Clara Zetkin 19201204 Wir grüßen das revolutionäre Proletariat aller Länder!

Clara Zetkin: Wir grüßen das revolutionäre Proletariat aller Länder!

(4. Dezember 1920)

[“Bericht über die Verhandlungen des Vereinigungsparteitages der USPD (Linke) und der KPD (Spartakusbund). Abgehalten in Berlin vom 4. bis 7. Dezember 1920. Anhang: Bericht über die 1. Frauen-Reichskonferenz am 2. Dezember 1920 in Berlin”, Berlin 1921, S. 51-54. Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 304-308]

Resolutionen und Rede auf dem Vereinigungsparteitag der KPD und der linken USPD

I

Solidaritätskundgebung für Räterussland

Der Parteitag der Vereinigten Kommunistischen Partei, der Willensausdruck aller revolutionären Elemente Deutschlands, die mit der III. Internationale kämpfen wollen, begrüßt bei seinem Zusammentritt die revolutionären Proletarier aller Länder, insbesondere aber die heldenmütigen Arbeiter- und Bauernmassen Räterusslands, die unter Führung der Kommunistischen Partei den Kapitalismus durch die Diktatur niederzwingen und ungeschreckt durch ungeheure Schwierigkeiten und Opfer den Aufbau der kommunistischen Ordnung in Angriff genommen haben. Er beglückwünscht die russische Räterepublik und ihre Rote Armee zu dem gewaltigen Sieg über das letzte Bollwerk der Gegenrevolution in Russland, die Wrangel-Armee. Der Sieg Räterusslands über Wrangel bedeutet gleichzeitig seinen Sieg über das weiße Polen, den Soldknecht der verbündeten Ententeimperialisten, und damit über diese Imperialisten selbst.

Der Parteitag der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands bekennt seine aktive Solidarität mit der russischen Revolution. Er gelobt, mit allen Mitteln Sowjetrussland, den Vorkämpfer der Internationale der Tat, zu unterstützen in der Erkenntnis, dass der Sieg der russischen Revolution in Deutschland vollendet werden muss, dass das Schicksal der Weltrevolution auf das engste mit diesem Sieg verknüpft ist.

II

Kundgebung gegen den weißen Schrecken in Ungarn

In Horthy-Ungarn wütet der weiße Schrecken noch immer erbarmungslos gegen das Proletariat und seine Vorkämpfer. Seit fünf Monaten, länger als der heldenmütige Kampf der Räterepublik gedauert hat, sitzen die Schergen Horthys über die Volkskommissare Räteungarns zu Gericht. Sie treten ihr eigenes Recht und Gesetz mit Füßen, sie führen eine Gerichtskomödie auf um zehn Verteidiger der proletarischen Revolution, zehn Kämpfer für die Diktatur des Proletariats, dem Galgen zu überantworten. In wenigen Tagen wird das Urteil fallen.

Der Parteitag der Vereinigten Kommunistischen Partei bekennt sich bei seinem ersten Zusammentritt zu den Märtyrern der proletarischen Sache in Ungarn und brandmarkt das bevorstehende Urteil, die neuen Schandtaten des Horthy-Regiments, in der festen Überzeugung, dass dieses Urteil, dass die Herrschaft des weißen Schreckens sich als ohnmächtig erweisen werden, die Befreiung des Proletariats in Ungarn, das Erstehen einer neuen ungarischen Räterepublik zu vereiteln.

III

Rede zur Begründung der Resolutionen

Genossinnen und Genossen! Die Resolutionen, meine ich, begründen sich selbst. Ich möchte dennoch Ihre Aufmerksamkeit auf einige Punkte lenken.

Was die Resolution für Ungarn anbetrifft: Wir werden das kommende Urteil gegen die ungarischen Volkskommissare nicht auffassen als einen Richterspruch politischer Gegner, sondern als einen Racheakt von Banditen gegen die, die ihnen einen Augenblick ihren Raub entrissen hatten.

Weiter wollen wir hier zum Ausdruck bringen, dass für uns das Schicksal der Revolution in Ungarn nicht mit dem augenblicklichen Triumph des weißen Terrors besiegelt ist. Gewiss, wir fühlen mit denen, die als Vorkämpfer von Räteungarn als Geächtete über die Welt gehetzt werden. Wir fühlen mit all den Tausenden, die hinter Kerkermauern schmachten. Unser Herz ist mit denen, die unter Qualen den Märtyrertod erleiden. Aber wir wissen das eine: Die Revolution ist auch in Ungarn unsterblich; sie lebt weiter in der Empfindung, in dem Bewusstsein und in dem Willen der ausgebeuteten Massen, den Kapitalismus zu überwinden und den Kommunismus aufzurichten. Mit unserer Brandmarkung des Urteils, das da kommen wird, verbinden wir den Ausdruck unserer festen Überzeugung an den kommenden Sieg des Proletariats auch in Ungarn.

Was die Resolution anbetrifft, die unsere Sympathie mit dem Weltproletariat und namentlich mit seinem kühnsten und opferwilligsten Vorkämpfer, mit Räterussland, zum Ausdruck bringt, so möchte ich eine kleine praktische Anregung geben: nämlich, dass wir den Ausdruck unserer Solidarität wirksam werden lassen, indem dieser Parteitag eine Sammlung für die in Deutschland internierten Rotgardisten beschließt. (Bravo!) Vor allen Dingen möchte ich die Gelegenheit benutzen, statt eine überflüssige Begründung zu geben, mich eines Auftrags zu entledigen. Sie wissen, dass ich in Russland war. Ich habe mit Hunderttausenden und unter Hunderttausenden von russischen Proletariern gestanden — nicht nur bei politischen Manifestationen, sondern auch dort, wo die Proletarier arbeiten, auch unter den parteilosen Arbeitern und Arbeiterinnen, auf Sowjetkongressen der Bauern usw. Und ich kann es hier aussprechen: Ich bin nirgends und niemals mit russischen Proletariern in Berührung gekommen — bis zu den Kindern in den Schulen und Fürsorgeheimen —‚ wo mir nicht aufgetragen worden ist: Genossin Zetkin, überbringen Sie den deutschen Proletariern unsere herzlichsten Grüße. Sagen Sie ihnen, dass wir bis zur letzten Fiber mit ihnen empfinden. Überall wurde es ausgesprochen: Gewiss, wir leiden, wir leiden hart, wir haben blutige Opfer gebracht, wir müssen noch weiter ungeheure Opfer bringen. Das alles ist aber nicht Schuld der proletarischen Revolution, des Systems, nicht Schuld der Neuordnung, sondern die Schuld der internationalen Imperialisten wie der Gegenrevolutionäre im Lande, der offenen und verkappten, der Menschewiki und Sozialrevolutionäre. Sie alle legen der Auswirkung und Verwirklichung des kommunistischen Systems Hindernisse in den Weg. Wir tragen deshalb die Leiden freudig, nicht nur in dem Bewusstsein, dass sie geschichtlich unvermeidlich sind, um unser eigenes teures Sowjetrussland zu behaupten, nein, wir opfern und leiden bewusst mit dem Willen, auszuhalten und durchzuhalten, damit die Proletarier der ganzen Welt an unserem Beispiel lernen, den Kapitalismus zum Teufel zu jagen und den Kommunismus aufzurichten. Ein aktiver Wille zum Sieg kommt überall in den politisch lebendigen Teilen des Proletariats zum Ausdruck.

Genossinnen und Genossen! Ich schäme mich nicht, Ihnen hier einzugestehen, dass ich angesichts dieses revolutionären Massenwirkens die Empfindung hatte: Ziehe deine Schuhe aus; der Boden, da du stehst, ist heiliger, ist revolutionärer Boden.

Und noch eine andere Empfindung überwältigte mich. Angesichts der Opfer, angesichts der Entschlossenheit des russischen Proletariats, mit zusammengebissenen Zähnen den Willen zum Kampf und Sieg festzuhalten, habe ich mich geschämt. Geschämt, wenn ich einander gegenüberstellte die zu gigantischer Größe und geradezu religiöser Inbrunst gesteigerte Überzeugung und Praxis internationaler Solidarität der russischen Proletarier und den Mangel an aktiver Internationalität der Arbeitermasse nicht bloß in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa. Die Zeichen des neuen gewaltigen geschichtlichen Lebens in Russland geben mir die Empfindung Huttens in seiner Beichte:

Mich reut, dass ich in meine Fehden trat —

Mit schärfren Streichen nicht und kühnrer Tat!

Mich reut die Stunde, die nicht Harnisch trug!

Mich reut der Tag, der keine Wunde schlug!

Mich reut — ich streu mir Aschen auf das Haupt,

Dass nicht ich fester noch an Sieg geglaubt!”

Ich möchte, dass diese Empfindung, die mit ihr verbundene Erkenntnis und der noch aktivere Wille zum Eidschwur eines jeden deutschen klassenbewussten Proletariers und jeder Proletarierin würde. Es genügt nicht, dass wir unsere Bewunderung und Dankbarkeit für Sowjetrussland durch Sympathiekundgebungen zum Ausdruck bringen. Wir müssen entschlossen sein, aktiv für Russland zu handeln. Und das Wichtigste, was wir zu diesem Zweck zu tun haben, ist, die Revolution in Deutschland selbst weiter zu treiben. Das russische Proletariat hat seine Pflicht in großzügigster, in verschwenderischer Weise getan. Es tut seine Pflicht weiter. Tun wir die unsere, und koste es unser Leben! (Stürmischer Beifall.)

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