Clara Zetkin 19220122 Rede in der Zentralausschusssitzung der KPD

Clara Zetkin: Rede in der Zentralausschusssitzung der KPD

(22. Januar 1922)

[„Süddeutsche Arbeiterzeitung, Organ der Kommunistischen Partei Württembergs“, 27. 1. 1922]

Genossinnen und Genossen! Friesland hat hier ausführlich zu beweisen gesucht, dass der Kapitalismus noch recht existenzfähig sei. Meines Dafürhaltens hat aber hinter seinen Ausführungen für uns eine andere Frage gestanden als die akademische Doktorfrage (Heiterkeit) über die Existenzfähigkeit des Kapitalismus: der Untergrund seiner Ausführungen war die Frage nach der Existenzberechtigung der Kommunistischen Partei, (sehr richtig!) war die Frage nach der Berechtigung der Revolution.

Wie steht es mit der Existenzfähigkeit des Kapitalismus? Was uns heute Genosse Friesland darüber vorgetragen hat, das hat 1897 und 1898 Eduard Bernstein schon ausgeführt (sehr gut!), allerdings mit einer Gründlichkeit, die sich weit erhebt über den Dilettantismus, mit dem Paul Levi das tut, und über den blassen Abklatsch dieses Dilettantismus, den uns Friesland hier serviert hat. Ich spreche deshalb von theoretischem Dilettantismus, mit dem die Streitfrage behandelt wird, weil man in dieser Stunde mehr als je die Situation nicht nach den Einzelerscheinungen beurteilen darf, sondern nur nach dem gesamten weltwirtschaftlichen Bilde, das sich ergibt. Gewiss, der Kapitalismus scheint auch in dieser schweren Krise sehr anpassungsfähig. Aber das ist das Entscheidende, Genosse Friesland: vor dem Weltkrieg erwies der Kapitalismus seine Anpassungsfähigkeit, während gleichzeitig die Lebenslage des Proletariats sich etwas hob, so dass dadurch die revisionistischen Stimmungen und Strömungen in der Sozialdemokratie entstehen konnten. Wodurch aber erweist sich heute der Kapitalismus existenz- und anpassungsfähig? Etwa durch erhöhte technische Gestaltung, durch Fortschritte der Produktion, durch Steigerung der Produktivität, durch Entfaltung der Produktivkräfte auf höherer Stufe? Umgekehrt: er hält sich existenzfähig aufgrund einer gesteigerten Ausbeutung und Versklavung der Arbeitermassen auf der ganzen Welt. (Lebhafte Zustimmung. Zuruf: Durch das Schiebertum!) Auch ohne Schiebertum; heute hat sich aber ein Teil des Kapitals unstreitig aus produktivem Kapital in Schieberkapital, Wucherkapital verwandelt. Soviel zur Anpassungsfähigkeit.

Aber nun ein anderes! Ist etwa unsere Auffassung der Situation und unsere Parteibetätigung so eingestellt, als ob dies die letzte, vorletzte oder vorvorletzte Krise des Kapitalismus wäre? Keineswegs. Entscheidend ist für uns die Frage: Befindet sich der Kapitalismus in aufsteigender oder in absteigender Linie der Entwicklung? Und alles, was Paul Levi und seine Nachbeter vorgebracht haben, hat nicht zu beweisen vermocht, dass der Kapitalismus sich in aufsteigender Linie entwickelt. Umgekehrt: alles spricht dafür, dass er sich in absteigender Linie seiner Entwicklung befindet. Alle Bemühungen zur Wiederaufrichtung und Befestigung des Kapitalismus, auch die Erscheinungen scheinbarer Blüte, enden guter letzt mit einer größeren Zerrüttung der kapitalistischen Wirtschaft. Wie lange ihr Todeskampf dauern wird, wissen wir nicht. Wie aber hat sich das kämpfende Proletariat, wie hat sich die Kommunistische Partei zur objektiven Entwicklung der Dinge einzustellen? Haben wir als Kommunistische Partei, als Führerin des Proletariats uns gottergeben mit dieser Entwicklung abzufinden, d.h. wollen wir eine reformistische Politik treiben oder aber wollen wir revolutionäre Politik treiben, unseren Willen aufbieten, den Entwicklungsgang des Kapitalismus seinem Ende entgegen zu beschleunigen?

Genosse Friesland hat in diesen Ausführungen nicht ein Wort gesagt von dem zweiten gewaltigen Faktor der geschichtlichen Entwicklung: von dem bewussten Klassenwillen des Proletariats. (Zustimmung.)

Was hat die Kommunistische Partei zu tun, um das Proletariat als Klasse revolutionär dem Kapitalismus entgegenzustellen? Was muss sie tun, damit das Proletariat bewusst seine Aufgabe erfüllen kann, als Totengräber den Kapitalismus in die Grube zu stoßen? Man solle das doch offen aussprechen.

Gewiss! Die revolutionäre Welle der objektiven Entwicklung muss vorhanden sein, aber die zielbewusste Taktik einer revolutionären Partei, die richtige Einstellung des proletarischen Willens ist durchaus kein nebensächlicher Faktor und ergibt sich nicht von selbst. Der Wille, die Erkenntnis, muss gleichsam wie der Geist Gottes über den objektiven revolutionären Wassern schweben, muss sie bleiben, muss den Strom in der rechten Richtung nach vorwärts treiben, indem das Proletariat zielklar und wegsicher seine Macht schöpferisch einsetzt.

Was die Ausführungen des Genossen Friesland betrifft, so hat er die Frage scharf zugespitzt dahin, dass es unüberbrückbare Gegensätze gibt zwischen der Auffassung und der Aufgabe der Kommunistischen Partei als revolutionärer Vorhut des Proletariates und den Notwendigkeiten der proletarischen Einheitsfront: zwischen der Rolle der Kommunistischen Partei als revolutionärer Vorhut und der Existenzmöglichkeit und den Existenzbedingungen einer großen Massenpartei und Massenbewegung. Nach meiner Auffassung ist es ein geschichtlicher und politischer Unfug, die Begriffe: Vorhut und Massenpartei, Vorhut und Einheitsfront so getrennt voneinander, gleichsam chemisch gereinigt auf Flaschen zu ziehen. (Heiterkeit.) Jawohl, die Kommunistische Partei muss fortfahren, die revolutionäre Vorhut des Proletariats zu sein, sie muss stets einen Schritt vor den Massen stehen oder aber sie hat ihre Existenzberechtigung verwirkt. (Lebhafte Zustimmung.) Das gerade ist die Voraussetzung dafür, dass sich eine proletarische Einheitsfront bilden kann.

Aus den Ausführungen des Genossen Friesland ist deutlich hervorgegangen, dass die sozialrevolutionäre Arbeiterpartei, die ihm frei nach Paul Levi als Ideal vorschwebt, weiter nichts bedeuten würde als ein soziales und politisches Kuddelmuddel, als ein Ragout des Reformismus.

Ich stelle mir das Verhältnis zwischen Partei und werktätigen Massen vor nach dem Bilde eines Kometen. Beim Kometen haben wir einen stark leuchtenden Kern und den schwächeren Lichtkreis rings um diesen Schweif, die Ausstrahlung von Materie, die noch nicht fest zum neuen Weltkörper kristallisiert ist. So hat bei Massenbewegungen die Kommunistische Partei der feste, ganz helle Kern zu sein, an dem sich die proletarischen Massen ansetzen. Ich sage: je breiter die Massen sind, die wir ergreifen, je größer der Zustrom ist, den wir in solchen Bewegungen erhalten aus den Reihen der Indifferenten, der Scheidemänner, der Crispiene, der christlichen Arbeiter, um so notwendiger ist es, dass die kommunistische Partei organisatorisch und ideologisch einheitlich und fest geschlossen ist. (Zustimmung.)

Friesland hat gesagt: wenn wir die Massen an uns ziehen wollen, müsse wir vor allen Dingen ein konkretes Programm haben. Ich meine, das Programm unserer Partei in den Kämpfen der nächsten Zeit steht konkret fest, es ist aus den Bedürfnissen der Massen heraus geboren. Genosse Braß hat gesagt, aus allen Reden hier habe die Sorge herausgeklungen, dass wir eine Massenpartei werden könnten. (Lachen.) Nein, lieber Genosse Braß, unsere Sorge ist nur die: wie können wir eine Massenpartei werden? (Sehr gut!) Das ist die Frage, die uns bewegt, auf die wir Antwort suchen. Sie stellten hier fest, dass unser Einfluss in den Massen zurückgegangen sei. Meiner Überzeugung nach war das nach der Märzaktion der Fall. Aber seitdem hat die Kommunistische Partei dank ihrer Politik unzweifelhaft wieder einen steigenden Einfluss auf die Massen gewonnen, denn die Politik hielt Fühlung mit den Massen und warb durch Arbeit und Kampf um ihr Vertrauen. Genosse Braß, ich bedaure, es aussprechen zu müssen, das ist der Vorwurf, den ich gegen Euch erhebe: Ihr habt das menschenmögliche Getan, um den Einfluss unserer Partei bei den Massen zu schwächen. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.) Ich will nicht behaupten, dass Ihr in böser Absicht gehandelt habt. Jedoch nicht die Absicht entscheidet im politischen Leben, sondern die Wirkung. (Zustimmung.) Zumal als Ihr Euch nach den so genannten „Vorwärts“-Enthüllungen nicht in eine Front mit der gehetzten Kommunistischen Partei gestellt habt, sondern in eine Front mit ihren Gegnern von Stinnes bis Hilferding, habt ihr zweifellos dazu beigetragen, eine Scheidewand zwischen der Partei und den Massen aufzurichten. Ich bin allerdings der Ansicht, dass die Zeit des sinkenden Einflusses der Partei auf die Massen vorbei ist. Trotz allem, nicht dank Eurer Opposition, sondern trotz Eurer Opposition, dank der Politik der Partei ist ihr Einfluss auf die Massen wieder im Wachsen.

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