Clara Zetkin 19210825 Gegen Opportunismus in der Steuerpolitik

Clara Zetkin: Gegen Opportunismus in der Steuerpolitik

(25. August 1921)

[Bericht über die Verhandlungen des 2. Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale). Abgehalten in Jena vom 22. bis 26. August 1921. Herausgegeben von der Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands. Berlin 1922, S. 336-38]

Es ist nicht meine Absicht, in Einzelheiten des vorgelegten Entwurfs einzugehen. Ich wende mich vielmehr gegen ihn in seiner Gesamtheit, gegen seinen wesentlichen Charakter, der meines Dafürhaltens zu opportunistisch ist, oder — wie das moderne Wort lautete für alles, was man nicht definieren kann, was einem aber nicht in den Kram passt — zu menschewistisch. (Heiterkeit.) Ich erblicke diesen Wesenszug nicht etwa darin, dass der Versuch gemacht wird, durch bestimmte konkrete Einzelforderungen den blutigen Nöten breitester Schichten des arbeitenden Volkes zu begegnen. Nein, ich erblicke diesen Wesenszug darin, dass durch die ganze Einstellung des Entwurfs bestimmte Illusionen genährt werden. Der Grund dafür scheint mir in zwei organischen Fehlern des Entwurfs zu liegen, die miteinander im engen inneren Zusammenhang stehen.

Der erste ist, dass man die Arbeiter, die Angestellten, die Beamten bei der Steuerfrage vorwiegend nur als Verbraucher betrachtet und nicht auch als Produzenten, als Erzeuger. Es heißt zum Beispiel, — und das ist charakteristisch — heute sei der Gegensatz zwischen direkten und indirekten Steuern hinfällig geworden. Genossinnen und Genossen, ich erinnere daran, dass ein gewisser Karl Marx bereits 1852, glaube ich, — ich will das Jahr nicht beschwören, aber um jene Zeit herum — in seiner Polemik gegen Heinzen die ganze Schale seines Sarkasmus über die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Steuern ausgegossen hat. Marx bezeichnete das Bestreben, direkte Steuern an die Stelle indirekter Steuern zu setzen als ein Steckenpferd aller bürgerlichen Reformer und Demokraten. Und warum das? Weil auch die Summen der direkten Steuern letzten Endes von den breitesten Massen, vom schaffenden Volk, erzeugt werden durch ausgebeutete Arbeit und nicht durch die Besitzer des Reichtums, die die Steuern zahlen. Weil dem so ist, halte ich es für eine gefährliche Illusion, die Auffassung in die Massen zu tragen, als ob dem Steuerdruck durch Lohnaufbesserung begegnet werden könnte. Wie stehen denn die Dinge? Die Ausplünderung der breitesten Massen der Werktätigen durch Steuern und ihre Ausplünderung durch die Unternehmer, auch durch den Staat als Unternehmer, sind nur zwei Seiten ein und derselben Sache. Genau so wie die Steuern, die der Besitz zahlen soll, abgewälzt werden auf die schaffenden Massen, genau so hält sich auch der Unternehmer, hält sich der kapitalistische Staat als Unternehmer an denjenigen schadlos, denen er gezwungen höhere Löhne oder höhere Gehälter zahlen muss. Das wird solange Praxis sein, als der staatliche wie der private Unternehmer die Macht in der Wirtschaft und die politische Gewalt in Händen hat.

Und damit komme ich auf den anderen organischen Fehler des Entwurfs. Dieser Entwurf hat die ganz Frage zu sehr aus dem politischen Zusammenhange gerissen. Er betrachtet den Kampf gegen Steuerdruck, für Lohnerhöhungen usw. viel zu sehr außerhalb des geschichtlichen Zusammenhanges mit den politischen Verhältnissen und mit dem politischen Kampfe. Nach dem Entwurf erscheint es z.B. als ob der Kampf für die Hebung der Produktion an und für sich schon etwas bedeute für die Besserung der Lage des Proletariats. Ich sage: nein, Genossen und Genossinnen! All das und anderes wird erst lebendig, wird erst fruchtbar in seiner Wirkung auf die Lage des Proletariats, wenn es Hand in Hand geht mit der Machtsteigerung des Proletariats. Ist diese Machtsteigerung nicht da, ist sie in der Wirtschaft, in der Politik nicht da, so bleiben alle diese Maßregen papieren, so stellen sie nichts anderes dar, als eine Schraube ohne Ende. Der Staatskapitalismus, in dessen Richtung hier so viele Maßregeln gefordert werden, ist an und für sich durchaus keine proletarische Forderung. Was bedeutet Staatskapitalismus? Staatskapitalismus bedeutete Staatssklaverei, solange das Proletariat nicht die Macht in dem Staate hat. Das ist ja der große Unterschied, der Maßregeln des Staatskapitalismus in Russland von Maßregeln des Staatskapitalismus in Deutschland trennt. (Sehr richtig.) Genossen und Genossinnen, das müssen wir festhalten. So wie der Entwurf ist, sind die Forderungen: “Kontrolle durch Arbeiter, durch Angestellte”, äußerlich aufgepackte und aufgekleisterte Forderungen. Sie vertragen sich nicht mit dem Zusammenwirken mit den Organen des Staates. So wie hier davon die Rede ist, komme wir auf die Sozialisierungsversuche Hilferdingscher und anderer Couleur, auf gar nichts anderes. (Lebhafte Zustimmung.)

Deshalb möchte ich beantragen, dass der Entwurf einer Kommission zur gründlichen Umänderung überwiesen und dass dabei die politische Seite der Frage stark in den Vordergrund geschoben wird. Es handelt sich in dieser Resolution nicht etwa ausschließlich darum, Anregungen und Wegweisungen zu geben für die parlamentarischen Kämpfe. Nein, Genossen und Genossinnen, die Resolution, die der Parteitag annimmt, soll die Fahne sein, die in dem Massenkampf draußen voran getragen wird. Und deshalb muss scharf zum Ausdruck kommen, dass auch diese Kämpfe, die sich jetzt entspinnen, nach drei Richtungen hin scharf orientiert sein müssen. Soweit es sich um finanztechnische Maßnahmen handelt, auf die Expropriation der Expropriateure. Soweit in Betracht kommen Maßregeln wirtschaftlicher Natur, auf die Kontrolle der Produktion durch die selbständigen Arbeiter-, Angestellten-, Beamten- und Bauernräte. Dazu die Einstellung für die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat. Alle die Einzelkämpfe müssen zusammengefasst werden zu einem Kampf um die Eroberung der politischen Macht und um die Aufrichtung der proletarischen Diktatur.

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