Clara Zetkin 19211005 Zur Lage in der Partei

Clara Zetkin: Zur Lage in der Partei

(Oktober 1921)

[„Kommunist, Organ der Kommunistischen Partei Württembergs“, 5. 10. 1921]

Die Gegner der Kommunisten jubeln. Adolph Hoffmann und Ernst Däumig sind aus der Kommunistischen Reichstagsfraktion ausgetreten. Neben dieser Fraktion hat sich eine zweite Kommunistische Fraktion unter Paul Levis Führung gebildet: die Kommunistische Arbeitsgemeinschaft. Diese beiden Tatsachen werden von der gegnerischen Presse — diesem Zeitungsgezwitscher, voran die „Freiheit“ — mit frohlockenden Kommentaren und Prophezeiungen über den Zerfall und die Ohnmacht der Kommunistischen Partei aufgetischt. Unsere Gegner kommentieren und prophezeien falsch und sie frohlocken zu früh. Wie so oft ist wieder einmal der Wunsch der Vater des Gedankens.

Die schwere politische und organisatorische Krise, von der unsere Partei erschüttert wurde, ist in der Hauptsache beendet. Der fortschreitende Gesundungs- und Erstarkungsprozess wird nur von jenen nicht gesehen, die ihn nicht sehen wollen. Aber eine politische Partei ist ein lebendiger Organismus, kein toter Mechanismus, der sich durch das Drücken auf einen Leitungsknopf im Nu umstellen lässt. Es ist daher unvermeidlich, „naturgegeben“, dass die Krise noch nachzittert. Das gilt nicht nur für den Gegensatz der Meinungen über Theorie und Praxis der Parteipolitik, das gilt nicht minder für die Atmosphäre, die vor dem Parteitag durch die überwiegend unpolitische Art des Austrags der Meinungskämpfe geschaffen worden war. Die Kommunistische Partei wird daher in nächster Zukunft voraussichtlich noch auf Einzelerscheinungen gefasst sein müssen, in denen der Fraktionsstreit um die Märzaktion weiterlebt. Einzelaktionen von hüben und drüben. Die Partei wird diesen Stand der Dinge um so rascher und gründlicher überwinden, je klarer und geschlossener sie sich bei Arbeit und Kampf auf den Boden der Beschlüsse des dritten Internationalen Kongresses zu Moskau stellt, die der Parteitag zu Jena zu den seinen gemacht hat.

Es wäre ebenso töricht als unwürdig, über Einzelerscheinungen der gekennzeichneten Art jeweilig mit einem geringschätzigen oder ergeben resignierenden Achselzucken hinwegzugehen. „Der Herr hat es gegeben. Der Herr hat es genommen. Der Name des Herrn sei gelobt.“ Wer wollte z.B. behaupten, dass die Partei das Ausscheiden zweier so treuer Vorkämpfer des Proletariats wie Adolph Hoffmann und Ernst Däumig nicht als Verlust empfindet? Gewiss: Es ist bedauerlich, dass diese beiden nicht mehr im Namen unserer Partei zu den proletarischen Massen sprechen, dass ihr erfahrener Rat uns fehlen wird. Es ist bedauerlich, dass die in der „Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft“ zusammengeschlossenen „Sieben“ nicht mehr in Reih und Glied der Partei wirken und kämpfen. Die Partei muss wachen, ohne ängstliche Nervosität, aber mit scharfem Blick, dass die Absplitterung einzelner Führender weder Kräfte zersplitternd noch Kräfte lähmend sich in der Partei auswirkt. Kein mutloses, zagendes Beiseitestehen Einzelner oder kleiner Gruppen im Schmollwinkel. Keine Zerrüttung und Absplitterung von Parteimassen. Kein Aufkommen abwegiger Organisationsspielereien, die den Hauptaufgaben der Partei Kräfte entziehen und die Gefahr von Fraktionsbildungen und Abspaltungen in sich tragen. Jedoch damit ist die Aufgabe der Partei angesichts der Situation nicht erschöpft.

Es ist gewiss eine Binsenwahrheit, dass man im politischen Leben nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen soll. Es ist aber auch ein Gebot der Klugheit, vorzubauen und rechtzeitig einzugreifen, mit der Bekämpfung eines Schadens nicht zu warten, bis aus einem kleinen Übel ein großes geworden ist. Die Partei darf nicht beschaulich zusehen, bis aus der Gruppe der Sieben, Siebzig, Siebenhundert und Siebentausend geworden sind. Die Konstituierung der Fraktion der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft ist nicht zu bewerten als harmlose Privatangelegenheit einzelner Persönlichkeiten, die wähnten, der kommunistischen Sache willen der Kommunistischen Partei den Rücken kehren zu müssen. Sie besagt nicht friedlich-schiedliche Erweiterung und Stärkung der kommunistischen Bewegung über die Grenzen der Partei hinaus durch „Missvergnügte“, aber „Sympathisierende“. Sie läuft in der Praxis hinaus auf Bedrohung, Schwächung, Lockerung, ja Spaltung der Partei, auf Gegnerschaft wider sie.

Fraktionelle Tendenzen haben in der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft ein festes organisatorisches Gefüge erhalten. Sie haben eine eigene parlamentarische Vertretung und ein eigenes Organ: “Unser Weg“. So wenig es die Partei dulden darf, dass sich die Tendenzen einzelner Genossen oder auch Organisationen links zu unklar revolutionsspielerischen KAP-Stimmungen sich zerstörend auswachsen und organisatorisch befestigen, so wenig darf sie das auf der „Rechten“ zulassen. Denn es liegt auf der Hand. Die Entwicklung der Dinge kann bei der Konstituierung der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft im Reichstag und der Veröffentlichung von „Unser Weg“ nicht stehen bleiben. Sie treibt zur Rekrutierung und Organisierung einer politischen Gefolgschaft.

Die fraktionellen Tendenzen der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft können sich nicht damit begnügen in der kalten, unfruchtbaren Atmosphäre des Reichstags zu verhallen, auf dem Papier einer Zeitschrift literarisch zu vegetieren. Sie müssen darnach trachten und drängen, politische Macht zu werden, die sich durchzusetzen imstande ist. Das kann nur geschehen durch die Sammlung und Organisierung proletarischer Massen, und diese Sammlung und Organisierung würde sich vollziehen auf Kosten der Kommunistischen Partei, in Gegnerschaft zu ihr, im Kampfe mit ihr. Voraussetzungen ihres Erfolges sind Absplitterung Organisierter von unserer Partei und Schwächung, Ablenkung des Zustroms Organisationswilliger zu ihr.

Die Gründung der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft ist bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt der Anfang des Versuchs, die Kommunistische Partei zu spalten oder zu überrennen. Es ist kein Mittel, sie zu erneuern oder zu befestigen. Die Mängel, Fehler, Schwächen, Irrungen der Partei sind keine Rechtfertigung, kein positives Programm für eine Parteigründung. Sie sind Mahnung, Pflichtgebot, in der Partei zu bleiben, um den Prozess ihres politischen und organisatorischen Reifens und Erstarkens zu unterstützen und zu beschleunigen. Solche Unterstützung erfolgt durch Arbeit und Kampf mit ihr und nicht in Arbeit und Kampf gegen sie. Die Situation innerhalb der Kommunistischen Partei, wie außerhalb ihrer ist so aufgaben- und verantwortungsreich, dass jede Zersplitterung und Schwächung der Parteikräfte in ihrer Auswirkung Schlimmeres ist als ein unbegreiflicher politischer Rechenfehler: eine große Schuld. Das aber nicht bloß gegen die Kommunistische Partei Deutschlands, vielmehr gegen das deutsche Proletariat, dem diese eine ebenso mutige als klug besonnene Führerin werden muss, gegen die kommunistische Bewegung, das Proletariat aller Länder.

Die Kommunistische Partei darf daher der fraktionellen Organisation nicht in „wohlwollender Neutralität“ gegenüberstehen. Sie muss den Fehdehandschuh aufnehmen, der ihr ins Gesicht geschleudert worden ist. Sie hat mit aller Schärfe und Entschiedenheit auch den kleinsten Versuch zu bekämpfen, Anhänger für die Kommunistische Arbeitsgemeinschaft zu werben, Stützpunkte, Sammlungsstellen irgend welcher Art für sie zu schaffen. Es versteht sich, dass der notwendige Kampf streng sachlich werden muss, als politischer Kampf, dessen Hauptzweck ist die Aufklärung und der Zusammenschluss proletarischer Massen innerhalb der Partei, im Dienste der Revolution. Es wäre überflüssig zu betonen, wenn nicht die „Rote Fahne“ vom Donnerstag (Morgenausgabe) durch unpassende Zitierung der Verse Heines im Feuilleton ein gar zu abschreckendes Beispiel geliefert hätte, wie nicht gekämpft werden darf. Derartige Entgleisungen dürfen sich auch in der Hitze des Kampfes nicht wiederholen.

Ein anderes ist selbstverständlich. Der Kampf gegen die „Fraktion Levi“ allein schützt die Partei nicht gegen die bösen Folgen dieser Fraktionsbildung. Das wirksamste Mittel dazu ist die Betätigung der Politik der Partei. Gesteigerte Aktivität auf allen Gebieten gegenüber jeder Aufgabe in jeder Stunde, zielklare und wegsichere Politik, um die proletarischen und sich proletarisierenden Massen zu sammeln, mit Kenntnis, Tatkraft und Opferfreudigkeit für ihr geschichtliches Ziel, für die Revolution zu erfüllen — und der „Fraktion Levi“ wird der Entwicklungsboden entzogen, sie bleibt ein von den Massen isolierter Parteisplitter wie die KAPD. Das organisierte Unternehmertum hat die Generaloffensive zur verschärften Ausplünderung und Versklavung des Proletariats begonnen. Die Bourgeoisrepublik wird sie durch Steuerraubzug, Arbeitertrutzgesetzgebung, politische Knebelung ergänzen. Die Entente bereitet den militärischen Überfall auf Sowjetrussland vor. Die Situation schreit nach der proletarischen Einheitsfront, verlangt kühn wägende kommunistische Führung. Nur in engstem Zusammenhang mit den proletarischen Massen arbeitend und kämpfend, wird die Kommunistische Partei Führung und Führereignung erlangen. Ihr Schiff muss hinaus auf die hohe See der revolutionären Massenkämpfe. Es darf weder an den Klippen anarchistelnder, putschistischer Revolutionsromantik zerschellen und zersplittern, noch auf die Sandbänke des kompromisssüchtigen, kampffliehenden Opportunismus auflaufen. Die Partei hat einen guten Kompass: die Beschlüsse des Kommunistischen Weltkongresses. Was tut's, wenn einige Leute der Bemannung desertieren? Der Kurs der Partei ist klar, er geht geradeaus dem Feind entgegen: dem Kapitalismus. Wir haben nur eine Losung: Volldampf, vorwärts!

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