Clara Zetkin 19210817 Das Werk des dritten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale

Clara Zetkin: Das Werk des dritten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale

(August 1921)

[„Kommunist, Organ der Vereinigten Kommunistischen Partei Württembergs“, 17. August 1921, die Ausgabe vom 18. 8. mit dem 2. Teil fehlt in der Württembergischen Landesbibliothek]

Die Beratungen und Beschlüsse der jüngsten Tagung der dritten Internationale scheinen für den Anfang bei der VKPD ein eigentümliches Schicksal zu haben. Sie erfahren zunächst keine unbefangene Wertung, sondern eine äußerst mannigfache und gegensätzliche Ausdeutung. Und das, obgleich nicht einmal die vollständigen und einwandfreien Texte der Beratungen und Entscheidungen vorliegen, ja zum guten Teil gerade, weil solche Texte nicht vorliegen. Wären sie vorhanden, so würde gar manche kühne Behauptung über das und jenes „Ergebnis“ des Kongresses zerplatzen wie eine Seifenblase.

Den Grund der sich übenden Ausdeutungsfreudigkeit, die an regelrechte theologische Exegese gemahnt, kann ein Blinder mit dem Stock fühlen. Es ist der Meinungsgegensatz, der durch die Märzkämpfe der mitteldeutschen Arbeiter entfesselt worden ist oder richtiger: durch die Theorie der revolutionären Offensive, durch die Einstellung der Zentrale. Politisch durch den Kongress entschieden — und zwar unzweideutig gegen die Väter und Gläubigen dieser Theorie entschieden — wirkt er sich weiter organisatorisch aus. Die dazu notwendigen Auslegungs- und Schieberkunststückchen mit ihrem Apparat von Zitaten lassen nicht nur den bedeutsamen sachlichen, politischen Kern der Streitfrage zurücktreten, sondern auch das Ergebnis, das Werk des dritten Weltkongresses der Kommunistischen Parteien, in dem die Stellungnahme zur Märzaktion doch nur eine Einzelheit ist. Typisch dafür war die Tagung des Zentralausschusses, deren Art in der weiteren Behandlung des Kongresses durch die Parteiorganisationen fort klingt.

Die Sache ist bedauerlich. Sie hemmt die rasche und vollkommene Auswirkung des Kongressergebnisses, das von größter, das von weittragender Bedeutung für die kommunistische Theorie und Politik ist. Es hemmt damit aber auch zugleich den klärenden Selbstverständigungsprozess der Partei über die Märzaktion, dessen Austrag und Abschluss eine Voraussetzung bildet für die kraftvolle Betätigung, für ebenso kühne als überlegen besonnene kommunistische Vorstöße. Denn die Stellung des Kongresses zu den Märzkämpfen und den damit verknüpften gegensätzlichen Meinungen kann nur im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk des Kongresses richtig erfasst und ausgewertet werden. Sie ist der folgerichtige Ausdruck der Grundauffassung, die die Moskauer Tagung beherrschte, ist organischer Teil des Ganzen, von dessen Wesenheit erfüllt und geprägt.

Die Beschlüsse des vorjährigen Weltkongresses der Kommunistischen Internationale zweckten ab auf die Sammlung der Kommunisten jedes einzelnen Landes, in einer ideologisch und organisatorisch einheitlichen, fest gefügten Partei. Dieses Ziel ist gleichbedeutend mit der klipp und klaren Scheidung von allen Elementen — rechts wie links — die sich nicht zu den Grundsätzen der Kommunistischen Internationale bekennen. Seine Verwirklichung ist ein Stück des geschichtlichen Reifens der werktätigen Massen zu ziel- und wegkundigen Trägern des proletarischen Befreiungskampfes. Sie kann nicht in der kurzen Zeitspanne eines knappen Jahres abgeschlossen sein.

So war es eine Selbstverständlichkeit, dass auch der heurige Kongress sich zu befassen hatte mit den Bedingungen des Zusammenschlusses kommunistischer Organisationen und kommunistisch gerichteter Massen zu einer straff zentralisierten Landespartei, dass er sich scharf sowohl gegen opportunistische, zentristische Tendenzen und Strömungen rechts wenden musste wie gegen sektenhafte putschistische oder — wie Trotzki es bezeichnete — „abenteuerliche“ Anwandlungen links. Es sei erinnert an die Verhandlungen über den Stand der Dinge in der Tschechoslowakei, in Frankreich, England, Italien, Amerika, an die Stellungnahme zur KAP in Deutschland. Auch ohne Prophet in Israel zu sein, wage ich die Voraussage, dass künftigen Kongressen der Internationale solche Auseinandersetzungen ebenfalls nicht erspart bleiben werden.

Es heißt jedoch, den großen historischen Sinn, die Bedeutung unseres letzten Weltkongresses verkleinern und herabsetzen, wenn man als seinen Zentralpunkt, als sein Hauptergebnis „die Abrechnung mit dem Opportunismus“ anspricht. Zu dieser Einschätzung kann nur gelangen, wer die Arbeit des Kongresses und die Welt ringsum vom Ameisenhügel des Fraktionsstreites aus betrachtet. Wollte man diesen erhabenen Standpunkt einnehmen, so könnte man mit größerer innerer Berechtigung von einer „Abrechnung mit der Revolutionsromantik und dem Hyperradikalismus“ reden. Kein ernsthafter Kommunist wird bestreiten, dass Lenins und Trotzkis Auseinandersetzungen mit den einschlägigen Strömungen — auch wenn Heißsporne diese beiden großen selbständig und schöpferisch denkenden revolutionären Kämpfer für die Wolfsschlucht des „Menschewismus“ halten — noch immerhin die Ausfälle Sinowjews und Radeks gegen die „Halb- und Viertelopportunisten“ im kommunistischen Lager beanspruche dürfen.

Die Hauptleistung des Kongresses ist unstreitig die richtige Einstellung der gesamten Kommunistischen Internationale zu der gegebenen weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Situation. In Theorie und Praxis, denn beide sind die zwei Seiten ein- und derselben Sache und stehen in engster innerer Wechselwirkung miteinander. Die richtige Einstellung der international zusammengeschlossenen Kommunistischen Parteien zu der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Lage soll die feste, tragfähige Grundlage sein für ihre umfassende, umwälzende Betätigung, für ihren entschlossenen Ansturm gegen den Kapitalismus und seinen Staat.

So standen Trotzkis Referat und Trotzki-Vargas Thesen über die Weltlage und die Aufgaben der Kommunistischen Parteien mit Fug und Recht am Anfang der Kongressarbeiten. Die darin vertretene Grundauffassung gab, zusammen mit den Debatten im Plenum, den Beratungen der Kommission und der endgültigen Beschlussfassung der dritten Moskauer Tagung ihr besonderes, ihr individuelles Gesicht und verlieh ihre eine geschichtliche Bedeutung über diejenige landläufiger Kongresse hinaus, die gewissenhafte Fortsetzer begonnenen Werks und treue Verwalter überkommenen grundsätzlichen und taktischen Gutes sind. Die von Trotzki scharf herausgearbeitete Einstellung der Kommunisten zur Weltlage kam in Sinowjews Bericht und Reden zur Geltung — erklärlich genug nach links hin mild abgetönt und von kriegerischen Melodien gegen „die offenen und verkappten Zentristen“ unter uns begleitet. Sie erschien zur Praxis verkörpert in dem Referat Lenins und den Thesen der russischen Partei über die Politik, die „unvermeidliche Politik der Konzessionen“, eines Modus vivendi, der proletarischen Rätemacht mit den Bauern in Russland, mit den Kapitalisten und kapitalistischen Staaten im Ausland. Sie war bestimmend für die Thesen über die Taktik, für Radeks Begründung und Schlusswort dazu, für das Ringen der Geister in der Taktik-Kommission. Ihre beherrschende Rolle für den Kongress hatte sich in dessen Vorspiel gezeigt: in den Verhandlungen der erweiterten Exekutive mit den Delegationen verschiedener Länder, Lenins und Trotzkis Polemik gegen die „abenteuerlichen“ Losungen von Stürmern und Drängern in Frankreich, die vorsichtige Behandlung der tschechoslowakischen Dinge sind besonders charakteristisch dafür.

Die von Trotzki formulierte Auffassung der Weltlage, die der Kongress sich zu eigen gemacht hat, geht von der Feststellung aus, dass die proletarische Weltrevolution nicht in dem raschen Tempo fortgeschritten ist, wie die meisten Kommunisten dies nach der Eroberung der Staatsgewalt durch das russische Proletariat 1917 und dann nach dem Umsturz in den Zentralstaaten 1918 und den sich daran anschließenden revolutionären Kämpfen in Deutschland erwarteten. Die in ihrer Macht und in ihrem Machtbewusstsein erschütterte Bourgeoisie hat ihre Herrschaft über das Proletariat wieder befestigt. Es ist ihr jedoch nicht gelungen, national und international das frühere Gleichgewicht herzustellen. Der Krieg und seine Auswirkungen haben die kapitalistische Wirtschaft bis in ihre Tiefen erschüttert. Der bürgerliche Staat kracht und schwankt unter den Folgen. Das alles — wenn auch in verschiedenem Grade und mit abweichenden Einzelzügen — sowohl bei den Besiegten, wie bei den Siegern und den Neutralen.

Die Bourgeoisie ist am Werke, die zerfallene kapitalistische Wirtschaft wieder aufzubauen. Auf Kosten gesteigerter maßloser Ausbeutung und Knechtschaft des Proletariats, mit skrupelloser Ausnutzung aller Macht- und Gewaltmittel des bürgerlichen Staates und mit Unterstützung der Opportunisten und Reformisten der Arbeiterbewegung. Jedoch das individualistische, anarchistische Wesen der kapitalistischen Profitwirtschaft hindert die freie Entfaltung und volle Auswertung der dinglichen und menschlichen Produktivkräfte und ihre planmäßige Regelung, Voraussetzungen dafür, dass die vom Kriege heraufbeschworene Zerstörung und Zerrüttung überwunden wird. Gleichzeitig schafft es zwischen den kapitalistischen Siegerstaaten neue schärfste weltwirtschaftliche und weltpolitische Gegensätze, die in naher Zukunft zu blutigem Austrag treiben.

(Schluss folgt.)

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