Clara Zetkin 19210507 Märzaktion und Fall Levi

Clara Zetkin: Märzaktion und Fall Levi

(Koreferat auf dem außerordentlichen Bezirksparteitag der VKP Württemberg zu Cannstatt, 7./8. Mai 1921)

[Bericht im „Kommunist, Organ der Vereinigten Kommunistischen Partei Württembergs“, 10. Mai 1921]

Genossin Zetkin führt in ihrem Korreferat aus: Sie stehe gewissermaßen angeklagt zentristischer und opportunistischer Tendenzen. Sie scheue sich nicht, an der Märzaktion Kritik zu üben und würde das auch tun, wenn sie allein stehen würde. Auf die allgemeinen politischen Ausführungen will sie nicht näher eingehen. Die gegenwärtige Krise sei keine vorübergehende. Jeder scheinbare Aufschwung lasse eine Zerrüttung zurück und die besitzenden Klassen haben sowohl den Willen als auch die Fähigkeit verloren, die Lebensmöglichkeiten der arbeitenden Klasse zu sichern. In allen Ländern wird durch den rücksichtslosen Kampf der herrschenden Klasse gegen die Arbeiterklasse die Maske vom Gesicht der Demokratie gerissen. Sie greift zur Gewalt, wenn die Massen an ihren Ketten rütteln. Wenn die Mehrheitler eine Stärkung der politischen Macht der Bourgeoisie darin sehen, so sehen wir darin keinen Gesundungsprozess, sondern ein Zeichen des Verfalls. Aber trotz allem Verfall hat die kapitalistische Gesellschaft noch ungeheure Reichtümer akkumuliert, auch bei uns in Deutschland. Und wenn sich diese Kapitalansammlungen auch zum Teil nur unproduktiv zeigen, als Schieber- und Wucherkapitals- wie als Luxusgüter, so hat das Proletariat im Augenblick der Machteroberung doch die Möglichkeit, es in produktives Kapital umzuwandeln. Klar sieht sich das Proletariat vor die Frage gestellt, im verschärften Elend zu versumpfen oder den Mampf aufzunehmen. Die Reife des Proletariats wie der Wille zur Übernahme und Behauptung der Macht, besteht in dem Willen, für seine Befreiung zu kämpfen. Nicht das Schulwissen, das ihm fehlt, sondern die Willensschwäche hindert das Proletariat an der Ergreifung der politischen Macht. Diese kann nicht durch Propaganda beseitigt werden, sondern durch Kampf muss der Wille gestählt werden. Unter diesem Gesichtswinkel müssen wir die Märzaktion betrachten.

Die Zentrale sollte Levi dankbar sein, dafür, dass er ihr durch seine Broschüre Gelegenheit gegeben hat, die Kritik abzulenken. Ich unterschreibe nicht jedes einzelne Wort der Broschüre Levis. Ich sehe in mancher Beziehung die Vorgänge anders als er. Aber ich teile durchaus die darin vertretene grundsätzliche Auffassung. Die Broschüre war nötig und hat der Partei genützt. Die Selbstbesinnung hätte in der Partei nicht so schnell eingesetzt ohne sie. Der Disziplinbruch war nur die Reaktion gegen die Verletzung der Grundsätze und der Taktik der 3. Internationale. Disziplin, straffste Disziplin ist notwendig, aber Disziplin heißt nicht Kadavergehorsam.

Aktion war notwendig. Auf eine Aktion für das Bündnis mit Sowjetrussland habe ich in der alten Zentrale immer hingearbeitet. Der Offene Brief war eine treffliche Vorbereitung kommender Aktionen und wir waren damit auf gutem Weg. Die Quittung haben wir erhalten in Gestalt der 10 Punkte des ADGB. Diese waren nur ein Kompliment vor den Massen, die sich um uns zu sammeln begannen und aktionslustig wurden. Es musste von der Kommunistischen Partei die Aktion eingeleitet werden, mit ganz konkreten Kampfeszielen: Bündnis mit Russland und Forderungen des Offenen Briefes versprachen Erfolg.

Welche Rolle kann der Generalstreik in der gegenwärtigen Situation spielen? Es herrscht Krise. Die Unternehmer treiben Sabotage, warten auf eine günstige Gelegenheit, um die revolutionären Elemente aus den Betrieben zu werden. Eine solche Situation ist für den Generalstreik nicht günstig. Trotzdem ist es nicht unmöglich, wenn die Massen das Kampfobjekt begreifen. Eine bürgerliche Regierung wird ein Bündnis mit Sowjetrussland nicht schließen. Die Parole hätte zur Folge gehabt, den Kampf zu steigern zum Kampf gegen die Bourgeoisie und den bürgerlichen Staat. Sie hätte einen Schritt vorwärts in der revolutionären Entwicklung bedeutet. Teilaktionen waren möglich. Aber sie dürfen nicht so geführt werden, dass kommunistische Arbeiter gegen Arbeiter kämpfen. Die preußischen Landtagswahlen mussten propagandistisch für die Steigerung zur Aktion ausgenutzt werden. Es war ein Fehler, dass bei der Aktion statt eines konkreten Kampfobjekts, das den Massen notwendig erschien, eine Reihe verschiedener propagandistischer Parolen aufgestellt wurden. Die Zentrale ließ scharfe und klare Einstellung vermissen. Eine Massenaktion muss aus der Situation herauswachsen, muss in ihr verwurzelt sein. Nur dann erwächst in den Massen Kampfesfreude und Hingabe um des Kampfziels willen. Die Partei kann natürlich nicht erst dann den Kampf aufnehmen, wenn sie eine große Zahl Mitglieder mustert und sie muss auch den Kampf aufnehmen, wenn er zur Niederlage führt. Eine Niederlage kann fruchtbar sein, wenn sie das Resultat einer Aktion proletarischer Massen gegen den Kapitalismus ist.

Genossin Zetkin schildert in längeren kritischen Ausführungen die Vorgänge innerhalb der Partei, vor und nach der Märzaktion und verurteilt scharf den putschistischen Charakter. Dieser Charakter wurde gewiss nicht gewollt, aber es war die unvermeidliche Folge der falschen grundsätzlichen Einstellung der Zentrale. Diese Einstellung verhinderte von vornherein, dass die Parteiaktion Massenaktion wurde.

Die Fühlung mit den Massen dürfen wir nicht verlieren. Das Vertrauen zur VKPD darf nicht erschüttert werden, auch aus Rücksicht auf die internationale Wirkung nicht. Man wusste, dass der englische Bergarbeiterstreik kommen würde. Leider konnten wir ihn durch größere Aktionen nicht unterstützen, was unbedingt nötig gewesen wäre. Die Gefahr kriegerischer Verwicklungen liegt sehr nahe. Darauf muss heute die Partei eingestellt sein. Aber auch darauf, dass die Kapitalisten aller Länder sich vertragen, um das Proletariat niederzuhalten. So ist auch eine Verständigung zwischen der deutschen Bourgeoisie und der Entente möglich. Auch darauf muss die Partei eingestellt sein. Die Herrschenden haben die Absicht, die Massen von dem Plan der Verständigung der deutschen Bourgeoisie mit der Entente abzulenken. Das Verhandeln der bürgerlichen Regierung mit der Entente bedeutet, dass die Lasten dem Proletariat aufgebürdet werden. Für die Milderung und Abwehr der Lasten, die dem Proletariat aufgebürdet werden sollen, muss das Proletariat aktiv werden. Es muss darum kämpfen. Diese Aufgabe ist für die Partei genauso wichtig als der Kampf gegen die Kriegsgefahr.

Wir müssen fordern, die Beschlagnahme der großen Vermögen, namentlich die der Dynastien, Kriegsverbrecher und Kriegsgewinnler. Die Sozialisierung ohne Entscheidung unter Kontrolle der Arbeiter und Angestellten, Eingliederung der Arbeitslosen in den Produktionsprozess, wirtschaftlicher Anschluss an Sowjetrussland und andere wirtschaftliche und politische Forderungen. Durch Anknüpfung an solche konkreten Forderungen müssen wir die Massen führen in den Kampf gegen die Bourgeoisie, ihnen zeigen, dass die Erfüllung dieser Forderungen zur Voraussetzung hat die Eroberung der Macht und die Aufrichtung der Räte-Diktatur. Gesteigerte Aktivität in die Vorbereitung zur Aktion. Jeden einzelnen und die Massen müssen wir erziehen zum revolutionären Handeln, zur Treue in der Alltagsarbeit in die Partei, wie zum großen Kampf für den Kommunismus. Aus der Niederlage wird unsere Kraft wachsen zu neuen Kämpfen, unter der Bedingung, dass sie aus der Niederlage lernt, in rücksichtsloser Selbstkritik die Lehren der Niederlage zieht und sich auf den Boden einer klaren grundsätzliche Auffassung stellt, die jeden putschistischen Beigeschmack ablehnt, und auf Massenaktion abzielt. Unsere Parteidifferenzen werden die Partei nicht schwächen, sondern stärken, rüsten für Siege.

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