Clara Zetkin 19240000 Von der Internationale des Worts zur Internationale der Tat

Clara Zetkin: Von der Internationale des Worts zur Internationale der Tat

(1924)

[”Die Kommunistische Internationale”, Heft 31/32, S. 87-99]

Im Anfang war die Tat!” Die Geschichte selbst hat der Kommunistischen Internationale bei ihrer Gründung diesen Wahlspruch vorangestellt. Den Ausruf des suchenden, grübelnden Faust, der leidenschaftlich um die Erkenntnis aller Geheimnisse ringt, ”an denen Himmel und Erde hängt”, und den ”schönsten Augenblick” genießt, als er im Geiste das vollendete Ziel seiner schöpferischen Tätigkeit voraus nimmt: ”auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn”. Der Gründung der Kommunistischen Internationale ging eine Tat von größter historischer Tragweite voraus: die Novemberrevolution in Russland. Und mehr noch. Ohne diese unsterbliche Tat ist die Gründung der Kommunistischen Internationale kaum denkbar. Diese weltumspannende Kampforganisation des Proletariats ist das Kind der russischen Revolution, ihr Wesen und ihr Wirken ist durch diese Abstammung gegeben. Sie ist auf die Tat gestellt, die revolutionäre Tat, und muss auf sie gestellt sein, wenn sie nicht ihre geschichtliche Existenzberechtigung verlieren soll. Hier liegen Gegensätze zur Ersten und Zweiten Internationale vor — nicht in allem die gleichen für die eine und die andere — Gegensätze, die Fortentwicklung sind und die Riesenschritte erkennen lassen, in denen die Geschichte in den letzten Jahrzehnten vorwärts stürmt, obgleich es unserer revolutionären Sehnsucht und unserem revolutionären Willen oft deucht, dass sie im Schneckentempo dahin krieche.

Die Erste Internationale war die Frucht der Theorie und nicht der Tat. An ihrem Anfang stand die geniale, wissenschaftlich fest begründete Geschichtsauffassung von Marx und Engels, dass die sich entfaltende kapitalistische Produktion mit tödlicher Unvermeidlichkeit zu immer vollkommenerer nationaler und internationaler Vereinigung der Proletarier aller Länder führen müsse, zu dem gewaltigen Ziel, ihre Ketten zu verlieren und eine Welt zu gewinnen. Diese Entwicklung und dieses Ziel waren mit unübertrefflicher wissenschaftlicher Klarheit und hinreißendem Pathos im ”Kommunistischen Manifest” aufgezeigt worden. In revolutionärer Situation, aber nicht in Auswirkung einer entscheidenden revolutionären Tat des Proletariats in irgendeinem Lande. Die Theorie sollte in dieser Situation den Kommunisten, den Arbeitern aller Länder Wegweiser und Programm sein. Die schwachen kommunistischen Gruppen — fast ausnahmslos Geheimzirkel — waren international nur lose verbunden. Überall haben sie fruchtbare Keime späterer Entwicklung gelegt, nirgends aber hatten sie die Kraft, die Ereignisse entscheidend zu beeinflussen, geschweige denn, Siege zu erringen. Die Bewegungen und Kämpfe, sozialen und proletarischen Inhalts, wurden von der Bourgeoisie erbarmungslos abgewürgt. Aus Furcht vor dem ”Roten Gespenst” wagte diese in Deutschland, Österreich und Ungarn nicht einmal, ihre eigene Revolution gegen den Absolutismus, gegen die feudale Gesellschaft zum Siege zu führen. In England brach die hoffnungsreich begonnene Chartistenbewegung zusammen. Die Pariser Junischlacht war die blutige Quittung der französischen Bourgeoisie über die großmütige Torheit der Arbeiter, auf Kosten ihres Hungers der bürgerlichen Republik drei Monate Kredit gegeben zu haben.

Als drei Lustren später in London 1864 die Erste Internationale gegründet wurde, hatten die Arbeiter der kapitalistischen Länder nur Niederlagen zu buchen. Die Revolutionswelle der dreißiger und vierziger Jahre war verrauscht, und nicht die geringsten Anzeichen meldeten, dass sich neuer Wogendrang heranwälzte. Die Arbeiterorganisationen, die sich international vereinigten, waren schwach an Mitgliederzahl und Einfluss, mehr Embryonen künftiger zusammengeschlossener Macht, als wirkliche Macht. So war die Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation selbst schon eine Tat, eine kühne ideologische Tat. Das Ziel dieser Tat war die Revolution. Ein machtvoller Gedanke nahm vornweg, was sein sollte. Die Tagungen, die Geschichte der Ersten Internationale beweisen es. Diese konnte nicht mehr tun, als vorausschauend in großen Umrissen den Weg vorzuzeichnen, den das Proletariat aller Länder zu seiner Befreiung durch die Revolution zu gehen hatte, als die Entwicklung von Arbeiterparteien und Arbeiterorganisationen anzuregen und zu fördern, die von der Bourgeoisie losgelöst, den Kampf gegen den Kapitalismus und seinen Staat aufnahmen, als einen Stab von Vorkämpfern und Führern zu sammeln und zu schulen. Der deutsch-französische Krieg enthüllte die politische und organisatorische Kraftlosigkeit der Ersten Internationale. Er zeigte, wie wenig sie im Proletariat der kapitalistischen Länder verwurzelt und wie gering ihre Macht über die Geister war.

Die Pariser Kommune [1871] bestätigte das. Sie war nicht das Werk der Internationale, sie war jedoch eine große revolutionäre Erhebung von Arbeitern und Kleinbürgern, die erste seit den furchtbaren Niederlagen um die Mitte des Jahrhunderts. Und sie setzte mit einer großen revolutionären Tat ein, mit der Ergreifung der politischen Macht durch die Arbeiter und Kleinbürger. Es war selbstverständlich, dass die Internationale sich mit der Pariser Kommune solidarisierte. Die besten der Mitglieder ihrer französischen Sektion saßen im Rat der Kommune, arbeiteten für sie, verteidigten sie mit der Waffe in der Hand, fielen im Kampfe oder wurden hingerichtet, ins Exil gehetzt. Die blutige Niederwerfung der Kommune und ihre nächsten schweren Folgen für das Proletariat Frankreichs, ihre Auswirkungen in der Arbeiterschaft anderer Länder sind unstreitig mit entscheidend für das Absterben der Ersten Internationale gewesen. Und trotzdem stellt ebenso unstreitig ihre revolutionäre Solidarisierung mit der Kommune den ruhmvollen Gipfelpunkt ihres Lebens und Webens dar, und sie ward fruchtbar über die Grenzen ihres sonstigen Einflusses hinaus.

Sie brachte uns nicht nur Marxens erkenntnisreiche, wegweisende Studie: ”Der Bürgerkrieg in Frankreich”, sondern sie führte auch die Anhänger des revolutionären Sozialismus in allen Ländern auf die Schanzen, um die Kommune gegen den dichten Kugelregen der Begeiferung und Verleumdung von Seiten der Bourgeoisie zu verteidigen. So ward sie ein starker Antrieb, dass die Klassengegensätze zwischen Proletariat und Bourgeoisie scharf in Erscheinung traten und größeren Massen zum Bewusstsein gebracht wurden, dass in der ganzen Arbeiterbewegung die Geister sich reinlich schieden und Bekennermut erwuchs, dass die revolutionären Ideen und Ziele der Internationale in weiteste Kreise eindrangen. Die Internationale Arbeiterassoziation lebte, starb und triumphierte trotz ihres Todes, eine Trägerin unverfälschten revolutionären Geistes und unerschütterlichen revolutionären Willens, eine Erzieherin und Wegbereiterin zur revolutionären Tat. Ihrem Wesen nach besteht kein Gegensatz zwischen ihr und der Kommunistischen Internationale, sondern Kontinuität, wie viele Jahrzehnte auch zwischen dem Ende da, dem Anfang hier liegen, und wie verschieden die geschichtliche Situation ist, aus der die eine und die andere hervor gewachsen ist. Das Einigende, das unsterblich in beiden wirkende Schöpferische ist der Wille zur Revolution.

Ein unüberbrückbarer Gegensatz besteht in dieser Beziehung zwischen der Zweiten und Kommunistischen Internationale, allein auch zwischen jener und Marxens Internationaler Arbeiterassoziation. Gewiss, nicht von der Geburtsstunde der Zweiten Internationale [1889] an, jedoch mit ihrer Entwicklung in steigendem Maße. Diese Entwicklung bedeutet ungeachtet glänzender äußerer Entfaltung: Abstieg, Verfall, Erlöschen des revolutionären Geistes, der allein einer internationalen proletarischen Organisation geschichtliches Leben und Odem gibt und sie zur Tat großen Stils befähigt. Wie die Gründung der ersten, so war die der Zweiten Internationale der Ausdruck dafür, dass das Proletariat international aus der Betäubung und Mutlosigkeit seiner jüngsten großen Niederlage — in der Kommune — zu erwachen begann und sich seiner Klasseninteressen und seiner Klassenkraft erinnerte. Die Wiederbelebung und Erstarkung des proletarischen Klassenbewusstseins hatte bereits eine kraft- und ruhmvolle Tat von geschichtlicher Bedeutung gezeitigt. Den elfjährigen Kampf, den die deutsche Sozialdemokratie mit steigendem Erfolg gegen die Knebelung des Proletariats durch das Ausnahmegesetz führte. Er hatte seine laut gefeierten und stillen, ungekannten Helden, er verschlang Tausende von Opfern, die in den Gefängnissen oder als Geächtete in der Fremde verdarben und starben, jedoch er führte zu keiner offenen revolutionären Feldschlacht zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Er ward von diesem als Guerillakrieg durchgefochten gegen die Polizisten, die Staatsanwälte und Richter. Hauptkampfwaffen waren ausschließlich: die Kenntnis der Strafgesetzparagraphen und Polizeiverfügungen, die Listen und der Stimmzettel, namentlich der Stimmzettel.

Es ist charakteristisch, dass die deutschen Sozialdemokraten in ihrem alten offiziellen Trutzlied, der ”Arbeitermarseillaise”, sangen: ”Das freie Wahlrecht ist das Zeichen, in dem wir siegen … und in dem späteren ”Sozialistenmarsch” schwuren sie: ”Nicht mit dem Rüstzeug der Barbaren, mit Schwert und Spieß nicht kämpfen wir”. Ein feierliches Gelöbnis, das sie 1914 nicht hinderte, mit dem Rüstzeug der ”Kulturmenschen” — Tauchbooten, Luftfahrzeugen und Gasgiften — im Dienste des deutschen Imperialismus Proletarier der Ententestaaten zu morden, Ebenso wenig, nach dem November 1918 zur Wiederaufrichtung und Befestigung der Bourgeoisherrschaft in Deutschland mit dem gleichen Rüstzeug, Maschinengewehren und Minenwerfern, die revolutionäre Vorhut der deutschen Arbeiterklasse niederzuschlagen. Der Stimmzettel siegte [1890] über das Ausnahmegesetz, konnte in der damals gegebenen wirtschaftlichen und politischen Situation siegen. In diesem Sieg senkte sich der Keim des Wahnglaubens von der alleinseligmachenden Macht des Stimmzettels, und in seiner Entwicklung saugte er — zusammen mit anderen Faktoren — allmählich dem Denken, Wollen und Handeln der deutschen Sozialdemokratie die frische revolutionäre Kraft aus. Dem Keim der parasitären Mistel gleich, der sich in den saftstrotzenden grünen Baumast einnistet und auf dessen Kosten nach und nach zum viel verzweigten Gewächs wird, das ihn in dürres, totes Holz verwandelt. Die weiland ”revolutionäre, Völker befreiende” deutsche Sozialdemokratie sank zur Hüterin des ausbeutenden Eigentums herab, zur Schutztruppe der kapitalistischen Wirtschaft, des bürgerlichen Staates. In der Entwicklung und der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie zeigt sich typisch Glück und Ende der Zweiten Internationale.

Allerdings: Als diese 1889 zu Paris gegründet wurde, leuchteten ihr wegweisend die Sterne echten proletarischen Klassenbewusstseins und revolutionären Vorwärtsdrängens. Der Feuergeist des ”Kommunistischen Manifestes” beseelte sie. Im französischen Proletariat wehrten die noch nicht völlig vernarbten Wunden der glorreichen Kommune einer Trübung und Verdunkelung des Klassenbewusstseins durch demokratische Illusionen. Die klarsten und revolutionärsten Elemente, die Guesdisten, hatten sich in schärfsten Meinungskämpfen von den ”Possibilisten” getrennt und in der marxistischen ”Arbeiterpartei” zusammengeschlossen. Die deutsche Sozialdemokratie war überwiegend revolutionär, sie ”pfiff” noch auf die Gesetzlichkeit und hatte noch nicht mit dem späteren Vollmar ihre ”offene Hand” für ”den guten Willen” der Bourgeoisie entdeckt. Neben ihr wuchs rasch im revolutionären Tatendrang die österreichische Bruderpartei empor. In England war eine Partei entstanden, die die Idee des wissenschaftlichen Sozialismus unter das Proletariat tragen wollte, und die junge Gewerkschaftsbewegung der ungelernten Arbeiter stellte sich entschlossen auf den Boden des Klassenkampfes und wendete sich ebenso entschlossen gegen den zünftigen Trade-Unionismus, der mit den Ausbeutern verhandelte und nicht gegen sie kämpfte. Hoffnungsreiche sozialdemokratische Organisationen zur Revolutionierung der Arbeitermassen waren trotz des zaristischen Blutregiments in Russland und Polen entstanden. Überall in Europa und jenseits der Meere ein Hervorbrechen revolutionärer Kräfte.

Die Zweite Internationale ward als revolutionäre Kampfesorganisation zur Überwindung des Kapitalismus, der bürgerlichen Klassenherrschaft gegründet. Sie sollte Waffe, schneidige, den Feind vernichtende Waffe im Klassenkampf sein, unter welchen Umständen auch immer, keineswegs ”Instrument des Friedens”, wie der viel gewanderte und gewandelte Kautsky später aus den Sternen des imperialistischen Raubkrieges herauslas, wie aus den Erklärungen der Führer der bankrotten Zweiten Internationale, Erklärungen, die vor dem 4. August 1914 und nach ihm so verschieden voneinander waren. Einer Episode des Gründungskongresses der Zweiten Internationale kommt historische Bedeutung zu. Sie wirft helles Streiflicht darauf, wie weltenfern den Tagenden und Führenden die Vorstellung eines ”Vaterlandes” lag, das mit Verrat der internationalen proletarischen Solidarität zu verteidigen sei. Die besten Führer des Proletariats in den großen Ländern — darunter Viktor Adler und Plechanow — stritten darum, welches die raffgierigste Bourgeoisie und den brutalsten Staat habe. Jeder bescheinigte seinem ”Vaterland”, dass es für die Arbeitenden und Ausgebeuteten der Sitz aller Schrecken sei. Seit Ausbruch des Völkermordens beeideten bekanntlich die Scheidemann, Renaudel, Henderson und Mussolini aller kriegführenden Staaten, dass just im neu gefundenen ”Vaterland” eines jeden von ihnen Bourgeois und Proleten als ”Volksgenossen”, Brüder fein und lieblich beieinander wohnen, und dass deshalb dieses als Heimstatt der Demokratie, der Kultur und etlichem mehr von den Arbeitern verteidigt werden müsse ”bis zum bitteren Ende”. Der beispiellos schmachvolle Verfall der Zweiten Internationale tritt in dieser Gegenüberstellung zu Tage.

Welches war die historische Grundlage für die Entwicklung der Zweiten Internationale in schnell absteigender Linie? Sie ist in den plutonischen Tiefen der Gesellschaft zu suchen, dort, wo deren elementar treibende Kräfte wirken, in der Wirtschaft. Seit dem deutsch-französischen Krieg und im Zusammenhang mit seinem Ausgang wuchs reißend rasch und riesig der kapitalistische Imperialismus heran.

Mit der gewaltigen Ausdehnung der kapitalistischen Produktion; mit den kaum geahnten Fortschritten ihrer Technik und Organisierung, ihrer Zusammendrängung in Leviathanbetrieben; mit der tributpflichtigen Unterwerfung immer neuer Teile der Welt unter die Herrschaft des Kapitalismus und der gleichzeitigen Zusammenballung der wirtschaftlichen Kommandogewalt in der eisernen Faust nationaler und internationaler Trusts und Monopolgesellschaften: kurz mit all den ausschlaggebenden Bedingungen seines Aufkommens und seiner Entfaltung entstand der Boden für die Entwicklung starker nationaler Arbeiterparteien und Arbeiterorganisationen, reich an Mitgliedern und Kassenbestand. Es wurden zur selben Zeit die Voraussetzungen geschaffen, ohne Minderung, ja sogar mit Steigerung des kapitalistischen Profits, den mit dem industriellen Emporblühen ”begehrlich” werdenden, vordrängenden Arbeitern Zugeständnisse zu machen. Solche Zugeständnisse waren billiger als die Störung des guten Geschäfts durch häufige Bewegungen und Streiks, und vor allem: sie schläferten den Kampfesgeist der Ausgebeuteten ein und verhinderten seine Steigerung zu revolutionären Umsturzgelüsten.

Die Zweite Internationale kann sich so einer stolzen geschichtlichen Leistung rühmen. Sie hat Millionen politisch und gewerkschaftlich organisierter Proletarier aller Länder international gesammelt und miteinander verbunden. Und dicht neben diesem Verdienst steht ein erdrückendes historisches Verschulden. Die Zweite Internationale hat die gesammelten Millionen je länger um so weniger mit unerschütterlichem, opferbereitem Klassenkampfwillen erfüllt und diesen über alle Tageserfolge hinweg auf das Ziel der sozialen Revolution gerichtet. Die ihr angehörender nationalen Arbeiterparteien und Gewerkschaften passten sich der kapitalistischen Wirtschaft und dem bürgerlicher Staat an, sie paktierten mit ihnen. Sie wurden die Organe einer Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie, die sich im Hause der Bourgeoisordnung wohnlich einrichteten. Die Glanzzeit der Zweiten Internationale ist die Ära der Arbeiterschutz- und Sozialgesetzgebung, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Abkommen und Tarifverträge mit den Unternehmern, der Erweiterung der politischen Rechte, insbesondere des Wahlrechts.

Sicherlich: Verbesserte Arbeitsbedingungen, politische und soziale Reformen wurden nicht ohne Druck von unten, nicht ohne gewerkschaftliche und politische Kämpfe erreicht. In Belgien hatte sich das Proletariat im Kampfe um das Wahlrecht mit der Waffe des Generalstreiks das erste Mal einen beachtenswerten Teilerfolg, das zweite Mal eine Niederlage infolge des unrühmlichen Versagens der Führer, das dicht an Verrat streifte, geholt. Am Feuer der russischen Revolution von 1905 entzündete sich die Generalstreikbereitschaft der Arbeiter, die der österreichischen Bourgeoisie die Wahlrechtsreform abzwang. Dennoch: die vorherrschende Tendenz in den Parteien und Organisationen der Zweiten Internationale ging auf Abstumpfung und Vermeiden großer, harter Auseinandersetzungen zwischen Proletariat und Bourgeoisie, ging namentlich auf das Ausweichen vor revolutionären Waffenkämpfen. Um — so hieß es — das kostbare Arbeiterblut für einen zur frommen Sage gewordenen ”Endkampf” aufzusparen, der schließlich im imperialistischen Ringen um Weltmacht und Weltgeltung seinen ”Kriegsersatz” fand, der der Bourgeoisie Märchengewinne brachte, wie jeder ”Kriegsersatz”, mit dem sie die Massen vergiftete. Kongressbeschlüsse der Zweiten Internationale sperrten den Generalstreik hinter einen wahren Stacheldraht von Wenn und Aber. Dafür öffneten sie das Tor weit für den ”Ministerialismus”, der den Lohnsklaven vorgaukelte, dass ein Regierungssessel für strebsame Arbeiterführer gleichbedeutend sei mit der befreienden Eroberung der Staatsmacht durch das Proletariat.

Während die Entwicklung der kapitalistischen Produktion die Wirtschaft der einzelnen Länder immer fester, unlösbarer international miteinander verflocht, verwurzelten sich die Parteien und Organisationen stärker und stärker im nationalen Boden. Und da dieser nationale Boden jener des Bourgeoisstaates und der bürgerlichen Klassengesellschaft war, verloren sie in steigendem Maße das Pflichtbewusstsein der internationalen Solidarität, die die Proletarier aller Länder in einer Leidensgemeinschaft zusammenschweißt, die revolutionäre Kampfesgemeinschaft werden muss. Ihre Führer wirkten dieser verhängnisvollen Entwicklung nicht entgegen, umgekehrt: viele von ihnen verbanden sich bei der so genannten ”positiven Arbeit” in den Parlamenten, Gewerkschaften und Genossenschaften zuerst und am festesten mit der Landesbourgeoisie. Das national Besondere überwucherte das international Gemeinsame, und es trat mehr und mehr ins Zeichen der Reform. Weil letzten Endes die internationale Einheit des Willens zur proletarischen Revolution sich abschwächte, ja verschwand, blieb die Zweite Internationale zeit ihres Bestehens nur eine lose Vereinigung politischer und gewerkschaftlicher Landesorganisationen, von denen jede ihr Eigenleben führte und ihre eigene Politik trieb. Sie stieg nicht auf zur einheitlichen fest gefügten Weltorganisation mit einem einheitlichen Ziel und starker verpflichtender Disziplin. So konnte sie auch kein Werkzeug sein für die kraftvolle internationale Durchführung von Aktionen. Ungeachtet der Zahl und der Stärke der ihr angeschlossenen Organisationen war sie im günstigsten Falle eine ”moralische Autorität”, nie aber eine zwingende politische Macht, weder für die eigene Hausgenossenschaft noch für. die Feinde.

Die Zweite Internationale hat nur eine einzige tatsächlich einheitliche internationale Aktion beschlossen, und das — es ist bezeichnend — auf ihrem Gründungskongress. Es ist die Maidemonstration für den Achtstundentag und eine durchgreifende Arbeiterschutzgesetzgebung. Ihre Form sollte ursprünglich überall am 1. Mai die allgemeine Arbeitsruhe sein. Ihr Sinn war: Kampfansage an die bürgerliche Gesellschaft, unter Umständen: Kampf, Erzwingung der Arbeitsruhe durch Streik, Erzwingung der Demonstrationsfreiheit in der Straße, auch um den Preis von Opfern. Einzig und allein die russischen und polnischen Proletarier haben es für ihre internationale Pflicht erachtet, ungeschreckt durch die Hungerpeitsche der Unternehmer und die Nagajka der Kosaken, die Maidemonstration getreu dem Beschluss des Internationalen Kongresses zu Paris durchzuführen. In den Ländern der reichen Gewerkschaften, der sozialdemokratischen Parteien mit vielen Mitgliedern, Wählern und Mandaten mauserte sich früher oder später die Maidemonstration zur gemütlichen Maifeier. Das besagt, sie wurde zu einem Sammelsurium von üblichen Abendversammlungen, Ausflügen, Theatervorstellungen, gemeinschaftlichem Familienkaffeekochen usw., nicht einmal überall am 1. Mai, sondern am ersten Sonntag des Mai. Der revolutionäre Gehalt und die internationale Einheitlichkeit dieser Aktion gingen zum Teufel. Wie in einer Nussschale ist in der Geschichte der Maifeier die Geschichte der Zweiten Internationale selbst zusammengepresst. In der Maifeier hat der schimpfliche Verrat bei Kriegsausbruch seinen Schatten voraus geworfen.

Von dem Augenblick an, wo die Scheidemann, Vandervelde, Renaudel und tutti quanti darauf verzichteten, den Ausbruch des Weltkrieges der Bourgeoisie zu beantworten durch den Aufruf zum Kampf des Proletariats für die Revolution, von dem Augenblick an, wo ihre Parteien zu Nutz und Frommen der Besitzenden unter der trügerischen Losung der ”Landesverteidigung Proletarier gegen Proletarier hetzten, von dem Augenblick an hat die Zweite Internationale in Wirklichkeit ihre historische Rolle als Organ des Weltproletariats endgültig ausgespielt. Soweit sie noch schmach- und schmutzbeladen weiterexistiert, ist sie ein Werkzeug der Ausbeutenden und Herrschenden gegen das Weltproletariat. Über den in ihr lose vereinigten Proletariern der verschiedenen Länder stehen politische Parteien, stehen Gewerkschaften, die die soziale Welt nur zu reformieren, nicht aber zu revolutionieren trachten, und die deshalb die Geschäfte der Bourgeoisie besorgen, sie mögen dessen bewusst sein oder nicht, sie mögen das wollen oder nicht. Die Tat entscheidet und nicht das Wort, auch nicht die Absicht. Die Kriegszeit und die Nachkriegszeit sind ein ununterbrochener geschichtlicher Beweis dafür, dass der Zweiten Internationale vom Marxismus, aus dessen revolutionärer Gedankenwelt heraus sie entstand, nichts geblieben ist als Formeln, Worte, die ihres Gehalts beraubt, zur hohlen Phraseologie herabgesunken sind. Die große Stunde der Weltgeschichte fand sie klein.

Feigheit und Verrat enthüllten, was eine glanzvolle äußere Entwicklung verborgen hatte. Durch eine sich verbürgerlichende Einstellung gebunden, war die Zweite Internationale unfähig geworden, von der Agitation und der Propaganda internationaler proletarischer Solidarität fortzuschreiten zur internationalen revolutionären Aktion. Sie konnte wohl imposante Demonstrationen organisieren, bestechende, gut gedrechselte und gefeilte Resolutionen formulieren, sie war jedoch außerstande, zu handeln, namentlich revolutionär zu handeln. Sie begann als Internationale des Willens zur Revolution, und sie endet als Internationale des Verzichts auf die Revolution, des Verrats an der Revolution. Ihre erste Tagung, nachdem die Kanonen auf den imperialistischen Mordgeländen schwiegen — die Internationale Sozialistische Konferenz zu Bern im Februar 1919 — hat dies unterstrichen. Sie teilte vollständig Kautskys Auffassung, dass die wichtigste Aufgabe der Gegenwart sei, die Produktion wieder in Gang zu bringen und die Menschheit zu bereichern. Sie verzichtete wie er darauf, die Frage der Fragen zu beantworten, ja auch nur anzuschneiden, ob die Grundlage der Produktion der Kapitalismus oder aber der Sozialismus sein solle, und wer unter der zu bereichernden Menschheit zu verstehen sei. Sie wurde eröffnet mit einer Huldigung für Wilson und klang aus in dem Beschluss der Wallfahrt einer Delegation zu Clemenceau. Sie sollte die Zweite Internationale galvanisieren, und sie stand im Bann der sie zerklüftenden nationalen Gegensätze der Bourgeoisie in den feindlichen imperialistischen Mächtegruppen. Nur in einem bekundete sich rührende Einmütigkeit, in der sich auch Sozialpatrioten und Sozialpazifisten umarmten. In der Verfluchung des ”Bolschewismus” und der ”Sowjetregierung” als der russischen Revolution. Und das war echt, war innere Logik. Denn die Zweite Internationale, deren Trümmer in Bern gekittet werden sollten, war eine Internationale des Wortes und nicht der Tat.

Die Dritte, die Kommunistische Internationale entsteht aus dem Bruch mit der Zweiten, sie muss Kampforganisation gegen sie sein, denn sie ist ja Kampforganisation des Weltproletariats für die Weltrevolution. Nach Wesen und Ziel knüpft sie mithin unmittelbar an Marxens Internationale Arbeiterassoziation an, an das ”Kommunistische Manifest”.

Auch die Gründung der Kommunistischen Internationale erfolgte nach einer Niederlage des Proletariats, nach einer Riesenniederlage ohne Beispiel in der Geschichte. In der Junischlacht mordete die rachgierige Bourgeoisie 6000 revolutionäre Helden. Der ”Sieg der Ordnung” in der Kommune türmte einen Hügel von 35000 Proletarierleichen auf. Millionen hat der imperialistische Weltkrieg dahingemäht. Doch anderes noch kommt in Betracht, den Charakter der Niederlage prägend. Juniaufstand und Kommune waren unmittelbar, in der Form Niederlagen des Proletariats eines einzelnen Landes, nur in ihren Auswirkungen wurden sie zufolge der internationalen proletarischen Klassensolidarität zur Niederlage der Arbeiter aller Länder. Der reichlich vierjährige imperialistische Völkermord ist dagegen die furchtbare, erschütternde weltgeschichtliche Niederlage des Weltproletariats als Ganzes. Er ist es nicht bloß, weil die Arbeiter der großen kapitalistischen Staaten, einander abwürgend, unmittelbar in das Verbrechen verstrickt sind und die Ausgebeuteten der so genannten ”neutralen” Länder sofort in stärkstem Maße von den Kriegsfolgen ergriffen wurden. Nein, er ist es in tieferem Sinne, weil die internationale proletarische Klassensolidarität auf den imperialistischen Schlachtfeldern verröchelt und die ”heilige Einheit” zwischen Proletariat und Bourgeoisie sich erhebt. Sieger oder Besiegte, die Proletarier gehen als Geschlagene und Unterjochte aus dem Weltkrieg hervor. Ihr Todfeind hat zunächst seine Herrschaft über sie befestigt. Die glorreichen Juni- und Kommuneopfer [1848 bzw. 1871] fielen für die Sache ihrer Klasse als trotzig-kühne Rebellen wider die bürgerliche Gesellschaft. Die Soldaten der imperialistischen Heere fechten und sterben als demütige Sklaven, auf Kommando ihrer Herren die Ordnung verteidigend, die sie selbst zu Sklaven macht.

Der imperialistische Krieg war, wie die tiefste Schmach des Proletariats, so der höchste Triumph des Kapitalismus, der bürgerlichen Ordnung. Er war aber auch gleichzeitig das Merkzeichen für das rasende Tempo und den Reifegrad der gesellschaftlichen Entwicklung. Trotz der Niederlage des Weltproletariats trug er die Revolution im Schoße. Es dauerte diesmal nicht fünfzehn und nicht zwanzig Jahre, bis die Proletarier sich international zu sammeln und zum Kampf zu stellen begannen. Die Ungeheuerlichkeit der Größe und der Schimpflichkeit ihrer Niederlage beschleunigt ihr Erwachen, ihre Mobilisation. Knapp fünf Jahre nach dem erbärmlichen Zusammenbruch der Zweiten Internationale gründen die Vertreter revolutionärer Arbeiterparteien die Kommunistische Internationale im ”Roten Moskau”, in Sowjetrussland. Der Ort der Gründung allein schon kündet ein Stück Geschichte, erhärtet, dass die gesellschaftliche Entwicklung in ein neues Stadium eingetreten ist: aus der ”friedlichen” Periode, in der die Zweite Internationale in Revisionismus und Opportunismus versumpfte, in die Ära der Revolution, wo das Proletariat jeden Pakt mit der Bourgeoisie zerrissen und auf ihrer zertrümmerten Klassenherrschaft seine eigene Macht in der Staatsmacht aufrichten muss. Als sich die Kommunistische Internationale im März 1919 konstituierte, hatte bereits die Stimme der Revolution gesprochen.

Fürwahr! Wie eine Niederlage ohnegleichen, so ging eine revolutionäre Tat ohnegleichen der Gründung unserer Internationale voran. Die russische Novemberrevolution. Es bedurfte dieses weithin sichtbaren Feuerzeichens, um die Proletarier aller Länder zu vereinigen. Als die Zweite Internationale sich vor die imperialistischen Kanonen spannte, erlosch für die breitesten werktätigen Massen der Glaube an die fruchtbare Kraft der internationalen proletarischen Solidarität. Mit dem Sieg der Bourgeoisie über das Proletariat auf den blutdampfenden Mordgeländen verloren sie das Vertrauen in die unüberwindliche Macht ihrer Klasse und damit ihr Vertrauen zu dem befreienden Sozialismus als ihrem eigenen Werk. Für ungezählte Millionen Proletarier hatte die Tat der Zweiten Internationale Marxens Theorie niedergeschlagen. Nur die Tat konnte sie wieder beleben, konnte den Glauben an sie zurückgeben. Der Ausgangspunkt der Kommunistischen Internationale konnte daher nun und nimmer die Theorie allein, er musste die Tat sein, in der die Theorie Fleisch geworden war. Diese Tat war die proletarische Revolution in Russland.

Unter ihrem Schutz und in ihrem Zeichen sammelte sich in den einzelnen Ländern die zersprengte und zersplitterte revolutionäre Vorhut des Proletariats und schloss sich zur Kommunistischen Internationale zusammen. Denn mit dem Glauben an das Leben und die Macht der internationalen Solidarität war den breiten Massen keineswegs das Empfinden von der Notwendigkeit, der Bedeutung dieser Solidarität zu Asche gebrannt. Es züngelte wieder und wieder heiß, glühend empor; angefacht und genährt von den leidvollen freudenarmen Lebensbedingungen des Proletariats. Das hoffnungsselige Harren auf den Sozialismus mochte dahin sein, geblieben aber war der eiserne Zwang für die Ausgebeuteten und Unterdrückten, sich gegen die unersättliche Profit- und Herrschsucht der Ausbeuter und Unterdrücker zu wehren. Die russische Novemberrevolution gab den sich gegen die Schlange ihrer Qualen aufbäumenden Arbeitern aller kapitalistischen Länder, was ihnen so bitter not tat wie das Brot. Das große unsterbliche Beispiel eines Proletariats, das in heldenmütigem Kampfe die Revolution zum Siege trägt, mit stürmender Hand dem Klassenfeind die erste entscheidende Position entreißt: die Staatsmacht. Die klare Kenntnis des Weges, den sie ringend, erobernd vorwärts schreiten müssen. Dem felsenfesten Glauben an die internationale proletarische Solidarität im revolutionären Kampfe für die Überwindung des Kapitalismus.

Noblesse oblige: Adel verpflichtet. Die Tat des revolutionären russischen Proletariats, die ”unzerbrechlich wie die Sterne selbst” in der Geschichte steht, muss Tat gebären. Tat darf nicht, bloß das Symbol, es muss der Inhalt, das Ziel der Kommunistischen Internationale sein. Nur in schärfstem Antagonismus zur Internationale des Wortes wird sie geschichtliche Höherentwicklung bedeuten, kann sie von der ausbeutenden kapitalistischen Profitwirtschaft und ihrem bürgerlichen Klassenstaat emporführen zur ausbeutungslosen, sozialen Bedarfswirtschaft und zur klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus. Deshalb muss die Kommunistische Internationale ganz auf die Tat der proletarischen Revolution gerichtet sein. Das gebietet ihre innere, organische Verknüpfung mit der russischen Novemberrevolution, die der erste riesige Vorstoß der proletarischen Weltrevolution ist. Hauptaufgabe der Kommunistischen Internationale ist es, mit klarer Erkenntnis und stahlhartem Willen die proletarische Weltrevolution ”zu machen”, im geschichtlichen Sinne zu machen. Nämlich das historisch Vorbereitete und daher Mögliche von der Tendenz zur Tat zu formen, die Weltrevolution zu erleichtern und zu beschleunigen. Das aber als die Tat der einzigen gesellschaftlichen Macht, die zu solchem Titanenwerk fähig ist, als die Tat des Proletariats, der zahlreichsten, wichtigsten und revolutionärsten produktiven Klasse.

Fünf Jahre lang hat die Kommunistische Internationale mit ihrer Riesenaufgabe gerungen. Wahrhaftig! Sie darf sich des Vollbrachten rühmen, auch wenn es, gemessen am Ganzen, noch klein erscheint. Mit Marx führte sie die Massen an die Stromquellen der Revolution, in die Wirtschaft. Die Herren Reformisten von der Zweiten Internationale lispeln und lügen von der Kraft und dem Wert der kapitalistischen Wirtschaft just in diesem geschichtlichen Augenblick und von der Pflicht wie dem Interesse des Proletariats, sein Mark und sein Blut an ihren Wiederaufbau zu setzen. Die Kommunistische Internationale zeigt den proletarischen Massen mittels tief dringender Durchleuchtung der kapitalistischen Weltwirtschaft die unaufhaltsam fortschreitende Zerrüttung und Auflösung des Kapitalismus. Sie begründet ihnen wissenschaftlich, dass der Preis für die Erhaltung und Erholung des Kapitalismus von ihnen selbst gezahlt werden müsse in Gestalt steigender Ausbeutung und Verknechtung. Sie gibt ihnen Vertrauen in die eigene Kraft und unerschütterlich frohe Zuversicht in den Sieg über das Weltkapital, indem sie sie innerlich mit der Revolution des russischen Proletariats und ihrer Schöpfung verbindet. Sie hat damit wachsende Scharen Ausgebeuteter von Zweifelnden zu Überzeugungsstarken und von müden Duldern zu Kampfentschlossenen erhoben und sammelt sie um die rote Sturmfahne der Revolution in einer zeitlichen geschlossenen Organisation mit straffer Disziplin.

Auf die Tat der proletarischen Revolution eingestellt, wertet die Kommunistische Internationale jede Form, jede Erscheinung des historischen Eigenlebens der Arbeiter als Klasse: die Gewerkschaften, die Genossenschaften, die Frauenbewegung, die Jugendbewegung, die Bildungsbewegung usw. Ungleich der Zweiten Internationale verhält sie sich nicht lediglich kühl, sondern nachbarlich zu ihnen. Sie bringt sie in die engste innere Verbindung mit den kommunistischen Landesparteien und gliedert sie ihnen ein oder auch nur an, je nach der gegebenen Sachlage. Sie leitet damit neue und starke Wasserläufe in das Strombett der Revolution. Sie verbreitert, vertieft es, denn sie unterstützt die Kolonialsklaven des Kapitalismus in Afrika und Asien und die dort von Kolonialsklaverei bedrohten Völkerschaften in ihren nationalen Kämpfen gegen den räuberischen Imperialismus und ruft sie auf zum sozialen Kampf gegen jede Ausbeutung und Unterdrückung. Sie greift damit den Kapitalismus in seinen letzten und festesten Burgen an, und indem sie diese unterminiert, gräbt sie gleichzeitig dem Reformismus stärkste wirtschaftliche Wurzeln ab. Revolutionäre Kämpfe der Kolonial- und Halbkolonialvölker entziehen den Kapitalisten die Möglichkeit, ihre einheimischen Lohnsklaven durch Zugeständnisse zu beruhigen und zu korrumpieren.

Als Erweckerin und Erzieherin des proletarischen Massenwillens zur Revolution vermittelt die Kommunistische Internationale den Enterbten die gehäuften Erfahrungen aller revolutionären Kämpfe, insbesondere die Erfahrungen und Lehren der russischen Revolution, die reichste, unerschöpfliche Fundgrube für theoretische und praktische Erkenntnisse ist. Helles Licht wirft sie dadurch auf den Weg und die Waffen des Kampfes für die Eroberung der Macht durch das Proletariat und die Aufrichtung seiner Diktatur. Das Proletariat darf sich nicht damit begnügen, die Staatsmacht zu erobern, es muss vielmehr den alten bürgerlichen Staatsapparat zertrümmern und seine eigene Macht als Staatsmacht organisieren, wenn es den Kapitalismus niederringen will. Die Arbeiterräte sind mehr als nur Träger des revolutionären Kampfes für die Eroberung der Macht. Als sich selbst verwaltende Massenorganisationen — gesetzgebend und ausführend zugleich — werden sie zu Trägern, zu Organen der eroberten Staatsmacht selbst. Sie sind die Form, in der das Proletariat seine Diktatur ausübt. Darum: Alle Macht den Räten! Die bürgerliche Demokratie ist und bleibt bürgerliche Klassenherrschaft, nur die Diktatur des Proletariats führt aus der Knechtschaft des Kapitalismus in die Freiheit des Kommunismus. Diese Fundamentallehren der russischen Novemberrevolution hat die Kommunistische Internationale zum Gemeingut von Millionen gemacht.

Das ist eine revolutionäre Tat. Diese Millionen sind nicht länger von des Gedankens Blässe der reformistischen Illusionen über Demokratie und Reform angekränkelt. Die frische Entschlusskraft zum Kampf, der Wille zur Revolution ist ihnen neu gestärkt erstanden. Die Kommunistische Internationale würde ihre Aufgabe als proletarische Weltorganisation zur Durchführung der Weltrevolution schlecht erfüllen, wollte sie nicht mit der äußersten Schärfe und Zähigkeit diese Illusionen zerstören. Sie bilden den Schutzwall, hinter dem die Reformisten und Reformistelnden aller Länder die bürgerliche Ausbeutungsordnung verteidigen und halten. Mit unerbittlicher Klarheit hat die Kommunistische Internationale diesen Tatbestand herausgearbeitet. In ihren Reihen kann und darf daher kein Platz sein für Elemente, die mit Überbleibseln reformistischen oder zentristischen Wahnglaubens behaftet, durch ihre Revolutionsängstlichkeit die Kampfesentschlossenheit schwächen und lähmen könnten. Nicht minder deutlich und entschieden hat die Kommunistische Internationale die putschistische Illusion von Revolutionsromantikern abgewiesen, dass kühne, opferfreudige Parteiaktionen revolutionäre Massenaktion zu ersetzen vermöge. Die Eroberung der Macht als Massentat — diese Losung, die Lenin schon auf dem Gründungskongress der Kommunistischen Internationale gab — ist Leitmotiv des kommunistischen Wirkens.

In den fünf Jahren ihres Bestehens ist die Kommunistische Internationale diesem, ihrem Ziel ein gut Stück näher gekommen und damit auch der Revolution. Überall auf dem Erdball, wo der ausbeutende Besitz die Arbeit und damit den lebendigen Menschen ausbeutet und knechtet, hat sie den Feuerbrand von revolutionärer Massenerkenntnis und revolutionärem Massenwillen entzündet, Feuerbrände, die zur gewaltigen lohenden Glut der proletarischen Weltrevolution zusammenschlagen werden, in der die bürgerliche Ordnung versinkt.

In den wichtigsten kapitalistischen Ländern sammelt sich revolutionärer Massenwille, zur revolutionären Massentat, wächst und wird aber auch eine zielklare, wegsichere kommunistische Partei, die, eine eiserne Phalanx, die Führung vorstoßender Massen zu übernehmen vermag. Parteiwille und Massenwille zur Revolution bei den objektiv geschichtlichen Faktoren der Revolutionen werden eins. Das besagt: Sieg, sicherer Sieg, wenn nicht heute, so morgen.

Was verschlägt es, wenn die Reformisten und die Reformistengenossen im Chor mit der Bourgeoisie höhnen: ”Was ist's mit Eurer Weltrevolution? Sie ist eine Prophezeiung auf den St. Nimmerlein. Sie kann nicht und sie wird nicht kommen.” Spotten ihrer selbst und wissen nicht, wie die Wels und Henderson, die Treves, Kautsky und Gompers. Mit der noch andauernden Schwäche des proletarischen Willens zur Revolution konstatieren diese Herren nur ihre eigene Schmach und Schande. Tatsachen über Tatsachen reden davon, dass die kapitalistische Wirtschaft, dass ihr Staat, dass die bürgerliche Ordnung reif ist, ja überreif für den Untergang. Alle Macht und Gewalt der Bourgeoisie würde nicht hinreichen, diese Ordnung zu schützen und zu stützen, wenn die Proletarier sie stürzen wollten. Dass der Wille zur erlösenden revolutionären Tat bei der Mehrheit des Proletariats noch schwach und unterdrückt ist, ist das geschichtliche Verbrechen der Reformisten, die in der Internationale des Worts vereinigt sind.

Die Internationale der Tat wird diesem Verbrechen ein Ende machen. Sie wird im Ringen um Geist, Willen und Tat der Massen über die Internationale des Worts triumphieren. Die ”Arbeiterregierung” in England — von der die Hohenpriester und Gläubigen des ”Antibolschewismus” ein neues Emporblühen der Zweiten Internationale erhoffen — wird kein Sieg des Reformismus über die Revolution sein, sondern die Beschleunigung des Endes des Reformismus. Das verbürgt die bedeutsame geschichtliche Tatsache, die der Arbeiterregierung zu Grunde liegt: das Erwachen großer Massen des englischen Proletariats zum Klassenbewusstsein, ihr Abmarsch aus dem Lager der bürgerlichen Parteien. Dass dieses sich regende und dehnende Klassenbewusstsein durch Reformen und Reförmchen nicht verseucht werden kann, dass es zum gesunden, robusten revolutionären Willen reift,. dafür werden die Rebellionen der englischen Kolonialsklaven sorgen.

Der schellenlaut bejubelte ”Sieg” des Reformismus in England wäre das letzte Ereignis, das den Kommunisten die Freude an dem fünfjährigen Bestehen ihrer Internationale trüben könnte. Denn so paradoxal es manchem klingen mag: er beschleunigt das Nahen der proletarischen Weltrevolution. Um so schmerzlicher lastet das Bewusstsein auf uns allen, dass sich die Perspektiven entscheidungsschweren Geschehens, gewaltiger revolutionärer Kämpfe vor der Kommunistischen Internationale auftun, ohne dass ihr Lenin auch jetzt voranschreitet. Lenin, der geniale Baumeister und Lehrmeister der Kommunistischen Internationale, ihr unvergleichlicher und unersetzlicher Führer, wie der unsterbliche Führer der russischen Novemberrevolution und Sowjetrusslands. So viel die Kommunistische Internationale für ihr Entstehen und ihre Entwicklung dem treuen Zusammenwirken der talentvollen und sturmerprobten Männer dankt, die mit Lenin gemeinsam die russische Revolution geführt haben, mehr als jeder hat er getan, damit die Internationale der Tat die Internationale des Worts ablösen, damit sie revolutionäre Massenorganisation werden konnte. Lernen wir von Lenin den unbeirrbaren Glauben, dass in der Brust jedes schlichten Proletariers, jedes armseligen Unterdrückten der prometheusische Titanentrotz schlummert, der den stärksten knechtenden Gewalten zuruft: ”Ihr könnt mich doch nicht töten!” Lehren wir in seinem Geiste den gefesselten Prometheus, die Ketten zu sprengen und die Ketten in Waffen umzuschmieden, die befreien, wie in Werkzeuge, die aufbauen. Werden wir gleich ihm stark im kühlen Wägen und im kühnen Wagen. Dann stehen die Massen des Proletariats, die Massen der Mühseligen und Beladenen in der ganzen Welt zur Internationale der Tat. Dann schlagen diese Massen und diese Internationale, in einem Willen und in einem Kampf zusammengeschweißt. siegreich die Schlachten der Weltrevolution.

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