Clara Zetkin 19280711 Einige kritische Bemerkungen zum Programmentwurf

Clara Zetkin: Einige kritische Bemerkungen zum Programmentwurf

[Die Kommunistische Internationale, Heft 27/28, 11. Juli 1928, S. 1533-48]

Das Wesen der Kommunistischen Internationale selbst begründet die Notwendigkeit und Bedeutung eines einheitlichen grundsätzlichen Programms für alle ihre Sektionen. Die Kommunistische Internationale will im Sinne von Marx-Engels, bewusst handelnd, „Geschichte machen“, wie sie Geschichte „machen muss“. Ihre Aufgabe ist es, alle revolutionären Kräfte des Proletariats und darüber hinaus aller Werktätigen, aller unterdrückten Klassen und Völker planmäßig zusammenzufassen, zu organisieren und ihre Aktionsfähigkeit und Aktionswilligkeit stetig zu steigern. Das zu dem Ziel, diese Kräfte mit höchstmöglicher Machtentfaltung zum Sturz des Weltkapitalismus und zur Verwirklichung des Kommunismus als gesellschaftlicher Weltordnung zu führen. Die Kommunistische Internationale will und darf sich nicht von dem geschichtlichen Geschehen treiben lassen; sie selbst muss inmitten seines tosenden Stroms eine ziel- und wegsichere treibende Kraft sein. Die Erfüllung dieser gewaltigen Aufgabe fordert international einheitliche leitende Grundsätze — Lenins Auffassung getreu, dass eine gute Bewegung eine gute Theorie haben muss —‚ fordert die Zusammenfassung dieser Grundsätze in einem Programm.

Dem Ziel der Aufgabe gemäß muss das Programm der Kommunistischen Internationale Lenins Losung entsprechen: „Heran an die Massen!“ Es hat allen kommunistischen Parteien die international vereinigenden großen grundsätzlichen Richtlinien für ihre Politik, ihre gesamte Tätigkeit zu geben, international vereinigende Richtlinien für ein Wirken, das fortlaufend, dauernd gleichbedeutend wird mit dem revolutionären Erwachen und Reifen wachsender proletarischer, werktätiger Massen zum Kampfe für unser Endziel. Das ist nur zu erreichen, wenn diese Massen die kommunistischen Parteien nicht lediglich begreifen und werten als mit ihren Lebensbedingungen und Nöten aufs innigste vertraute, treue Führer im Ringen für Tagesforderungen, sondern auch und vor allem als Verkünder und Vorkämpfer einer neuen Weltanschauung, einer höheren, von Ausbeutung und Knechtschaft befreienden Gesellschaftsordnung. Das Drängen nach diesem Neuen, Höheren, der unbeirrbare Wille, es zu schaffen, muss zur erkenntnisklaren Kraft werden, die die einzelnen Tageskämpfe innerlich miteinander verbindet, sie von Etappe zu Etappe auf einem bestimmten Wege vorwärts treibt, ihnen Wucht und über den Augenblick hinausreichende Bedeutung verleiht.

Den Massen muss mithin der gesamte welterneuernde, schöpferische Gehalt des Kommunismus zum Bewusstsein gebracht, zur nie versagenden Kraftquelle werden. Unser Programm hat durch seinen Inhalt und seine Fassung diesem Ziel zu dienen. Es darf kein zusammengedrängtes gelehrtes Kompendium unserer Grundsätze und Taktik für unsere Genossen Sein, die an gründlicher theoretischer Durchbildung die geschichtliche Entwicklung nach der Auffassung des historischen Materialismus verstehen. Es muss vielmehr alle Verantwortlichen der kommunistischen Parteien, alle ihre Mitglieder anregen und ausrüsten, den Kommunismus als erlösende Weltanschauung im Gegensatz zu allen anderen Ideologien den Arbeitsbrüdern und Arbeitsschwestern in den Betrieben, Gewerkschaften und wo sonst es ein Zusammentreffen gibt, zu erklären und zu eigen zu machen. Ja mehr noch: Unser Programm muss selbständig weckend, werbend, zielsetzend, wegerhellend unter die breiten Massen des Proletariats und aller Klassen und sozialen Schichten gehen, die unter der Herrschaft des Trustkapitals, die angesichts der Zerfallserscheinungen der bürgerlichen Kultur in der Periode des Imperialismus in steigenden Gegensatz zu der bürgerlichen Gesellschaftsordnung geraten. Unser Programm muss Gemeingut größter Massen werden.

So betrachtet kann meines Dafürhaltens der von der Programmkommission des EKKI angenommene Entwurf des Programms der Kommunistischen Internationale nicht voll befriedigen. Was in der Veröffentlichung der Programmkommission des EKKI zur Prüfung und Kritik vorliegt, dünkt mir in seinen grundsätzlichen, grundlegenden Teilen weniger ein Programm, eine programmatische Einführung in das Ganze der kommunistischen Gesellschafts- und Weltanschauung, als vielmehr eine Aneinanderreihung von Leitartikeln und Betrachtungen über einzelne hervorstechende und beherrschende Erscheinungen und Probleme.

Gewiss! Es ist eine Selbstverständlichkeit, die keiner Unterstreichung bedarf, dass in dieser Ära des Lebens und Webens des Kapitalismus der Imperialismus als überragende, entscheidungsschwere Geschichtsmacht im Mittelpunkt des kommunistischen Programms steht. Eine tief schürfende und weit spannende Analyse seines Wesens und seiner vielgestaltigen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen wäre Voraussetzung dafür, dass unser Programm das Walten der objektiven und subjektiven Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwickelung scharf und fest herausmeißelt, die unaufhaltsam, unabwendbar den Sturz des Weltkapitalismus durch die Weltrevolution entscheiden, die Aufrichtung der proletarischen Diktatur, die Entfaltung des Kommunismus als Weltordnung. Der Entwurf wiederholt mit stärkster Betonung, dass der Imperialismus die höchste und letzte Entwickelungsstufe des Kapitalismus ist, er zeigt den Imperialismus als dessen reinste und reifste geschichtliche Verkörperung. Aber gerade weil dem so ist, so muss meiner Meinung nach unser Programm dem Imperialismus entsprechend weit gefasst behandeln.

Die breite tragende Grundlage einer programmatischen Darstellung seines Wesens und Wirkens hat sicherlich nicht eine zusammengepresste Geschichte des Kapitalismus ab ovo zu bilden. Unerlässlich dafür scheint mir jedoch ein tief und scharf gezogener Querschnitt sowohl durch die wirtschaftliche .Basis, wie durch den ideologischen Überbau der bürgerlichen Gesellschaft, deren letzte Existenzphase der Imperialismus ist. Ich vermisse in dem Entwurf einen solchen Querschnitt, vermisse einen keineswegs breitschweifigen, wohl aber lichtvollen und geschlossenen Überblick über die ökonomische Struktur den bürgerlichen Gesellschaft, einen Überblick, der eine klare Charakteristik der verschiedenen Klassen und ihrer Klassenlage gibt, die ihre Einstellung zur Frage: Kapitalismus oder Sozialismus bestimmt.

Selbstverständlich zeichnet der Entwurf die Hauptklassen der bürgerlichen Gesellschaft, die sich als Todfeinde gegenüberstehen — Proletariat und Bourgeoisie. Er stellt die Verschärfung ihrer Beziehungen zueinander fest, die die Arbeiterklasse international zum revolutionären Kampfe für die Eroberung der Staatsmacht vorwärts treibt. Er geht jedoch nicht tiefer auf das historische Wesen dieser Beziehungen und ihrer entscheidenden vielgestaltigen wirtschaftlichen und sozialen Ausstrahlungen ein. Die Klassen zwischen den beiden Polen der bürgerlichen Gesellschaft treten erst später hervor, insbesondere in den Abschnitten über die „Strategie und Taktik der Kommunistischen Internationale“ und „Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus“, wo es sich um die Rolle handelt, die sie im Befreiungskampf des Proletariats spielen können, und die Maßnahmen, sie als Bundesgenossen zu gewinnen oder sie wenigstens zu neutralisieren. Eine Analyse ihrer Klassenlage und Klassennöte mit ihren Widersprüchen, die ihr Schwanken zwischen Proletariat und Bourgeoisie erklären, bleibt der Entwurf schuldig. Begreiflich genug hat die Bauernschaft in dieser Hinsicht mehr Beachtung gefunden als das städtische Klein- und Mittelbürgertum und innerhalb seiner die bedeutsame Schicht der Intellektuellen. In den kapitalistisch hoch entwickelten Industrieländern können jedoch die städtischen Mittelklassen nicht minder willkommene, ja unentbehrliche Bundesgenossen oder aber zu fürchtende Feinde des revolutionär kämpfenden Proletariats sein wie die Bauern.

Es fehlt in dem Entwurf die Herausstellung der wichtigsten und brennendsten Probleme, die die bürgerliche Gesellschaft nicht zu lösen vermag, und die der Imperialismus im Gegenteil zuspitzt, erweitert und durch neue Entwicklungsergebnisse vermehrt, seine völlige Ohnmacht als sozialer, kultureller Erneuerer und Aufbauer bezeugend. Der Entwurf enthält nicht einmal einen bescheidenen Hinweis auf derartige Erscheinungen und Probleme, zumal sozialer Natur. Als Grund dafür erachte ich, dass der Imperialismus vorwiegend als politisch gestaltende Macht behandelt ist, vor allem mit Berücksichtigung seiner verderben- und schicksalsschweren außenpolitischen Wirkungen, hinter denen seine ökonomischen Folgen zurücktreten und bedeutsames soziales Geschehen verschwindet.

In der Kommunistischen Internationale hat man ziemlich leidenschaftliche Debatten über die Rationalisierung geführt. In dem Entwurf wird diese nur beiläufig erwähnt. Mit keiner Silbe deutet der Entwurf an, dass die Rationalisierung alte Probleme verschärft und neue Probleme schafft, und welches die einschlägigen Tatbestände sind, die entscheidend die Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats beeinflussen. Die Ära des Imperialismus, als der höchsten und letzten Entfaltung des Kapitalismus, ist gekennzeichnet durch gesteigerte und vermehrte Verfalls- und Zersetzungserscheinungen im ideologischen Überbau der bürgerlichen Gesellschaft. Die Wissenschaft, die Rechtspflege, das Gesundheitswesen, das Volksbildungswesen, die Parlamente und andere Organe des Bourgeoisstaates, des öffentlichen Lebens sind überreich daran. Der Faschismus und der Justizterror zum Beispiel beweisen klärlich, dass die Bourgeoisie im Kampfe gegen das vorwärts strebende Proletariat den Rechtsboden ihrer eigenen Gesellschaftsordnung zertrümmert. Kein Tag ohne Skandalprozesse, die die Verlumpung und Verfaulung der bürgerlichen Moral erhärten. Die Bourgeoisgesellschaft vermag die schreckenden Gespenster nicht zu bannen. Mystizismus, Pessimismus, Zynismus prägen ihre geistige Physiognomie.

Der Entwurf streift nicht einmal Erscheinungen dieser Art. Und das, obgleich gerade sie noch unaufgeklärten, passiven Massen die Gemeingefährlichkeit des Kapitalismus, die Notwendigkeit seiner Vernichtung fühlbarer ins Bewusstsein hämmern als eine natürlich unumgängliche sachkundige Berufung auf Grundgesetze der kapitalistischen Profitwirtschaft Soziale Probleme sind für viele Ausgangspunkt für das Erwachen, die Klärung des Klassenbewusstseins, werden für sie zum Ansporn, dass sie nach den Gesetzen fragen und forschen, die in den wirtschaftlichen Tiefen blind wirksam sind. Dazu kommt, dass auf dem Boden der Eigentumsordnung unlösbare Probleme, Zersetzungserscheinungen anschaulich anzeigen, dass die Bourgeoisgesellschaft sich — wie Engels sagt — auf dem absteigenden Ast ihrer Entwicklung befindet und unrettbar ihrem Zusammenbruch entgegengeht. Das Bild der geschichtlichen Situation, die zur Weltrevolution und zum Weltkommunismus führt, ist unvollständig ohne die helle Belichtung der einschlägigen Tatbestände, ihrer Ursachen und Folgen. Die Auswertung dessen, was unser Programm darüber feststellen, nachweisen wird, trägt Verwirrung, Unsicherheit, Schwächung in die Reihen unserer Feinde und stärkt die Siegeszuversicht des Proletariats, es gibt mithin doppelten Machtgewinn. Wir dürfen nicht darauf verzichten.

Mit den aufgezeichneten Mängeln des Entwurfs hängt es meines Erachtens zusammen, dass nicht mit voller fortreißender Wucht die Dynamik der Entwickelung zur Geltung kommt, die in der Epoche des Imperialismus die Zerschmetterung des Kapitalismus, den Sieg der proletarischen Weltrevolution verbürgt und beschleunigt. Der Entwurf lässt den Leser diese Entwickelung nicht miterleben in dem kurz, aber anschaulich umrissenen Schicksal der Klassen, in der plastischen Darstellung materieller und ideeller Tendenzen und Erscheinungen, die unabwendbares geschichtliches Vergehen oder Werden künden. Das Todesurteil der bürgerlichen Gesellschaft, der Klassenherrschaft der Bourgeoisie. Der Entwurf gibt darüber — von einigen Teilen abgesehen — viel zu viel fertige, abstrakte Begriffe, die uns Kommunisten vertraut und geläufig sind, deren Gehalt als gedankliche Spiegelung konkreten sozialen Lebens jedoch von den uns noch fern stehenden Massen kaum oder nur unvollständig, verwirrt begriffen wird. Für sie tritt das agitatorische Schlagwort an die Stelle der ihnen fassbaren Wirklichkeit. Wiederholungen ersetzen in dieser Hinsicht nicht den packenden überzeugenden Beweis. Es leidet die geschichtlich durchleuchtende, wegweisende und die weckende, werbende begeisternde Kraft des Entwurfs.

Dieser erklärt in der „Einführung“ viel versprechend: „Allein die imperialistische Entwicklung erzeugt nicht nur die materiellen Voraussetzungen zur Verwirklichung des Sozialismus, sondern auch die Voraussetzungen für den Sturz des Kapitalismus.“ Das stimmt mit der kleinen Einschränkung, dass das Wort „erzeugt“ besser durch „vollendet“ zu ersetzen wäre, denn der Imperialismus ist doch nur der Abschluss eines geschichtlichen Entwicklungsprozesses, der zu dem aufgezeigten Ziel führt. Auch an anderen Stellen wird die kommunistische Perspektive mit der Versicherung begründet, dass die „materiellen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Sozialismus“ entstehen, vorhanden sind. Jedoch der Entwurf führt nur eine einzige Art dieser Voraussetzungen an, nämlich die organisatorischen. Was „die Bedingungen für den Sturz des Kapitalismus“ anbelangt, so erfährt der Programmstudierende darüber in der Hauptsache, dass die zufolge des Imperialismus unerträglich wachsende Ausbeutung und Verknechtung des Proletariats dieses zu stetig zunehmendem nationalen und internationalen Zusammenschluss führt, der seinen Höhepunkt in der Kommunistischen Internationale erreicht und in ihrem planmäßigen organisierten Kampf für den Weltkommunismus. Es wird der Zuwachs an revolutionärer Kraft gewürdigt, der dem kämpfenden Proletariat in den kapitalistischen Staaten durch die höher und höher flammenden Rebellionen der Kolonial- und Halbkolonialvölker Zuteil wird.

Die Richtigkeit dieser Entwicklungslinien ist unbestreitbar. Allein, was darüber gesagt ist — es muss aus Darlegungen an verschiedenen Stellen des Entwurfs zusammengefügt werden —‚ vermittelt kein klares, geschlossenes Gesamtbild der materiellen und auch der nicht auszuschaltenden ideellen Voraussetzungen und Bedingungen sowohl für die Überwindung des Kapitalismus wie für die Herausbildung des Sozialismus. Die objektiven und subjektiven Kräfte der gesellschaftlichen Entwicklung, die unwiderruflich das eine und das andere bewirken, treten weder in ihrer Vielgestaltigkeit und Totalität hervor, noch in ihrem heiß pulsierenden Leben. Blasse Schemen bleiben in dem Entwurf die wiederholten Hinweise auf „die inneren Widersprüche“ des Kapitalismus und Imperialismus; auf die „Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals“ und die damit fallende Profitrate; auf die aus der Ausplünderung der Kolonien und Halbkolonien gewonnenen „Extraprofite“ und anderes mehr. Das wirtschaftliche, politische und soziale Leben und Weben, das sich in diesen Ausdrücken verkörpert, versteckt sich in dem Entwurf als das Geheimnis seiner Verfasser und jener, die den revolutionären Marxismus und seine Terminologie kennen. Für die Profanen, für die zu gewinnenden und zu führenden Massen bleibt es fremd, tot, unverständlich wie das unvermittelte Bekenntnis zur „revolutionären Methode des dialektischen Materialismus von Marx und Engels“. Der Entwurf setzt in dieser Beziehung voraus, was das Programm geben, was es als Erkenntnis zum Besitz der Massen machen soll.

Dringend geboten scheint mir, dass einige besonders auffällige Mängel des Entwurfs beseitigt werden, die ihre Erklärung in den weiter oben kritisierten allgemeinen Schwächen finden. Der Entwurf geht achtlos an dem Komplex der Tatsachen vorüber, die unter der Herrschaft des Imperialismus und insbesondere in Zusammenhang mit der Rationalisierung in größtem Umfang und in beschleunigtem Tempo die alte produktive Hauswirtschaft zerstören und rasch und riesig anschwellende Frauenmassen aus liliputanisch produzierenden Hausmüttern zu Produzentinnen in den modernen Großbetrieben umwandeln. Dieser Umwälzungsprozess ist von gewaltiger Tragweite, ein revolutionärer Faktor ersten Ranges. Er schafft die ökonomische Grundlage für die soziale Gleichstellung der Geschlechter im Gesetz und in der Praxis, für die volle soziale und menschliche Befreiung der Frau, für die Beseitigung der Kauf- und Schacherehe, die Auflösung der Eigentumsfamilie, die Anerkennung der Mutterschaft als sozialer Leistung, der Verpflichtung der Gesellschaft zur Pflege und Erziehung der Kinder und Jugend. Und nicht zuletzt bei den Kolonial- und Halbkolonialvölkern wirkt die qualvolle Zerfetzung der Hauswirtschaft und der Familie durch die raubgierigen Krallen des Kapitalismus revolutionierend, indem damit die Grundlagen uralter, vor allem die Frauen zu Haustieren herabwürdigender Ideologien zerbrochen werden.

Es zerbröckeln die Tafeln, auf denen das „Du sollst“ über die sozialen und sexuellen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die Bindungen zwischen Eltern und Kindern verzeichnet stehen. Ekelhaftester Eheschmutz, Familientragödien, Prostitution und Orgien der Entartung und Ausschweifung bei geheuchelter bürgerlicher Ehrbarkeit, Säuglingssterben, erschreckend große Scharen siecher und verwahrlosender Kinder, jugendlicher Verbrecher schreien in den kapitalistischen Ländern nach neuen sozialen Lebensformen. Die Strömungen der Ehe- und Sexualreformen, der Kampf um die gesetzliche Straffreiheit des Abortus, der Geburtenrückgang und die sich rasch ausdehnende Bewegung für die „Geburtenkontrolle“, mit anderen Worten für den Neu-Malthusianismus, führen eine beredte Sprache, nicht weniger die Bestrebungen für eine mehr oder minder durchgreifende Reform der Erziehung, ihrer Methoden, ihres Charakters und Ziels. In allen kapitalistischen Staaten und sogar im Orient ringen organisierte Frauenmassen für ihre volle soziale Gleichberechtigung mit dem männlichen Geschlecht. Immer zahlreicher und zielbewusster werden die Heere der Proletarierinnen, der werktätigen Frauen, die zusammen mit ihren Klassengenossen in wirtschaftlichen und politischen Kämpfen gegen den Klassenstaat der Bourgeoisie, gegen die bürgerliche Gesellschaftsordnung vorstürmen. In China beteiligen sich Arbeiterinnen und Bäuerinnen an der revolutionären Bewegung.

Und welch lehrreicher Gegensatz im Verhalten der bürgerlichen Gesellschaft und dem des sozialistisch aufbauenden Staates der proletarischen Diktatur Aug in Aug mit den gekennzeichneten Erscheinungen und Problemen. Dort das Bestreben, die Vergangenheit festzuhalten, das Morsche und Faule zu bewahren, denn in ihm schaltet und waltet als „Familienrecht“ vermummt die Macht des toten Besitzes über die lebendigen Menschen. Die nicht mehr hintan zu haltenden Konzessionen an Mutterschaftsschutz und Kindesrecht auf soziale Erziehung Bettelalmosen gleichend. Auch in den Ländern der bürgerlichen Demokratie mit Frauenwahlrecht ein offenes und heimliches Widerstreben und Markten, dass die formale gesetzliche Gleichberechtigung der Geschlechter unverkümmerte soziale Praxis werde. In dem Bund der sozialistischen Räterepubliken dagegen das ehrliche Bestreben der Sowjetmacht, bis zu den Ostgrenzen des Reichs das gesetzliche Recht der Frau auf allen sozialen Gebieten zu voller Geltung zu bringen. Im Ringen mit kultureller Rückständigkeit und Armut die Gründung und Vervollkommnung zahlreicher sozialer Institutionen, die den Frauen die wirtschaftlichen Verrichtungen im Hause abnehmen, ihre mütterlichen Aufgaben erleichtern. Ein leidenschaftliches Suchen und Tasten, um für den Liebesbund von Mann und Weib neue soziale Lebensformen herauszubilden, die das Recht der Frau und des Kindes wahren, ein Suchen und Tasten, um eine juristische Fixierung des Neuen zu finden, die eine feste Abgrenzung zieht zwischen der Freiheit der einzelnen und ihrer Bindung durch soziale Solidarität und Verantwortlichkeit.

Aus dem Entwurf weht nicht der leiseste Hauch dieses gärenden, zum Teil noch chaotischen Lebens, dessen Äußerungen Millionen erfassen und empfindlicher, oft verderblicher als viele andere geschichtliche Entwickelungstatsachen in das persönliche Sein der einzelnen eingreifen. Unbestreitbar, dass innerhalb und außerhalb der Sowjetunion auch in dieser Beziehung das gewaltige geschichtliche Experimentierfeld des Weltkommunismus, äußere und innere Widersprüche der Entwicklung wild durcheinander wogen und dass diese längst nicht abgeschlossen ist. Allein, trifft das nicht auch für das Absterben und Werden auf gar manchem anderen sozialen Lebensgebiet zu, wo der Entwurf aus sich bekundeten Tendenzen theoretische und praktische Schlussfolgerungen zieht? Meines Dafürhaltens darf ein kommunistisches Programm nicht unterlassen, zu dem skizzierten Umwälzungsprozess Stellung zu nehmen, unter „Anwendung der revolutionären Methode des dialektischen Materialismus“ kühl und kühn festzustellen, was versinkt und was emporsteigt, was Richtung und Ziel der bereits erkennbaren Entwicklungstendenzen ist, in denen sich Naturgegebenes und Kulturgewordenes eng mit einander verschlingt. Es ist zumal die revolutionäre Jugend aller Länder, die mit heißem Herzen auf eine solche Stellungnahme der Kommunistischen Internationale wartet, aus der sie Klarheit und Kraft für ihre Lebensführung zu schöpfen vermag, und mit dieser Jugend empfinden ihre erziehenden Berater und Freunde die Notwendigkeit einer programmatischen Stellungnahme.

Was der Entwurf zu dem vorliegenden, sehr weitsichtigen, viel verschlungenen und schwierigen Fragenkomplex sagt, beschränkt sich auf wenige konventionelle Sätze über die Gleichberechtigung der Frauen und die Propaganda unter ihnen. Er erwähnt nicht einmal das praktisch Nächstliegende, Selbstverständliche. Nämlich die außerordentlich große Bedeutung, die der Beteiligung von Frauenmassen an den revolutionären Klassenkämpfen des Proletariats zukommt und in noch höherem Maße ihrer Betätigung bei der sozialistischen Aufbauarbeit für die Herausbildung des Weltkommunismus. Das Erscheinen von Frauenmassen auf dem Blachfeld der Klassenkämpfe ist selbst bereits ein gewaltiges Stück Revolution. Der Entwurf, der das völlig ignoriert, wurde auf dem Boden geschrieben, der auch so viel Frauenblut getrunken hat, damit er zum Reiche der proletarischen Diktatur und des sozialistischen Aufbaus werden konnte. Kein Wort über das beispielgebende, opfer- und todesmutige Kämpfen der Frauen, über ihr unermüdliches hingebungsvolles Wirken in den Sowjets, in allen Organisationen und sozialen Institutionen, den Sowjetstaat zur kommunistischen Gesellschaft umzubilden.

Unter den Forderungen, für die die Kommunisten in der Periode der Kämpfe für die Eroberung der Macht und in der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Sozialismus eintreten sollen, befindet sich nicht eine einzige zugunsten des weiblichen Geschlechts. Weder die Forderung des vollen bürgerlichen und öffentlichen Rechts, noch die des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes, der sozialen Fürsorge für die Mütter, Säuglinge und Kinder. In dem Abschnitt „Strategie und Taktik“ wird „die systematische Tätigkeit“ der kommunistischen Parteien zur Zusammenballung und Schulung der revolutionären Massenkräfte für die Frauen auf die Arbeiterinnen und Bäuerinnen allein beschränkt. Die Statistik belehrt uns darüber, dass in allen, sogar in den Ländern höchster Industrialisierung, die Arbeiterinnen eine Minderheit des weiblichen Proletariats ausmachen, ferner, dass in fast allen kapitalistischen Staaten in Industrien von entscheidender Wichtigkeit für die Kämpfe zur Eroberung der Macht — Kohlenbergbau, Hüttenwerke, Eisenbahndienst und anderes mehr — die Arbeiterinnen gar nicht oder in belangloser Zahl vertreten sind. Die Erfahrung hat bewiesen, dass die Arbeiterfrauen in diesen und in anderen Industrien tapferste Mitkämpferinnen der Männer sind, dass ihre Haltung nicht selten entscheidend für Verlauf und Charakter von Streiks und Bewegungen ist. Ein klassisches Schulbeispiel ist der Heroismus der Frauen im Generalstreik und im Kampf der Grubenarbeiter in England. Und warum zusammen mit den Arbeiterfrauen die klein- und mittelbürgerlichen Hausfrauen von der Eingliederung in das Heer der Weltrevolution ausschließen, nachdem doch der Entwurf die Notwendigkeit anerkannt hat, wie die Bauern so auch das städtische Kleinbürgertum als Bundesgenossen zu werben? Für die Ausdehnung der Kampfesfront gegen den Imperialismus ist ferner zu beachten, dass im Zusammenhang mit der Rationalisierung die Zahl der weiblichen Angestellten noch erheblich stärker gewachsen ist als diejenige der Arbeiterinnen. Statistische Erhebungen in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika geben Belege für diesen Tatbestand in großen Gruppen Werktätiger, deren Mobilisierung das revolutionäre Industrieproletariat für Kampf und Sieg nicht entraten kann.

Ausschlaggebender Grundsatz für die „systematische Tätigkeit“ der kommunistischen Parteien unter dem weiblichen Proletariat in seiner Gesamtheit, unter allen Schichten werktätiger Frauen muss sein: die höchstmögliche Erweiterung der Kampfesfront gegen Imperialismus und der Arbeitsfront für die Durchführung des Sozialismus und zusammen mit dieser Erweiterung Steigerung der Aktionskraft. Unser Programm hat dabei zu werten, dass die Mitwirkung der breiten Frauenmassen nicht nur vermehrte Quantität der Revolutionskräfte bedeutet, sondern auch reichere Qualität. Die Frau ist nicht missglückte Kopie des Mannes, als weiblicher Mensch besitzt sie ihre Eigenart und ihre Eigenwerte für Kampf und Aufbau, und die freie Entfaltung lange gefesselter Energie wird Kampf und Aufbau fördern. Ich vermisse deshalb in dem Abschnitt ‚‚Das Endziel der Kommunistischen Internationale, der Weltkommunismus“, nicht nur die Feststellung. dass mit der Aufhebung des Privateigentums unter anderen Auswirkungen auch der wirtschaftliche und soziale Gegensatz zwischen den Geschlechtern und Generationen verschwindet. Vielmehr auch die starke Hervorhebung der Bereicherung, die die Kultur des Weltkommunismus in der Folge erfährt. Eine andere Lücke des Entwurfs in dieser Beziehung: Er schweigt davon, wie bedeutsam es für die Vielseitigkeit und den Reichtum der Kultur in der kommunistischen Menschheitsfamilie sein wird, dass auf der Grundlage des angewandten modernen Wissenschaften die Hunderte von Millionen der Ostvölker — und damit auch die Frauen des Orients — ihre seit uralten Zeiten gebundenen Talente und Kräfte frei entfalten und lebendige, entwicklungsfähige Werte ihrer Kultur dem allgemeinen Erbgut zuführen.

Die Ausführungen des Entwurfs über die „Intellektuellen“ werden nach meiner Ansicht weder deren widerspruchsvollen, konfliktreichen Klassenlage gerecht, noch der weit fassenden Bedeutung, die der Bundesgenossenschaft großer Teile dieser sozialen Schicht für die Kämpfe des revolutionären Proletariats eignet, insbesondere jedoch für die allseitige Umwälzung der Gesellschaft zum Kommunismus. Der vielerlei und schweren materiellen und ideellen Nöte der Gelehrten, Techniker, Künstler, Schriftsteller, Lehrer, Beamten ist gar nicht gedacht, obgleich dahinter letzten Endes die Unfreiheit und die Nöte der Wissenschaft, Kunst, Volksbildung, der Kultur selbst in der bürgerlichen Gesellschaft stehen. Von den allgemeinen Bilddungs- und Kulturforderungen abgesehen, gibt der Entwurf keine Sonderlosungen im Interesse der Intellektuellen. Er konstatiert, dass die „intellektuellen technischen Kräfte“ an bürgerlichen Überlieferungen hängen, und dass das Proletariat neben energischer Unterdrückung aller konterrevolutionären Bestrebungen in seinen Reihen gleichzeitig die Notwendigkeit der Heranziehung dieser qualifizierten Gesellschaftskräfte zur sozialistischen Aufbauarbeit im Auge zu behalten hat. … Er versucht gleichzeitig, die intellektuellen technischen Kräfte systematisch auf seine Seite herüberzuziehen, sie seinem geistigen Einfluss zu unterwerfen und sich ihrer engen Mitarbeit an der Umgestaltung der Gesellschaft zu versichern. An einer anderen Stelle wird die Ausdehnung des Einflusses der kommunistischen Parteien auf die „unbemittelten Schichten der Intellektuellen“ gefordert.

Unbestreitbar, dass die ‚‚unbemittelten“ Intellektuellen für Kampf und Aufbauarbeit des revolutionären Proletariats zu werben sind, dass heißt, die proletarisierten oder hart vor der Proletarisierung stehenden Intellektuellen, die nur der soziale Schein ihrer Lage und ihr noch bürgerliches Bewusstsein von der Arbeiterklasse trennt. Jedoch meines Dafürhaltens darf sich unsere Werbearbeit unter den Intellektuellen nicht durch den Begriff des „Unbemitteltseins“ beschränken lassen. Dieser Begriff ist eine labile, schwankende, veränderliche Größe, und dann und vor allem: unter den Intellektuellen entzünden häufig schmerzlichst gefühlte ideelle Konflikte die Rebellion wider den Kapitalismus, die Begeisterung für das kommunistische Ideal. Revolutionäre Gesinnung und Kampfentschlossenheit der einzelnen ist trotz der Bedeutung der Klassenlage nicht immer nur an Vermögen und Einkommen gebunden. Und warum lediglich die „technischen intellektuellen Kräfte“ für die Verwirklichung des Sozialismus heranziehen? Heischt dieses gewaltige Ziel nicht ebenfalls dringend die bewusste und freudige Mitarbeit der forschenden und lehrenden Wissenschafter, der Ärzte, Juristen, Lehrer, Künstler, der Volksbildner und Volkserzieher jeder Art? Das schwierige sozialistische Erziehungswerk an der Mittel- und Kleinbauernschaft, die Hebung der werktätigen Massen durch die Kulturrevolution, die Herauskristallisierung einer festen, klaren, weit spannenden und dabei tiefen kommunistischen Weltanschauung, ihr Sieg über alle bürgerlichen Ideologien und ihre reformistischen Spielarten: das sind Aufgaben, für deren Erfüllung das Proletariat der Mitarbeit der Intellektuellen dringend bedarf. Philosophen, Dichter und andere Intellektuelle waren die kühnsten und erfolgreichsten geistigen Waffenträger der weiland revolutionären Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen die Gesellschaft des Feudalismus und schufen die Ideologie der neuen Herrschaftsklasse. Der Imperialismus verdankt es vor allem den Intellektuellen, dass seine Ideologie des „größeren Vaterlandes“ die Massen ergriff und in die Psychose des Weltkriegs hetzte. Intellektuelle waren in allen Ländern die betriebsamen Prediger des „Durchhaltens bis zum bitteren Ende“. Der Lehrer, der Arzt, der Agronom — um nur diese drei zu nennen — machen in den Dörfern und Kleinstädten die Hetzarbeit der Geistlichen auf der Kanzel und im Beichtstuhl, die Treibereien anderer Konterrevolutionäre zunichte. In diesem Zusammenhang in Parenthese zwei Bemerkungen. Die Erklärung, dass auch die religiöse Ideologie überwunden werden muss, ist zu begrüßen. Jedoch ihre Fassung scheint mir nicht auf der Höhe des historischen Materialismus zu stehen und der geschichtlichen Bedeutung der Religionen im Leben der Völker gerecht zu werden, sie grenzt an bürgerliche Freidenkerei. In den Forderungen für die Kampf- und Aufbauperiode fehlt die staatliche Reorganisation des öffentlichen Gesundheitswesens. Sie ist wie Volksbildung und Arbeiterschutz tragende Säule der „Menschenpolitik“ des revolutionären Proletariats, des Staates der proletarischen Diktatur.

Im Entwurf finden sich Stellen, die, so scheint mir, der bestimmten klaren Fassung oder der erläuternden Ergänzung bedürfen, um nicht missverstanden oder missdeutet zu werden. Es sei auf einige davon hingewiesen. Der Satz, dass mit der Kommunistischen Internationale „ein neues Prinzip zur Erfassung der Massen“ wirksam werde, legt dem Nichteingeweihten die Frage nahe: Welches ist dies neue Prinzip?

Die Redewendung von der „einst einheitlichen Weltwirtschaft“ ist insoweit richtig, als es bis zur Revolution von 1917 keinen Staat gab, dessen Produktion auf sozialistischer Grundlage beruhte. Aber es bestanden stets, und es bestehen ja auch heute noch im Rahmen der von der kapitalistischen Produktionsweise geschaffenen Weltwirtschaft in nicht unbeträchtlichem Ausmaße Produktionsverhältnisse, vorkapitalistische, feudale, denen der Kapitalismus als Antagonist gegenübertrat. Eine schlichtere Fassung des Satzes ist zu empfehlen: „es verschwindet die Hierarchie der Menschen in der Arbeitsteilung und damit der Gegensatz zwischen intellektueller und körperlicher Arbeit“. Meiner Ansicht nach hat die Überwindung dieses Gegensatzes auch noch andere Gründe als allein das Verschwinden der Hierarchie der Menschen in der Arbeitsteilung.

Der Entwurf hebt hervor, dass die imperialistische Epoche „die Ungleichmäßigkeit der kapitalistischen Entwicklung steigert“ und damit „die Typen die Unterschiede im Reifegrade und in der Mannigfaltigkeit der spezifische Bedingungen des revolutionären Prozesses in den einzelnen Ländern vermehrt“. Dem wäre hinzuzufügen, dass die Dialektik der Geschichte darin zum Ausdruck gelangt, dass der Imperialismus zugleich auch diese Ungleichmäßigkeit, die eine Voraussetzung seiner Existenz ist, immer wieder aufhebt, wodurch er auf der einen Seite die Gegensätze zwischen den kapitalistischen Klassen der verschiedenen Länder aufs höchste verschärft, während er auf der anderen Seite über all die betonten Unterschiede hinweg das Proletariat .national und international vereinigt, ihm die Kolonial- und Halbkolonialvölker zuführt und die Unterdrückten und Ausgebeuteten der ganzen Welt auf der Bahn der Revolution beschleunigt vorantreibt. Deutschland zählt zwar zu den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern „mit mächtig entwickelten Produktionskräften und hochgradig zentralisierter Produktion“, allein es kann sich keineswegs eines „seit langem bestehenden bürgerlich-demokratischen Regimes“ rühmen. Noch bis November 1918 herrschte hier, um einen Ausspruch Bismarcks zu zitieren, „der Absolutismus in Unterhosen“, und an der Spitze der deutschen Republik steht der eingeschworene Monarchist Hindenburg als Reichspräsident mit sehr weitgehender bürgerlich-undemokratischer Verfügungsmacht.

Ungeachtet der höchsten Wertung der einzig dastehenden geschichtlichen Bedeutung der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion scheint mir der Satz anfechtbar: ‚Die proletarische Diktatur der Sowjetunion bildet die Hauptkraft der internationalen sozialistischen Revolution. … Die Basis ihrer Entwicklung“. Die Hauptkraft des Prozesses der weiteren Entfaltung der Weltrevolution in den heute noch kapitalistischen einzelnen Ländern beruht in der Stärke und Reife der objektiven und subjektiven Entwicklungskräfte daselbst. Ihre Wirkung wird durch das Bestehen der proletarischen Diktatur in dem Bund der sozialistischen Räterepubliken und ihre schöpferische Tätigkeit auf das mächtigste gefördert. Diese Fassung des Satzes würde daher vorzuziehen sein: „Die proletarische Diktatur in der Sowjetunion ist eine der wichtigsten entscheidenden Triebkräfte für das Fortschreiten der internationalen sozialistischen Revolution, ist ihre Avantgarde, die festeste Stütze ihrer Entwicklung.“ Ein unverdientes Lob für das internationale Proletariat ist es, dass sein „Beistand“ den Brüdern und Schwestern in der Sowjetunion geholfen habe, den bewaffneten Angriff der inländischen und ausländischen Konterrevolution heldenmütig zurückzuschlagen. Der Heldenmut der russischen Proletarier und Bauern, gestärkt durch ihren Glauben an den Beistand des internationalen Proletariats, hat diese Wundertat allein vollbracht, und es ist eine Ehrenschuld der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern, durch den rücksichtslosesten Kampf die imperialistischen Gelüste zur Erdrosselung der Sowjetunion niederzuschlagen. Der Aufbau, die Gliederung, die Funktionen der Sowjets sollten eingehender dargestellt sein.

Die überragende Bedeutung der Agrarrevolution in den Kolonial- und Halbkolonialländern müsste durch die Charakterisierung deren wirtschaftlicher und sozialer Struktur voll verständlich gemacht werden. Der „Verrat“ der nationalen Revolution durch die Bourgeoisie dieser Länder muss in seiner klassenmäßigen Zwangsläufigkeit verstanden werden. Die Schwärmerei und Treue der Bourgeoisie für die nationale Unabhängigkeit, das Vaterland, hatten ihre tragende Grundlage überall und stets in den sehr realen Klasseninteressen als Ausbeutende und Herrschende, der Kurswert dieser Ideale steigt und sinkt mit der einzukassierenden baren Zahlung. Die Bourgeoisie der Kolonial- und Halbkolonialländer zieht die Kapitulation vor dem Imperialismus und das Bündnis mit ihm der Kapitulation vor der Revolution und Befreiung der von ihr ausgebeuteten werktätigen Massen vor. Sie „verrät“ ihre nationale Ideologie, um ihre Klassenherrschaft des Besitzes zu bewahren. Das müsste meines Erachtens unser Programm zum Ausdruck bringen, nicht bloß zum klaren Verständnis des Geschehens in den Kolonial- und Halbkolonialländern, sondern auch als Beitrag zur Zerstörung der sozialimperialistischen Legende der Reformisten vom gemeinsamen Vaterland der Bourgeoisie und des Proletariats.

Der. Entwurf ist sehr beredt in der Darstellung der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, er zählt eine umfangreiche Liste von Maßnahmen auf, die das siegreiche Proletariat mittels seiner Diktatur in den verschiedenen Ländertypen durchzuführen hat. Platte Selbstverständlichkeit ist es, dass das Proletariat aller Länder für die Übergangszeit zum Sozialismus die positiven und negativen Erfahrungen des gigantischen sozialistischen Aufbauwerks der Sowjetunion voll wertet. Aber mich will bedünken, dass diese unerlässliche Wertung in dem Entwurf zu einem gewissen Schematismus der einschlägigen Maßnahmen geführt hat. Das geschichtlich Gegebene wird in den einzelnen Ländern manche „Abweichung“ vom Schema erzwingen, über deren Zulässigkeit natürlich entscheidend ist, dass sie dem grundsätzlichen Ziel dient.

Eine Einzelheit. Warum in dem Programm den Siebenstundentag festlegen und mit welcher sachlichen Berechtigung für die Kolonial- und Halbkolonialländer den Achtstundentag? Nach den großen revolutionären Maßnahmen zur Expropriation der Expropriateure erscheint die Festsetzung des Normalarbeitstages etwas kleinlich, sie kann unter Umständen auch vor der proletarischen Diktatur im Klassenkampf erzwungen werden. Außerdem und vor allem: zur Verteidigung und Sicherung des Sowjetstaats und seines sozialistischen Aufbaus kann die Verlängerung der Arbeitszeit für einzelne Gruppen oder die Gesamtheit des Proletariats nötig werden. Wichtiger und charakteristischer für die sich vollziehende Umwälzung scheint mir das gesetzlich gesicherte Recht der Arbeiter und Arbeiterinnen, durch ihre Betriebsräte in Gemeinschaft mit den Vertretern der Gewerkschaften und der Wirtschaftsorgane des Sowjetstaats Arbeitszeit, Arbeitslohn und die übrigen Arbeitsbedingungen festzusetzen.

Der Abschnitt „Strategie und Taktik der Kommunistischen Internationale“ sollte vor der Behandlung der Übergangsperiode stehen, denn er gilt dem Kampfe für die Eroberung der Macht. Diese geht der Zeit des Gebrauchs der Macht, der Ausübung der proletarischen Diktatur voraus. Die Eroberung der Macht ist die nächste zu erreichende Etappe, die gegenwärtig dringlichste Aufgabe, für deren Lösung keine Zeit durch unsicheres und schwächliches Handeln verloren gehen darf. Die Umstellung ist auch dadurch begründet, dass die Maßnahmen zur Eroberung der Macht jene des Übergangs zum Sozialismus vorbereiten sollen. Neben außenpolitischen Umständen können die Ergebnisse des Kampfes um die Macht mitbestimmend dafür sein, wie sich das Problem des Kriegskommunismus und der NEP darstellt.

Eine schärfere Herausarbeitung des ideologischen und organisatorischen Wesens der kommunistischen Parteien ist nach meiner Ansicht geboten. Namentlich auch des dadurch bedingten Verhältnisses zu den Gewerkschaften als Teilen der allgemeinen revolutionären Arbeiterbewegung, deren Führung der kommunistischen Partei als der höchsten zielsetzenden Klassenvertretung des Proletariats gehört. Noch sind in den reformistischen Organisationen und Massen die Auffassungen herrschend, dass die Gewerkschaften „neutral“, „unpolitisch“ sein müssen, unabhängig von der revolutionären Klassenpartei und deren Führung. Es wirken weiter die Traditionen Trade-Unionismus in England, des Syndikalismus in Frankreich, der Unterwerfung der deutschen Sozialdemokratie unter die Befehle der Generalkommission der Gewerkschaften — dieser verhängnisvolle Sieg des Reformismus in Deutschland. Von Bedeutung würde auch eine entschiedene Stellungnahme zu den besonderen Funktionen sein, die die Gewerkschaften auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft zu erfüllen haben. Die Überwindung der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie würde dadurch gefördert.

Im Punkte Umstellung und Gestaltung der Abschnitte befürworte ich im Hinblick auf gesteigerte propagandistische Wirkung des Programms, dass die „Einführung“ mit einigen markigen Sätzen über das Alpha und Omega des Kommunismus beginnt, die Expropriation der Expropriateure und mit dem Bekenntnis zum revolutionären Klassenkampf des Proletariats. Den Abschluss des Programms sollte der Abschnitt bilden: „Das Endziel der Kommunistischen Internationale, der Weltkommunismus“; der Abschnitt könnte bei jedem Verzicht auf utopistische Detailmalerei eine etwas reichere und schwungvollere Darstellung vertragen. Notwendig erachte ich insbesondere eine Zusammenfassung der im Entwurf zerstreuten Auseinandersetzung mit dem Reformismus, mit der Sozialdemokratie, als seinem Träger schärfster Prägung. Diese Verzettelung stört und verdunkelt nicht nur die Aufbaulinie des Entwurfs, sie vermindert auch die packende Kraft der Auseinandersetzung selbst durch überflüssige Wiederholungen. Die kritische Charakterisierung des „konstruktiven Sozialismus“ und des herzlich belanglosen „Gildensozialismus“ fällt unter diese Auseinandersetzungen. Beides sind Abarten des Reformismus. Aber auch die Ausführungen über „Anarchismus und „revolutionären Syndikalismus“ könnten dort ihren Platz finden. Trotz allem revolutionären Getue und Gehabe hat ihre Betätigung die gleiche Wirkung: die Kräfte des revolutionären Proletariats zu zersplittern. Es ist zu erwägen, ob die Auseinandersetzungen mit all diesen nichtkommunistischen Parteien, Organisationen und Sekten nicht als besonderer Abschnitt zu gestalten sei, etwa mit der Überschrift: Die Spalter und Zersplitterer der revolutionären Arbeiterbewegung.

Doch zum Schluss meines Artikels habe ich für die Auseinandersetzung mit dem Reformismus im Entwurf noch einige kritische sachliche Anregungen in petto. Als Leitmotiv dieser Auseinandersetzung erklingt von der „Einführung“ an, dass der Verrat der sozialdemokratischen Führer und die systematische Bestechung und Korrumpierung der Arbeiteraristokratie mit Hilfe der kolonialen Extraprofite der Bourgeoisie für die Spaltung des Proletariats und die Niederlagen seiner revolutionären Vorhut verantwortlich sei. Mit dem Verrat der sozialdemokratischen Führer hat es seine Richtigkeit und kein brandmarkendes Wort ist stark genug, ihn zu verurteilen. Auch die bürgerliche Verseuchung der Arbeiteraristokratie ist unbestreitbare Tatsache. Das eine und das andere müssen wir auswerten, den werktätigen Massen ins Bewusstsein brennen. Jedoch trotz alledem dürfen wir uns nicht darüber täuschen, dass die Feststellung des Verrats der reformistischen Führer und die Korrumpierung der Arbeiteraristokratie nur mit Teilwahrheiten auf die Frage antworten, welches die Ursachen der Niederlagen der proletarischen Revolution und der zeitweiligen relativen Stabilisierung des Kapitalismus sind. Sie lassen „einen Rest zu tragen peinlich“ für die Erklärung der Tatsache, dass in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern die große Mehrzahl des Proletariats noch im Lager des Reformismus und nicht im Lager der Revolution steht.

Zu den Widersprüchen des Imperialismus gehört, dass er nicht nur die nationale und internationale revolutionäre Organisierung des Proletariats fordert, sondern dieses auch national und international spaltet. Der erste imperialistische Weltkrieg ist ein Riesenbeweis dafür, die Nachkriegsjahre sind es nicht minder. Der Imperialismus spaltet das Proletariat als Klasse nicht allein durch die Bestechung und Korrumpierung der Arbeiteraristokratie und eines großen Teils seiner politischen und gewerkschaftlichen Führer, welche verantwortungsschwere Schuld auch immer diese Elemente an der Spaltung haben. Nein, der Imperialismus spaltet die Arbeiterklasse national und international bis in ihre Tiefen dadurch, dass er in den Massen selbst die Illusionen vermehrt und befestigt, es sei auch für sie auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft gut Hütten bauen. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika lehnte die Mehrzahl der Arbeiter unter Gompers Führung den revolutionären Klassenkampf in einer Zeit ab, wo das Land noch Einfuhrgebiet für europäisches Kapital war und es keine bestechenden „kolonialen“ Extraprofite gab. In Deutschland entscheidet sich die große Mehrheit der Proletarier und Werktätigen für die Koalition mit der Bourgeoisie und nicht für die Arbeiter- und Bauernregierung, und das nach neun Jahren gehäuften Elends, in denen von Brosamen kolonialer Extraprofite nicht die Rede sein kann. Die kommunistische Partei hat es wahrlich an der eifrigen Entlarvung der Verräter und Korrumpierten nicht fehlen lassen, und mehr noch: diese selbst haben durch Tat- und Unterlassungssünden das bürgerliche Wesen ihrer Politik der schändlichen Hinopferung der Interessen des Proletariats, der Werktätigen demaskiert. Und doch sammelt sich der bei weitem überwiegende Teil der proletarischen Millionenmassen um die schwarzrotgoldene Fahne des Reformismus. Die letzten Wahlen in Deutschland haben es klärlich bewiesen. Die sind in dieser Beziehung typisch für die internationale Situation, deren Dialektik gleichzeitig der Ausstand des griechischen Proletariats enthüllt.

Zugegeben, dass in den einzelnen Ländern auch die Schwäche der noch jungen kommunistischen Parteien, dass Fehler und Mängel ihrer Politik und Führung den Abmarsch der proletarischen Massen in das Lager de Revolution aufgehalten haben. Jedoch das ist ebenfalls nur eine Teilwahrheit, aus der wir sicherlich lernen werden, die jedoch nicht restlos aufhellt. Die entscheidende Tatsache für das Verhalten der Mehrzahl der Arbeiterklasse ist, dass sie noch immer von einer reformistischen Überzeugung beherrscht ist. Die Massen des Proletariats, der Werktätigen hoffen und harren auf die formale bürgerliche Demokratie und ihre verheißenen Gaben, sie fürchten die Revolution und ihre Opfer. Sie vertrauen mehr auf das burgfriedliche Bündnis mit dem Klassenfeind, als auf die revolutionäre eigene Kraft. Die Hauptaufgabe der Kommunisten ist es, die Spaltung der Arbeiterklasse durch die Überwindung der lähmenden, verknechtenden Masseneinstellung zur Demokratie und zur Revolution aufzuheben. Die Massen müssen aus Reformisten zu Revolutionären erhoben werden. Im Ringen Brust an Brust mit dem Feinde, Weltanschauung gegen Weltanschauung; dort Reformismus, hie Weltkommunismus.

Die Bedeutung des Programms der Kommunistischen Internationale für dieses Ringen liegt auf der Hand. Das Programm muss eine Fundgrube weltanschaulicher geschichtlicher Erkenntnis sein, die erhellende Kraft verleiht für den Weg durch die bunte Mannigfaltigkeit und Wirrnis des Tagesgeschehens und Millionen in dem einen unerschütterlichen Willen zusammenschmiedet: durch zur Revolution! In dieser Hinsicht bedarf der Entwurf noch schärferer theoretischer Zuspitzung und der Ausfüllung von Lücken. Eine erbarmungslose Abrechnung mit den Verbrechen der Reformisten, der Zweiten Internationale ist gewiss nicht zu missen. Sie ist zu vervollständigen und zu vertiefen durch eine gründliche, lichtvolle Auseinandersetzung mit den die Massen betrügenden und gängelnden Haupttheorien des Reformismus. Nicht bloß die Illusion über die demokratische Republik und die Utopie des Ultraimperialismus gilt es bis zu den letzten Fasern zu zerfetzen, auch das läppische Geschwätz von dem „Staatsgedanken“, dem das proletarische Klasseninteresse unterzuordnen sei, die Fabel von der „Wirtschaftsdemokratie“, diesem alten, von Hilferding abgestaubten und aufgebügelten Ladenhüter des Bernsteinschen Revisionsaberglaubens, dass der Unternehmerabsolutismus ohne revolutionären Klassenkampf des Proletariats zu überwinden sei durch burgfriedliche Gewerkschaftspolitik, Sozialreformen und die Zehnpfundaktie der Konfektionsarbeiterin und anderes mehr. In Inhalt und Fassung muss unser Programm das Muster sein für unser grundsätzliches Werben um die Millionenmassen der Werktätigen, für die Lösung unserer Doppelaufgabe: diese Massen von den reformistischen Führern endgültig zu trennen und unlöslich mit den kommunistischen, Parteien zu vereinigen in roter Einheitsfront, nicht nur für die Kämpfe um Tagesforderungen, nein, für Kampf und Sieg der Revolution.

Der Entwurf ist eine breite Grundlage eines kommunistischen Programms, das solchen Anforderungen entspricht. Jedoch sollte — das ist meine Überzeugung — unser Programm auch nach sorgfältiger Durchberatung seitens einer Kommission führender Theoretiker und Praktiker nicht früher zur Annahme gelangen, als bis es in allen Sektionen der Kommunistischen Internationale eine gründliche öffentliche Diskussion erfahren hat. Sie wird dem Programm fruchtbare Anregungen zuführen aus der Fülle des sozialen Lebens und Geschehens, dessen unerschöpflichen belehrenden Reichtum Lenin so oft stark betont hat. Sie wird in den nationalen Sektionen Unklarheit und Unsicherheit in der Einstellung zu Theorie und Praxis an das Tageslicht ziehen und damit ihre Beseitigung beschleunigen. Sie wird nötige und gute ideologische Erziehungsarbeit an den Parteimitgliedern leisten und darüber hinaus an den zu erfassenden Massen. In der Mitwirkung der Massen an unserem Programm wird sich ein Stück des Befreiungswerks der Arbeiterklasse verkörpern, das Sache der Arbeiterklasse selbst sein muss.

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