Clara Zetkin 19230130 Bericht vom Vierten Weltkongress der KI

Clara Zetkin: Bericht vom Vierten Weltkongress der Kommunistischen Internationale

(30. Januar 1923)

[Bericht über die Verhandlungen des III. (8.) Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale). Abgehalten in Leipzig vom 28. Januar bis 1. Februar 1923. Herausgegeben von der Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands. Berlin 1923, S. 260-277]

Clara Zetkin (mit lebhaftem Beifall begrüßt): Der IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale war im Großen und Ganzen eine Tagung der Bestätigung, was jedoch keineswegs Stillstand bedeutet. Im Gegenteil: der Weltkongress charakterisierte sich durch einen zielklaren, wegsicheren Willen zum kräftigen, gesteigerten Fortschreiten in der Richtung auf unser Ziel, die proletarischen Massen zu mobilisieren und sie in den Kampf für die Weltrevolution zu führen. Einer der wesentlichen Züge des IV. Weltkongresses war die außerordentliche Freudigkeit und Gewissenhaftigkeit bei der Arbeit. Der Kongress war eine Tagung der Arbeit, er hat 32 Plenarsitzungen abgehalten, es haben Hunderte von Sitzungen der Delegationen und Kommissionen stattgefunden, die zur Vorbereitung der einzelnen Gegenstände der Tagesordnung und zur Ausarbeitung der Resolutionen, Beschlüsse und Thesen eingesetzt worden waren. Die Delegationen sahen sich einer überreichen Tagesordnung gegenüber. Sie hatten den Bericht der Exekutive über die abgelaufene fünfzehnmonatige Tätigkeitsperiode zu überprüfen und sie hatten Stellung zu den Schlussfolgerungen zu nehmen, die die Exekutive daraus herleitete — natürlich betrachtet und gewertet mit der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Situation —, um sich über die nächsten dringendsten Aufgaben der Kommunistischen Internationale und ihrer einzelnen Sektionen klar zu werden. So hatten sich die Delegierten auch zu beschäftigen mit der Offensive des Kapitals, mit dem Versailler Vertrag, der Agrarfrage, der Erziehungsfrage, der Orientfrage, mit der Kommunistischen Arbeit in den Genossenschaften, in den Gewerkschaften, unter den Frauen, unter der Jugend.

In dieser Reichhaltigkeit tritt der tiefe, grundsätzliche Wesensunterschied zutage, der zwischen den Tagungen der 2. Internationale und denen der Kommunistischen Internationale besteht. Auf den Kongressen der 2. Internatonale konnte man sich darauf beschränken, zwei oder drei Fragen nach langer Debatte sehr ausgiebig zu erörtern. Die 2. Internationale war nur ein lose zusammenhängendes Gebilde, sie war keine international straff zusammengefasste zentralisierte Partei. Sie musste sich davor hüten wie der Teufel davor, die Finger in Weihwasser zu stecken, regelnd und entscheidend in das politische und organisatorische Eigenleben der einzelnen Parteien, Gewerkschaften und anderer Arbeiterorganisationen einzugreifen, die zu ihr standen. (Sehr richtig.) Alles in allem zielte sie wohl ab auf Einheitlichkeit von Beschlüssen, aber ihre Tagungen verpflichteten nicht bindend zu einheitlichem revolutionären Handeln. Nur zweimal hat die 2. Internationale versucht, zu einer einheitlichen internationalen Aktion zu kommen. Das eine Mal war es, als sie in ihrer Geburtsstunde die Maifeier als ein Pronunziamento, eine revolutionäre Schilderhebung des Weltproletariats gegen die bürgerliche Gesellschaft beschloss. Der Beschluss wurde nie streng, umfassend einheitlich durchgeführt. In der Atmosphäre des Verfalls der 2. Internationale selbst verfiel auch allmählich die Maifeier und wurde zu einer Art sozialdemokratischen Familienfestes oder zu einer leeren Demonstration. Der andre Versuch war der beschlossene Kampf gegen Kriegsgefahr und Krieg. Er endete im August 1914 mit der Schmach der ”Landesverteidigung”, dem Bankrott der 2. Internationale. Im Gegensatz zu dieser ist die Kommunistische Internationale international straff organisiert. Die einzelnen nationalen Sektionen sind ihr mit ihrem Leben und Weben organisatorisch wie ideologisch fest eingegliedert. Daraus ergibt sich, dass das Arbeitsfeld der Kommunistischen Internationale und ihrer Kongresse ein viel umfassenderes und weiter gesteckt ist als das der reformistischen Tagungen.

Dazu kommt noch die jetzige Situation. Früher, in den Jahren {vor] der Revolution, wuchsen für das Proletariat die Probleme nur langsam heran. Gegenwärtig aber, in dieser revolutionären Periode, wo sich fast mit jedem Tage neue Probleme auftürmen, neue Aufgaben vor die Internationale treten, kann diese sich nicht den Luxus gestatten, in den einzelnen Sektionen und international sich in einem gemütlichen Nacheinander theoretisch und praktisch mit der Situation, ihren Erscheinungen und pflichten auseinanderzusetzen, jetzt gilt es, in einem raschen leidenschaftlichen Nebeneinander zu denken, und nicht bloß zu denken, auch zu handeln. So steht gleichzeitig eine Fülle von Problemen vor der Kommunistischen Internationale. Sie selbst ist jung und jung sind ihre einzelnen nationalen Sektionen. Sie müssen sich die Einheitlichkeit ihrer Einstellung, ihres Kampfes, ihres internationalen Zusammenwirkens erarbeiten und erkämpfen. In dem Maße, wie die nationalen Sektionen sowohl organisatorisch wie ideologisch immer fester und bewusster mit der Internationale verwurzeln und verwachsen, in dem Maße, wie sich jede einzelne Sektion über die allgemeinen grundsätzlichen und taktischen Richtlinien ihrer Auffassung und ihres Handels klar sind, in demselben Maße wird auch die Tagesordnung der Weltkongresse unserer Internationale weniger überbürdet sein, als es bei jener des IV. Weltkongresses der Fall war. Dazu kommt noch ein anderer Umstand, der uns dies für die Zukunft verspricht. Die im letzten Jahre zunächst aus Zweckmäßigkeitsgründen entstandene Einrichtung der Vorbereitung wichtiger Fragen, brennender Aufgaben durch die erweiterte Exekutive hat sich sehr gut bewährt. Sie soll von nun an, nach der beschlossenen Reorganisation der Exekutive, eine ständige Entrichtung der Kommunistischen Internationale werden.

Genossen und Genossinnen! Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, Euch chronologisch aufzuzählen, was der Kongress gearbeitet und was er beschlossen hat. Ich werde nur hervorheben und beleuchten, was von den Debatten und Beschlüssen des Weltkongresses von besonderer Bedeutung ist für die Einstellung der KPD zu der Kommunistischen Internationale und zu den Aufgaben, die sie uns stellt. Die Grundfrage bei all dem ist, was der äußersten Steigerung unserer Erkenntnis, unseres Willens und unserer Tatkraft dient, höchste Aktivität der Partei zu entfalten und vor allem die breiten proletarischen Massen zu höchster Aktivität emporheben. Bei den wichtigsten Beratungsgegenständen im Plenum des Weltkongresses trat eine Tatsache in Erscheinung, die sich auch hier laut und schreiend genug gezeigt hat. Nämlich die, dass die Auffassung der deutschen Delegation nicht einheitlich war, sondern dass es eine Mehrheit und eine allerdings sehr kleine Minderheit innerhalb der deutschen Delegation gab. Aber die deutsche Delegation stellte sich mit Recht auf den Standpunkt, nicht durch Majoritätsbeschlüsse die Meinungsäußerungen der Minorität zu unterbinden (Sehr gut!), sondern ihr vollste Freiheit zur Darlegung ihrer eigenen Auffassung über die zur Debatte stehenden Probleme zu lassen (Zustimmung.) Allerdings haben wir dabei in der deutschen Delegation eine sehr eigentümliche Erfahrung gemacht. Es schien nämlich, dass die Töne des offenbar von dem seligen Freiherrn von Münchhausen entlehnten Tendenzposthorns, die in Deutschland so laut geklungen hatten, während der kalten Novemberreise nach Moskau eingefroren waren (Große Heiterkeit). Und als sie in der lauen Luft des prächtigen Kongresssaales im Kreml wieder auftauten, da klangen sie äußerst mild, nicht mehr nach rauen Wintern, sondern nach linden Frühlingslüften (Erneute große Heiterkeit). An die Stelle von schmetternden Kriegsfanfaren war sehr zarte Lyrik getreten. Allerdings, die Töne wurden wieder kräftiger, wenn sie nicht mehr im Kongresssaal, sondern in der deutschen Delegation erklangen (Zurufe). Ich stelle hier eine Tatsache fest, die niemand bestreiten kann. Es lag in der Natur der Sache, dass die beiden verschiedenen Tendenzen bei der Diskussion über den Bericht des Genossen Sinowjew über die verflossene Tätigkeit der Exekutive und über unsere nächsten Aufgaben, sowie bei dem Bericht des Genossen Radek über die Offensive des Kapitals, besonders zum Ausdruck gekommen sind, weil bei diesen beiden Verhandlungsgegenständen die grundsätzlichen und taktischen Richtlinien der Kommunistischen Internationale und damit auch der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Debatte standen. Die Debatten bestätigten, was ich von den milderen Tönen des Tendenzposthörnchens gesagt habe. Hier in Deutschland hatten wir vor dem Kongress von der Opposition gehört, die Aufgabe des IV. Weltkongresses sei: zurück zum II Weltkongress! Der IV. Weltkongress habe die Einstellung des III. Weltkongresses zu korrigieren, habe die Kommunistische Internationale von ihren opportunistischen Entgleisungen und Irrungen auf die einzig richtige revolutionäre Linie zurückzuführen. Nach dem Kongress las man den Text etwas anders und schwächer. Da hieß es, der IV. Weltkongress habe wieder gutgemacht, was der II. [gemeint: III.] Weltkongress zu arg gegen die Linke gesündigt habe. Von diesem sei unter dem Eindruck der Märzaktion die Linke zu stark väterlich gezüchtigt worden. Nun aber der IV. Weltkongress die Linke gerechtfertigt und geliebkost und die Opportunisten hätten die wohlverdiente Prügel bekommen.

Es ist eine mechanische und kindische Auffassung, diese wichtigen Tagungen des III. und IV. Weltkongresses so würdigen zu wollen. Auf dem III. Weltkongress ist es wahrhaftig im viel Größeres gegangen, als um die Abstrafung und Abschüttelung etlicher linker Torheiten oder Dummheiten, um mit Lenin und andren russischen Führern zu reden. Was war das Historische des III. Weltkongresses? Er hatte in Verbindung mit der Märzaktion in Deutschland eine weit verbreitete Auffassung der gesamten Kommunistischen Internationale zu prüfen. Er musste eine geschichtliche grundsätzliche Einstellung revidieren, die von einer durchaus richtigen Voraussetzung ausgehend, bestimmte Tatbestände nicht verstand und so zu einer falschen Aktion Schlussfolgerung, auf Grund der aufgebauten Theorie zu falschen verfehlten Aktionen kam (Sehr richtig). Es ging darum, ob die so genannte Offensivtheorie oder Offensivphilosophie, wie Trotzki sich ausdrückte, grundsätzliche und taktische Richtschnur für die gesamte kommunistische Internationale sein könne, ja sein müsse. Die ”Offensivtheorie” ging von der ganz zutreffenden Auffassung aus, dass die objektiven Bedingungen für die proletarische Weltrevolution gegeben sind. Aber aus dem Vorhandensein der objektiven Reife für die Revolution wurde geschlossen, dass auch der subjektive Faktor der proletarischen Weltrevolution vorhanden sein müsste, nämlich die Reife des Willens und Handelns des Proletariats selbst. Deshalb wurde weiter gefolgert, dass das Entwicklungstempo des subjektiven Faktors der Revolution das gleiche sei wie das der objektiven Triebkraft geschichtlichen Geschehens. Von diesen Voraussetzungen ausgehend vertraten die Offensivtheoretiker die Auffassung, es genügt, dass eine revolutionäre Vorhut den proletarischen Massen die Losung und das Kommando zur Revolution gebe, die Führung der Revolution übernehme, damit ohne weiteres proletarische Massen in revolutionäre Kämpfe eintreten und bis zum siegreichen Ende ”durchhalten”. Diese Offensivphilosophie ist das Gegenstück zu der reformistischen Anschauung über Vorbedingung und Tempo der geschichtlichen Entwicklung. Auch sie geht von einer richtigen Tatsache aus, nämlich von der Tatsache der noch vorhandenen Unreife des subjektiven Faktors der proletarischen Revolutionen, d.h. der Schwäche des Willens, der Tatkraft, des Opfermuts der proletarischen Mehrheit in den hoch entwickelten kapitalistischen Staaten, revolutionär den Kapitalismus zu beseitigen. Die reformistische Theorie erklärt: weil das Weltproletariat sich noch nicht zur Weltrevolution erhoben, weil der subjektive Faktor noch nicht seine Reife für die Revolution bekundet hat, können auch die objektiven Voraussetzungen für die Revolution und ihren Sieg noch nicht gegeben sein. Ergo, nicht von der Revolution geredet, nicht auf sie vorbereitet, keine Massenmobilisierung, Gewehr bei Fuß! Auf der einen Seite die Neigung zu revolutionären Abenteuern, auf der anderen Seite nicht nur die Neigung, sondern die vollendete Tatsache des Verzichtes auf die Revolution.

Der III. Weltkongress hat die Stellung der Kommunistischen Internationale nach rechts und nach links in reinlicher Scheidung abgegrenzt. Er hat jene Revision über das Tempo der Revolutionsentwicklung vollzogen, die notwendig war, um die proletarischen Massen tatsächlich zu der treibenden und tragenden ausschlaggebenden sozialen Kraft der geschichtlichen Entwicklung zu machen. Sein Werk erinnert an die Revision der Auffassung, die Marx und Engels in den 50er Jahren nach dem Zusammenbruch der Revolution vornehmen mussten, aber natürlich unter wesentlich anderen Bedingungen. Damals waren es zwei Forschende und Kämpfende, die sich in ihre Studierstube zurückzogen, um eine feste, sichere, geschichtliche, wissenschaftliche Grundlage für ihr revolutionäre Betätigung zu finden, und das in einer Periode der Aufwärtsbewegung des Kapitalismus. Jetzt in der Periode des Verfalls der kapitalistischen Ordnung handelt es sich darum, durch richtige Wertung der konkreten Verhältnisse das Proletariat reif zu machen, den Gerichtsspruch der Geschichte an der bürgerlichen Gesellschaft zu vollstrecken. Diese Revision der Begriffe und des Handelns hat eine viel gewaltigere fruchtbare Bedeutung wie die Abschaffung rechter und linker Torheiten. In sehr milder Fassung verlieh die so genannte ”radikale Opposition” in Deutschland ihrer Kritik an dem Werk des III. Weltkongresses Ausdruck. Genossin Fischer beanstandete in den Debatten über den Bericht des Genossen Sinowjew, dass die Trennungslinie gegen die Gruppe Levi vom III. Weltkongress nicht scharf genug gezogen sei, dass dieser diese Richtung nicht abgeschüttelt habe. Genosse Sinowjew hat den Vorwurf zurückgewiesen. Er betonte, dass es darauf ankam, Paul Levi und seine Auffassung zu isolieren und die Trennungslinie entsprechend zu ziehen. Der III. Kongress musste trennen die durchaus berechtigte revolutionäre Kritik der einzelnen Erscheinungen und Aktionen, die ein Lebenselement jeder Kommunistischen Partei, der gesamten Kommunistischen Internationale ist, und einer Auffassung, die sich nicht darauf beschränkte, Fehler und Schwächen der Grundsätze und Taktik zu kritisieren, sondern die sich innerlich, ihrer geschichtlichen Einstellung nach, von der proletarischen Revolution losgesagt hatten und ins reformistische Lager abschwenkten. Genossin Fischer hat gemeint, bei einer scharfen Abgrenzung gegen rechts in Moskau auf dem III. Weltkongress würde unserer Partei die nicht eben angenehme Episode Friesland erspart worden sein. Ich glaube das nicht. Wir dürfen nicht vergessen, dass Herr Friesland, der heute mit an der Spitze der Sozialpatrioten marschiert, in Moskau der Radikalsten einer war, dem sogar die Kritik der Fehler an der Märzaktion ein fluchwürdiges Verbrechen dünkte. Wenn es zur Episode Friesland gekommen ist, so erklärt sich das dadurch, dass Friesland und seinesgleichen auf dem Boden einer sehr schwankenden geschichtlichen Auffassung standen, als sie ”radikal” waren.

Der III. Weltkongress hat der Kommunistischen Internationale die nötige Orientierung über Richtung und Ziel und augenblickliches Tempo der geschichtlichen Entwicklung mit aller Schärfe gegeben und die Schlussfolgerungen für unsere Praxis, unsere Aufgaben daraus gezogen. Er tat dies in den zwei großen Losungen, die der IV. Weltkongress von ihm nach Überprüfung der Weltlage übernommen hat. Die erste: Vorwärts zur proletarischen Revolution! Wir stehen in ihr, die weltwirtschaftliche und weltpolitische Situation ist durch und durch revolutionär. Aus diesem Tatbestand ergibt sich angesichts der noch bestehenden Revolutionsmüdigkeit und Revolutionsfurcht des Proletariats gerade in den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern die zweite Losung: Heran an die Massen! Verbindung mit dem Massen, Erziehung der Massen, Aktivierung der Massen für die Revolution! Der zweite, der subjektive Faktor der geschichtlichen Entwicklung muss auf die Höhe seiner vorliegenden geschichtlichen Aufgaben gehoben werden.

Der IV. Weltkongress hat aber mehr getan, als lediglich die beiden Grundeinstellungen der Kommunistischen Internationale bestätigt. Von ihnen ausgehend hat er die konkreten Verhältnisse in den verschiedenen Ländern überprüft und in organisatorischem Zusammenhang damit die Aufgaben der Kommunistischen Parteien auf den einzelnen Gebieten des sozialen Lebens aufgezeigt. Er hatte aller Nöte, aller Forderungen des Proletariats gedacht, die in der gegebenen Situation Ansatzpunkte unserer Betätigung unter dem Proletariat und für das Proletariat sein könnten. Er hat alle Kampfes- und Arbeitsmöglichkeiten in Erwägung gezogen, die durch die Zerrüttung des Kapitalismus, durch die Offensive des Kapitals zur Rettung der bürgerlichen Ordnung gegeben werden. Er war bedacht, nach allen Richtungen hin die volle Kraft revolutionärer Betätigung der Kommunistischen Internationale und ihrer nationalen Sektionen lebendig, fruchtbar zu machen.

Daher stand im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen die Frage der proletarischen Einheitsfront. Sie wissen, dass diese Frage der vielfach missverstanden und dass das Wie der Umsetzung der proletarischen Einheitsfront aus der Theorie in die Praxis von unserer italienischen und noch mehr von unserer französischen Bruderpartei scharf umstritten wurde. Bei der Durchführung der proletarischen Einheitsfront in Deutschland sind unstreitig innerhalb unserer Partei Entgleisungen vorgekommen. Besonderes bei der Kampagne anlässlich der Rathenau-Ermordung sind Fehler gemacht worden. So ist die Kritik der Opposition an dieser Kampagne, an dem Bestreben der Partei, die Einheitsfront des Proletariats zu schließen, in mancher Beziehung durchaus berechtigt. Ich glaube, es ist niemand unter uns, der nicht mit beiden Händen unterschreiben wird, was Genossin Fischer in Moskau darüber gesagt hat, dass die Verhandlungen mit den Spitzenorganisationen zulange geheim gehalten worden sind und dass es auch sonst hier und da Entgleisungen gab, dass die Partei bei ihrer Abwehraktion gegen die monarchistisch-militaristische Reaktion nicht überall selbständig genug auftrat, ihre eigene Physiognomie nicht klar und scharf genug zeigte. Richtig ist in dieser Richtung auch noch meiner Meinung, dass in der ”Roten Fahne" während jener Periode die Wesenszüge der Partei zwar nicht ganz verwischt, aber doch bedeutend abgeblasst waren. Die revolutionäre Physiognomie der Partei kam nicht so scharf, so lebensvoll, so unmissverständlich zum Ausdruck, wie es der Fall hätte sein müssen. Aber meines Erachtens ist es nicht richtig, wenn die so genannte Linke aus diesen einzelnen Mängeln allgemeine Schlüsse af die Haltung der Partei zieht. Eine opportunistische Einstellung der Partei ist damit nicht bewiesen, auch nicht die ungeheure Größe einer opportunistischen Gefahr. Genossin Fischer führt die Mängel und Entgleisungen bei der Rathenau-Kampagne in der Hauptsache zurück auf die Verhandlungen der Zentrale mit den Spitzenorganisationen, die verschuldet haben sollen, dass die Partei sch nicht selbständig, nicht kräftig genug herauswagte, sich zuviel in das Schlepptau der reformistischen Organisationen nehmen ließ. Aus Rücksicht auf die reformistisch gerichteten Masse im Proletariat soll die Partei davor zurückgeschreckt sein, in der Rathenau-Kampagne kühn mit entfaltetem Banner voranzugehen. Genossin Fischer führte das alles nicht nur darauf zurück, dass in den Köpfen vieler kommunistischer Arbeiter noch opportunistische Tendenzen vorhanden sind, sondern auch darauf, dass als Erbteil der alten Sozialdemokratie auch bei uns eine zu starke Wertung der organisatorischen Stärke und Macht vorherrsche. Dem stimme ich nicht zu. Die vorgekommenen Mängel und Entgleisungen erklären sich zum Teil aus der organisatorischen Schwäche unserer Partei, zum Tel auch lokal aus schwankender, unsicherer Einstellung. Diese ungenügende Einstellung ist aber durchaus nicht ein allgemeiner beherrschender Charakterzug der Partei. Alle Fehler im Einzelnen schaffen jedoch die Tatsache nicht aus der Welt, dass gerade die Rathenau-Kampagne die erste großzügige, einheitliche, fest durchgeführte Kampagne der Kommunistischen Partei gewesen ist.

Was die angeblich übertriebene Bewertung der organisatorischen Stärke anbetrifft, so wurde Genossin Fischer vom Genossen Bucharin erwidert, der gewiss nicht als Opportunist verdächtig ist, dass die Schätzung der organisatorischen Stärke sehr berechtigt sei. Unsere Partei muss innerhalb der Massen eine straff organisierte Macht sein. Je größer die organisatorische und ideologische Geschlossenheit und Stärke der Kommunistischen Partei ist, um so größeren sammelnden, erziehenden, vorwärts peitschenden Einfluss wird sie auf die breiten proletarischen Massen ausüben. Gewiss, die Organisation allein tut es nicht, sondern der revolutionäre Geist in der Organisation. Aber das besagt nicht, auf die Stärke der Organisation zu verzichten. Wir brauchen Quantität und Qualität, Qualität in der Quantität. Ich hatte den Eindruck, und alles was von der Opposition zur Frage der Einheitsfront geschrieben und geredet worden ist, hat ihn bestärkt, dass manche radikalen Elemente die proletarische Einheitsfront überhaupt nicht wollen. Die Verhandlungen unserer Parteileitung mit den Spitzenorganisationen sind ihnen dabei ein besonderer Gräuel. Von dem einen und anderen fürchten sie eine opportunistische Verseuchung der Partei, eine Abschwächung ihrer festen klaren kommunistischen revolutionäreren Linie. Ich glaube, umgekehrt gilt: Je breiter die Front ist, auf der wir uns mit den proletarischen Massen verbinden, um so notwendiger und selbstverständlicher ist es, dass wir in jeder Situation, angesichts jeder Massenforderung unsere eigene, grundsätzliche Auffassung scharf herausarbeiten. Unterließen wir das, so würden die Reformisten uns dazu zwingen. Wir können die Massen nur gewinnen durch Auseinandersetzungen mit den Reformisten über die Situation und den Ausweg aus ihr, kurz über unsere Einstellung und unsere Aufgaben. Wir sind gezwungen zu einem Ringen mit der opportunistischen, der reformistischen Auffassung um die Seele der proletarischen Massen. Eine innige Verbindung mit den Massen führt zur scharfen Herausarbeitung unserer revolutionären Überzeugung und zu unserer Stärkung im Kampfe. Nur als unentwegte revolutionäre Partei wird die Kommunistische Partei Führerin der Massen und zur Massenpartei.

Um die Verhandlungen mit den reformistischen Spitzenorganisationen kommen wir bei der proletarischen Einheitsfront nicht herum, so lange leider die Tatsache besteht, dass große proletarische Massen sich noch nicht von dem verdummenden, lähmenden, dem politisch tötenden Einfluss der reformistischen Führer befreit haben. Die Verhandlungen mit den Spitzenorganisationen sind nichts anderes als das Rechnen mit der Tatsache, dass breite Massen noch durch Mauern von uns abgeschlossen sind infolge ihres blinden Vertrauens zu den reformistischen Führern. Wenn ich zu jenen Massen hinter den Mauern nur gelange, sie nur in den Kampf führen kann, in dem ich an das Tor klopfe, durch das Tor gehe, das durch die Mauern führt, dann muss das geschehen. Das Tor sind Verhandlungen mit den Spitzenorganisationen. Wir können sie führen, ohne irgend etwas preiszugeben von unserer grundsätzlichen Auffassung. Das wären schwache Kommunisten, die befürchten müssen, dass sie ihre kommunistischen Grundsätze verlieren, dass sie das große geschichtliche Leben unserer Partei und der Kommunistischen Internationale verraten würden, wenn sie sich an einen Verhandlungstisch setzen mit Leuten, mit denen die selbe Luft zu atmen uns wahrhaftig schwer genug fällt. Solches Verhandeln ist ein hartes Opfer, das wir der proletarischen Einheitsfront bringen. Ich bin auf diesen Punkt eingegangen, weil wir m.E. volle Klarheit über die Bedingungen haben müssen, unter denen wir in Deutschland den Kampf für die proletarische Einheitsfront mit Erfolg aufnehmen und führen können. Und wenn wir diese Bedingungen klar sehen, werden wir sie meistern. Ich brauche mich nicht vor Ihnen mit der irrtümlichen Auffassung der Franzosen und Italiener auseinanderzusetzen, die proletarische Einheitsfront bedeute Einheitlichkeit der Organisation. Sie hat bei uns kaum eine Rolle gespielt.

Eine weitere Abweichung der Meinung des radikalen Flügels in der Kommunistischen Partei Deutschlands, die in der Frage der Arbeiterregierung besteht, kam in Moskau zum Ausdruck. Genosse Radek hatte erklärte, dass das Verhältnis zwischen Arbeiterregierung und Diktatur des Proletariats ungefähr das des Vorzimmers zum Zimmer sei. Er hatte aus seinem Vergleich den Schluss gezogen, wenn man durch ein Vorzimmer in ein Zimmer gehen könne, werde man nicht durch den Schornstein steigen. Das Proletariat sei auch zu groß, um durch den Schornstein zu schlüpfen. Genosse Urbahns hat sich scharf gegen diese Auffassung gewehrt, er erwiderte, dass das Proletariat stark genug sei, den Schornstein zu zertrümmern. Ich will mich nicht in den Gelehrtenstreit einmischen, ob es bequemer ist, durchs Vorzimmer oder durch den Schornstein in ein Zimmer zu gelangen: ich gehe, wenn es sein muss, beide Wege, je nach den Umständen. Wenn ich durch das Vorzimmer in das Zimmer kommen kann, dann gehe ich durch das Vorzimmer. Wenn ich das aber nicht kann, so soll mich der Teufe holen, wen ich nicht durch den Schornstein gehe. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.) Ausschlaggebend muss für uns sein, ob das Vorzimmer oder der Schornstein sicher zum Ziel führt. Die radikale Opposition darf uns jedoch nicht ”Kongress-Ersatz” für ihre Einstellung bieten. Ich meine, das hinter den Ausführungen unseres Freundes Urbahns mehr steckte als Bedenken über den Weg allein. Mir scheint, dass er überhaupt keine Zustimmung, keine Begeisterung für die Losung der Internationale, für die Arbeiterregierung hat. Man befürchtet, dass durch die Teilnahme an einer Arbeiterregierung die Gefahr der opportunistisch-reformistischen Verseuchung für die Kommunistische Partei entsteht. Hinter dieser Sorge um die Reinheit und den Charakter der Partei bei der proletarischen Einheitsfront und im Falle der Arbeiterregierung steht aber weniger die greifbare Realität einer opportunistischen Verseuchung der Partei als vielmehr die eigene grundsätzliche Unsicherheit der Opponenten. Der so wortreich begründete Radikalismus erinnert mich an den Zierrat, den manche Herren an der Uhrkette tragen. Dieser Besitz ist ihnen so kostbar, dass sie immer Angst haben, sie könnten bei zu starken Schritten ihre auf dem Bauche herumbaumelnde blinkende Zierde verlieren. So ist es auch mit manchem ”Radikalismus”. Er sitzt so oberflächlich, dass seine Bekenner bei jedem Schritt in der Praxis vor seinem Verlust zittern. Kommunisten, bei denen die geschichtliche revolutionäre Auffassung in Hirn und Herz sehr fest verwurzelt ist, werden nicht bei jedem Schritt erst fragen: Darf ich ihn tun, ohne dass ich mich als Kommunist selbst verliere? Denn Preisgabe der politischen Überzeugung bedeutet Verlust seiner selbst. Mit der politischen Verlotterung geht auch in den meisten Fällen die persönliche Verlotterung Hand in Hand, das herunter Sinken der Persönlichkeit von Stufe zu Stufe Ich glaube, dass es nicht tiefstes Verschulden der Partei widerspiegelt, ihre Unklarheit, Schwäche und Versuchungsneigung, wenn bei jeder Gelegenheit sich überängstliche Stimmen erheben und rufen: Gefahr, Gefahr ist im Verzug! Wozu wären Gefahren und Schwierigkeiten für die Kommunisten da, als dass sie von ihnen überwunden werden? Gefahren zu überwinden, das gehört zu unserer Aufgabe. Wenn wir wegen drohender Gefahren auf jedes praktische Wirken verzichten wollen, werde wir aus einer politischen revolutionären Kampfpartei verwandelt werden zu einer revolutionären philosophierenden Sekte. Ich sage also, weniger Philosophie und mehr Aktivität. (Zuruf: Das hat man Ihnen vor 10 Jahren auch schon in Stuttgart gesagt!) Lieber Genosse, wir sind jetzt nicht mehr in der Situation wie vor 10 Jahren, und es kommt doch wohl darauf an, ob eine Philosophie in der blauen Luft herumtanzt, oder auf dem festen Boden der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Tatsachen steht. (Beifall.) Wenn Sie den Unterschied noch nicht begriffen haben, dann beweisen Sie, dass ihre Theorie noch auf sehr schwachen Füßen steht. (Zuruf: Sehr richtig! Befall.)

Genossen! In dem theoretischen Meinungskampf um die Arbeiterregierung hätten manche törichte Ängste von links und manche törichte Illusionen von rechts vermieden werden können, wenn bei den Debatten in der Partei und später auf dem Weltkongress stark die scharfe Trennungslinie zwischen der Arbeiterregierung und der Diktatur des Proletariats gezogen worden wäre. Die Arbeiterregierung unterscheidet sich von der Diktatur des Proletariats grundsätzlich und wesentlich dadurch, dass sie einen Versuch darstellt, anknüpfend an die demokratischen Illusionen der breiten Massen, Arbeiterinteressen mit dem alten bürgerlichen Staatsapparat zu vertreten. Man kann jedoch nicht neuen Wein in alte Schläuche füllen. Eine revolutionäre Politik der Arbeiterregierung, die eine Arbeiterregierung erst in Wahrheit und Tat zur Arbeiterregierung macht, muss unaufhaltsam den alten Schlauch des bürgerlichen Klassenstaats sprengen. Der bürgerliche Staat, mag er formal noch so demokratisch sein, bleibt ein Machtapparat für die Bourgeoisinteressen. Die Kommune in Frankreich hat bereits gezeigt — Marx hat das als eine ihrer großen Lehren hervorgehoben —, dass es für die Befreiung des Proletariats nicht genügt, dass es diesen Staatsapparat einfach in seine Hände nimmt. Nein, es muss diesen Staatsapparat zertrümmern. Die russische Revolution hat uns klar gezeigt, was an seine Stelle treten muss: die Diktatur des Proletariats in der Räteordnung. Deshalb ist es ganz unmöglich, dass eine Arbeiterregierung, die wirkliche, tatkräftige Arbeiterpolitik treibt — und eine andere kommt für die Beteiligung der Kommunisten nicht in Betracht — nicht zwangsläufig zur Zertrümmerung des bürgerlichen demokratischen Staates führt. (Bravo, Beifall.)

(Es erhebt sich ein großer Beifallssturm, als auf der Projektionsleinwand angezeigt wird, dass die sächsische Regierung zurückgetreten ist.)

Stolzenburg (Vorsitzender): Es st mir soeben mitgeteilt worden, dass die sächsische Regierung infolge eines Misstrauensvotums zum Rücktritt gezwungen wurde. (Lebhafter, anhaltender Beifall.) Die Nachricht hat folgenden Wortlaut:

Dresden, den 30. Januar 1923.

In der heutigen Sitzung des Sächsischen Landtages wurde nach eingehender Begründung durch den Genossen Böttcher, in der er das Sündenregister der Regierung, vornehmlich des Polizeiministers Lipinski, aufzog, das Misstrauensvotum gegen Lipinski mit 54 gegen 39 Stimmen angenommen. (Zurufe: Bravo! Lebhafter Beifall.) Lipinski hielt eine Pogromrede gegen die Kommunisten und bezeichnete die Haltung der Leipziger Polizei als einwandfrei und prächtig. (Hört, hört!) Als Spitzelmaterial ”enthüllte” er Rundschreiben der Zentrale der KPD (hört, hört!) über illegale Arbeit. (Zurufe: Hu, hu! Lachen.) Lipinski zitierte Beschlüsse des IV. Weltkongresses der Komintern über illegale Organisationen. Diese Denunziation der KPD an den Staatsanwalt wurde von den Bürgerlichen mit großem Beifall aufgenommen. Lipinski erklärte u.a., dass er sehr bedaure, dass die Leipziger Arbeiterschaft dem Parteitag der KPD noch Gastfreundschaft gewähre. (Hört, hört! Pfui!)

Ministerpräsident Buck gab für die Regierung eine Erklärung ab, dass sich die gesamte Regierung mit Lipinski solidarisiere und zurücktritt.

Genosse Böttcher forderte sofort die Aussprache über die Neubildung der Regierung, nicht Kuhhandel! (Stürmischer Beifall.) Die Bildung der Regierung ist Sache der gesamten Arbeiterschaft. Wir fordern einen Betriebsrätekongress. (Erneuter stürmischer Beifall.) Der Betriebsrätekongress muss über die Bildung der Arbeiterregierung entscheiden.”

Genossen und Genossinnen! Sie haben bereits ihrer Freude über dieses Ereignis Ausdruck gegeben. Ich fordere Sie auf, einzustimmen in den Ruf: Es lebe das revolutionäre Proletariat Sachsens, es lebe die deutsche Revolution, es lebe die Weltrevolution! (Die Delegierten stimmen begeistert in das Hoch ein, sie erheben sich von den Sitzen und Singen die Internationale.)

Wir fahren hetzt mit der Berichterstattung durch die Genossin Zetkin fort.

Clara Zetkin (fortfahrend): Unter den von mir aufgezeigten Zusammenhängen bedeutet die Arbeiterregierung durchaus keine Milderung des revolutionären proletarischen Klassenkampfes, sondern eine Verschärfung und Steigerung dieses notwendigen Kampfes. Unter welchen Umständen die Arbeiterregierung entsteht, lebt und kämpft, lässt sich gewiss nicht voraussagen. Das hängt ab von den gegebenen konkreten geschichtlichen Umständen in den einzelnen Ländern. Die Arbeiterregierung kann in bestimmten Situationen wohl auch aus parlamentarischen Konstellationen hervorgehen. Aber nur unter einer Voraussetzung; dass die parlamentarischen Vorgänge eine Widerspiegelung tiefer Erregung und stärker Kämpfe der Massen außerhalb des Parlaments sind. Wie die Arbeiterregierung hervorgehen kann aus den verschiedensten Situationen, so auch wird sie sich unter den verschiedensten Umständen auszuwirken haben. Jedoch das eine ist sicher, wie ihr Zustandekommen selbst schon der Ausdruck einer Verschärfung des revolutionären Kampfes der Arbeiter ist, so wird ihre Existenz, ihre Betätigung eine weitere Steigerung des Kampfes zur Folge haben. Ob es dabei zum Bürgerkrieg kommen wird, wer will es vorausbestimmen? Wir brauchen uns wahrhaftig nicht zu scheuen auszusprechen, dass der Bürgerkrieg eine unvermeidliche Notwendigkeit ist. Wir haben aber auch keinen Grund, uns vor der Möglichkeit zu verschließen das der schärfste Kampf zwischen den Klassen eine andere Form zeitweilig annehmen kann als die des offenen Bürgerkrieges. Es ist das eine Frage der Geschichte eines Landes und namentlich des Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Wir müssen uns auch klar darüber sein, dass das Wort Bürgerkrieg allein noch nicht die Wirkung des Posaunenblasens von Jericho hat, bei dessen Schall die Mauern des belagerten Bourgeoisstaates in Trümmer fallen, ebenso wenig wie er allein schon die Wirkung haben wird, die proletarischen Massen in den Kampf zu führen. Wenn man all das berücksichtigt, werden sowohl die Beklemmungen der Opposition wie auch die Einbildungen auf der rechten Seite weichen, dass die Arbeiterregierung eine Art Ersatzdiktatur des Proletariats sei, ein Weg auf dem das Proletariat ohne revolutionäre Kämpfe mit geringeren Kosten zur Aufrichtung seiner Macht gelangen könnte.

Gegensätzliche Auffassungen innerhalb der KPD sind auch in der Einstellung zum Programm vorhanden, das geschaffen werden soll. Sie wissen, dass für den IV. Weltkongress auch die Schaffung eines Programms auf der Tagesordnung stand. Es war jedem Genossen klar, dass der Kongress diese Aufgabe wohl fördern aber noch nicht lösen könnte. In Deutschland und auch in anderen Ländern ist das zu schaffende Programm bereits heftig umstritten worden. Und zwar wurde es in Deutschland von der Opposition als eine opportunistische, reformistische Entgleisung abgelehnt, dass das Programm auch die Übergangsforderungen der Kommunistischen Sektionen an die heutige Gesellschaft enthalten solle. Die Angliederung der Übergangsforderungen ist weder eine Frage der architektonischen Schönheit des Programms, noch viel weniger ist sie aber eine Abschwächung, ein Verrat oder eine Schändung unserer Grundsätze. Für mich besteht kein trennender Strich zwischen den Übergangsforderungen und den grundsätzlichen Forderungen des Programms, weil kein Gegensatz bestehen darf zwischen unserer Theorie und Praxis, zwischen grundsätzlicher Einstellung und Taktik. Die praktischen Teil- und Übergangsforderungen müssen eines Wesens mit unseren Grundsätzen sein. Unsere grundsätzliche Überzeugung darf nicht sein ein abgesperrter revolutionärer Salon oder ein Betstübchen, in dem nur reine Formeln hergesagt werden, sie muss Praxis, Tat werden, und unsere Übergangsforderungen dürfen nicht eingesperrt werden in einen stillen Winkel, der die Aufschrift trägt: ”Hier kann Schutt abgeladen werden.” Unsere Teil- und Übergangforderungen stehen in einem engen inneren organischen Zusammenhang mit unserem grundsätzlichen Programm. Sie sind nichts als praktische Auswirkungen unserer Grundsätze, diese übertragen auf die praktischen Tageskämpfe der breiten Massen unter den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen, um die Massen zur Eroberung der politischen Macht zu führen. Theorie und Praxis darf nicht geschieden werden, wenn nicht verhängnisvolle Folgen eintreten sollen. Das zeigt uns die Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie. Bei ihr hat diese Trennung von grundsätzlicher und taktischer Einstellung dazu beigetragen, dass die grundsätzliche Einstellung zu einem Lippenbekenntnis wurde, und die taktische Einstellung zum seichtesten Opportunismus, weil sie ein verhängnisvolles Eigenleben zu führen begann. Auch die Scheidung der Übergangsforderungen in solche vor und nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat darf nicht mechanisch aufgefasst werden. Ein revolutionäres Zeitalter, ein Zeitalter höchster geschichtlicher Spannung und Entwicklung lässt eine rein mechanische Trennung nicht zu. Es gibt z.B. Übergangsmaßregeln, die der Eroberung der Macht dienen, die vor der Errichtung der proletarischen Diktatur in Betracht kommen. Aber auch diese Forderungen sind nach der Eroberung der Macht durch das Proletariat keineswegs summarisch hinfällig und abgetan. Die Geschichte Sowjetrusslands beweist es. Die Übergangsmaßregeln müssen unter bestimmten Umständen noch lange nach der Eroberung der politischen Macht bestehen bleiben zur Verteidigung der eroberten Macht. Dabei können diese Übergangsmaßregeln noch und sogar erst recht zu ihrer vollen Auswirkung kommen. Eine Reihe von Übergangsforderungen vor der Eroberung der Macht sind unbedingt notwendig, um das Proletariat gegen die kapitalistische Raffgier zu verteidigen, um seine Kampfestüchtigkeit zu steigern, um es zum Kampfe gegen seine Tagesnöte zu mobilisieren. Manche dieser Übergansforderungen gewinnen sogar nach der Eroberung der politischen Macht erst volles, schöpferisches Leben. Sie werden aus Verteidigungsmaßregeln des Proletariats im Kampfe für seine nackten Lebensbedürfnisse und höhere Kultur zu Bausteinen der befreienden kommunistischen Gesellschaft. Man darf bei der Angliederung der Übergangsforderungen an unser zu schaffendes Programm also nicht von der gänzlich irrigen Auffassung ausgehen, dass diese Angliederung nichts anderes bedeute, als eine Auswirkung opportunistischen Geistes. Ich bedaure, dass die Opposition unseren Genossen August Thalheimer wegen seines Programmentwurfs in die opportunistische Jammerecke stellen will. Der Genosse Thalheimer hat gewiss schon manchen Irrtum auf seinem Kerbholz. Wer von uns hätte das nicht? Wir sind allzumal Sünder und mangelnd es Ruhms, den wir nicht nur vor Urbahns und Ruth Fischer haben sollten, sondern auch der vor III. Kommunistischen Internationale. Aber Genosse Thalheimer kann es als Theoretiker und an Grundsatzfestigkeit noch zehnmal mit jenen aufnehmen, die ihn als Ketzer verbrennen wollen. (Zuruf: Sehr gut!) Die Frage des Programms konnte auf dem Weltkongress nicht diskutiert werden; dieser musste sich mit den Referaten über das Programm begnügen. Aber die russischen Delegierten in der Programmkommission haben in Übereinstimmung mit dem Zentralkomitee ihrer Partei eine sehr wichtige Erklärung abgegeben, die die Diskussion in den Parteien erleichtert und fördert, weil sie besagt, dass die Verbindung des Programms mit Übergangsforderungen — ob im allgemeinen internationalen Programm oder in den Programmen der einzelnen Sektionen — keineswegs ein Ausdruck des Opportunismus sei. Und diese Erklärung ist nicht etwa nur von dem des Opportunismus verdächtigen Trotzki unterzeichnet, sondern auch vom Genossen Bucharin, an dessen sehr radikaler Auffassung gewiss niemand zweifeln wird.1 Ich möchte zur umstrittenen Frage nur noch darauf hinweisen, dass Genosse Lenin bereits im Jahre 1917 mit aller Schärfe die Notwendigkeit von Übergangsforderungen betont hat.

Die radikale Minderheit unserer deutschen Delegation in Moskau hat sich über ihre Schwäche getröstet, indem sie sich einen Sieg über den bösen Opportunismus auf dem Weltkongress und offenbar auch in Deutschland konstruiert. Hat nicht bei den Verhandlungen der einzelnen nationalen Fragen, bei der Sanierung der französischen tschechischen, norwegischen Parteien der Opportunismus eine furchtbare Niederlage erlitten und der Radikalismus, wie ihn unsere Minderheit auffasst, triumphiert? Es ist aber falsch, wenn man die Stellungnahme des Kongresses zu den Zuständen in den genannten Sektionen der Kommunistischen Internationale gleichsetzt mit dem Streit der Tendenzen innerhalb der deutschen Kommunistischen Partei. Diese ist im Kampf gegen den Opportunismus entstanden und hat sich in diesem Kampf entwickelt und geläutert. Die ersten Anfänge der KPD stehen im Zeichen der allerschärfsten Kämpfe gegen den Opportunismus. Als der linke Flügel der USP zur KPD stieß und deren Rehen vergrößerte, da besagte das nicht, dass die Genossen der linken USP, obgleich sie einen scharfen Kampf gegen den Opportunismus durchgeführt hatten und entschlossen waren, endgültig mit dem Opportunismus zu brechen, alle schon hieb- und stichfeste durchgebildete Kommunisten waren, nur weil sie der Kommunistischen Partei angehörten. Es ist unbestritten, dass wir Genossen mit reformistisch angehauchter Auffassung haben, wie es auf der anderen Seite auch Genossen in unseren Reihen gibt, bei denen noch die Eierschalen der KAP recht fest sitzen. Das ist eine Tatsache, die sich nicht nur aus der Entstehung unserer Partei erklärt, sondern auch aus der sich nur langsam revolutionär entwickelnden Situation, in der wir stehen. Immer und immer wieder werden aus ihr heraus gewisse Tendenzen aufkommen — sowohl opportunistische als auch KAPDistische, linksradikale Tendenzen. Letzen Endes hat der Opportunismus rechts wie der Wortradikalismus links die gleiche Wurzel: Die Sehnsucht, die Ungeduld, das Proletariat rasch und auf dem besten Wege aus dem Elend herauszuführen, verbunden mit mangelnder theoretischer Schulung, geschichtlicher Einsicht. Die opportunistischen Elemente wähnen, das Proletariat könne zu seiner Befreiung rascher und billiger gelangen, wenn es sich mit dem bürgerlich wohlriechenden Parfüm reformistischer Einstellung besprengt. Auf der linken Seite meint man, dass eine kleine, ”reine” Partei den revolutionären Sieg auch ohne die breitesten Massen erkämpfen könne, dass sie ohne diese Massen die Bourgeoisie niederzuringen vermöchte.

Genossinnen und Genossen! Ich vermag in dem Vorhandensein dieser Tendenzen kein vernichtendes Unglück zu erblicken. Die Kritik von rechts wird manche Torheit links verhüten und umgekehrt. Kritik ist für die Partei Lebensnotwendigkeit. Erst aus dem Zusammenprall der Meinungen entspringt der Funke Wahrheit. Wir müssen in der Partei Meinungsfreiheit, Diskussionsfreiheit für die Tendenzen haben. Die Tendenzen müssen sich offen äußern können. Nur dadurch wird die Möglichkeit gegeben, irrige Tendenzen geistig, politisch niederzuringen durch eine klare kommunistische Einstellung. Aber, Genossen, die kommunistische Partei darf nicht dulden, dass Tendenzen, links oder rechts, sich in Fraktionen kristallisieren. Das würde die Zersetzung der Partei bedeuten, würde zunächst zur Lähmung der Partei führen und dann letzen Endes zu ihrer Zerstörung. (Zuruf: Berlin tut es doch!) Genosse, setzen Sie sich darüber mit den Berliner Genossen selbst auseinander. Wenn Sie die Vertreterin unserer Berliner Genossen, die Genossin Fischer, in Moskau gehört hätten, dann würden Sie das nicht behaupten, sondern ausrufen: “Das Kind, kein Engel ist so rein.” (Heiterkeit). Genossen, ich betone, Fraktionsbildungen dürfen weder von rechts nicht von links geduldet werden. Soweit sich bei der radikalen Opposition ein Ansatz zu Fraktionsbildung zeigt, muss dieser Ansatz beseitigt werden. Solche Fraktionsbildung würde die Partei außerstand setzen, die Aufgaben zu erfüllen, die ihr in dieser Zeit zufallen und die ihr vom IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale zugewiesen worden sind. Ich muss hier einfügen, dass ich bis jetzt in der KPD keine Gefahr einer Fraktionsbildung von rechts sehe. Und das aus dem einfachen Grunde, weil die rechtsgerichteten Elemente von der Partei abgestoßen wurden, aus ihr bereits abgewandert sind. Dass die linken Elemente dagegen, wie die Dinge erkennen lassen, zur Fraktionsbildung schreiten möchten, halte ich nicht für ausgeschlossen, gerade weil unsere radikale Opposition keine fest verwurzelte, einheitliche grundsätzliche Einstellung hat. Wo finden Sie bei den Linken eine programmatisch scharfe eindeutige und einheitliche Stellungnahme zu der Frage der proletarischen Einheitsfront? Zu der Frage der Arbeiterregierung? Wenn Sie die Stellungnahme an der Hand eines quasi offiziellen Organs der Linken verfolgen, wie es gegeben war in der Beilage zur “Roten Fahne”: “Taktik und Organisation”, und an der Hand anderer erfolgten Veröffentlichungen, so finden Sie, dass die grundsätzliche Auffassung des radikalen Flügels durchaus keine klar durchgebildete, eindeutige, große und gerade Linie darstellt. Was da niedergelegt ist, das ist theoretischen und taktisches Gewackle und Gefackle. Genossen und Genossinnen, gerade in der unvollkommenen, schwachen theoretischen Beherrschung des sozialen und geschichtlichen Stoffes, in der Unklarheit und Unsicherheit bei der Bewertung unserer Aufgaben liegt die Gefahr, diese ideologische Schwäche durch äußere Mittel, durch Fraktionsbildung ersetzen zu wollen. Ohne all den Gerüchten Glauben zu schenken, die von rechts und links über eine vor sich gehende Fraktionsbildung herumschwirren, kann ich nicht umhin, die Kommunistische Partei energisch davor zu warnen, Fraktionsbildungen zuzulassen. Fraktionsbildungen sichern nie und nimmer Meinungsfreiheit, sondern umgekehrt, sie führen zur Knebelung der Meinungsfreiheit, zur organisatorischen Zuspitzung der Gegensätze, nicht zu ihrer Überwindung.

Genossen und Genossinnen! Das beste Mittel, unsere Kommunistische Partei so zielklar, so wegsicher, so aktionsfähig zu machen, wie es die Situation und ihr zufolge die Kommunistische Internationale von uns fordert, ist nicht kleinliche, krankhafte Tendenzriecherei nach rechts und nach links, sondern die gesteigerte Aktivität der Partei, der verschärfte tägliche Kampf der Partei, nicht bloß für die Verteidigungsmaßnahmen des Augenblicks, sondern gegen die ganze bürgerliche Ordnung, aus der die Tagesnot des Proletariats, der Schaffenden heraus quillt. Der Weltkongress hat deutlich genug gezeigt, dass diese gesteigerte Aktivität nicht nur eine Verpflichtung ist gegen die Kommunistische Internationale, sondern eine Lebensnotwendigkeit für unsere Partei selbst. Er hat uns klar darauf verwiesen, wie unentbehrlich dafür gründliche theoretische Durchbildung, fest gegründete wissenschaftliche Erkenntnis ist.

Der Weltkongress hat außer zu den Fragen, die unmittelbar das Wirken, die Aktionen der gesamten Kommunistischen Internationale betreffen, auch zu den Verhältnissen in den einzelnen Sektionen Stellung genommen. Dabei ging es um den Opportunismus. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Dinge betreffs des Kampfes gegen den Opportunismus in Deutschland ganz anders liegen als in der französischen, norwegischen und tschechoslowakischen Partei. In allen diesen Fälle handelt es sich um ursprünglich reformistische Parteien, die sich an die 3. Internationale angeschlossen haben. Als sich die französische sozialistische Partei in Tours spaltete, schloss sich die große Mehrheit unter dem gewaltigen begeisternden hinreißenden Impuls der proletarischen Revolution in Russland und dem von ihr ausgehenden Druck breiter proletarischer Massen der Kommunistischen Internationale an. Aber die Partei kam zu ihr nicht nur geschmückt mit den Lorbeeren der großen politischen Kämpfe unter Jaurès Führung, sie brachte auch mit sich alle Schwächen der politischen Einstellung, letzten Endes eine reformistische, illusionsbehaftete bürgerlich-demokratische Einstellung, wie sie der Auffassung und Politik der großen Vorkämpfer des französischen Sozialismus eigentümlich war. Die Partei hat sich seither nicht rasch und vollständig von einem stark reformistelnden Einschlag zu befreien gewusst. Da musste unsere Internationale mit starker Hand eingreifen. Sie hat es getan, obgleich ihr die politische und organisatorische Sanierung der Partei erschwert wurde nicht bloß durch die reformistischen Neigungen und die schwankende Haltung mancher Führer, sondern auch durch die praktische Unerfahrenheit und politische Ungeschicklichkeit unserer Freunde auf der Linken. Es sah so aus, als ob unsere französische Bruderpartei aus einer bösen Krise vor dem Weltkongress in eine noch schwerere Krise nach ihm geraten würde, in eine Krise, die vielleicht mit dem Zerfall der Partei zu enden drohte. Wir haben aber das Gegenteil davon erlebt. Gerade die grundsätzliche feste Haltung der Partei, die den Beschlüssen des Weltkongresses entsprach, führte dazu, dass beim Einmarsch der französischen Truppen in das Ruhrgebiet die französische Partei mit prachtvoller Geschlossenheit revolutionär gehandelt, das Banner des internationalen Kommunismus erhoben hat. Sie nahm den Kampf gegen den französischen Imperialismus auf und stellte sich in Reih‘ und Glied mit dem revolutionären deutschen Proletariat. Diese mutvolle Bekundung revolutionärer Gesinnung und Tatkraft, an der auch die Roten Gewerkschaften Teil hatten, hat dazu beigetragen, die Partei fester zusammenzuschweißen. Was tut es, dass einige ihrer reformistisch angekränkelten oder schwankenden Führer über Bord gegangen sind? Wir dürfen überzeugt sein, größere Massen des Proletariats werden dafür den Anschluss an die Kommunistische Partei, an die revolutionären Gewerkschaften Frankreichs finden, und Volldampf voraus wird auch dieses Schiff der Kommunistischen Internationale in den Ozean der revolutionären Klassenkämpfe hinaussegeln. Ein ähnliches Bild haben wir in Norwegen. Dort haben wir es mit einer Partei zu tun, die der 3. Internationale beigetreten war, die aber sowohl organisatorisch wie ideologisch noch nicht deren Wesen entsprach. Unsere norwegische Sektion ist eine kleinbürgerliche, kleinbäuerliche, eine reformistisch gerichtete Partei, die sich auf den Gewerkschaften aufbaut. Aber die Umwandlung zu einer entschiedenen Kommunistischen Partei hat begonnen, daher ein Kampf der Meinungen und Parteikrise. Auch hier war das Eingreifen des Weltkongresses notwendig und es wird von größtem Vorteil für die Entwicklung der Kommunistischen Partei Norwegens sein. Die Reformisten aller Länder haben zu früh triumphiert, als sie erklärten, die norwegische Partei habe mit drei Viertel Mehrheit “das Moskauer Diktat” abgelehnt. Nein, es sind nur Mehrheiten von Funktionären gewesen, die gegen die Entschließung des Kommunistischen Weltkongresses votiert haben. Die Massen der Parteimitglieder werden fest zu den Beschlüssen stehen, und der demnächst stattfindende Parteikongress wird zeigen, dass auch in Norwegen die Überwindung des Opportunismus und eine klare kommunistische Auffassung gesichert ist.

In der tschechoslowakischen Partei war ebenfalls ein Gegensatz der Mengungen vorhanden. Es war von unseren Radikalen verkündet worden, dass in der tschechoslowakischen Partei eine aufrechte, durch und durch kommunistische Opposition gegen die opportunistische Versuchung durch die “Bonzen” im Felde stehe. Die opportunistischen Machthaber in der Parteileitung sollten zu Unrecht mit schnöder Vergewaltigung der Meinungsfreiheit, mit Niederknüppelung des revolutionären Geistes die oppositionellen Führer aus der Partei ausgeschlossen haben. Der Moskauer Kongress hat den Ausschluss führender Oppositioneller nicht gebilligt, aber er hat ihre Sache durchaus nicht gutgeheißen, vielmehr entschieden abgelehnt. Er hat den Ausschluss durch eine erste Rüge wegen schweren Disziplinbruchs ersetzt. Der Kongress hat unumwunden ausgesprochen dass er von der Bestätigung des Ausschlusses nur aus dem Grunde abgesehen, weil die tschechoslowakische Parteileitung es früher verabsäumt hatte, die notwendige starke Parteidisziplin durchzuführen, wie die Kommunistische Internationale sie fordert. Der Weltkongress hat festgestellt, dass der Praxis der Parteimehrheit Fehler, Schwächen, Mängel anhaften, die rasch überwunden werden müssen. Aber er hat als haltlose Verleumdungen und Verdrehungen zurückgewiesen, was über die Beweggründe der Führer der Partei in die Welt hinausposaunt war. Wir dürfen überzeugt sein, dass in der tschechoslowakischen Partei der Gesundungsprozess sich in klärenden Auseinandersetzungen und namentlich in kraftvoller Betätigung vollziehen wird.

Genossen und Genossinnen, es geht nicht an, die Kämpfe zur Überwindung mehr oder weniger starker Reste des Opportunismus in den genannten Parteien mit dem Kampf der Tendenzen innerhalb der Kommunistischen Partei Deutschland auf eine Stufe zu stellen. Das sind sehr verschiedene Fragen. Ich will betonen, dass der Weltkongress durch die Behandlung dieser “nationalen” Fragen den Beweis erbracht hat, wie die Kommunistische Internationale sowohl organisatorisch wie ideologisch zu einer immer festeren, immer einheitlicheren, aktionsfähigeren Macht wird, zu einer straff zentralisierten internationalen Partei. Um alle kommunistischen Parteien nach ihrer Organisation, an theoretischer Erkenntnis, an Kraft zu grundsätzlich richtigem und taktisch klugem Handeln derart zu heben, dass sie die Macht des Proletariats voll zur Geltung bringen kann, hat der Kongress ausdrücklich hervorgehoben, dass die Erziehung, die Bildung nicht bloß der Partei als Ganzes, sondern jedes einzelnen Mitgliedes eine der wichtigsten und dringlichsten Aufgaben ist. Die Verhandlungen des Kongresses über die politische Bildung und Schulung in der Partei haben deutlich eine Tatsache hervorgehoben: wollen wir kommunistische Parteien haben, die wie die russische Kommunistische Partei auf der Höhe ihrer geschichtlichen Aufgaben stehen, so genügt es nicht, dass wir bestrebt sind, eine große Partei von zahlenden Mitgliedern zu werden. Nein, jedes einzelne Mitglied der kommunistischen Parteien muss ein arbeitendes, kämpfendes Mitglied der Organisation sein. Jeder Kommunist muss durchdrungen sein nicht nur von der Notwendigkeit geschichtlicher Pflichterfüllung durch die Partei als Ganzes, sondern auch von der Notwendigkeit seiner persönlichen Pflichterfüllung. Kein Einziger innerhalb einer kommunistischen Partei darf sich von der persönlichen revolutionären Pflichterfüllung mit der Ausrede herumdrücken: Auf mich kommt es nicht an, es sind genug andere da, die arbeiten und handeln können. Nein, es kommt für den revolutionären Kampf auf jeden Einzelnen an. So lange nicht jeder Einzelne von diesem Pflichtbewusstsein durchdrungen ist, sich mit seiner Person in Arbeit und Kampf für die Sache des Proletariats einzusetzen, so lange wird auch die Kommunistische Partei als Ganzes nicht auf der Höhe ihrer geschichtlichen Mission stehen. Der IV. Weltkongress hat in richtiger Würdigung der weltgeschichtlichen und weltpolitischen Situation mit dem Einmarsch des französischen Imperialismus in das Ruhrgebiet gerechnet und die Politik der Kommunistischen Internationale entsprechend eingestellt. Er hat die Frage des Versailler Friedensvertrages aufgerollt und den Kampf gegen diese Friedensvertrag zur gemeinsamen Pflicht der Proletarier aller Länder gemacht, ganz besonders aber zur Pflicht des deutschen und des französischen Proletariats. Er hat stark unterstrichen, dass der Kampf gegen den vordringenden Imperialismus der Siegerstaaten in den besiegten Ländern geführt werden muss von den Kommunisten als Kampf gegen zwei Fronten: als schärfsten Kampf gegen den vorstoßenden ausländischen Imperialismus und als schärfsten Kampf gegen den einheimischen Kapitalismus. Die Taktik der Kommunistischen Partei Deutschlands und der Kommunistischen Partei Frankreichs in dieser Sache entspricht den grundsätzlichen Richtlinien, die der IV. Weltkongress dafür gezogen hat.

Der IV. Weltkongress tagte im Zeichen des fünfjährigen Jubiläums der russischen Revolution. Der Kongress hat sich mit dieser Tat von größter weltgeschichtlicher Bedeutung beschäftigt. Als die proletarische Revolution in Russland ihr Haupt erhob, standen die reformistischen Führer zusammen mit den bürgerlichen Gelehrten und zählten an den Knöpfen ihrer Weste ab, wie viel Wochen wohl die “Bolschewistenherrschaft” zu leben hätte. Fünf Jahre lebt sie! Sie ist kräftiger, befestigter als je, und Sowjetrussland schreitet langsam, aber kraftvoll und entschlossen vorwärts, dem Kommunismus entgegen. Sowjetrussland ist der einzige Staat, in dem die Entwicklung aufwärts geht. (Sehr gut!) Der IV. Weltkongress hat nicht nur jene Lehren die russischen Revolution bestätigt, die uns allen schon in Fleisch und Blut übergegangen sind, jene Lehren, dass das Proletariat seine Befreiung nur erringen kann durch revolutionären Kampf für die Eroberung der politischen Macht, die Aufrichtung seiner Diktatur, den Aufbau der Sowjetregierung. Der IV. Weltkongress hat noch auf andere wichtige Lehren der russischen Revolution hingewiesen. Die reformistische Auffassung, wonach das Proletariat auf dem Wege sozialer Reformen in das gelobte Land seiner Befreiung gelangen könnte, ist ein Betrug, ein Schwindel. Die russische Revolution hat gezeigt, dass nichts törichter ist als die Auffassung, dass durch soziale Reformen das Proletariat auf dem Geleise der Demokratie gleichsam wie mit einem Eisenbahnzug, womöglich mit einem Bummelzug auf der einen Seite in den Tunnel der bürgerlichen Gesellschaft einfahre und dann auf der anderen Seite, Station “Zukunftsstaat”, in dem freien Landes des Sozialismus, des Kommunismus herauskomme.

Die russische Revolution ist der erste große geschichtliche Exponent der proletarischen Weltrevolution. In ihr kam die treibende Kraft des subjektiven Faktors der Geschichte in der ganzen kapitalistischen Welt zur Geltung. Und das trotz der Schwäche der objektiv dafür gegebenen Kräfte. Die russische Revolution hat die entscheidende Bedeutung des subjektiven Faktors geschichtlichen Geschehens gezeigt, wenn er wirksam wird in Gestalt von Massen die erfüllt sind von revolutionärer Erkenntnis, die getrieben sind von revolutionärem Willen und stark, opfermutig zur revolutionären Tat schreiten. Sie hat die entscheidende Bedeutung von Massenerkenntnis, Massenwissen und Massenkampf in einem Schulbeispiel größten Stils erhärtet. Sie hat ferner erwiesen die historische Bedeutung einer zielklaren, wegsicheren, kühnen revolutionären Kommunistischen Partei. Sie hat hellstes Licht darauf geworfen, dass sie nicht bloß das Werk war einer vorbildlichen Partei, nicht bloß einer kleinen revolutionären Vorhut allein, sondern einer revolutionären Vorhut, die aufs innigste verbunden war mit dem revolutionären Drängen und Wollen breiter schaffender Massen. Revolutionäre Vorhut und revolutionäre Massen müssen zu fester Einheit zusammengeschweißt sein. Die Referate über die russische Revolution haben mit der reformistischen Behauptung aufgeräumt, dass die Bolschewiki das Ziel der Revolution preisgegeben und verraten hätten. Sie haben klargestellt, dass die so genannte “neue ökonomische Politik”, dass der “NEP” kein Verrat an kommunistischen Endzielen ist, kein Verrat an dem proletarischen Klasseninteresse. Nein, umgekehrt: unter den gegebenen historischen Verhältnissen für Sowjetrussland ist diese Politik der Übergangsperiode unvermeidlich, um auf dem Weg zum Kommunismus vorwärts zu schreiten, um die politische Macht des Proletariats als Klasse zu erhalten. Das Entscheidende für die Fortführung der russischen Revolution bis zur Verwirklichung des Kommunismus ist die Behauptung der Staatsgewalt, der politischen Macht durch das Proletariat. Die Behauptung dieser Macht ist ausschlaggebend dafür, dass Sowjetrussland durch den “NEP” nicht nach rückwärts geschleudert wurde, vielmehr vorwärts schreitet, wenn auch in mühseliger Tagesarbeit unter Nöten, unter unerhörten Schwierigkeiten. Niemand bestreitet das, aber es geht durch vorwärts zum Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Diese Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus, die im Zeichen des “NEP” in Sowjetrussland steht, trägt, geschichtlich gesehen, die Wundmale der spezifisch russischen Verhältnisse. Aber nicht sie allein, sondern auch die des schleppenden Ganges der Weltrevolution, die die Schuld und Tragik des westeuropäischen Proletariats ist. Die russische Revolution zeigt, dass das Proletariat mit der Eroberung der politischen Macht noch nicht über den Berg ist, sondern erst vor dem Beginn der wirtschaftlichen und sozialen Umwälzung steht. Mit der Eroberung der politischen Macht sind erst die politischen Mittel gegeben, energisch an die Lösung der Probleme heranzutreten, zu denen neue schwierige Probleme hinzukommen. Das Proletariat aller Länder wird in der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Sozialismus, zum Kommunismus seine “NEP”-Periode haben. Gewiss, unter anderen Formen, unter anderen Bedingungen wie in Sowjetrussland, aber um eine harte, schwere Zeit des Übergangs wird das Proletariat keines Staates herumkommen. Auch dann nicht, wenn die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Vorbedingungen für die Aufrichtung des Kommunismus weit günstiger liegen als in Sowjetrussland, und wenn die politische, wirtschaftliche und allgemein kulturelle Bildung des Proletariats noch so hoch steht.

Die Delegierten des IV. Weltkongresses haben aus Moskau über die russische Revolution nicht nur eine klare, vertiefte und vermehrte Erkenntnis ist nach Hause genommen, sie haben, was wertvoller ist als alle Lehren, die sie aus Protokollen und Buchern schöpfen können, einen Monat lang unter dem befreienden, dem fruchtbaren, starken Einfluss des neuen, gewaltigen historischen Lebens gestanden, das in Russland infolge der proletarischen Revolution aus tausend bis dahin verschlossenen, unbekannten Bornen quillt. Dieses Leben ist für sie selbst höchstes Erlebnis geworden. Ihr Herz hat mit dem hinreißenden, leidenschaftlichen Pulsschlag eines Proletariats geklopft, das die größte Willenstat vollbracht hat, die die Geschichte bis jetzt kennt. Sie haben das große historische Wesen jenes heldenhaften, opferfreudigen russischen Proletariats empfunden, das als Preisfechter der Arbeiter und Ausgebeuteten der ganzen Welt in die Schranken getreten ist. Es ist keiner von uns gewesen, der nicht Sowjetrusslands revolutionäres Leben, die Hingabe und Begeisterung seines Proletariats kennen gelernt hat, ohne von dem Eindruck überwältigt zu werden. Ziehe Deine Schuhe aus! Der Boden, da Du stehest, ist heiliger Boden. Ist geheiligter Boden durch den revolutionären Kampf, die revolutionären Opfer des russischen Proletariats. (Stürmischer Beifall.)

Genossen und Genossinnen! So gipfelten gerade die Verhandlungen des Weltkongresses über die russische Revolution um Bunde mit den drängenden neuen Leben Sowjetrusslands für uns Kommunisten, für die Proletarier der ganzen Welt in jener großen Aufforderung zur Tat, die Goethe in die Verse gekleidet hat:

Da musst herrschen und gewinnen,

Oder diene und verlieren,

Leiden oder triumphieren, Amboss oder Hammer sein!

Genossen! Genug des Amboss-Seins! Das Proletariat ist endlich Hammer! (Lang anhaltender stürmischer Beifall.)

1 Trotzki war nach dem Dritten Kominternkongress 1921 von den deutschen “Linken” zum “Rechten” stilisiert worden, obwohl er nur die Position der Kongressmehrheit gegen die ultralinken Abweichungen verteidigte. Bucharin hatte jahrelang auf dem linken Flügel der Bolschewiki gestanden (u.a. als Führer der Opposition gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrags mit Deutschland 1918). Damals driftete er gerade auf den rechten Flügel der Partei.

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