Clara Zetkin 19210629 Redebeitrag über die italienische Frage

Clara Zetkin: Redebeitrag über die italienische Frage

(29. Juni 1921)

[Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Moskau 22. Juni bis 12. Juli 1921. Hamburg 1921, 9. Sitzung, S. 387-391]

CLARA ZETKIN. Genossinnen und Genossen! Es ist wohl niemand unter uns, der nicht die Schwere und Verantwortlichkeit der Entscheidung empfindet, die wir in der italienischen Frage zu fällen haben. Es handelt sich ja dabei nicht um das Los einiger Führer, sie mögen uns sympathisch sein oder nicht, sie mögen durch ihre Politik unseren schärfsten Widerspruch und unseren leidenschaftlichsten Kampf herausfordern oder nicht, es handelt sich sogar um mehr, als um das politische Schicksal der Tausende von Arbeitern, die in der Sozialistischen Partei Italiens stehen. Es handelt sich bei dieser Entscheidung um ein Stück Schicksal der kommunistischen Parteien aller Länder, der gesamten Internationale und darüber hinaus um das Los ungezählter Millionen Ausgebeuteter und Unterdrückter der ganzen Welt. Denn von dem Tempo und von der Geschlossenheit, mit der sich der Aufmarsch der Arbeiter aller Länder in der kommunistischen Internationale vollzieht, wird es abhängen, wie lange noch Proletarier ausgebeutet und geknechtet werden durch den Kapitalismus, oder ob sie endlich aufsteigen zum vollen Menschentum durch den befreienden Kommunismus.

Genossinnen und Genossen, die Situation fordert nicht bloß in Italien, sondern in der ganzen Welt, dass in Italien eine starke einheitliche und geschlossene Partei die Führung des revolutionären Proletariats übernimmt. Im Namen der Einheit ist bis jetzt das italienische Proletariat daran gehindert worden, seinen einheitlichen Aufmarsch gegen die Bourgeoisie zu vollziehen. Und doch tut dieser einheitliche Vorsturm dringender not als je. Die italienische Bourgeoisie erscheint heute nicht mehr in dem glänzenden Gewande der Demokratie. Auch in Italien hat sich erwiesen, dass alles liberale Phrasengebimmel der herrschenden und ausbeutenden Klasse nichts ist als eitel Lug und Trug. Auch in Italien spricht die herrschende Klasse durch den Mund der militärischen Macht mit blutiger Gewalt zu den Massen. Und diese Macht muss durch die Einheitlichkeit des revolutionären Proletariats gebrochen werden. Aber Genossen, Einheit der proletarischen Front nicht auf Kosten eines Mangels an revolutionärer Klarheit, an revolutionärer Energie und an revolutionärem Handeln. Die Einheit darf nie um diesen Preis erkauft werden. Deshalb ist es notwendig, dass man die Konsequenzen nicht nur in schönen Entschließungen zieht, sondern in lebendigen starken Taten. Wir stehen angesichts der Situation, dass seit dem Kongress in Livorno keine Einheit der Partei, keine Einheit der revolutionären Kampfesfront besteht. Ich bin noch immer der Auffassung, dass es von größter Wichtigkeit ist, dass die wertvollen Kräfte in der kommunistischen Partei Italiens und die wertvollen Kräfte, die sich unstreitig auch noch im Lager der Unitarier befinden, zusammengeschlossen werden zu einer einzigen Massenpartei, aber nicht durch die Preisgabe der grundsätzlichen Basis und der taktischen Richtlinien des Kampfes.

Wir haben hier unmittelbar gehört, von ehrlicher Überzeugung ausgesprochen gehört, dass die Genossen Lazzari und Maffi uns versicherten, die Italienische Sozialistische Partei sei entschlossen, den Weg dahin zu gehen. Aber Genossinnen und Genossen, ich spreche das offen aus, wir sind berechtigt, in diesem Augenblick die gleiche Frage zu erheben, den gleichen Vorwurf zu formulieren an die ganze Partei, die Frage, die man vor Livorno an Serrati stellen musste, nämlich: was hat die ganze Partei seit Livorno auf dem Boden des Handelns getan, um den Weg zur III. Internationale zu beschreiten? Ich will hier nicht die einzelnen Tatsachen anführen, die beweisen, dass zur Durchführung einer streng kommunistischen Politik nichts geschehen ist. Ich will einen einzigen Vorgang hervorheben, der mit der Schärfe des Scheinwerfers beleuchtet. dass man noch nicht gehandelt hat, wie man handeln musste, wenn man Mitglied der Dritten Internationale sein und bleiben will. Die 50.000 Lire, die die Amsterdamer Internationale dem italienischen Gewerkschaftsbund überwiesen hat, diese Gabe ist von dem führenden Organ der Sozialistischen Partei Italiens nicht charakterisiert, nicht gebrandmarkt worden, wie es vom kommunistischen Standpunkt aus notwendig gewesen wäre. Wie liegen die Dinge? Diese 50.000 Lire kamen aus den Händen derselben Arbeiterverräter, derselben Sozialpatrioten, die vier Jahre lang mit der Bourgeoisie aller Länder durch das Blutmeer des Weltkriegs gewatet waren. Sie kamen von den Leuten, an deren Händen in Deutschland das Blut von 20.000 erschlagenen Proletariern klebte. Wie die Dinge lagen, waren und sind die 50.000 Lire nicht der Ausdruck brüderlich internationaler Solidarität, sie sollten ein anderes sein: der Judas-Silberling, mit dem die rote Moskauer Gewerkschaftsinternationale verraten und verkauft werden sollte zugunsten der gelben Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale. Genossinnen und Genossen, kein Sturm des Protestes hat sich gegen die Annahme des Geldes erhoben aus den Reihen der italienischen Partei, umgekehrt. Der „Avanti“ hat sich gefreut, hat den Vorgang als Ausdruck der internationalen Solidarität begrüßt. Ich meine, diese Tatsache allein genügt, damit die Internationale erklärt: bis hierher und nicht weiter! Jetzt ist auch für die Sozialistische Partei Italiens das Rhodus da, wo sie springen muss. Die Dinge reden deutlich. Die Politik der Partei zeigt jetzt eines ganz klar, solange nicht eine reinliche Scheidung von den Turatinern durchgeführt worden ist, solange wird die Einheitspartei, solange wird die unitarische Partei in Italien nicht eine Sturmkolonne gegen die Bourgeoisie sein, sie wird vielmehr einen Schutzwall zwischen der Bourgeoisie und dem revolutionären Proletariat bilden. (Zustimmung.)

Die Absichten mögen noch so gut sein, sie sind gewiss gut, sie sind meinetwegen vorzüglich — aber die politische Logik hat ihre eigenen Gesetze. In diesem Augenblick kann es zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat nicht reformistische Zwischenlager geben. Wer den Reformismus eines Serrati deckt, wer ihn zulässt, der verhindert, dass sich das Proletariat in voller revolutionärer Erkenntnis und Tatbereitschaft zusammenballt. Ich habe ausdrücklich erklärt, dass man gegen die Politik der Partei in diesem Augenblick dasselbe sagen kann, was man gegen Serrati schon als Person gesagt hat. Ich meine darum, dass der gegenwärtige Kongress der III. Internationale klipp und klar eine Entscheidung herbeiführen muss. Er muss zunächst aussprechen, dass die Trennung von den Turatinern sofort, rücksichtslos, ohne Um schweife durchgeführt werden muss. Nicht in der Art und Weise, dass man einzelne Führer nacheinander ausstößt, die man sozusagen mit der Hand in der Tasche des Diebstahls an dem revolutionären Fonds des Proletariats ertappt hat. Nein, mit der ganzen opportunistischen Richtung, oder richtiger mit der ganzen reformistischen Politik muss Schluss gemacht werden.

Es muss von unserem Kongress ein fester Damm zwischen dem proletarischen Kampfesheer und jener verderblichen Strömung errichtet werden. Wie die Dinge liegen, halte ich es nicht für klug, eine harte und bitter empfundene Kritik an der Politik auszusprechen, die die Freunde in Italien in letzter Zeit aus der ehrlichen Überzeugung heraus getrieben haben, den Weg zum Kommunismus zu suchen. Aber unzweideutig, ohne dass ein Drehen und Deuteln möglich ist, muss der Kongress erklären: so sieht die praktische Politik aus, die wir von nun an von der sozialistischen Partei Italiens verlangen, die sich als organischer Teil eingliedert in die einheitliche kommunistische Partei Italiens.

Genossinnen und Genossen! Ich bin der Ansicht, dass der Kongress nicht, wie es unsere italienischen Freunde von der sozialistischen Partei empfinden, ein Almosen gewährt, sondern einen Akt selbstverständlicher brüderlicher Gerechtigkeit erfüllt, wenn er diesen Genossen die Gelegenheit gibt, an der Ausarbeitung der entsprechenden Resolution teilzunehmen. Aber ich spreche es auch offen aus, ich halte es für die brüderliche, internationale Pflicht unserer Genossen Lazzari und Maffi, ihrerseits für die Klärung der Lage und die Verständigung etwas zu tun. Wir wissen, sie sind nicht autorisiert, hier eine Erklärung, irgendeine Zustimmung abzugeben.

Wir wissen, der bevorstehende Kongress soll die Frage entscheiden. Wir müssen jedoch eins von ihnen verlangen. Wir müssen ihnen sagen: Gen. Lazzari, Gen. Maffi, Ihr alle, die Ihr hier steht, als Fleisch vom Fleisch, als Blut vom Blut des italienischen Proletariats, als Zeugen, als eine Verkörperung seiner besten Tradition, seines Kampfes! Ihr müsst die ehrlichen, die gewissenhaften, Ihr müsst die leidenschaftlichen Dolmetscher der Beschlüsse des Kongresses in Eurer Partei und im italienischen Proletariat sein. An Euch liegt es, die Missverständnisse in den Massen und in Eurer Partei zu zerstreuen, die im Laufe der Auseinandersetzungen aufgekommen sind. Wir haben alles Vertrauen zu Euch im Hinblick auf Eure rühmliche Vergangenheit, dass Ihr in dieser Situation die Rolle des ehrlichen, zuverlässigen Vermittlers spielen werdet. Wir vertrauen auf Euch, dass Ihr, heimgekommen, Euren Freunden, den italienischen Arbeitern, erklärt: die Kommunistische Internationale handelt nicht aus irgendwelchen kleinlichen Gründen heraus, nicht aus Rechthaberei, nicht aus Lust und Liebe zum Verdammen, geschweige denn zum Spalten. Die Kommunistische Internationale spaltet nur, um fester und auf höherer Stufenleiter zu vereinigen. Lernt aus der Situation, Arbeiter Italiens! Lernt und zieht die richtigen Schlussfolgerungen! Trennt national, was nicht länger vereinigt sein kann und vereinigt sein darf, wenn Ihr ehrlich zum Kommunismus wollt! Und vereinigt dafür international, was international vereinigt sein muss! Wählt! (Lebhafter Beifall und Applaus.)

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