Clara Zetkin 19221020 Gegen die Verlängerung der Amtsdauer des Reichspräsidenten

Clara Zetkin: Gegen die Verlängerung der Amtsdauer des Reichspräsidenten

(Rede im deutschen Reichstag, 20. Oktober 1922)

[“Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 357, Berlin 1923, 260. Sitzung, S. 8830-8837]

Zetkin, Abgeordnete: Meine Damen und Herren! Wenn die Massen draußen die Haltung der verschiedenen Parteivertreter in diesem Hause zu der Präsidentenwahl beobachten, so könnte sich unwillkürlich der Ausruf auf ihre Lippen drängen: rechterhand, linkerhand — beides vertauscht.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Aber die Situation, in der dieser Ausruf auftauchen könnte, ist so furchtbar ernst, ist so schwer und gefahrenreich, ist zu belastet mit der Not, mit dem blutigen Elend der Massen, als dass sie sich mit der gemütlichen, feucht-fröhlichen Stimmungsphilosophie abzufinden vermöchten. In der Präsidentenfrage geht es in Wahrheit gar nicht darum, ob und wann gewählt wird und wer eventuell Reichspräsident wird. Es geht um weit größere Dinge: es geht um die Politik, die in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft über das Wohl und Wehe von ungezählten Tausenden, von Millionen entscheiden wird, und damit um das Schicksal dieser Millionen selbst. Denn, wie hier mit Recht gesagt worden ist der Reichspräsident ist in Deutschland keine bloß repräsentative Figur: er verfügt über eine erhebliche Macht, und es ist für die Massen nicht gleichgültig, ob er seine Machbefugnis auch im Dienste der breiten Massen der Schaffenden oder aber zu Nutz und Frommen der Besitzenden und der Ausbeutenden gebraucht.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Es fällt auf der Gegensatz in der Haltung der Parteien. Sie, meine Damen und Herren, die Sie rechts von uns Kommunisten sitzen, bis weit hinein nach jener Seite, schwören auf die alleinseligmachende Kraft des Stimmzettels. Sie glauben an die formale Demokratie, an den parlamentarischen Staat, und eine der wichtigsten Wesensäußerungen dieses parlamentarischen Staates ist die Wahl des Reichspräsidenten auf Grund des allgemeinen Stimmrechts. Diese Wahl ist gleichsam eine Zäsur zwischen der Monarchie und der bürgerlichen Demokratie. Was aber sehen wir? An Stelle der Wahl des Reichspräsidenten durch die breite Masse soll treten eine Ernennung durch parlamentarische Grüppchen im Verein mit politischen und wirtschaftlichen Koterien — außerhalb des Hauses.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

An Stelle der Bekundung der Volksauffassung und des Volkswillens ist nichts anderes getreten als ein parlamentarischer Kuhhandel vulgärster Art zwischen den Parteien.

(Erneute Zustimmung bei den Kommunisten.)

Das muss überraschend wirken. Denn zweifellos war die Sozialdemokratie früher nicht eingestellt auf diese Lösung der Präsidentschaftswahl. Der Herr Reichspräsident selbst hat wiederholt gefordert, dass der Tag seiner Wahl festgesetzt und die Vorbereitungen zu seiner Wahl getroffen werden möchten. Erst im Februar dieses Jahres hat der “Vorwärts” — ich glaube, es war am 22. Februar — ein bis dahin unbekanntes Schreiben des Herrn Reichspräsidenten veröffentlicht, in dem dieser den Herrn Reichskanzler aufforderte, die Schritte zur Vorbereitung der Reichspräsidentenwahl baldmöglichst vorzunehmen. In den Reihen der Sozialdemokratie hat man mit großer Entschiedenheit die Wahl des Reichspräsidenten am 3. Dezember gefordert. Kein Zweifel: die Sozialdemokratie konnte sie fordern, ganz ruhig, ohne sich in ihrer Machstellung bedroht zu fühlen. Hier im Reichstag hätte sich eine sichere Mehrheit dafür gefunden, dass die Wahl am Anfang Dezember stattgefunden hätte, wie es den Vorschriften der Verfassung entspricht.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Sie hätte weiter im Reichstage unter den verschiedenen Parteien eine genügend starke Majorität für die Kandidatur ihres Vertrauensmannes im Reichspräsidentenamt gefunden. Warum hat sie darauf verzichtet, diese Machtverhältnisse nicht wirksam werden lassen? Es lag auf der Hand, dass die Sozialdemokratie ein starkes Bestätigungsbedürfnis ihrer Politik durch die Massen empfand. Denn ihre Politik wirkte sich so verhängnisvoll und verderblich unter den Massen aus, dass der Kredit der Soziademokratie und ihres Reichspräsidenten ins Schwanken gekommen war, — außerhalb dieses Hauses.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Aber die Sozialdemokratie konnte darauf hoffen, einer Präsidentenwahl den Charakter eines bonapartistischen Plebiszits zu geben.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Wie der kleine Neffe [Napoleon III.] seinerzeit sich berief auf die Abstammung von seinem großen Oheim [Napoleon Bonaparte], so konnte die Sozialdemokratie für ihre bürgerliche, für ihre Koalitionspolitik, für die Stinnes-Politik der Reichsregierung, des Reichspräsidenten und der Reichstagsmehrheit sich berufen auf die angebliche Abstammung dieser Politik von einem großen Gedanken, von dem Programm der Sozialdemokratie, dem Programm einer großen, zukunftssicheren Klasse. Warum hat sie auf alle diese Chancen verzichtet, die sich ihr für die Durchführung eines Plebiszits dieser Art boten? Warum hat sie sich jetzt mit den rechts von ihr stehenden Parteien verbündet, um an die Stelle der Wahl die fertige Ernennung zu setzen, und das Wahlrecht, das sie sonst über den grünen Klee preist, außer Kraft zu setzen? Die Verbindung der Parteien, die den Antrag gestellt haben, von Scheidemann bis hinüber zu Stresemann oder von Scheidemann bis Stinnes — das ist vielleicht noch deutlicher — verkündet, dass die große Koalition fix und fertig ist,

(sehr wahr! bei den Kommunisten)

jene Koalition, die entschlossen ist, die bisherige verhängnisvolle Politik auf Kosten der werktätigen Massen weiter zu treiben. Gewiss, die Deutsche Volkspartei, die politischen Vertreter der Schwerindustrie und des großen Finanzkapitals, sind noch nicht in der Reichsregierung. Se brauchen auch gar nicht darin zu sein. Sie wären politisch unklug, wenn sie draußen im Reich als Mitagierende das Odium dieser Politik auf sich nehmen wollten.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Denn sie haben Wichtigeres, Entscheidenderes als den Platz in der Regierung. Sie haben die entscheidende Macht auf die Regierung, sie machen in Wirklichkeit Politik und nicht die kleinbürgerlichen, nicht die reformistisch-sozialistischen Elemente. Die dürfen zu der Politik von Stinnes, das heißt der Großbourgeoisie und der Junker, nichts anderes machen als eine sanfte demokratische, reformistische Musik.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Die Mehrheitssozialdemokratie ist damit in ihrer Haltung ganz konsequent den Weg von Görlitz über Augsburg und Nürnberg zur großen Koalition gegangen. Nicht allein, sondern zusammen mit den heimgekehrten verlorenen Söhnen und Töchtern, die sich wieder mit ihr in der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei zusammengeschlossen haben. Über die Politik aber, die die Sozialdemokratie im Bündnis mit der Bourgeoisie getrieben hat, gilt es bei der Wahl des Präsidenten Gerichtstag zu halten. Es ist ein zwiefacher politischer Fehler, den Sie von der Sozialdemokratie von Ihrem eigenen Standpunkt aus begehen, wenn Sie die Wahl hinausschieben und die Amtsdauer des jetzigen Reichspräsidenten durch eine Verfassungsänderung verlängern. Nicht nur, weil Sie damit die Gesetze, das Wesen Ihrer eigenen Demokratie verleugnen und mit Füßen treten. Noch aus einem anderen Grunde. Sie geben einem Vertreter der ärgsten Reaktion die billige Gelegenheit, sich hier als Schützer der Demokratie, als Schützer der Volksrechte aufzuspielen.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Es ist erheiternd. — die Götter müssen lachen, dass ausgerechnet Herr Hergst mit seinem Anhang sich über das Schicksal der Demokratie, sich über die Verleugnung der Volksrechte aufregt. Ach, die Politik langer Jahre beweist es, dass Herr Hergst und seinen Freunden die Demokratie Hekuba ist, dass das Volksrecht ihnen eine quantité negligeable ist, dass solche Dinge für die Herren da drüben nicht existieren.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Wir Kommunisten stehen grundsätzlich auf einem anderen Boden als die Herren da drüben. Wir sind gegen jede Präsidentschaft. Wir werten sie als ein politisches, ein historisches Überbleibsel der Monarchie.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Wir würden deshalb beantragen, die Präsidentschaft ab 1. Dezember dieses Jahres aufzuheben.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Die Kleinheit unserer Faktion hindert uns aber daran, eigene Anträge zu stellen. Wir wissen auch, wenn wir den betreffenden Antrag stellen könnten, so würde er glatt abgelehnt. Deshalb stellen wir uns auf den Boden der gegebenen Tatsachen und erklären: Gegen unseren Willen gibt es eine Reichspräsidentschaft. Gut, wir nehmen den Kampf dagegen auf, und damit den Kampf gegen unseren Feind, den Feind des Proletariats, gegen die Bourgeoisie, gegen die bürgerliche Gesellschaft. Wir nehmen den Kampf gegen den Feind überall auf, wo er steht, also auch bei der Reichspräsidentenwahl.

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten.)

Von diesem Gesichtspunkte aus fordern wir die Wahl des Präsidenten an dem verfassungsmäßig vorgeschriebenen Termin.

Was ist in der Hauptsache dagegen geltend gemacht worden? Man sagt: die Leidenschaften des Volkes würden in dieser Zeit durch die Wahl zu sehr erregt werden. Uns Kommunisten ist gerade die Erregung der Leidenschaften der Grund, weshalb wir die Wahl fordern.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.— Zurufe aus dem Zentrum.)

Die Massen sollen sich erregen, sie müssen sich erregen. Jeder, der bei den bestehenden Zuständen nicht erregt wird, jeder, der nicht seine ganze Energie, seinen ganzen Willen, seine ganze Kraft, bis zum letzten Tropfen seines Herzblutes daransetzt, diese Zustände zu beseitigen, verdient das Elend, in dem er lebt, und er ist mitschuldig an dem Elend, in dem breite Massen verderben.

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten.)

Von diesem Gesichtspunkt aus widersprechen wir auf das schärfste der Hinausschiebung der Präsidentenwahl.

Es ist uns selbstverständlich nicht besonders erquicklich, dass wir in dieser Haltung mit den Herren der Rechten übereinstimmen. Aber Sie haben schon von uns gehört, was ich ausführte, dass wir grundsätzlich von der äußersten Rechten abgrundtief geschieden sind. Die Vertreter der äußersten Rechten sind nicht grundsätzlich gegen die Präsidentenwahl wie wir. Wir wollen eine neue Staatsordnung, die Staatsordnung des schaffenden Volkes, wie sie allein in der Sowjetordnung verkörpert werden kann.

(Lachen im Zentrum.)

Lachen Sie nur! Wir in diesem Hause, die wir so alt sind wie Sie, geehrter Herr Kollege, erleben vielleicht noch die Zeit, wo Sie nicht lachen und wo ich nicht über Ihre Enttäuschung lachen, sondern jubelnd werde über befreite Massen, die durch die Sowjetordnung Herren ihres Geschicks geworden sind. —

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten. — Abgeordneter Beuermann: auf den Trümmern Deutschlands! Das bringen Sie fertig!)

Reden Sie nicht von den Trümmern Deutschlands. Können Sie sich einen größeren Trümmerhaufen, ein schlimmeres Chaos denken als dieses Deutschland,

(Sehr richtig! bei den Kommunisten)

das arm, ohnmächtig und gefesselt als Beute der Ententeimperialisten und der deutschen Bourgeoisie daliegt? —

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Wir wollen auf diesen Trümmern aufbauen, aufbauen in Freiheit für eine höhere Kultur. Daran hindert uns heute der Besitzteufel, der Profitteufel einer kleinen besitzenden Minderheit.

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten.)

Meine Damen und Herren! Ich wiederhole, es ist uns nicht besonders erfreulich, dass wir bei der Frage der Präsidentenwahl in eine Linie mit den Herren von da drüben gekommen sind. Wir sind abgrundtief geschieden, nicht nur, weil, ich betone es, wir gegen jede Präsidentenwahl sind, während jene Herren einen Präsidenten wollen, der nichts als ein Monarchenersatz ist, der Platzhalter und Wegbereiter einer Monarchie, irgendeiner Dynastie, deren Verfall seit Jahrzehnten zum Himmel schreit.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Den Herren da drüben ist außerdem das bisschen Demokratie, das die breiten Massen haben, schon zu viel. Sie möchten es auslöschen, sie möchten es zertreten. Uns ist es viel zu wenig. Wir haben keine Illusionen über das, was dieses bisschen bürgerliche Demokratie für die Arbeiterklasse Wert ist, aber so wenig es bedeutet, wir unterschätzen es nicht. Während Sie (zu den Deutschnationalen) nur danach sinnen und trachten, wie Sie diesen Anfang zur Demokratie beseitigen können, stehen wir allezeit bereit und gerüstet, diese armselige Demokratie gegen Sie zu schützen und zu verteidigen, und es wird sich zeigen, dass dieser Anfang zur Demokratie keine treueren, keine kampfentschlosseneren Verteidiger hat als gerade uns Kommunisten.

Meine Damen und Herren! Wir fordern die Präsidentenwahl am verfassungsmäßigen Termin, um Gerichtstag über jene Politik zu halten, als deren Exponent uns der Herr Reichspräsident erscheint. Wir haben selbstverständlich für die großen Tugenden und Vorzüge des Herren Reichspräsidenten, die her geschildert worden sind, jenes Maß der ergebenen Hochachtung, das uns durch die Strafgesetze aufgezwungen wird.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Als Privatpersönlichkeit stehen wir Herrn Fritz Ebert so kühl gegenüber wie irgendeiner andern Persönlichkeit. Aber als kämpfende Politiker haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Als Reichspräsident ist Herr Fritz Ebert kein unbeschriebenes Blatt mehr. Er ist nicht die ausgleichende Gerechtigkeit, die, alle Parteien, alle Klassen umfassend, hoch über den Wolken der sozialen Gegensätze und der Klassenkämpfe schwebt. Er ist, wie ich sagte, der Exponent einer bestimmten Politik. Diese Politik ist die Politik der großen Koalition, ist die Stinnes-Politik, und diese Politik bekämpfen wir.

Es ist zu den Massen draußen von den Verfechtern dieser Politik erklärt worden, eine andere sei gar nicht möglich. Deutschland müsse die Opfer und Leiden des unglückseligen, verloren gegangenen Krieges tragen; an ihm erfülle sich das harte, das grausame Los der Besiegten. Das ist gewiss wahr. Aber es ist nur eine Teilwahrheit, es ist nicht die ganze Wahrheit. Sehen Sie die Siegerländer, die Vereinigten Staaten, nach denen sich starke Goldströme ergossen haben und noch ergießen. Blicken Se nach England, nach Frankreich. Die Not der breitesten Massen ist auch dort zu einer tagtäglichen Erscheinung, zur internationalen Erscheinung geworden. Arbeitslosigkeit, Wucherpreise, Steuerlasten, Kindersterben und -verderben, Verwüstung der Volksgesundheit durch Unterernährung und durch Überarbeit usw., all das sind internationale Erscheinungen von Riesenmaß. Und was zeigt uns das? Eine ganz andere Tatsache, als wie Sie zugeben wollen. Nämlich, dass das Chaos, das der Weltkrieg geschaffen hat, dass der Trümmerhaufen, den er auftürmte, von der kapitalistischen Wirtschaft, der bürgerlichen Ordnung nicht gebannt werden kann. Alle Bestrebungen zur Wiederaufrichtung der kapitalistischen Wirtschaft sind bis jetzt erfolglos geblieben; die Weltbourgeoisie erweist sich unfähig, die Wirtschaft, den Staat zum Wohle der Allgemeinheit zu leiten und über die Massen zu regieren.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Unter diesem Gesichtwinkel müssen wir die Politik aller Parteien bewerten. Entsprechend diesem Stand der Dinge tritt die Frage auf, an der sich jede Politik orientieren muss: Reform oder Revolution? Proletarische Diktatur oder bürgerliche Demokratie? Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie oder schärfster revolutionärer Klassenkampf des Proletariats gegen sie?

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Messen wir mit diesem Maßstab die Politik des Herrn Reichspräsidenten, dann kommen wir zu dem Urteil: Gewogen und zu leicht befunden!

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Die Politik, die er vertritt, ist die der bürgerlichen Reform. Sie hat nicht in erster Linie das Wohl und die Freiheit der Arbeiter, sondern den Wiederaufbau und die Stärkung der kapitalistischen Wirtschaft und bürgerlichen Klassenherrschaft zum Ziele. Gerade wegen dieser Wesenheit der Reichspolitik erfreut sch ja der Herr Reichspräsident und mit ihm die gesamte Reichsregierung des Wohlwollens der Bourgeoisie. Die Rolle, die gerade der Herr Reichspräsident gespielt hat, um eine solche Politik zu ermöglichen und durchzuführen, ist bereits vor der Revolution rühmend anerkannt worden und hat dazu beigetragen, ihn als Politiker in den Vordergrund zu schieben. Der Herr Reichspräsident hat infolge seiner Politik aufgehört, ein Vorkämpfer für die Befreiung des Proletariats zu sein. Er ist zu einem Vertrauensmann der Bourgeoisie geworden.

Die Eignung hierzu ist, wie ich bemerkte, ihm bereits vor der Revolution von einer Seite bescheinigt worden, die nicht der Unfreundlichkeit gegen ihn verdächtigt werden kann. Ganz im Gegenteil! Im September 1918 zeigten sich bereits die deutlichen Zeichen des nahenden Zusammenbruchs. Da gab es Illusionsselige, die Deutschlands Rettung erhofften von dem fürstlichen Dilettantismus des Prinzen Max von Baden. Herr Anton Fendrich — er war damals, glaube ich, Mehrheitssozialist — fühlte sich berufen in der ebenso geschmacklosen als politisch törichten Rolle des Fürstenberaters und Fürstenerziehers an den Prinzen heranzutreten. Herr Fendrich beschwor ihn, die Rettung des Vaterlandes in seine Hand zu nehmen, und damit die Rettung der Monarchie und der Dynastie. Als seinen besonderen Helfer aber empfahl er ihm dringend Herrn Friedrich Ebert, den damaligen Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratischen Partei.

Herr Fendrich begründete seinen Vorschlag also:

Ebert ist Badener (Heidelberger), warmherzig und standfest. Nicht so feingliedrig und durchgeistigt wie Dr. David,

(Heiterkeit bei den Kommunisten.)

aber auch nicht so schulmeisterlich kristallisiert. Die Fraktion schiebt ihn seit längerer Zeit bewusst an besondere Vertrauensstellen. Er genießt in der Zone der Neutralen hohes Ansehen, besonders seit seiner letzten Unterredung mit Troelstra. Er verkörpert die ehrliche Urkraft der organisierten Arbeiterschaft wie kein anderer Abgeordneter

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

und ist erster Vorsitzender des Hauptausschuss im Reichstag und Parteivorstandsmitglied.

Ich will Ihnen sagen, wo Sie das Zitat finden und nachprüfen können: in der Schrift “Die Kluft, Ergebnisse, Briefe, Dokumente aus den Kriegsjahren 1914 bis 1919” von Anton Fendrich, Seite 92.

Die Revolution kam. Dass die Mehrheitssozialdemokratie unter der Führung Fritz Eberts das Vertrauen verdiente, dass ihr von ihrem Genossen, Herrn Fendrich, auf Vorschuss erteilt worden war, allerdings nicht ohne Grund, siehe Kriegspolitik, das beweist ein Zeugnis, ebenfalls nicht aus verdächtigem Munde.

In der 79. Sitzung der Nationalversammlung erfolgte ein Zusammenstoß zwischen dem deutschvolksparteilichen Abgeordneten Herrn Mittelmann und dem Reichsfinanzminister Erzberger. Herr Mittelmann hatte behauptet, das Riesenunglück der Zeit komme zwar zu einem Prozent von dem alten Regime, aber zu 99 Prozent sei es eine Folge des Umsturzes, der Revolution vom 9. November und insbesondere der Sozialdemokratie. Hören Sie, was nach Seite 2440 des Stenogramms Herr Erzberger, der Reichsfinanzminister, darauf antwortete:

Herr Mittelmann sagte: ein Prozent des jetzigen Unglücks komme aus dem alten Regime und 99 Prozent seien dem 9. November zuzuschreiben. Herr Abgeordneter Mittelmann, lesen Sie diesen Satz heute Abend und morgen früh noch mal nach, und dann fragen Sie sich selbst, ob Sie diesen Satz aufrechterhalten können. Es ist ja der 9. November herausgewachsen aus dem alten Regime, er ist die Folgeerscheinung des alten Regimes gewesen. Was ich früher aufgeführt habe, muss ich nochmals sagen: sie begehen eine große historische Unwahrheit, wenn sie den 9. November losgelöst für sich betrachten ohne das, was vorausgegangen ist (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. — Widersprich und Zurufe rechts. Glocke des Präsidenten.)

Erzberger fuhr fort:

Herr Mittelmann, wenn Sie wüssten — ich war damals am 9. November nicht in Deutschland, ich war im Walde von Compiègne — welch große Mühe speziell der heutige Reichspräsident sich in den letzten drei Tagen Tag und Nacht gegeben hat, um den Ausbruch der Revolution zu verhindern (Zuruf rechts)

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

jawohl — um eine gesetzliche Regelung herbeizuführen (lebhafte Zustimmung links), dann würden Sie nicht dieses Unrecht, das Sie den Männern antun, öffentlich im Reichstag aussprechen, wo diese allen ihren Einfluss einzusetzen versuchten, um zu retten, was zu retten war.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Das heißt: zu retten, was für die Bourgeoisie zu retten war, für die bürgerliche Ordnung. Auch Herr Hergt sollte sich manchmal an diesen Ausspruch erinnern. Er würde dann vorsichtiger mit den Geschichtstheorien sein, die er hier vorträgt.

Meine Damen und Herren, das Lob, das her der Politik der Mehrheitssozialdemokratie und ihres Führers im Reichspräsidentenamt gespendet worden ist, war wohl verdient. Das zeigt die Geschichte der kurzen Revolutionszeit, das beweisen die Jahre der rein bürgerlichen Reichspolitik seither. Wie liegen die Dinge? Die Volksbeauftragten, zu denen Herr Ebert gehörte, versprachen die rasche Sozialisierung. Was hat das Proletariat bekommen? Die Stinnesierung der Wirtschaft!

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Sie versprachen den Achtstundentag. Was erleben wir? Ein Kesseltreiben gegen den Achtstundentag. Sie versprachen eine Verteilung der Steuerlasten nach den Gesichtspunkten ausgleichender sozialer Gerechtigkeit. Was ist die Wahrheit? Eine erdrückende Steuerlast, die sich bis zum Mundraub steigert, gewälzt auf den Rücken der breitesten schaffenden Massen, darunter auch der vernichtete Mittelstand, und die Steuerdrückebergerei, die Steuerschieberei nach Milliarden seitens der Reichen und Sehrreichen

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Wir können das gesamte Gebiet der Politik durchgehen, alle Gebiete des sozialen Lebens, der sozialen Einrichtungen: überall die gleiche Erscheinung. Der Ansturm der arbeitenden Massen auf Freiheit, auf Recht, auf volles Menschentum ist zurückgeschlagen worden, und die Bourgeoisie herrscht wieder unbeschränkt in der brutalsten Weise.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Was Sie Demokratie nennen, das ist in Wirklichkeit die Diktatur der Bourgeoisie, eine Diktatur, ausgeübt mit Tücke und mit blutiger Gewalt.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Dass die Dinge diesen Weg gehen würden, trat schon in Erscheinung unter der Regierung der Volksbeauftragten, als der Stadtkommandant von Berlin, Wels, am 6. Dezember auf demonstrierende Kriegskrüppel und Arbeitslose schießen ließ. Es trat in die Erscheinung in den Weihnachtsfeiertagen, als die so genannten regulären Truppen die Angehörigen der Volksmarinedivision zusammen kartätschten, weil man diese Mannschaften für zu freiheitlich, für zu arbeiterfreundlich, für zu republikanisch und zu gefährlich hielt.

Die Januarkämpfe brachen aus. Was tat die Ebert-Scheidemann-Regierung? Sie ernannte Noske, jenen Noske, der nach seiner Ernennung einem Freund erklärte: “Meinetwegen! Einer muss der Bluthund sein. Ich scheue die Verantwortung nicht.” Sie können das nachlesen auf Seite 68 von Noskes Buch “Von Kiel bis Kapp”.

(Zurufe von den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Ausländisches oder inländisches Kapital! Ganz gleich. Ausländisches und inländisches Kapital sind Brüder, nicht in Christo, sondern in teuflischer, in rücksichtsloser Ausbeutung.

Die revolutionären Ereignisse entwickelten sich in Berlin weiter und die nämliche Regierung, die stärksten Schutz hatte für die Druckmaschinen und die Papierballen großer Verlagsgeschäfte, sie hatte keinen Schutz für die unglücklichen Vorwärtsparlamentäre, für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, vor den Mordbuben einer Offizierskamarilla.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Und die georgischen Sozialisten!)

Wir brauchen wahrhaftig nicht nach Georgien zu gehen. Bleiben wir doch im so genannten Vaterland. Ehe Sie sich über die angeblichen Zustände in Georgien aufregen, da gedenken Sie der Zehntausende von Arbeitern und Arbeiterinnen, die in Deutschland auf Kommando der Demokratie, auf Kommando von Arbeiterführern erschossen worden sind.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Zehntausende und Zehntausende!

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Ihre Schuld!)

Bitte, verehrte Frau Abgeordnete, vor der Geschichte können wir unsere Schuld tragen. Aber Sie können die Ihrige nicht verantworten, die Schuld, das Proletariat zuerst durch das Blutmeer des Völkermordes getrieben zu haben, zu Nutz und Frommen des ausbeutenden Kapitals.

(Rufe: Sie kennen ja keine Ziffern!)

Wenn Sie in Hinblick auf die revolutionären Kämpfe bei uns sagen, “Sie kennen ja keine Ziffern”, so antworte ich: und wenn es nur hundert Proletarier gewesen wären, die gefallen sind so bliebe es eine unsühnbare Schmach für die Arbeiterführer, die als Schildhalter der Bourgeoisie die Verantwortung dafür tragen. Sie sind schlimmer als die Galliffets und Cavaignacs des Juniaufstandes [1848] und der Kommune [1871 in Paris]: denn diese Arbeiterschlächter kamen nicht aus dem Proletariat, sie verrieten es nicht, sie haben getan, was ihres geschichtlichen Amtes als Glieder der Bourgeoisie war.

(Zurufe aus der Mitte und von den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Sie reden ja von Russland, wie der Blinde von den Farben redet; Sie kennen weder die Geschichte der Revolution noch das Treiben der Gegenrevolution. Für Sie sind Gewalttaten erlaubt, um die Arbeiter niederzuschlagen und die Bourgeoisie zu schützen; aber Gewalt ist Ihnen verhasst, wenn sie sich im Interesse der Befreiung des Proletariats gegen die Bourgeoisie richtet.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Das ist der springende Punkt.

(Fortgesetze Zurufe aus der Mitte und von den Vereinigten Sozialdemokraten.— Gegenrufe von der äußersten Linken. — Pause.)

Vizepräsident Dr. Rießer: Ich darf die Rednerin bitten fortzufahren, die Damen und Herren bitte ich, die Rednerin nicht zu unterbrechen.

Zetkin, Abgeordnete: Ach nein, dies Kind, kein Engel ist so rein.

(Zuruf: Wie Sie!)

Ich habe niemals den Anspruch gemacht auf solche Tugenden. Das überlasse ich anderen. Ich habe stets meine Überzeugung konsequent vertreten, ehrlich und offen. Niemand kann mir das bestreiten. Ich habe mich nie mit Auffassungen geschmückt, die ich für unrichtig hielt. Ich habe auch nie einer politischen Überzeugung die Treue gebrochen.

(Sehr gut! bei den Kommunisten. — Zuruf von den Deutschen Demokraten: sie haben das Todesurteil doch mit unterschrieben!)

Sie reden wieder über Dinge, die Sie gar nicht wissen. Sie verbreiten Nachrichten, die von weißgardistischen Schuften erfunden, von Schuften weiterkolportiert und von Narren geglaubt worden sind.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Das sage ich zu dieser Sache. Ich sage dies jedem, wer er ist, und wie er auch heiße, der solche Nachrichten verbreitet.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Genosse Rosenfeld hat uns etwas anderes berichtet!)

Das ist kein Beweis für die Wahrheit; die amtlichen Stenogramme liegen vor.

(Fortgesetzte Unterbrechungen von der äußersten Linken und aus der Mitte.)

Es erfolgte dann die Fortsetzung dieser Politik des Duckens vor der Bourgeoisie und des Verrat der proletarischen Interessen.

(Erneute Zurufe von den Deutschen Demokraten und den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Ach Genossen, lasst Sie doch. Das ist doch nur, um abzulenken von den eigenen Sünden in Deutschland. Ich sage, es herrschte die Politik des Duckens vor der Bourgeoisie, des Zurückweichens vor der Bourgeoisie und des Verrats der proletarischen Interessen. Es erfolgte die Verhängung des Belagerungszustandes über Groß-Hamburg, über Bremen-Vegesack, über Braunschweig, über den Freistaat Sachsen. Und die Verhängung des Belagerungszustandes kam nicht allein; es kam das Standrecht, es kamen die Volksgerichte in Bayern, die Sondergerichte im übrigen Reich.

Diese Art des Regierens mit dem Belagerungszustand, mit Standrecht, mit Zuchthausurteilen ist zu einem erheblichen Teil das persönliche Werk, die persönliche Schuld des jetzigen Herrn Reichspräsidenten.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Der Artikel 48 der Reichsverfassung gab ihm die Vollmacht, den Belagerungszustand mit Standrecht zu verhängen, Sondergerichte einzusetzen, zunächst nur dort, wo der Belagerungszustand verhängt war, später auch in Gebieten, wo dieser nicht verhängt war. Die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten vor den Sondergerichten waren so eingeschränkt, so winzig wie die Rettungs- und Verteidigungsmöglichkeiten derer, die von der Soldateska an die Wand gestellt oder auf Grund des Standrechts verurteilt wurden.

So weitgehend sind die Machtbefugnisse dieses Art. 48 für den Reichspräsidenten, dass bei der Beratung in der Nationalversammlung nicht etwa ein bösartiger Kommunist, sondern ein sachkundiger Abgeordneter der Unabhängigen Sozialdemokratie erklärte, der Art. 48 würde einen gesetzlichen Zustand schaffen, wie er in Preußen vor dem Jahre 1848 bestanden habe. Herr Dr. Oskar Cohn sagte: So schlecht das preußische Belagerungsgesetz von 1851 auch sei, so biete es doch mehr Rechtsgarantien als die vorgeschlagene rechtliche Regelung. In der Tat! Geradezu unbeschränkt ist die Vollmacht, die dem Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48 der Verfassung gegeben ist. Und abermals war es kein Kommunist, sondern ein rechts stehender Abgeordneter der Nationalversammlung, der Herr Graf zu Dohna, Rechtsprofessor in Heidelberg, der das Ausnahmerecht, das man schuf, stigmatisierte. Er erklärte, es sei notwendig, diesen Stand der Dinge baldmöglichst zu beseitigen durch eine reichsgesetzliche Regelung der einschlägigen Materie. Das war 1919! Seither ist nichts geschehen, um diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Noch ist es Ausnahmerecht, das nicht nur über de Freiheit, das über Leben und Tod vieler entscheidet. Keine reichsgesetzliche Regelung der Materie ist erfolgt. Noch heute bestehen die Bestimmungen des Art. 48 statt Gesetz, und der Herr Reichspräsident hat in reichlichem Maße Gebrauch davon gemacht. Allerdings nicht, wie man erwarten sollte, mit der ganzen Wucht, die möglich gewesen wäre, gegen Sie dort auf der rechten Seite, die Sie die Republik mit allen Mitteln zu beseitigen trachten und die es hundertmal herausgefordert hätten, dass die Bestimmung des Art. 48 rücksichtslos gegen Sie angewendet würden. Nein, immer nur gegen links, gegen kämpfende revolutionäre Proletarier und ihre Führer.

(Zuruf von der äußersten Linken: Sogar im Kapp-Putsch!)

Sogar und besonders im Kapp-Putsch, jawohl! Und wenn man die Lehre des Kapp-Putsches vergessen wollte, dass die Leidtragenden, die Bestraften jene Proletarier waren, die für die Erhaltung der Republik gekämpft hatten, die die Republik tatsächlich schützen wollten, so braucht man jetzt nur an das Urteil in dem Leipziger Prozess gegen die Rathenau-Mörder zu denken, ein Urteil, das einen Justizskandal darstellt, ein Urteil,

(sehr richtig! bei den Kommunisten)

das nichts anderes bedeutet als eine Prämie für die Mörder republikanischer Minister.

Auf Grund der Vollmachten des Art. 48, die bei weitem die Befugnisse übersteigen, die Wilhelm II., der halb absolutistische Monarch, ausgeübt hat, sind von Herrn Ebert mit einem Federstrich eine ganze Reihe wichtiger politischer Rechte der werktätigen Massen ausgelöscht worden. Das Recht, Druckschriften zu verbreiten, ist bedeutend eingeengt worden und kann jederzeit aufgehoben werden. Die Arbeiter, die Beamten waren in den Tagen des Kapp-Putsches von der Reichsregierung zum Streik aufgerufen worden, um die bedrohten Minister- und Regierungssessel und Eberts Präsidentschaft zu retten.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Jetzt ist den Eisenbahnern, den Beamten überhaupt, das Streikrecht kurzerhand vernichtet worden.

(Zuruf von den Sozialdemokraten: Wie in Russland! — Gegenruf von den Kommunisten: Diese Papageien!)

Vielleicht dass Sie auch noch einmal mit genau der nämlichen Eintönigkeit schreien: wie in Deutschland, wie in Deutschland!

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Das Streikrecht der Arbeiter in den Gas-, Wasserleitungs- und Elektrizitätsbetrieben ist erheblich eingeengt worden. Kurz, wohin man blickt, kein Vorwärts für das Recht, die Macht der Arbeiter, umgekehrt. Die ganze Politik der Regierung und des Reichspräsidenten steht im Zeichen der Verse:

Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo,

Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid.

Der Cid der alten Sozialdemokratie! Rückwärts, oder auch vorwärts, wie Sie wollen, hin zu Stinnes, zur großen Koalition.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.— Abgeordneter Fischer [Berlin]: Ich habe Sie anders eingeschätzt!)

Wissen Sie, Herr Abgeordneter, wenn Sie mich je anders einschätzen würden, würde ich mich direkt beleidigt fühlen bei der Politik, die Sie getrieben haben.

(Sehr gut! bei den Kommunisten. — Zurufe von den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Ich will lieber von Ihnen getadelt werden, ich will lieber mit den letzten Bolschewiki in der Hölle brennen, als mit Ihnen und Ihresgleichen im Paradiese sitzen.

(Sehr gut! bei den Kommunisten. — Große Heiterkeit.)

Das war eine Antwort auf ihre Anmaßung.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: sehr klein!)

Gerade mit dieser Ihrer Politik gilt es für uns abzurechnen durch die Beteiligung am Wahlkampf um die Besetzung des Präsidentenamtes. Sie fürchten diesen Kampf, Sie wollen ihm aus dem Wege gehen. Sie machen uns vielleicht zum Vorwurf, dass wir die gleiche Forderung erheben wie die Deutschnationalen und sagen: In welche Gesellschaft kommt Ihr da! In die Gesellschaft der Helfferich! Meine Damen und Herren! Es gab eine Zeit, und sie dauerte lange, wo die Herren und Damen da drüben (zu den Vereinigten Sozialdemokraten) sich in Bundesbrüderschaft mit Herrn Helfferich befunden haben. Das war in der Periode der Kriegstreiberei. Manchmal erinnere ich mich daran, wenn die kochende Volkseele da drüben (zu den Vereinigten Sozialdemokraten) zu sehr gegen Herrn Helfferich tobt. Das Bündnis der deutschen Sozialdemokratie mit der Bourgeoisie wurde ausgerechnet im gastfreien Hause des Herrn Unterstaatssekretärs Helfferich besiegelt.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Denn dort war es, wo die sozialdemokratischen Führer, unter ihnen Herr Ebert, mit Wilhelm II. zwar nicht die Friedenspfeife geraucht, dafür aber vielleicht den Friedenssandwich und Friedenschampagner verzehrten.

(Heiterkeit.)

Ich glaube, dass vielleicht auch Herr Helfferich, wenn man ihn als Kriegshetzer, Kriegsverbrecher und Kriegsdurchhalter hier so heftig berennt, sich an jene Zeiten erinnert, wo die nämlichen Herren, die ihn heute beschimpfen, zu den Durchhaltern und Kriegsverlängerern gehörten. Er wird von diesen Zeiten sicherlich mit philosophischer Ruhe sagen:

O jerum, jerum, jerum

O quae mutatio rerum!

Und möglicherweise wird er in seinem Innern hinzufügen, dass er zu der Überzeugungstreue und Charakterstärke jener Herren — wie soll ich parlamentarisch sagen — bewundernd hinaufschaut.

(Heiterkeit. — Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Sie (zu den Vereinigten Sozialdemokraten) warnen uns, dass wir durch unsere Stellungnahme politisch in nahe Verbindung mit den Herren da drüben kommen. Das ist keineswegs der Fall. Denn die Deutschnationalen wollen wie ich bereits sagte, die Monarchie, wir aber wollen die Sowjetrepublik. Entgegengesetztere Pole können sie sich gar nicht denken.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Außerdem ist es unsere Auffassung, dass gegenwärtig die wahre Kampffrage, um die es in der Politik und damit bei der Reichspräsidentenwahl geht, nicht steht: Republik oder Monarchie. Sie steht anders: Bourgeoisie oder Proletariat.

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten.)

Die Herren da drüben haben in Wirklichkeit ihren Frieden mit der Republik geschlossen und denken, was am Sonntag im Zirkus Busch von einem der ihren ausgesprochen wurde: die Novemberdemokraten können sehr rasch wieder Märzmonarchisten werden, je nachdem die Dinge laufen. Die politische, die wirtschaftliche Konjunktur bestimmt das. Die Schwerindustriellen, die Finanzkapitalisten haben sich überzeugt, dass ihre Wirtschafts- und Herrschaftsinteressen auch im Rahmen der Republik in Deutschland trefflichst gewahrt werden.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Aus dieser Erkenntnis, aus dieser Erfahrung heraus haben die Herren der Volkspartei den Mehrheitsantrag, der Ihnen vorliegt, unterschrieben. Außerdem scheint mir, dass man die monarchistische Gefahr, die auftauchen kann, doch nicht zu sehr überschätzen darf. De wirklichen, überzeugten Monarchisten haben ja nicht einmal einen leidlich repräsentablen Thronprätendenten für Deutschland. Niemand wird sich doch einen aus der Familie des Ameronger Memoirenschreibers [Wilhelm II.] als Reichsoberhaupt vorstellen können.

(Zuruf rechts: Pfui! — Lachen links.)

Bitte, jetzt habe ich das Wort, verehrter Herr! Ich will Ihnen antworten, dass Sie bei Ihrem Pfui wahrscheinlich an die geringen politischen und literarischen Qualitäten der Memoiren gedacht haben. Sie lassen die tiefe Dekadenz einer Dynastie erkennen, wenn Sie diese Memoiren mit dem vergleichen, was seinerzeit der Mann geschrieben hat, den Sie schmeichelnd den Weisen oder den Philosophen von Sanssouci zu nennen pflegen [Friedrich II. (1712-1786)]. Ein Vergleich der schriftstellerischen Leistung hier und dort ist außerordentlich lehrreich für die Beurteilung der geschichtlichen Entwicklung und ihrer Rückwirkung auf die Herrschergeschlechter. Jedoch zur aufgerollten Hauptfrage ist eins zu bedenken: Wir haben in Deutschland breite Schichten des Klein- und Mittelbürgertums, die durch den Krieg und seine Folgen, die unter der rücksichtslosen, schamlosen Herrschaft der Bourgeoisie, durch das triumphierende Großkapital expropriiert und proletarisiert worden sind. Die Verteidiger der bürgerlichen Ordnung schreiben über die Expropriation, die Vernichtung des Mittelbürgertums und Kleinbürgertums, das unter der Herrschaft des Proletariats droht. Ach, meine Herren, eine siegreiche proletarische Revolution hätte in zehn Jahren mit den menschlichsten, mildesten Methode den Mittelstand wirtschaftlich nicht so aufreiben und vernichten können, als Ihr Krieg das getan hat und Ihre Politik das tut, die die kapitalistische Herrschaft auf Kosten der breiten Massen wieder aufrichten soll. Wir haben tatsächlich keinen Mittelstand mehr, der Mittelstand ist proletarisiert.

(Zuruf rechts: Sie wollen keinen!)

bitte, das ist eine andere Frage. Ich konstatiere nur die Tatsache. Es kommt nicht in Betracht, was wir wollen, sondern was ist.

(Erneuter Zuruf rechts.)

Ich klage auch nicht darüber als geschichtliche Entwicklungserscheinung, aber ich fühle mit den Menschen, die das Elend dieser Expropriation tragen müssen. — Ich habe nie Mittelstandsfreundlichkeit geheuchelt! Aber ich will Ihnen eins sagen: wenn ich die geschichtliche Erscheinung nicht beklagen kann, so bedaure ich die brutalen Formen, unter denen diese Vernichtung sich unter der Herrschaft der Bourgeoisie vollzogen hat.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Eine proletarische Klassenherrschaft würde nun und nimmer solches Elend, solche Formen der Vernichtung für den Mittelstand schaffen!

(Lebhafte Zurufe rechts: siehe Russland!)

Ich bin die letzte, die Not und das Elend in Russland zu leugnen und meine russischen Freunde tun es noch viel weniger. Aber das ist eine Tatsache: in Russland geht die Entwicklung aufwärts.

(Lachen rechts)

dort bessert sich die Lage, aber bei uns wird sie immer schlimmer.

(Rufe rechts: Und das glauben Sie?)

Jawohl! Denken Sie doch an die eine Tatsache, dass die russische Sowjetregierung bis jetzt durch alle Macht der Weltbourgeoisie, durch alle kapitalistischen Regierungen nicht niedergerungen worden ist. Schauen Sie dagegen die klägliche Rolle, deren man sich schämt, die das Deutsche Reich, die seine Regierung bei internationalen Konferenzen usw. spielt.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.— Zurufe rechts.)

Gewiss, auch die Rote Arme. Denn es gilt, die Freiheit zu verteidigen gegen die kapitalistische Profitgier und Herrschsucht! Es ist aber ein andres, ob man die Freiheit der ungeheuren Mehrheit verteidigt oder den Geldsack, die Profitgier einer kleinen ausbeutenden Minderheit. Und wenn Sie (nach rechts) diesen tiefen Unterschied nicht begreifen, — die Massen begreifen ihn, und sie werden ihn Ihnen eines Tages auch begreiflich machen!

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Aus der hervorgehobenen Verelendung der Mittelschichten kann allerdings eine monarchistische, eine reaktionäre Strömung Kräfte gewinnen. Warum? Die Leute sagen sich: vor dem Kriege war es anders, war es besser. Zurück in die Vergangenheit! Sie sind geschichtlich nicht geschult genug, um zu wissen, dass der Weg zur Rettung nicht nach rückwärts geht, sondern vorwärts zu neuen, zu höheren Formen der Wirtschaft und des sozialen Lebens. Aber gerade bei einem Wahlkampf gilt es, auch diese Schichten der Gesellschaft aufzuklären und dadurch zu bestimmen, ihre Interessen selbst zu verteidigen.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Wir Kommunisten fordern die Massen auf, in der Präsidentschaftsfrage ihr Recht auf Entscheidung zu wahren gegenüber dem Versuch, parlamentarische Koalitionen zum entscheidenden und ausführenden Organ zu machen. Die Entscheidung darf nicht in die Hände von kleinen Grüppchen gelegt werden, statt in die Hände der werktätigen Massen selbst. Sie meinen, durch diese Komödie die Aufmerksamkeit der Massen abzulenken von der Not, die über ihren Häuptern zusammenschlägt. Das wird Ihnen nicht gelingen. Zu groß ist die Not, zu blutig das Elend. Jeden Tag vom Morgen bis zum Abend greift das Elend in das Leben von Millionen schaffender Männer ein, und vor allem in das Leben der schwächeren und schwächsten Glieder der Gesellschaft, in das Leben der Frauen, in das Leben der Kinder, in das Leben der Alten und Siechen, in das Leben der Kleinen und Unbemittelten. Das Aufmerken der Massen auf die Sprache der Not wird der Anstoß sein, dass sie für ihre Interessen kämpfen. Sie werden zum Bewusstsein der Größe des Elends kommen und sie werden reifen an Erkenntnis und an Kraft des Willens für die Gewissenspflicht, selbsttätig zu sein. Wir fordern einen Wahlkampf als ein Mittel unter vielen Mitteln, die Massen zur Selbstbesinnung, zur Selbsterkenntnis, zur Selbstbetätigung und zur Selbstbefreiung zu bringen. Zunächst zum Kampf, um die ungeheure Elendswelle zurückzudämmen, die über sie heranflutet. Zum Kampfe darum gegen die Profitsucht des herrschenden Kapitals, das die Proletarier als Wertschaffende und als Verbraucher ausplündert, zum Kampf gegen die Lasten, die den Massen aufgebürdet werden. Zum Kampfe auch dagegen, dass die politische Macht, dass die republikanische Staatsgewalt, die das Werk der Massen ist, sich als feilen Werkzeug der Bourgeoisie gegen die Massen kehrt.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Finanziell und wirtschaftlich auf allen Gebieten müssen sich die Massen in Selbstverteidigung zum Kampfe stellen. Es geht um Leben und Sterben für Millionen, um die Zukunft ihrer Kinder, ihrer Klasse. Die Forderung der Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter, die wir Kommunisten im Kampfe gegen das Massenelend in den Vordergrund stellen, ist in Verbindung mit dem Kampf für die Arbeiterregierung nur ein erster Schritt vorwärts zur Verteidigung des Proletariats. Der Verteidigung folgt der Vorstoß für die Eroberung der politischen Macht.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Der Klassenkampf des Proletariats muss verschärft, muss gesteigert werden. Er wird sich nicht darauf beschränken, die Präsidentenwürde zu beseitigen. Er muss dazu führen, den ganzen parlamentarischen Staat zu überwinden und an seiner Stelle aufzurichten die proletarische Diktatur in der Sowjetordnung. Die Massen sammeln sich in dem Kampfe gegen das Elend, sie werden in diesem Kampfe vorwärts schreiten, dem höheren Ziel entgegen, mit immer größerer Reife der Erkenntnis, mit immer größerer Stärke des Willens, mit immer größerer Hingabe und Opferfreudigkeit. Wir haben die Kämpfenden, die ihr Lebensrecht, ihre nackte Existenz verteidigen, stets hingewiesen auf Sowjetrusslands Bespiel. Die Massen werden wegweisende Erkenntnisse gewinnen für ihren Kampf, und sie werden dort das Wichtigste finden: jenen gewaltigen Geist der Begeisterung für ein hehres Ziel, der Energie, des unerschütterlichen Willens, der das Äußerste nicht scheut. Sie werden jeden Tag ihre ganze Kraft daran setzen, die kleinen Erleichterungen ihrer Nöte zu erkämpfen mit einer Energie, als ob es sich handle, das große leuchtende Zukunftsziel zu verwirklichen; sie werden für das große leuchtende Zukunftsziel mit einer Siegeszuversicht und Hingabe kämpfen, als ob es schon morgen zu erreichen wäre. Sie höhnen, dass wir eine Minderheit sind. Wir werden nicht immer die Minderheit sein. Mit uns werden wachsende Massen marschieren, die fest entschlossen sind, den Wahlspruch wahr zu machen: Lieber tot als Sklave! Diese Massen werden gegen alle Mächte der Bourgeoisie siegreich sein, und über ihren Sieg werden nicht die schwarz-rot-goldenen Fahnen der Demokratie wehen, nein die roten Banner des Sowjetstaats mit Hammer und Sichel!

(Lebhafter Beifall bei den Kommunisten.)

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