerraubzug gegen die Arbeiter und Angestellten, die kleinen Leute. Außerdem! 1919: die Ermordung von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Leo Jogiches, von anderen Vorkämpfern der Revolution; die Niedermetzelung von 15.000 revolutionären Arbeitern auf Befehl des ”kollaborierenden” Noske. 1920: 5000 bis 6000 erschlagene revolutionäre Kämpfer als Dank dafür, dass die Arbeiter die monarchistisch-militaristischen Kapp-Rebellen zurückgeschlagen, die Regierung der ”Kollaboration” und die bürgerliche Republik gerettet hatten. 1921: Hunderte und aber Hunderte gestandrechteter und gemeuchelter Proletarier in Mitteldeutschland und anderen Bezirken. In den drei Jahren des Kollaborationstriumphes: der Belagerungszustand bald hier, bald dort, höchste Fruchtbarkeit der bürgerlichen Klassenjustiz, gesteigert zum weißen Justizterror; Zehntausende und aber Zehntausende von Jahren Gefängnis und Zuchthaus für revolutionäre Kämpfer und Kämpferinnen. Das Gesamtergebnis: die ”Kollaboration” — das Feigenblatt für die brutalste Klassendiktatur der Bourgeoisie.

Kann diese Perspektive die Sozialistische Partei, das Proletariat Italiens locken? Übrigens ist der Anfang der ”Kollaboration” in der Regierung mit Bissolatis Wirken nicht gerade ermutigend, auf dieser Bahn fortzuschreiten und sich vom revolutionären proletarischen Klassenkampf abzukehren.

Das russische Proletariat hat dank der Führung durch die Partei der Bolschewiki, der Kommunisten, sehr rasch die Lehre aus der Glanzzeit der ”Kollaboration” unter Kerenski gezogen. Es hat begriffen, dass es die politische Macht mit den besitzenden und ausbeutenden Klassen nicht teilen darf, sondern dass es die ganz in seine starke Faust nehmen muss; dass es diese Macht nicht durch die bürgerliche Demokratie auf dem Wege des parlamentarischen und politischen ”Geschäfts” erlangen kann, vielmehr im zähen, heißen Kampf Brust an Brust mit dem Feinde erobern, der Bourgeoisie entreißen muss. Das russische Proletariat hat in dem Sowjetregime seine Diktatur aufgerichtet, als unerlässliche Vorbedingung dafür, den Kapitalismus niederzuringen und mit der Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaft zur klassen-, herrschafts- und ausbeutungslosen sozialen Ordnung zu gelangen. Gewiss: Das heldenmütige Proletariat Sowjetrusslands hat den Feind noch nicht vollständig zerschmettert. Unbestritten, dass es eine fast erdrückende Riesenbürde von Pflichten und Nöten trägt.

Jedoch, was es in übermenschlichen Anstrengungen mit Schwert und Kelle leistet, was es entbehrt und duldet, ist freiwillige Tat im Dienste seiner Freiheit, nicht Sklavenwerk zu Nutz und Frommen ausbeutender Herren und Peiniger. Und die harten Leiden dieser Übergangszeit, das Suchen und Tasten beim Aufbau der neuen Ordnung, die Konzessionen an die Bauern und die ausländischen Kapitalisten und Regierungen sind keineswegs der ”Fluch der verkehrten Methoden und Losungen” der führenden Bolschewiki, wie alle Revolutionsverräter und Revolutionsfeiglinge im Lager der westeuropäischen Arbeiter plappern. Sie sind die Folgen der geschichtlich gegebenen Umstände, unter denen das russische Proletariat seine Revolution machen musste, wenn es auf die Revolution und seine Befreiung nicht verzichten wollte. Sie sind zum Teil auch der ”Fluch” der Revolutionsfurcht der Proletarier Westeuropas und ihrer verräterischen oder kurzsichtigen Führer. Noch immer ist der russische Arbeiter-und-Bauern-Staat von Ländern kapitalistischer Herrschaft umringt. Noch hat in keinem davon das Proletariat die Bourgeoisie so weit bezwungen, dass sie darauf verzichten müsste, mit Tücke und brutalster Gewalt auf Sowjetrusslands Vernichtung hinzuwirken. Durch weltwirtschaftliche und weltpolitische Gegensätze tief zerklüftet, sind die Ausbeuterstaaten einig in ihrem Hass, in ihrem Abwürgungswillen gegen Sowjetrussland, das Mutterland und den Hort der proletarischen Revolution.

Das italienische Proletariat hat starkes, impulsives Verständnis für die russische Revolution und stürmische Begeisterung für die Sowjetordnung bekundet, hat eine bewunderungswürdige beispielgebende Solidarität mit den leidenden und kämpfenden russischen Arbeitern und Bauern betätigt. Nun kommt es darauf an, die brüderliche Solidarität durch die politische Tat zu ergänzen. Diese politische Tat besteht nicht etwa in einer schönen revolutionären Geste putschistischer, anarchistischer Revolutionsromantik. Sie besteht in einem ziel- und wegklaren, entschlossenen Vorwärts auf dem Wege zur proletarischen Revolution. Der erste wichtige Schritt zu diesem Vorwärts ist heute die Erkenntnis und die Entscheidung, dass die Italienische Sozialistische Partei nicht nach englischem, deutschem, französischem, belgischem Muster die ”Kollaboration” will, sondern den revolutionären Klassenkampf des Proletariats zur Eroberung der Macht und zur Aufrichtung seiner Diktatur. Der Kongress hat zu wählen zwischen Marx und Kautsky, zwischen Vandervelde, Thomas, Henderson und Renner auf der einen Seite, Lenin und Trotzki auf der andern.

Keine Sorge, keine Gefahr, dass der ”Kollaborationismus” die Gesetze der Parteipolitik schreibt, wird vielstimmig versichert, zumal von den unitarischen Maximalisten. Eine erdrückende Mehrheit in der Partei wird sich gegen die Theorie und Praxis der ”Kollaboration” erklären. Ach, Genossen, Freunde, die Erfahrung hat mich zum ungläubigen Thomas für den bindenden Wert auch der schönsten und weisesten Resolution gemacht. Blättern Sie die Geschichte der Arbeiterbewegung, der II. Internationale nach. Sie werden darin bestätigt Enden, dass revolutionäre Worte und Gedanken nicht Ketten für die reformistische Praxis sind. Wie oft haben wir ”Radikalen” in der alten deutschen Sozialdemokratie gewähnt, mit tadellosen Resolutionen, an denen es nichts zu drehen und zu deuteln gab, den revolutionären Geist gerettet, den Revisionismus den Opportunismus vernichtet zu haben! Wir haben den August 1914 erlebt, das Überlaufen der Sozialdemokratie aus dem Lager des internationalen Proletariats, der Revolution, in das Lager der nationalen Imperialisten, der ”Vaterlandsverteidigung”. Wir sind seither Zeuge gewesen der unaufhaltsamen Mauserung der Sozialdemokratie zur bürgerlich-sozialen Reformpartei. Gedenken Sie der trefflichen Beschlüsse und Resolutionen der II. Internationale, namentlich der Resolutionen ihrer Kongresse zu Stuttgart, Kopenhagen und Basel über die Pflicht der sozialistischen Parteien angesichts eines aufziehenden Weltkrieges! Was waren sie, als die entsetzliche Katastrophe hereinbrach? Papierfetzen ohne Kraft.

Nein, Genossen, Freunde, will die Italienische Sozialistische Partei dem ”Kollaborationismus” die Tür weisen, um der Revolution treu zu bleiben, so hilft nur die Tat, die entschlossene, harte Tat. Die Partei muss sich unumwunden, offen, rückhaltlos von der Fraktion der ”Kollaborationisten” trennen, muss sie aus ihren Reihen ausschließen. Es darf, es kann keine Gemeinschaft mit denen geben, mit denen nicht mehr eine Gemeinsamkeit der Grundsätze, der Taktik besteht. Die Fraktion der ”Kollaboration” ist eine Wucherung am Parteikörper. Keine harmlose Wucherung, die ertragen werden könnte, nein, eine solche, die auf Kosten der gesunden Säfte und Kräfte des Parteikörpers sich entwickelt und ihn, je länger, desto mehr, unfehlbar verseucht und vergiftet. Gegen ein solches Übel hilft keine ”innere Medizin” theoretischer Auseinandersetzungen und Resolutionen, da hilft nur die Operation, das Ausschneiden. Vergesst dies nicht: Nicht lange zurück, und die ”Kollaborationisten” waren ein Grüppchen von ”Individualitäten”, heute sie eine fest gefügte Fraktion, die die Führung der Parlamentarier hat, die seit Livorno der Politik der Partei das Gepräge gab. Wollen Sie warten, bis morgen, übermorgen die Mehrheit der Partei auf die ”Kollaboration” schwört?

Der Ausschluss der reformistischen Fraktion ist für euch nicht die Unterwerfung unter einen Befehl von außen, unter das viel beschimpfte ”Diktat von Moskau”. Er ist eine Lebensnotwendigkeit der italienischen Partei, ist die Frage ihres Seins oder Nichtseins als revolutionäre Macht, als Träger einer revolutionär-proletarischen Politik. Gerade darum aber fällt mit eurer Entscheidung in dieser Frage auch die Entscheidung über eure Zugehörigkeit zur Kommunistischen Internationale. Diese kann in ihren Reihen keine Partei halten, die der Revolution entgegenarbeitet, indem sie dem Reformismus Tür und Tor öffnet, den Weg bereitet. Der Ausschluss der reformistischen Fraktion aus der Partei ist die Bedingung, die einzige Bedingung, die der III. Weltkongress der Kommunistischen Internationale für das Verbleiben der Italienischen Sozialistischen Partei gestellt hat und an deren Erfüllung die Exekutive als Beauftragte und Willensvollstreckerin der Kommunistischen Internationale festhalten muss. Nicht aus eigensinniger Rechthaberei und kleinlichem Kleben an Formeln. Nein, im Hinblick auf die gegenwärtige und künftige Kampf kraft der italienischen Partei, des italienischen Proletariats, des Weltproletariats.

Wenn der Kongress den Ausschluss der kollaborationistischen Fraktion ablehnt, so hat er damit bewusst und gewollt die Italienische Sozialistische Partei außerhalb der Kommunistischen Internationale gestellt und hat die Solidarität der Partei mit der Fraktion der Reformisten der Solidarität mit der revolutionären Vorhut des Weltproletariats vorgezogen. Seine Entscheidung ist gleichbedeutend mit Ausschluss der Italienischen Sozialistischen Partei aus der Internationale oder Verbleiben in der Internationale. Darüber darf ich als Delegierte des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale keinen Zweifel lassen. Übrigens bin ich überzeugt, dass ihr selbst euch der Sachlage und Tragweite eures Beschlusses bewusst seid. Es gibt kein Ausweichen, kein Diplomatisieren. Die geschichtliche Stunde heischt eine Antwort, eine klipp und klare Antwort ohne Wenn und Aber und ohne dehnbare Floskeln. Entwicklung und Betätigung der Partei mit dem Ziel der proletarischen Revolution oder aber im Dienste der bürgerlichen Reform, für die Kommunistische Internationale oder gegen sie.

Klagend, beschwörend erheben die Einheitsapostel ihre Stimme. Der Ausschluss der reformistischen Fraktion dünkt ihnen gleichbedeutend mit der Zerrüttung, der Schwächung der Sozialistischen Partei. Nach ihnen ist die Einheit die Wurzel der Kraft, der Aktionsfähigkeit, ja des Lebens selbst der Partei. Genossen, Freunde, lasst euch nicht durch den sentimentalen Singsang beirren! Wer wollte leugnen, dass die Einheit einer politischen Partei etwas Herrliches ist, eine Quelle von Stärke und Macht. Aber keineswegs die Einheit um jeden Preis. Die Einheit der Partei ist nur von höchstem Wert, wenn sie mehr besagt als Einheit des organisatorischen Gefüges, nämlich: Einheit der Grundsätze und der Taktik, Einheit des Geistes, der die Organisation beseelt, Einheit des Willens, der sie beherrscht und leitet.

Wie aber, Freunde, Genossen, steht es mit dieser inneren, der politischen Einheit der Italienischen Sozialistischen Partei? Ach, schüttelt doch jede Selbsttäuschung ab! Diese Einheit ist schon längst eine fromme Sage geworden. Seit die Fraktion von Reggio-Emilia sich konstituiert hat, ist die Parteieinheit nur noch ein Aushängeschild, das dem Reformismus erlaubt, sich im Parteibau häuslich einzurichten und ihn seinen Zwecken nutzbar zu machen. Die organisatorische Einheit ist zur Fessel geworden für die einander widerstreitenden politischen Richtungen und Tendenzen, die sich innerhalb der Partei bekämpfen und einander binden. So bedeutet die Einheit der Partei nicht mehr Steigerung ihrer Kampfkraft und Aktionstüchtigkeit, sondern umgekehrt: Schwächung und Lähmung. Die Einheit der Italienischen Sozialistischen Partei gleicht einem Hause mit glänzender Fassade, die die tiefen Sprünge und Risse des Mauerwerks verbirgt. Entscheidet der Kongress sich nicht für den Ausschluss der Reformisten, so werden die auseinander gehenden Tendenzen innerhalb der Partei früher oder später diese sprengen. Allein, dann wird es sich nicht mehr um die Abspaltung einer Minderheit handeln, vielmehr um die völlige Zersplitterung der Partei, um ihr Auseinanderfallen in Trümmer.

Aus Erfahrung sind mir die Schmerzen, Opfer und auch Gefahren einer Parteispaltung bekannt. Ich habe alle Bitternisse, alle schweren Begleiterscheinungen einer Parteispaltung zweimal kennen gelernt. Trotzdem würde ich vor einer dritten Spaltung nicht zurückschrecken, wenn der proletarische Klassenkampf sie unabweisbar machen sollte. Für die Italienische Sozialistische Partei ist unter den gegebenen Umständen die Trennung von den Reformisten die Vorbedingung der Einheit und Geschlossenheit auf höherer Stufe, nämlich der inneren Einheit. unbestritten: Die Partei wird den Verlust begabter angesehener Führer schmerzlich empfinden, noch schmerzlicher, dass mit ihnen proletarische Massen verloren gehen. Aber die Einheitlichkeit und Geschlossenheit in den grundsätzlichen und taktischen Fragen, die Einheitlichkeit ihres Willens wird den Verlust überwinden lassen.

Je einheitlicher und entschlossener die Partei dem werktätigen Volk die Fahne der proletarischen Revolution, die Fahne der Kommunistischen Internationale voran trägt, um so mehr wird sie dessen Vertrauen gewinnen. Der revolutionäre Stamm ihrer jetzigen Gefolgschaft wird ihr treu bleiben und neue Anhänger anziehen, Gruppen werden zu ihr zurückkehren, die heute glauben, dem Reformismus folgen zu müssen, neue proletarische Massen, zahlreichere proletarische Massen werden ihren Reihen zuströmen. Vor allem aber wird sie Massen der Schaffenden hinter sich haben; sie wird ihre anerkannte Führerin sein in den großen geschichtlichen Augenblicken der Kämpfe, in denen Proletariat und Bourgeoisie als Todfeinde einander ins Weiße der Augen blicken. Deshalb, Freunde, Genossen, kein Zögern! Trennt, was getrennt sein muss, auf dass sich national und international zur Einheit zusammenschließe, was als Einheit zusammengehört: das revolutionäre Proletariat, ”das nichts zu verlieren hat als seine Ketten, aber eine Welt zu gewinnen”.

Die Kommunistische Internationale ruft euch zu diesem Werk. Ihr III. Weltkongress hat Ziel und Weg klar gezeigt, hat ihrer Arbeit und ihrem Kampf feste, scharfe Richtlinien gezogen. Der Weltkrieg hat international die dem Ende entgegengehende Entwicklung des Kapitalismus beschleunigt. In der Weltwirtschaft und der Weltpolitik Zeichen über Zeichen, die seinen Zerfall, die den nahenden Tod der bürgerlichen Ordnung künden.

Wohl machte der Kapitalismus verzweifelte Versuche, sich um den Preis der gesteigerten, höchsten Ausbeutung und Versklavung der schaffenden Gesellschaftsschichten zu erneuern und seine Herrschaft zu befestigen. Wohl unterstützen die bürgerlichen Staaten mit all ihren Machtmitteln diese Versuche. Jedoch die Bemühungen des Kapitalismus, sich aus dem Chaos zu neuer Blüte zu erheben, brechen zusammen an den Schranken seines eigenen Wesens. Er ist geschichtlich gerichtet, verurteilt, sein Ende ist unvermeidlich. Der Vollzug des geschichtlichen Urteils muss das bewusste Werk des Proletariats sein. Sein zielklarer Wille muss vollenden, was die objektiven Kräfte der gesellschaftlichen Entwicklung begonnen, vorbereitet haben. Das Proletariat darf sich nicht täuschen und nicht enttäuschen lassen, wenn im Todeskampf des Kapitalismus ”Atempausen” eintreten, wenn vorübergehend Zeiten guter Konjunktur die Krisen ablösen. In seinem revolutionären Befreiungskampf darf es keine ”Atempause” geben. Aus guten Konjunkturen wie aus Krisen muss es Erkenntnis, Willen, Kraft, Entschlossenheit gewinnen, den Todfeind zu bekämpfen und niederzuringen.

Die Kommunistische Internationale sammelt, schult und führt die Massen der Werktätigen, der Ausgebeuteten und Unterdrückten der ganzen Welt zum Kampfe für die Eroberung der politischen Macht, für die Aufrichtung ihrer Diktatur und der Sowjetordnung, zum Kampfe für die proletarische Revolution. Sie ist die organisierte proletarische Weltmacht, die den Kapitalismus und seine soziale Ordnung überwindet und den Weg freilegt für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Ihr Wesen und ihr Wille ist es, dass sich die Proletarier der einzelnen Länder zu Massenparteien zusammenschließen.

Die der Kommunistischen Internationale angegliederten nationalen Sektionen dürfen nicht Sekten von Auserwählten sein, die Formeln der ”reinen Lehre” beten oder in abgeschlossenen Gründen dem Putschismus, der Revolutionsromantik huldigen. Sie dürfen aber ebenso wenig große wesenlose und charakterlose Gebilde sein, in denen der klare, unerschütterliche, kühne, revolutionäre Zielwille des Proletariats im Mischmasch aller möglichen und unmöglichen ”klugen” und ”wohlmeinenden” Absichten, Tendenzen, Strömungen untergeht. Die nationalen Sektionen der Kommunistischen Internationale müssen Massenparteien sein, Massenparteien werden, die Massenaktionen, Massenkämpfe der Ausgebeuteten entfesseln und führen. Sie müssen mit ihrer Erkenntnis, Tatkraft und Opferfreudigkeit einen Schritt vor diesen Massen stehen, aber sie dürfen nie die Fühlung mit ihnen verlieren.

Die Lebensinteressen und Lebensbedürfnisse der Proletarier, aller vom Kapitalismus und seinem Staat Ausgesogenen, Benachteiligten, Geknechteten sind der fest gegründete dauernde Boden, von dem aus die kommunistischen Parteien die Massen sammeln und zum Kampfe führen. Das Vertrauen dieser Massen muss sie tragen, muss eine entscheidende Kraft ihrer Aktionen sein.

Die kommunistischen Parteien haben ihre Befähigung zur Massenführung zu beweisen durch das Verständnis, die Energie und Treue, mit der sie jeden Tag, jede Stunde, auf jedem Gebiete die von den Gegenwartsnöten diktierten Teilforderungen der schaffenden Massen vertreten. Sie haben sie zu erhärten durch den Scharfblick und die Kühnheit, mit denen sie unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse Massenbewegungen für Teilforderungen ausweiten, vertiefen, zusammenfassen zu größeren weittragenden Kämpfen, gerichtet auf das Ziel der Eroberung der politischen Macht.

Die Politik der Kommunisten muss vereinigen, was Danton als Erfordernis der Revolution bezeichnete — Kühnheit, Kühnheit und nochmals Kühnheit —‚ mit dem, was Lenin von ihr forderte — Vorsicht, Vorsicht und nochmals Vorsicht! Sie muss zusammenfassen das kühne Wagen im Hinblick auf das Ziel mit dem kühlen Wägen der gegebenen Wirklichkeiten.

Die Politik der kommunistischen Parteien muss erfüllt und geleitet sein vom Glauben an die Revolution und von der Erkenntnis der Pflicht, durch die richtige Wertung der Dinge und Menschen, durch die richtige Einstellung zu ihnen den Sieg der Revolution vorzubereiten. Das Schiff der kommunistischen Politik darf weder rechts auf die Sandbänke des Reformismus auflaufen, noch darf es links an den Klippen des anarchistelnden Putschismus zerschellen. Sein Kurs muss geradeaus gehen in das weite Meer von Massenbewegungen, Massenkämpfen, Volldampf voraus! Möge dieser Kongress dazu beitragen, das Schiff der Italienischen Sozialistischen Partei in der Richtung der Kommunistischen Internationale zu lenken.

Mit dieser Aufforderung grüße ich euch mit dem Rufe:

Es lebe das revolutionäre Proletariat Italiens!

Es lebe das revolutionäre Sowjetrussland!

Es lebe das revolutionäre Weltproletariat!

Vorwärts für die Kommunistische Internationale!

Vorwärts für die Weltrevolution!

Kommentare