Clara Zetkin‎ > ‎Massenstreik‎ > ‎

Clara Zetkin 19130709 Um die sozialdemokratische Taktik

Clara Zetkin: Um die sozialdemokratische Taktik

(Juli 1913)

[“Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, Stuttgart, 9. Juli 1913. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 576-585]

Unter dem Eindruck des Kampfes gegen die Wehr- und Deckungsvorlagen und der preußischen Landtagswahlen ist eine Diskussion über unsere Taktik in Fluss gekommen, die nicht nur an Ausdehnung, sondern auch an Tiefe gewonnen hat und hoffentlich noch weiter gewinnt. Mit wachsender Klarheit kommt dabei zum Ausdruck, dass es sich um mehr handelt als bloß um die kritische Prüfung der sozialdemokratischen Aktionen wider den letzten gewaltigen Vorstoß des Imperialismus und für die Eroberung eines demokratischen Wahlrechts in Preußen. Diese beiden Aktionen, ihr Verlauf und ihre Ergebnisse sind vielmehr nur zum Ausgangspunkt der erhellenden Auseinandersetzungen geworden, zum Prüfstein für die gesamte sozialdemokratische Taktik. Größeren Kreisen der Partei haben sie die schmerzliche Erkenntnis aufgezwungen, dass die Sozialdemokratie — ungeachtet aller anerkennenswerten Leistungen im einzelnen — im ganzen nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben gewesen ist; dass sie in die weittragenden Kämpfe der Stunde nicht zielklar und willenskühn eine Kräfteentfaltung einzusetzen vermocht hat, die der Stärke ihrer Organisation, der Zahl ihrer Wählerstimmen, der Größe und Bedeutung ihrer Gefolgschaft entspricht.

Indem diese Erkenntnis die Frage nach dem Warum aufwarf, musste sie die nach dem Was nun folgen lassen und die Aufmerksamkeit auf die sozialdemokratische Taktik im Allgemeinen lenken. Das Verhalten der Sozialdemokratie in den zwei unbefriedigenden großen Feldzügen konnte nicht als vereinzelte Erscheinung gewürdigt werden, losgelöst von ihrem übrigen politischen Wirken und Ringen. Es erwies sich offensichtlich als ein Glied in der Kette der Parteientwicklung, als der Ausfluss des Zusammenwirkens mannigfacher und verwickelter Umstände, die unserer gesamten Taktik ihr Gepräge gegeben haben. Was seit Jahren schon sich mit zunehmender Deutlichkeit gezeigt hat, was aber in führenden Parteiorganen und Organisationen mit einem Gemisch von Offlziösentum und beschaulicher Selbstzufriedenheit abgewiesen wurde, das erscheint nun fast allgemein in der Partei als dringende Notwendigkeit: eine gründliche Erörterung der sozialdemokratischen Taktik. Es ist dabei ein beachtenswertes Anzeichen, dass die beiden Zentralorgane der Sozialdemokratie - das tägliche, der “Vorwärts”, und das wissenschaftliche, die “Neue Zeit” — in der aufgerollten Diskussion nicht führend vorangegangen sind. Von ihrem Versagen hebt sich wohltuend die Frische und der Ernst ab, mit dem die Provinzpresse ohne sie die Auseinandersetzung aufgenommen hat.

Im Mittelpunkt der Erörterung steht die Frage des Massenstreiks und muss sie stehen. Der Ausgang des Kampfes um die Wehr- und Deckungsvorlagen hat nicht bloß eine kräftige Opposition gegen die Haltung unserer Vertretung im Reichstag hervorgerufen, er hat mit allem Nachdruck auf die Schranken der parlamentarischen Parteibetätigung selbst hingewiesen. Und das ist das weit Wichtigere. Es ist gewiss heilsam, dass der Partei an einem in die Augen springenden Fall neuerlich zu Gemüt geführt worden ist, wie leicht ihre Abgeordneten auf dem glatten bürgerlichen Boden des Parlamentarismus ausgleiten. Denn diese alte und doch immer wieder neue Erfahrung mahnt die Genossinnen und Genossen an die Pflicht einer gesunden Demokratie, “über die Konsuln zu wachen”, mit anderen Worten: durch ihre Organisation und ihre Presse dafür zu sorgen, dass zwischen den Parlamentariern und den Truppen der Partei jene lebendige Fühlung besteht, die auch die parlamentarische Aktion der Sozialdemokratie auf dem festen Grund des revolutionären Klassenkampfes hält. Jedoch wertvoller als diese Lehre dünkt es uns, dass die verlorene Schlacht gegen den Imperialismus dem Wahnglauben an die alleinseligmachende Wunderwirkung des Parlamentarismus einen starken Stoß versetzt hat. So ungeschichtlich dieser Wahnglauben ist, so blutig er fast täglich von den politischen Ereignissen verhöhnt und verprügelt wird, hatte er sich doch allmählich großer Parteikreise bemächtigt. Und eine andere ungesunde Erscheinung griff um sich: Das Leben der Partei konzentrierte sich viel zu sehr auf den Parlamentarismus und was zu ihm gehört — die Wahlen, ihre Vorbereitung und ihr Drum und Dran. Man konnte es erleben, dass man hier und da wegen jeder sachlichen Kritik des Parlamentarismus, wegen jeder Feststellung der Grenzen seines Wertes für das kämpfende Proletariat in den Verdammtenwinkel der Anarchosyndikalisten gestoßen ward. Nun aber regt sich an allen Ecken und Enden in der Partei die Erkenntnis, dass auch der Parlamentarismus für die befreiungssehnsüchtige Arbeiterklasse nur ein Mittel unter vielen ist; ein Mittel, dessen Bedeutung an die jeweiligen geschichtlichen Umstände gebunden bleibt und nicht in ewiger Unerschütterlichkeit ein für allemal feststeht. Der Blick dafür ist unstreitig durch den preußischen Wahlrechtskampf mit seinem Auf und Ab geschärft worden. Gewiss haben auch andere politische Erscheinungen die gleiche Erkenntnis recht klipp und klar gepredigt. Man erinnere sich nur des Ringens gegen den Zoll- und Steuerwucher, für einen durchgreifenden Arbeiterschutz und eine wirksame Arbeiterversicherung, gegen den Zuchthauskurs zur Meuchelung der Koalitionsfreiheit, gegen das persönliche Regiment usw. Allein, wie in Deutschland die geschichtlichen Dinge liegen, unter denen die Sozialdemokratie sich entwickeln und den Kampf aufnehmen musste, ist es begreiflich, dass der geringe Ertrag des parlamentarischen Ackers nicht allgemein in der hervorgehobenen Bedeutung erfasst wurde. Nun aber lässt der Kampf um die politische Demokratie in Preußen — der heute letzten Endes ein Kampf ist gegen die feudalen Schutztruppen und Bollwerke des Kapitalismus in ganz Deutschland —‚ lässt der Vormarsch des Imperialismus kaum noch eine Täuschung darüber zu, dass der Wert des Parlamentarismus für die Klassenkämpfe des Proletariats ein beschränkter und bedingter ist. Während bürgerliche und sozialdemokratische Träumer Ströme von Tinte für den Nachweis verschrieben haben, dass “die Ethik und der Gerechtigkeitssinn” in den besitzenden Klassen in wundervoller, Frucht verheißender Blüte steht; während kluge Rechenmeister in der Konstellation der Parteien im Reichstag und in den Landtagen die gesegnete Formel des “positiven parlamentarischen Zusammenwirkens aller fortschrittlich Gesinnten” suchten — hat sich in der Gesellschaft der Kapitalismus riesig gereckt und gestreckt. Große Massen der Werktätigen mögen in der geistigen Dumpfheit Unterdrückter für die revolutionäre Tragweite dieser Entwicklung noch blind sein, die ihren politischen Ausdruck in dem Imperialismus findet. Die besitzenden Klassen dagegen haben sie aus dem Instinkt herrschgewohnter Schichten heraus längst erkannt. Für sie geht darum in allen wichtigen politischen Fragen der Kampf ums Ganze: nämlich um ihre Ausbeutungsmacht selbst, die sie durch jedes Aufrüsten des Proletariats, durch jede Stärkung seiner Kriegsbereitschaft bedroht fühlen. Bis an die äußerste Grenze nutzen sie es aus, dass sie im Parlament die Herren sind. In dem nackten, kalten Lichte dieser Zusammenhänge hat die Arbeiterklasse das Verhalten der bürgerlichen Parteien zu den politischen Fragen zu erblicken, nicht im gleißenden Schimmer der Grundsätze und Programme, die im Kampfe des Bürgertums wider die politischen Gewalten der feudalen Gesellschaft entstanden sind. Sie haben für die Gegenwart ihre lebendige Kraft verloren. Das hat erst kürzlich die Hurrastimmung gezeigt, mit der Zentrümler und Liberale — die Fortschrittler dazu — gleich Unteroffizieren auf das Kommando der Regierung eingeschwenkt sind, um den Werwolfappetit des Imperialismus zu befriedigen.

Diese Lage der Dinge hämmert der Sozialdemokratie die Einsicht ein, dass der Schwerpunkt ihres politischen Kampfes nicht in den Parlamenten liegt, sondern unter den breiten proletarischen Massen, dort, wo sie deren ganze Macht entfesseln und wirksam machen kann. Massenaufgebot durch die Sozialdemokratie, Massenaktion unter ihrer Führung, für ihre Forderungen, das ist die Losung, um die die Auseinandersetzungen kreisen. Die wuchtigste und folgenschwerste aller proletarischen Aktionen ist der Massenstreik. Das haben die Ausgebeuteten dunkel empfunden, kaum dass sie sich als Klasse zu regen begannen. Der “Heilige Monat” der Chartisten erzählt uns davon. Das wird heute zum immer klareren Wissen der breitesten proletarischen Heerscharen. Nicht minder eindringlich wie die Lehren der russischen Revolution, der Massenstreiks in Belgien, Italien usw. reden davon zu der deutschen Arbeiterklasse die Tatsachen, die ihre Bedeutung, ihre Unentbehrlichkeit für die Wirtschaft, den gesamten Lebensprozess der bürgerlichen Ordnung melden.

Wie bitter Not es tut, dass die Partei sich gründlich mit der Frage der Massenaktionen, der Taktik auseinandersetzt, zeigt die Diskussion. Sie hat eine ganze Musterkarte irrtümlicher Anschauungen über das Wesen, die Voraussetzungen, die Möglichkeiten des Massenstreiks zutage gefördert. Darunter marschiert der Glaube auf an einen Massenstreik, der als einzelne Aktion, als äußerstes Kampfmittel zur Durchsetzung unserer Wahlrechtsforderungen in Preußen beschlossen und vorbereitet werden kann, da ertönen melancholisch die alten Unkenrufe vor jeder Massenaktion, jeder kühnen Taktik des Angriffes, solange unsere Organisationen sich nicht die große Mehrzahl der heute noch abseits stehenden Proletarier eingegliedert haben. Dazwischen schillert ein ganzer Regenbogen von Hoffnungen, Befürchtungen, Berechnungen, Wenn und Aber.

Was sagen die bis nun vorliegenden geschichtlichen Erfahrungen dazu? Sie legen ihr Veto dagegen ein, dass ein politischer Irrtum den andern ablöst, dass der Glaube an den Massenstreik als unfehlbares Universalkampfmittel den Glauben an den Nur-Parlamentarismus ersetzt. Auch der Massenstreik ist nur eine Kampfwaffe unter vielen, und ihr Gebrauch macht das alte Rüstzeug der Sozialdemokratie — den Parlamentarismus darunter — nicht etwa wertlos und überflüssig, sondern ergänzt es und gibt ihm neue Schneidigkeit und Wucht. Diese Waffe gleicht aber auch nicht einem Schwert, das die Arbeiterklasse nur einmal oder doch äußerst selten in der Notwehr, zur Verteidigung bedrohter Rechte aus der Scheide ziehen dürfte, allenfalls noch für ganz bestimmte Zwecke, die durch die Beschlüsse ihrer organisierten Elite festgelegt werden. In Zeiten scharf zugespitzter Klassengegensätze und Klassenkämpfe tritt der Massenstreik als die klassische Bewegungs- und Kampfform des Proletariats auf. Er ist der Ausdruck des Bewusstseins der Ausgebeuteten von den Forderungen, die sie an die bürgerliche Gesellschaft zu stellen haben, und der Macht, die sie hinter ihre Forderungen setzen können und restlos einzusetzen gewillt sind. Er kann den mannigfaltigsten politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Zielen der Arbeiterklasse dienen — vom Protest gegen Bluturteile der Klassenjustiz bis zum “Umsturz” eines Geldsackwahlrechts; er kann den verschiedensten Charakter tragen — vom wohl vorbereiteten disziplinierten Demonstrationsstreik bis zum elementaren Ausbruch eines Ausstandes, der die Gegner schließlich mit bewaffneter Hand widereinander treibt und eine politische Revolution in seinem Schoße trägt. Kurz, wer den Massenstreik als proletarisches Kampfmittel wertet, der darf die Welt der Klassengegensätze nicht aus der parlamentarischen Froschperspektive betrachten, der darf sich weder durch Plötzlichkeiten und Widersprüche im Verlauf des Kampfes noch durch Rechtsformeln und Gewaltmittel des kapitalistischen Staates schrecken lassen.

In all diesen Beziehungen haben wir uns vor Täuschungen zu hüten. Nicht minder aber auch vor dem Übersehen der Umstände, die den Massenstreik innerlich mit unserer allgemeinen Taktik verknüpfen. Indem dieser die breitesten Schichten des Proletariats als unmittelbar Handelnde, Entscheidende auf den Plan ruft und alle Springquellen ihrer Kraft erschließt, drängt er von der bloßen Abwehr kapitalistischer Ausbeutungs- und Machtgelüste zu jener besten Verteidigung des Proletariats, die der Hieb, der Angriff ist. Indem er die Klassengegensätze zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten schleierlos, in ihrer ganzen robusten, brutalen Gegenständlichkeit wirksam werden lässt, verträgt er sich nicht mit der Taktik des kompromissseligen Opportunismus. In Zeiten, wo die Notwendigkeit, die Unvermeidlichkeit des Massenstreiks immer greifbarer am Horizont auftaucht, da darf die Sozialdemokratie nicht “mit gedämpftem Trommelklang” in die Wahlschlacht ziehen, um Fortschrittlern Mandate zu retten; da sind die Extratouren der Großblockpolitiker ausgeschlossen; da kann von Budgetbewilligung und “passiver” Huldigung von Monarchen keine Rede sein. Als schärfstes Mittel des proletarischen Klassenkampfes muss sich der Massenstreik einer fest gegliederten, unzerreißlichen Kette schärfsten, grundsätzlichen Klassenkampfes einfügen. Jede Abschwächung und Verwischung des grundsätzlichen Wesens unserer Arbeit und unseres Ringens läuft in letzter Linie auch auf eine Schwächung der Zielklarheit und Festigkeit unserer eigenen Reihen hinaus; auf eine Verminderung des Vertrauens der Massen in ihre eigene Kraft und unsere Stärke und Zuverlässigkeit; auf eine Abschwächung unserer Stoßkraft im Augenblick schwerer Kämpfe.

Die Anerkennung des Massenstreiks als Kampfmittel heischt noch eine andere Umwertung der Begriffe in großen Parteikreisen. Sie bezieht sich auf die geschichtliche Rolle und Bedeutung der breitesten unorganisierten proletarischen Massen. Wir verstehen es durchaus, dass die kämpfende Vorhut der deutschen Arbeiterklasse mit dem höchsten Stolze auf ihre gewerkschaftlichen und politischen Organisationen blickt. Sie sind ihr ureigenstes Werk, aufgemauert und ausgebaut unter den größten Schwierigkeiten, mit ebensoviel eiserner Energie und praktischem Sinne wie hingebungsvollem Idealismus. Wir erachten es als selbstverständliche Pflicht, dass wir alle mit einem Eifer und einer Geduld für die Ausdehnung und Vervollkommnung dieser Organisationen wirken, als könnten wir ihnen den letzten Proletarier, die letzte Proletarierin zuführen. Wir verkennen auch nicht, dass angesichts der Klassenlage der Lohnarbeitenden und der gewaltigen, organisierten Machtmittel ihrer Todfeinde die Organisation für die Waffengänge des Proletariats von größerer Wichtigkeit ist als für die früheren Befreiungskämpfe anderer unterdrückter Gesellschaftsschichten. Allein, all diese Erwägungen dürfen die Sozialdemokratie nicht veranlassen, den Höhegrad der Organisierung des Proletariats als ausschlaggebende Voraussetzung für den Massenstreik anzusprechen.

Vergessen wir nicht, dass die kapitalistische Wirtschaft fast täglich neue Proletariermassen schafft, die in Zeiten ohne große, klirrende Konflikte nur sehr allmählich für die sozialdemokratischen Lehren und Organisationen gewonnen werden. Verschließen wir uns nicht der Tatsache, dass die nämliche Wirtschaft nicht nur während der Krisen Hunderttausende, sondern auch in den Tagen des Aufschwunges größere und kleinere Gruppen, zahllose einzelne Proletarier in die brotlose Reservearmee stößt. Angesichts dieser Umstände und anderer noch ist im Hinblick auf Massenbewegungen die Auffassung verhängnisvoll, dass eine starre Mauer die organisierten von den unorganisierten Proletariern scheidet, dass auf der einen Seite die fest geschlossene, wohl disziplinierte Phalanx steht, die allein zu kämpfen und zu siegen vermag, auf der anderen aber “der Janhagel”, der den Kampf nur kompromittiert und gefährdet. Es ist gewiss unbestritten, dass in jeder Massenbewegung großen Stils und von weittragender Bedeutung die Organisierten die richtungs- und zielklaren Kerntruppen stellen müssen, dass ihre Kader das denkende, leitende Hirn, das feste Rückgrat der Aktion sind. Jedoch ebenso gewiss ist, dass diese Kader, auf sich allein angewiesen, die gewaltigen Zukunftsschlachten nicht siegreich zu bestehen vermögen. Sie bedürfen außer der höchsten Kampftugenden ihrer eigenen Glieder auch des drängenden Ungestüms und der Opferwilligkeit ungezählter Proletarier, die erst eine unwiderstehliche Massenbewegung erweckt, sammelt, organisiert und schult. Der raue Sturm bläst Schläfer auf, die einst sanft säuselnder Zephir ruhig weiter schlummern ließ.

Entscheidender für die Möglichkeit, den Erfolg von Massenstreiks als die Frage nach den Prozentsätzen der organisierten und unorganisierten Proletarier ist eine andere. Wie erlangt die Sozialdemokratie das Höchstmaß politischen, moralischen Einflusses auf die werktätigen Massen, die noch nicht zu ihrer Gefolgschaft zählen? Wir können sie heute summarisch nur dahin beantworten: dadurch, dass sie kühn zu scheinen wagt, was sie ist, eine revolutionäre, proletarische Kampfpartei. Tritt sie im Großen und Kleinen, in Theorie und Praxis stets als eine solche auf, so wird ihr in den Zeiten heißen sozialen Schlachtgetümmels nicht das Vertrauen der Massen und die leitende Macht über sie fehlen. Dann kann sie den Kämpfen Brust an Brust mit den herrschenden Gewalten entgegensehen, die keck zuversichtlichen Spottverse Heinrich Heines auf den Lippen:

Ich rate euch, nehmt euch in Acht,

Es bricht noch nicht, jedoch es kracht;

Und es ist das Brandenburger Tor

Noch immer so groß und so weit wie zuvor

Und man könnt‘ euch auf einmal zum Tor hinausschmeißen,

Euch alle, mitsamt eiern Prinzen von Preußen —

Die Menge tut es.”

Kommentare