Clara Zetkin 19211220 Erklärung

Clara Zetkin: Erklärung

(20. Dezember 1921)

[“Internationale Pressekorrespondenz, 1. Jahrgang Nr. 39, 22. Dezember 1921, S. 344. Vgl. Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 381f.]

Unter dem Titel: ”Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung. Aus dem Nachlass von Rosa Luxemburg” hat Paul Levi eine Broschüre herausgegeben, die von der Verfasserin im Sommer 1918 im Gefängnis zu Breslau geschrieben, aber nicht vollendet worden ist. Rosa Luxemburg hatte die Absicht, ihre damalige Einstellung zur russischen Revolution in einer ausführlichen Arbeit niederzulegen. Nachdem sie durch die Revolution aus der Schutzhaft befreit worden war, ist das entgegen ihren früheren starken Wünschen nicht geschehen. Wir stellen fest, dass weder Rosa Luxemburg noch Leo Jogiches für die Veröffentlichung der im Sommer 1918 niedergeschriebenen Kritik waren.

Nicht etwa aus Rücksicht auf die Lage Sowjetrusslands und seiner führenden Partei. Vielleicht war die Existenz der jungen Sowjetrepublik nie gefährdeter als gerade im Sommer 1918. Trotzdem war Rosa Luxemburg damals in ihrer Schutzhaftzelle für die öffentliche Kritik der bolschewistischen Auffassung. Denn mehr als einmal hat sie öffentlich die Meinung verfochten, dass sogar mitten im Kugelregen und in der größten Kampfeshitze Selbstkritik eine Lebensbedingung jeder revolutionären Partei sei. Die russischen Bolschewiki aber wären die letzten gewesen, die auf revolutionäre Kritik verzichtet hätten. Nie wohl in der Geschichte hat eine Partei so rücksichtslose Selbstkritik geübt als gerade sie, und das in der Zeit größter Bedrängnis.

Wir stellen weiter fest, dass der Inhalt der Broschüre in wichtigsten Fragen nicht der Auffassung entspricht, die Rosa Luxemburg nach ihrer Befreiung aus der Schutzhaft und bis zu ihrer Ermordung in der Öffentlichkeit vertreten hat.

Wie Artikel, Notizen, Stellen des Spartakusprogramms, die Kritik an der Mehrheitssozialdemokratie usw. beweisen, hat Rosa Luxemburg ihre frühere Einstellung zu Konstituante, Demokratie, Sowjetsystem, Terror wesentlich geändert. Das wohl war der Grund, weshalb sie ihre Arbeit nicht zum Abschluss gebracht und nicht veröffentlicht hat. Das auch war der bestimmt ausgesprochene Grund, weshalb Leo Jogiches, der vertrauteste und ebenbürtige Kampfgenosse ihres ganzen Lebens bis zu ihrem Tode, ihr ”kritisches Gewissen”, nicht nur gegen die Veröffentlichung der Broschüre war, sondern sogar einige Blätter, Notizen mit Aufzeichnungen zu einem Entwurfe den Flammen übergeben haben wollte.

Das alles ist Paul Levi bekannt. Er hat das Manuskript zu der Broschüre drei Jahre lang in Händen gehabt und es der Öffentlichkeit vorenthalten, solange er Mitglied und Führer der Kommunistischen Partei war. Wenn er es jetzt aus seinem Schubfach hervorgezogen hat und Rosa Luxemburgs kritischen Darlegungen eine viel längere, unfruchtbar-schulmeisterliche Einleitung vorausschickt, so beweist das nur, dass er Rosa Luxemburgs Arbeit ausnutzt für Zwecke, die mit revolutionärer Kritik nichts gemein haben.

Berlin, den 20. Dezember 1921

A. Warski, Clara Zetkin

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