Clara Zetkin 19230307 Gegen Poincaré und Cuno

Clara Zetkin: Gegen Poincaré und Cuno

(Rede im deutschen Reichstag, 7. März 1923)

[“Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 358, Berlin 1923, 312. Sitzung, S. 9989-9996]

Meine Damen und Herren! Die Rede des Herrn Reichskanzlers hat gestern hier im Hause den demonstrativen Beifall einer erdrückenden Mehrheit gefunden.

(Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.)

Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nach zwei Seiten hin eine gewisse Enttäuschung hinterlassen hat. Die Enttäuschung kommt, wenn auch nur leise anklingend, nicht nur in der “Vossischen Zeitung” zum Ausdruck, sondern auch in anderen Organen. Ja, meines Dafürhaltens klingt sie auch leise in dem Artikel des verschämten Regierungsorgans an: des “Vorwärts”.

(Heiterkeit.)

Enttäuscht worden sind jene, die von der gestrigen Regierungserklärung einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Frankreich erwartet haben. Enttäuscht aber sind auch eine anderen, die meinten, die Regierungserklärung würde positive Angaben über eine zu suchende Vermittlung und Verständigung bringen. Weder von dem einen noch von dem anderen ist die Rede gewesen. Wenn wir zu einer Schlussfolgerung gelangen wollen, wie sich die Reichsregierung ihre Stellungnahme, ihre weitere Politik angesichts der Ruhrbesetzung denkt, welche Aussichten diese Politik eröffnet, so finde ich dafür nur ein höchst banales Wort, das aber meiner Meinung nach der Banalität der Regierungspolitik und der Banalität der Regierungserklärung entspricht: nämlich: es wird fortgewurstelt!

(Sehr wahr! bei den Kommunisten. — Lachen rechts.)

Das heißt: die Regierung sucht zu lavieren, sowohl zwischen denjenigen, die nach einer scharfen, starken Entscheidung drängen, wie nach der Seite derer, die einer Verständigung mit dem französischen Imperialismus das Wort reden.

Gewiss: der Herr Reichskanzler hat ziemlich unfreundlich vielleicht als Verrückte jene abgeschüttelt, die von einem Revanchekrieg träumten. Aber andererseits hat er auch das Wort geprägt: “Fort mit dem Gerede von Verhandlungen!” Die “Kreuzzeitung” legt das Wort in ihrem Sinne aus und während von anderer Seite das Schwergewicht der Rede darin erblickt wurde, dass der Herr Reichskanzler wohl gezählte fünf Male festgestellt hat, die Reichsregierung sei einer Verständigung mit den französischen Imperialisten zugänglich gewesen. Also Sie sehen: die Rede ist sehr auslegungsfähig, und ich meine, in einer Situation wie der gegenwärtigen, ist es außerordentlich verhängnisvoll, wenn das delphische Orakel befragt werden muss, was eigentlich mit der Erklärung gemeint gewesen ist. Ich bin überzeugt, dass es nicht nur hier, sondern auch draußen sehr viele geben wird, die von der gestrigen Sitzung sagen: viel Lärm um nichts! Weshalb die feierliche Aufmachung einer besonderen Regierungserklärung vor dem Reichstage, wenn in ihr nichts Positiveres gesagt wurde über den Ausweg aus Not und Elend, als was wir gestern hier gehört haben?

Der Herr Reichskanzler hat, anstatt einen positiven Ausweg zu zeigen — unseres Dafürhaltens einen positiven Ausweg! — reichlich Klagen und Anklagen gegen den französischen Imperialismus erhoben. Nach unserer Meinung mit Fug und Recht. Er hätte noch zehnmal mehr, er hätte noch mit zehnmal schärferen Ausdrücken den französischen Imperialismus wegen des Ruhreinbruchs geißeln können: es wäre nicht ein Wort zu viel gewesen, und es wäre nicht ein Wort zu scharf gesagt worden.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Aber andererseits: wie kann überhaupt jemand, der im politischen Leben steht, über die Taten, über die Untaten, über die beispiellosen Verbrechen des französischen Imperialismus im unklaren und durch sie enttäuscht sein?! Wie kann er die Illusion hegen, wir könnten mit dem französischen Imperialismus zu einem friedlichen, zu einem — wie soll ich sagen — brüderlichen Verhältnis kommen?! Wir wissen, was der französische Imperialismus wert ist, mag er sich auch zehnmal auf die Demokratie berufen. Denn wir wissen, was die Demokratie wert ist! — nicht bloß in Frankreich! — in allen Ländern wert ist, so lange sie ihrem Wesen nach bürgerliche Demokratie und nicht proletarische Demokratie ist,

(sehr wahr! bei den Kommunisten.)

nicht revolutionäre Demokratie.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Wie in Russland!)

Was die von manchen Elementen auch in Deutschland hoch gepriesene alte westliche Demokratie wert ist, das hat sich gerade in Frankreich sehr bad nach ihrer Geburtsstunde gezeigt, als sie die Junikämpfer in Paris 1848 niederkartätschen ließ. Warum? Weil diese armen Teufel — sie mochten noch unklar über das Wie und die Bedingungen denken — den ernsten Willen hatten, die blaue, die bürgerliche Republik zur roten, zur sozialen Republik umzugestalten. Was die französische Demokratie wert ist, wir wissen es seit den Kommunetagen von 1871,

(sehr wahr! bei den Kommunisten.)

als sie die Vorkämpfer des französischen Proletariats, des Pariser Kleinbürgertums zu Tausenden niedermachen ließ, zu Tausenden in die Kerker warf und in die Verbannung nach Neu-Kaledonien und anderen tödlichen Plätzen schickte.

Wer aber etwa den Glauben hegen könnte, die französische Demokratie habe sich im Zeitalter des Imperialismus gewandelt und gebessert, der müsste durch eine Tatsache belehrt sein: durch den Schmachvertrag, den die französische Demokratie mit dem sterbenden Zarismus im Februar 1917 abgeschlossen hat. Den Vertreter der ärgsten Reaktion, den Vertreter der rückständigsten Regierungsform, die Verkörperung aller Knechtschaft, aller politischen Willkür umarmte sie als Bundesgenossen und gab ihm als Bundesgenossen Raubrecht über wichtige Teile von Deutschland.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Und als in Russland die Demokratie kam, noch nicht einmal die wilde, “proletarische revolutionäre Demokratie der Bolschewiki”, nein, die sehr zahme Demokratie der Kerenski und Konsorten, die bürgerliche Demokratie, die reine Demokratie nach Ihren Begriffen (zu den deutschen Demokraten), was tat die französische Demokratie? Sie hat mit ihrem Gold, das heißt mit dem Gold der französischen Arbeiter, der französischen Kleinbauern die Gegenrevolutionäre zur Niederschlagung der Sowjetordnung ausgerüstet; die sozialrevolutionären Gegenrevolutionäre wie die zaristischen Gegenrevolutionäre. Sie hat mit dem Gold der französischen Steuerzahler alle jene unterstützt und ausgehalten, die dem russischen Volke seine Freiheit rauben, die neue soziale Demokratie der Arbeiter und Bauern vernichten und Russland wieder unter das Joch des Zarismus beugen wollten.

Wer ist es, der das weißgardistische Polen unterhält in der schimpflichen Doppelrolle eines Gendarmen gegen Deutschland und gegen Sowjetrussland? Wer ist es, der die Kleine Entente hält in eben der gleichen schändlichen Doppelrolle? Es ist die französische Demokratie. Also von ihr irgend etwas Gutes zu erwarten, ist meines Erachtens vollständig aussichtslos. Ich begreife nicht, wie führende Politiker in dieser Beziehung von Illusionen befangen sein und Enttäuschungen erleben können.

Trotz aller Schmach, aller Verbrechen, deren der französische Imperialismus schuldig ist, muss ich jedoch das eine sagen: die Anklagen des Herrn Reichskanzlers gegen ihn haben mich etwas eigentümlich berührt. Als ich seine Anklage gegen brutale Gewalt, gegen die Anwendung der Bajonette usw. hörte, überkam mich etwas von dem Gefühl des alten, biederen Cicero, als er es unerträglich fand, dass die Gracchen sich über Aufruhr beklagten. Oder, um es statt lateinisch mit ganz schlichtem Deutsch auszudrücken: “Wer im Glashaus sitzt, der soll nicht mit Steinen werden.”

(Sehr wahr! und Heiterkeit bei den Kommunisten.)

Denn, meine Damen und Herren, haben nicht die Klassen, deren Vertreter in der Regierung der Herr Reichskanzler ist, deren Vertreter die Regierung ist, ebenso die brutalste Gewalt wieder und wieder gegen Überwundene, gegen Besiegte und Niedergeworfene anwenden lassen?

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Ich erinnere an die schmachvolle Rolle, die deutsche Truppen in der Ukraine nach dem Friedenschluss von Brest-Litowsk gespielt haben,

(sehr wahr! bei den Kommunisten.)

als es sich darum handelte, den revolutionären Willen der ukrainischen Kleinbauern und Arbeiter zu brechen, der sich entgegenstellte dem Willen zur Ausbeutung und Herrschaft der Junker, der Bankiers, der Großindustriellen; als es sich darum handelte, diesem revolutionären Willen entgegenzusetzen einen reaktionären Staat, die reaktionäre Macht des lächerlichen Operettenhetmans Skoropatzki aufzurichten.

Ich erinnere auch noch an ein anderes. Die Kreise, die der Herr Reichskanzler vertritt, haben sich nicht bedacht, die Gewalt gerade auch gegen die Ruhrarbeiter anzuwenden.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Und zwar dann, als die Ruhrproletarier, als die Grubensklaven ernst machen wollten mit jener Losung, die eines Tages in großen Plakaten in Berlin an den Mauern prangte: “Die Sozialisierung marschiert! Die Sozialisierung ist da.”

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Da war die militärische Gewalt da, um die gegen die Kapitalsherrschaft meuternden Arbeiter mit Maschinengewehren und Bajonetten in die Grube zurückzutreiben.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Und das Ruhrproletariat lernte zum zweiten Mal militärische Gewalt kennen, als es ernst machte mit der Verteidigung der Republik gegen die Kapp-Rebellen,

(sehr wahr! bei den Kommunisten.)

als es sich erhoben hatte, um die bürgerliche Republik gegen einen monarchistischen, militaristischen Putsch zu schützen. Da rückten die Truppen des Generals Watter an und wüteten gegen die Schützer der Republik in Essen, im ganzen Ruhrrevier.

Meine Damen und Herren, ich bin der Ansicht, dass militärische Gewalt Gewalt bleibt und nicht dadurch einmal verwerflich und dann heilig ist, je nachdem sie unter blau-weiß-roter der unter schwarz-weiß-roter Fahne geht.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Ich fand also, wenn es erlaubt ist, ohne zu freveln an den heiligsten Gütern der Nation, Kritik zu üben an der Auffassung und an den Reden eines Reichskanzlers der Deutschen Republik — ich fand es also von meinem Standpunkt aus etwas unvorsichtig, was der Herr Reichskanzler hier gegen die militärische Gewalt des französischen Imperialismus gesagt hat. Aber ich fand in dem, was er ausgeführt hat, noch eine andere politische Schwäche und die fällt für meine Wertung seiner Rede viel schwerer ins Gewicht als die hervorgehobene Unkonsequenz. Ich hörte an Stelle politischer Hinweise auf den Ausweg aus der gegenwärtigen Situation eigentlich immer und immer wieder nur moralische Werturteile, den Appell an die Moral. Ja, die Moral ist eine schöne Sache, und ich würde es begrüßen, wenn die Politik in der Heimat und im Ausland lediglich nach moralischen Grundsätzen gemacht würde. Aber wir stehen einer bestimmten Tatsache gegenüber, und an die möchte ich auch den Herrn Abgeordneten David erinnern. Der Herr Abgeordnete David feierte hier die Erfüllungspolitik aus die Ursache zur Zersetzung der Entente. Den Wert der Erfüllungspolitik in allen Ehren! Aber ich glaube doch, dass die Zersetzung der Entente auf weit reellere, ordinärere Dinge zurückzuführen ist als auf die moralischen Auswirkungen der Erfüllungspolitik. Nämlich auf so ganz hausbackene, greifbare Dinge wie Petroleum, wie die Herrschaft über Konstantinopel, wie die Herrschaft über Oberschlesien, wie die Stellung im nahen und fernen Orient und ähnliches. Ich glaube, darin ist der Grund für die Zersetzung der Entente zu suchen, eine Zersetzung, die meiner Auffassung nach unaufhaltsam fortschreiten wird. Die Erfüllungspolitik spielt dabei eine sehr nebensächliche Rolle.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Die Erfüllungspolitik hat England nicht abgehalten, trotz seines Gegensatzes zum französischen Imperialismus Deutschland in der Frage Oberschlesien aufs gründlichste im Stich zu lassen. Und das trotz der Hoffnung gläubiger Gemüter.

(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen. — Heiterkeit links und in der Mitte.)

Genau so aussichtslos, Herr Abgeordneter David, ist Ihre Hoffnung auf die Vereinigten Staaten, ist Ihr Appell an ihre Moral, auch wenn Sie sich darauf berufen, dass der Vertrag von Versailles im Zeichen des Vertrauens auf Wilsons Programm zustande gekommen sei. Auch da möchte ich fragen: welcher Politiker konnte je Wilsons Programm ernst nehmen?

(erneute Zustimmung bei den Deutschnationalen. — Wiederholte Heiterkeit links und in der Mitte.)

Was Wilson erstrebt haben mag, ist mir ganz gleichgültig. Wer aber die wirtschaftliche und politische Situation in den Vereinigten Staaten kannte, der musste überzeugt sein, dass dieses Programm von vornherein ein totgeborenes Kind war, und nicht einmal ein schönes.

(große Heiterkeit.)

Sie lachen, meine Damen und Herren; aber im gegenwärtigen Augenblick ist die Sache wahrhaftig nicht zum Lachen.

(Zustimmung.)

Denn meines Dafürhaltens steht und fällt mit dem Aufrechterhalten von Illusionen der Wille der schaffenden Massen zur Entfaltung der eigenen Kraft, mit dem Entente-Imperialismus und — mit dem deutschen Kapitalismus — fertig zu werden.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten. — Heiterkeit rechts und in der Mitte.)

Gewiss, es bestehen Interessengegensätze zwischen England, Frankreich und den Vereinigten Staaten. Ich will sie, um nicht zu lang zu werden, hier nicht darlegen. Aber in einem sind sich diese kapitalistischen Staaten einig, nämlich darin, dass alle drei das Bestreben haben, Deutschland in ein Kolonialland zu verwandeln,

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

in der einen oder anderen Form. Die Vereinigten Staaten vertreten Kapitalisten, die so scharfäugig, so rücksichtslos, so ohne alle alte Traditionen sind, die manchmal den Kapitalismus in Europa noch binden, dass sie die letzten sind, die über die Zwirnsfäden moralischer Bedenken stolpern werden. Nein, die Vereinigten Staaten sind drauf und dran, in der Form der Überfremdung der deutschen Industrie mit amerikanischem Kapital die deutsche Arbeitskraft in die Hand zu bekommen und au diesem Wege Deutschland in eine Kolonie der Vereinigten Staaten zu verwandeln.

(sehr wahr! rechts.)

Keine Illusion über diese Tatsache!

Meine Damen und Herren! Ich komme damit zu dem Hauptpunkt meiner Ausführungen. Wie liegt die Sache und wie müssen wir sie betrachten, um einen Ausweg zu finden? Deutschland ist tatsächlich von der Gefahr bedroht, zu einem Kolonialland herabgedrückt zu werden. Die Ruhrbesetzung ist ein erster militärischer Vorstoß zu diesem Zweck. Wir wissen nicht, wie weit er führen wird. Vielleicht, dass eine Verständigung zwischen den französischen und deutschen Kapitalisten zustande kommt, aus der ein mitteleuropäischer Montantrust geboren wird, der die Herrschaft über die deutsche Industrie, ja über die Industrie und Wirtschaft ganz Europas bekommt, der auch im höchsten Maße England von sich abhängig machen wird, und der vor allen Dingen die Konkurrenzfähigkeit der englischen Industrie in schwerster Weise gefährdet.

Wir wissen nicht, ob es gelingen wird, den weiterschauenden politischen Plan des französischen Imperialismus zu verwirklichen, einen “unabhängigen” Rheinlandstaat als Puffer zwischen Frankreich und Deutschland zu schaffen. Denn hinter dem Willen zur Schaffung eines solchen Staates steht mehr als nur der Wille der französischen Hüttengewaltigen, die Oberherrschaft über die deutsche Kohle zu bekommen und der wirtschaftliche Herr von Europa zu werden. Dahinter steht noch anderes: die Furcht Frankreichs vor einem neuen Einfall deutscher Truppen, die Furcht des schwach bevölkerten Landes vor der zahlenmäßig stärkeren und stärker wachsenden Bevölkerung eines Nachbarlandes.

(Abgeordneter Dr. Helfferich: wiederum richtig!)

Wie beliebt?

(Rufe rechts: richtig!)

Ja, wir finden uns ja manchmal,

(Heiterkeit.)

wenn auch nur, um uns dann um so schärfer zu bekämpfen.

Dann kommt noch in Betracht der andere weiterzielende, ziemlich phantastische Plan, der auch seine Anhänger hat. Nicht nur, wie der Plan des selbständigen Rheinlandes in der rheinländischen Bourgeoisie, wenigstens in großen Teilen von ihr, sondern auch außerhalb solcher “bodenständigen” Kreise. Es ist der phantastische Plan, eine klerikale Donaustaatenföderation zu schaffen. Ich sage absichtlich: klerikale Donaustaatenföderation, nicht wie manche: katholische Donaustaatenföderation, weil für mich katholisch und klerikal zwei verschiedene Begriffe sind. Kurz: ein reaktionäres monarchistisches Staatengebilde soll entstehen. Der Plan einer solche Donaustaatenföderation soll in stattlicher Anzahl Anhänger haben, zumal in Bayern, und, dafern ich recht unterrichtet bin, soll sogar der Herr Abgeordnete Dr. Heim zu ihnen zählen — selbstverständlich nur außerhalb dieses Hauses, nicht innerhalb dieses Hauses.

(Heiterkeit.)

Was sich von alledem verwirklichen wird, sei dahingestellt. Uns genügt vollauf die Gefahr der Gegenwart. Die Bourgeoisie mag sich mit einer Herrschaftsbefestigung des französischen Imperialismus in Deutschland abfinden. Sie mag sich letzten Endes abfinden mit der Verwandlung Deutschlands in eine Kolonie des Ententeimperialismus, wenn ihr ein mehr oder weniger großer Anteil an dem kapitalistischen Profit gesichert bleibt. Ein proletarisches Deutschland, meine Damen und Herren, und erst recht ein kommunistisches Deutschland, an dessen Kommen ich glaube, kann sich nun und nimmermehr mit der Herabdrückung Deutschlands zu einem Kolonialstaat abfinden.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten. — Rufe rechts: Dann sind wir einig!)

Ein proletarisches Deutschland hat in der Integrität des deutschen Territoriums und in der politischen Selbständigkeit, in der Blüte der deutschen Wirtschaft das Erbgut ihrer Klasse für die Gegenwart und erst recht für die Zukunft zu verteidigen, zu verteidigen gegen den ausländischen Imperialismus und den einheimischen Kapitalismus. Und ein kommunistisches Deutschland könnte nun und nimmer mit irgendeinem Imperialismus paktieren, so wenig wie je mit dem Kapitalismus im eigenen Lande, weil das die Preisgabe der Errungenschaften der Revolution, der Revolution selbst bedeuten würde, die das Proletariat zum Siege und zur Herrschaft getragen hat.

Meine Damen und Herren! Es handelt sich jetzt darum, dem französischen Imperialismus den Weg zu verlegen und seiner so bald als möglich Herr zu werden. Ich sehe nur eine Kraft in der Gesellschaft, die imstande ist, diesen Unhold, diesen Verbrecher zu überwinden, zu Boden zu schmettern: das ist die Arbeiterklasse Deutschlands, das ist die Arbeiterklasse Frankreichs, das ist einzig und allein das internationale Proletariat.

(Sehr richtig! auf der äußersten Linken. — Rufe rechts: machen Sie es doch einmal!)

Ich frage nun, welche Aussichten der Herr Reichskanzler gestern auf die Bekämpfung des französischen Imperialismus eröffnet hat. Ich sehe in seinen Ausführungen gar keine Aussichten. Seine Rede war für mich eine Rede absoluter Ausweglosigkeit. Der Herr Reichskanzler hat allerdings erklärt, der passive Widerstand müsse aufrechterhalten und gestärkt werden. Was ist aber die Voraussetzung dafür, und was ist die Folge davon?

Die passive Resistenz kann nur aufrecht erhalten werden, wenn der starke einheitliche Wille der Arbeitenden, der Schaffenden dahinter steht.

(Rufe rechts: Das sind wir auch!)

Das kommt darauf an! Ich rechne nicht zu den Schaffenden diejenigen, die nur die Kuponschere in der Hand haben und mit ihr “arbeiten”. Ich rechne zu den Schaffenden nur alle diejenigen, die mit der Arbeit ihrer Hand oder ihres Hirns das materielle und das kulturelle Erbe der Gesellschaft mehren, ohne dass sie fremde Arbeitskraft ausbeuten. Produktiv ist für mich nicht, wer arbeitslos von der ausgebeuteten Arbeit Dritter lebt.

(Sehr gut!)

Und das zieht die Grenzlinie zwischen uns und Ihnen (nach rechts).

(Rufe rechts: Nein! Nein!)

Jawohl, das zieht die Grenzlinie. Geistige Arbeit soll gewiss ihrem Wert entsprechend gelohnt und geachtet werden. Aber die Dividenden, die die Aktionäre einstecken, ohne dass sie einen Finger bei Arbeit krumm gemacht haben, ohne dass sie Anteil an der Geschäftsleitung oder an der Verwaltung haben: die Gewinne, die ein Durchschnittseinkommen übersteigen, das eine kulturwürdige Lebenshaltung sichert, sind Früchte der Ausbeutung, erzielt auf Grund von Besitz, sie sind nicht Lohn für Arbeitsleistung. Auf Früchte der Ausbeutung hat niemand sozial ein Anrecht. Die Spekulationsgewinne, die jetzt zwar nicht von den Herren hier im Hause — ich glaube nicht, dass sie in der Lage dazu sind —, aber von ihren Freunden, die sie hier vertreten, so reichlich eingesäckelt werden, sind nicht die Frucht der Arbeit, es sei denn, dass man das Grübeln über Spekulationen auch als wertvolle geistige Arbeit anspricht.

Meine Damen und Herren! Wenn der passive Widerstand anhalten soll, so hat das zur Voraussetzung, dass die arbeitenden Klassen die physische und vor allen Dingen auch die moralische Kraft zum Widerstand behalten. Was aber ist die unvermeidliche Folge des passiven Widerstands? Es ist die Zerrüttung der Wirtschaft, oder besser gesagt: die Steigerung der Zerrüttung der Wirtschaft; denn die Wirtschaft Deutschlands ist wahrhaftig schon zerrüttet genug. Und dieser Stand der Dinge wird sich dem Proletariat furchtbar fühlbar machen. Der Transport von Kohle, von Erzen, von Halbfabrikaten wird auf Befehl des französischen Imperialismus an der Grenze des Ruhrgebiets Halt machen. Aber die Arbeitslosigkeit, der Hunger, das Elend, sie machen nicht halt an der Grenze des Rheinlands,

(Sehr wahr! links.)

sie werden das Proletariat von ganz Deutschland heimsuchen. Schon jetzt ist als Folge der Ruhrbesetzung und des passiven Widerstands in großen Kreisen des Ruhrproletariats Arbeitslosigkeit vorhanden. In Düsseldorf allein gibt es gegenwärtig mehr als 25.000 Arbeitslose.

(Hört! Hört! links.)

Die versprochene Fürsorge für die ist äußerst mangelhaft. Wenn der Herr Reichskanzler zur Aufrechterhaltung und zur Verschärfung des passiven Widerstands aufrief, so war es von seinem eigenen Standpunkt aus seine erste Pflicht, dafür zu sorgen, dass die arbeitenden Massen die materielle und moralische Kraft behalten, dem Ententeimperialismus Widerstand entgegenstellen zu können.

(Zurufe: Ist geschehen! Ruhrhilfe!)

Die Ruhrhilfe ist nichts als ein verkleidetes Almosen, das nur für Wohlverhalten gewährt wird.

(Widerspruch.)

Lesen Sie doch die Bestimmungen, wem die Ruhrhilfe gewährt werden soll! Vielleicht, dass der Herr Reichskanzler darauf verweist: Ich habe besseres getan, als nur die Ruhrhilfe gefördert, ich habe die Mark stabilisiert. Ach, meine Damen und Herren, ich glaube für die Besserung der Lage der werktätigen Massen nicht an dieses Zaubermittel der Markstabilisierung. Gewiss, die Mark hat äußerlich an Wert gewonnen, ungefähr 50 Prozent, nach ihrem inneren Wert ist sie genau noch ein so wertloser Papierfetzen wie vorher.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Denn der Markstabilisierung steht die andere Tatsache gegenüber, dass in den letzten drei Wochen mehr als eine Billion neues Papiergeld zur Ausgabe gekommen ist, und dass die schwebende, kurzfristige Schuld Deutschlands um ungefähr eine halbe Billion vermehrt wurde. Das bedeutet eine weitere innere Entwertung der Mark. Mit aller Stabilisierung hat man nicht gesteigert, was die feste Grundlage des Wertes von Papiergeld ist, nämlich die Menge der realen Güter, die hinter dem Papiere stehen.

(Zuruf rechts.)

Dieser Wert ist nicht gewachsen, und deshalb ist die Mark noch so wertlos wie zuvor. So erklärt es sich auch, dass trotz der Stabilisierung der Mark die Kosten der Lebenshaltung so gut wie nicht gefallen sind.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Für einzelne Waren sind sie wohl etwas zurückgegangen, für andere sind sie noch gestiegen. Vermehrte Not, vermehrter Hunger, vermehrte Sorge bedrohen Millionen, bedrohen nicht nur Arbeiter, sondern auch die neuen Proletarier, die der Zerfall der Wirtschaft, die Auswirkungen des Krieges geschaffen haben. Nach dem bekannten Großhandelsindex sind die Kosten der wichtigsten Lebensbedürfnisse trotz des erhöhten Standes der Mark nach der einen Berechnung um 110 Prozent gestiegen, nach der Berechnung der “Frankfurter Zeitung” sogar um 135 Prozent. Das sind nackte Zahlen. Die Arbeiter, die kleinen Leute, die durch die Großkapitalisten expropriiert worden sind, brauchen wahrhaftig nicht erst die zahlenmäßigen Beweise, wie es mit der Sicherung ihres Lebensunterhalts steht. Sie fühlen sie vom grauen Morgen bis in die sinkende Nacht an ihrem entbehrenden, hungernden Körper.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Sie sehen sie vor sich in der herzzerreißenden Gestalt der dahinsiechenden, der verderbenden und sterbenden Kinder.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Ein andres wäre noch in Betracht gekommen, um die materielle und moralische Durchhaltekraft des Proletariats nicht nur im Ruhrgebiet, sondern in ganz Deutschland zu stärken. Das wäre die Abwälzung der ungeheuren Steuerlast von den Schultern der Ausgebeuteten und Kleinen und die Überbürdung auf die Kriegsgewinnler, auf die Friedensgewinnler, auf die Gewinnler der Geldentwertung, der Exportfabrikation, des Exporthandels, kurz von alledem, was jetzt in Deutschland zur Schwindelblüte der Wirtschaft gehört. Wir haben von Reichskanzler kein Wort von einer solchen Entlastung der Massen, wir haben kein Wort von einer “sozial gerechten” Steuerbelastung der Besitzenden gehört.

(Sehr richtig! links.)

Wir haben kein Wort gehört, wie es mit der Voraussetzung dafür steht, dass die Arbeiter und kleinen Leute sich schützen können gegen den Wucher, der sie von allen Seiten anfällt. Gewiss haben wir ein Notgesetz gegen Schlemmerei, gegen Wucher usw. bekommen. Aber niemand wird von diesem Gesetz eine durchgreifende Wirkung erwarten. Die Schlemmerlokale werden geschlossen. Hintenherum wird die Schlemmerei umso üppiger, um so herausfordernder weitergehen. Beim Kampf gegen den Wucher wird man selbstverständlich die kleinen Diebe hängen, die großen aber laufen lassen. Warum? Es fehlt an den Organen, die allein verbürgen, dass gegen Wucher und Schlemmerei von denjenigen eingeschritten werden kann, die das größte Interesse an einem grundlegenden Wandel haben: die kleinen Leute, die Masse der Konsumenten, vertreten durch die Kontrollausschüsse der Arbeiter, Angestellten, Beamten, Kleinbauern, ausgerüstet mit der politischen, aber auch mit der realen Macht zum entscheidenden Eingreifen. Zu dem allen droht den Arbeitern noch eine neue Gefahr. Die Stabilisierung der Mark ist ihnen als ein Mittel angepriesen worden, ihre Lebenshaltung zu verbilligen und zu verbessern. Aber es droht die so genannte Stabilisierung der Löhne. Was bedeutet das? Dass der Arbeiter daran gehindert werden soll, seinen Lohn den steigenden Preisen des Lebensbedarfs anzupassen. Dazu die Aussicht auf den Zehnstundentag, das heißt auf gesteigerte Ausbeutung bei geringerem Lohn. Von den Machtmitteln der Arbeiter zur Abwehr der Übergriffe des Kapitals, zum Kampfe gegen drohende Einengung ihrer Rechte, von dem Selbstschutz der Arbeiter ist keine Rede. Statt dessen eine offene oder heimliche Begönnerung des Faschismus.

Das Material, das hier bezüglich der Orgesch und Organisationen ähnlicher Art vorgebracht wurde, ist einwandfrei. Ich will nicht wiederholen, was mein Freund Frölich angeführt und dokumentarisch bewiesen hat, nämlich, dass vom Wehrministerium aus diese Organisationen begönnert worden sind. Sie werden vielleicht sagen: zum Schutz gegen den französischen Imperialismus! O nein! Diese Organisationen sind ohnmächtig, ernstlich den Kampf mit dem französischen Imperialismus aufzunehmen.

(Sehr richtig!)

Dagegen werden sie immerhin stark genug sein, unter Umständen die deutsche Republik zur Strecke zu bringen.

(Lachen rechts und in der Mitte.)

Sie werden vor allen Dingen stark genug sein, um Tausende von Arbeitern, von “meuternden Gesellen” gegen die kapitalistische Lohnsklaverei niederschlagen zu können.

Meine Damen und Herren! Es gibt unseres Erachtens nur ein Mittel, um mit dem Ententeimperialismus fertig zu werden. Das ist: mit gleicher Kraft und mit gleicher Energie den Kampf zu führen gegen ihn und gegen seinen Spießgesellen, den deutschen Kapitalismus.

(Zustimmung bei den Kommunisten.— Gelächter rechts.)

Den Kampf gegen Stinnes wie den Kampf gegen Schneider-Creuzot, den Kampf gegen Poincaré wie gegen Cuno. Denn sie sind sämtlich Vertreter des nämlichen Kapitalismus.

(Abgeordneter Beuermann: sie haben sich ja vorhin schon selbst widerlegt: Unser Kapitalismus ist tot!)

Der Kapitalismus ist der gleiche, geehrter Herr Beuermann, ob er diesseits oder jenseits der Reichsgrenzen steht und ausbeutet, versklavt.

(Zuruf von der Deutschen Volkspartei: Das glaube ich nicht!)

Das glauben Sie nicht? Nun, das ist eben Glaubenssache. Glaube ist kein Beweis!

(Große Heiterkeit. — Zuruf: Aber keine Tatsache!)

Das ist eine Tatsache, die der Arbeiter in Deutschland wie in Frankreich sehr deutlich an seinem Lohn wie an seiner Arbeitszeit, an seiner Kulturarmut, an seiner ganzen harten Lebenshaltung spürt.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Meine Damen und Herren! Wenn man damit beginnen will, den französischen Imperialismus aus dem Lande zu treiben, so gibt es angesichts der Schwäche der deutschen Republik allerdings zunächst nur ein Mittel: die “Erfüllungspolitik”, darin hat der Herr Abgeordnete David Recht. Aber darüber, wie diese “Erfüllungspolitik” aussehen soll, wer für die Erfüllungspolitik zahlt, hat auch er geschwiegen. Und das ist das Entscheidende und Trennende. Leider ist die “Erfüllungspolitik” bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge unvermeidlich geworden, nachdem von der Bourgeoisie der beiden Mächtegruppen der Schmachfriede von Versailles geschlossen worden ist, statt dass — wie in Sowjetrussland — die proletarische Revolution alle Kräfte des deutschen Volkes zum Kampfe gegen den französischen, gegen den ententistischen Imperialismus entfesselt hätte.

(Lebhafte Rufe rechts: Hört! Hört! Haben wir immer gesagt!)

Die Erfüllungspolitik — darüber dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben — ist jetzt unvermeidlich, aber das Entscheidende dafür ist, wer für die Erfüllungspolitik zahlt. Bis jetzt sind es die breiten Massen gewesen. Sie, die die Lasten des Krieges zu tragen hatten, müssen auch die Lasten des Friedensvertrages tragen. Wir fordern, dass es die Kriegsgewinnler, die Friedensgewinnler, die Spekulationsgewinnler sind, und sie allein. Das Mittel dazu ist die entschädigungslose Erfassung der Sachwerte, um die niemand in Deutschland jetzt herumkommt.

Es fragt sich nur: wer soll die Sachwerte erfassen? Wird es der Ententeimperialismus, wird es der ausländische Kapitalismus sein oder werden es die deutschen Arbeiter sein? Und mit ihnen die Kleinbauern, die Handwerker, die Angestellten, die Beamten, kurz, alle wirklich produktiv Tätigen, die nicht von Ausbeutung leben. Wir wissen, dass eine solche radikale Maßregel nun und nimmer das Werk einer bürgerlichen Regierung sein wird, auch dann nicht, wenn sie vielleicht mehr oder weniger vorübergehend von etlichen Sozialdemokraten geziert wird. Nein, sie kann nur das Werk einer Arbeiterregierung sein, die sich nicht bloß auf das Parlament stützt, sondern vor allen Dingen auf die organisierte Macht der Proletarier, der Schaffenden, Werktätigen außerhalb des Parlaments.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Eine solche Regierung allein kann die notwendigen Maßregeln durchführen, um des französischen Imperialismus ledig zu werden und mit aller Kraft an den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft zu gehen.

(Zuruf: Sie predigen ja den schönsten Bürgerkrieg!)

Ob der Bürgerkrieg kommen wird oder nicht, geehrter Herr, das hängt davon ab, ob Ihr gewalttätigen Widerstand entgegensetzt dem, was in Hinblick auf Leben oder Sterben der breiten Massen notwendig ist. Noch heute gilt das Wort Lassalles: Die Revolution kann kommen entweder die Palme des Friedens in der Hand oder mit wild wehendem Lockenhaar, eherne Sandalen an den Füßen. Ich wiederhole: wie, das hängt nicht von uns ab. Nein, wir alle würden das, was geschichtlich zur Revolution gehört, lieber als ein lyrisches Gedicht in der Gartenlaube machen als im Bürgerkrieg. Wir sind die ersten die dabei unsere Haut zu Markte tragen, unseren Kopf, unser Leben. Aber wir wissen aus der Geschichte und durch Erfahrung, dass noch nie Besitzende und Herrschende auf Besitz und Herrschaft freiwillig verzichtet haben. Sie sind nie abgetreten, ohne dass sie mit allen möglichen Mitteln der Tücke und Gewalt verhindern wollten, dass Geknechtete und Ausgebeutete aus der Nacht und Not ihrer Existenz emporstiegen in das Licht der Freiheit, in das Licht der Kultur.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Auf Gewalt wird immer die Gewalt antworten. Dem roten Schrecken ist noch überall der weiße Schrecken vorangegangen.

(Zuruf rechts: siehe Russland!)

Das ist ja gerade der Beweis dafür. Wenn sie die Geschichte der russischen Revolution kennen würden —

(Zuruf rechts: O ja!)

Das bestreite ich auf das entschiedenste, wenn sie das aussprechen. Der rote Schrecken in Russland war die Antwort auf den weißen Schrecken, der unter dem Deckmantel der Demokratie — wie hier in Deutschland in den Januartagen, wie während des Kapp-Putsches — gegen das Proletariat und in Russland gegen die arme Bauernschaft gewütet hat. Dieser Zusammenhang ist eine Tatsache, geehrter Herr, die die Geschichte aller Revolutionen beweist. Die Herrschenden und Besitzenden empfinden es sofort als roten Terror, wenn die neue Macht im Interesse der Mehrheit das geringste Titelchen dessen anzutasten wagt, was den Besitzenden das Allerheiligste ist: ihre Kasse.

(Sehr gut! bei den Kommunisten.)

Wir wissen, dass die Arbeiterregierung die wirksamste Verteidigung Deutschlands gegen den französischen Imperialismus sein wird. Allein diese Verteidigung kann nur erfolgen im Kampf mit der deutschen Bourgeoisie als herrschender Klasse. Die Arbeiterregierung selbst wird eine Frucht des revolutionären Kampfes sein. Welche Formen der Kampf annehmen wird, hängt nicht von uns ab, sondern, wie ich betont habe, von Ihnen oder vielmehr von den Klassen, die hinter Ihnen stehen. Die Voraussetzung aber siegreichen Kampfes ist die proletarische Einheitsfront. In proletarischer Einheitsfront müssen die Werktätigen mit aller Energie den Kampf sowohl gegen Stinnes, Klöckner, Thyssen, wie gegen Loucheur, Lubersac und alle Hüttengewaltigen in Frankreich führen. Die proletarische Einheitsfront ist leider noch nicht Wirklichkeit, aber sie bildet sich bereits im Kampfe gegen den vorstoßenden Kapitalismus. Wen irgendeine Situation nach ihr schreit, so ist es die gegenwärtige, wo es für Millionen des deutschen Proletariats um Leben oder Sterben geht.

Die Kommunistische Partei hat zur Einheitsfront aufgefordert. Die Sozialdemokratie hat die ausgestreckte Hand zurückgewiesen unter Berufung auf die Erfahrungen, die mit den Kommunisten während der Rathenau-Kampagne gemacht worden seien. Ich will hier nicht auf Grund eines Lexikons des guten Tons und der feinen Sitte in der Politik untersuchen, ob und was die Kommunisten während dieser Kampagne gegen die Einheitsfront gesündigt haben sollen. Das ist nebensächlich. Ich meine, in dieser Situation, die so furchtbar ernst ist, so schwer, von so weit reichender Bedeutung, sollte man wahrhaftig von einer formalistischen Wertung absehen. Meine Herren von der Sozialdemokratie, meinen Sie vielleicht, dass wir vergessen könnten? Liegt es nicht so, dass auch wir eine Rechnung gegen Sie aufmachen könnten, ja aufmachen müssen, in der wahrhaftig schwerwiegendere Posten stehen, als politisches Zeremoniell, der Vorwurf, irgendwelche Formalitäten während der Rathenau-Kampagne nicht genügend respektiert zu haben?

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Es stehen in dieser Rechnung Posten, die mit Blut, mit Tränen geschrieben sind, die nie ausgelöscht werden können aus unserer Erinnerung und die eingebrannt bleiben sollten in dem Bewusstsein und dem Empfinden der Massen. Trotzdem sagen wir: wir stehen Seite an Seite mit euch, wenn ihr in einheitlicher Front mit uns kämpfen wollt gegen den deutschen Kapitalismus und gegen den französischen Imperialismus.

Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete David hat sehr eindringlich von der Notwendigkeit der Geschlossenheit und Entschlossenheit des Kampfes geredet. Aber er hat darüber geschwiegen, mit wem die Front geschlossen werden soll, und das gerade ist die Frage. Soll die geschlossene Front gehen von Cuno über Stresemann bis Scheidemann? Oder soll sie reichen von Moskau bis Paris? Ich glaube, das Schweigen des Herrn Abgeordneten David war auch beredt, es hat die Frage beantwortet. Aber auch die Massen draußen haben auf diese Frage geantwortet mit der Entscheidung ihrer Betriebsräte im Ruhrrevier, der Betriebsräte ohne Unterschied der Partei und der Konfession. Sie haben einen 23er Ausschuss eingesetzt, der die Initiative ergriffen hat, um national und international die Organisationen der Arbeiterklasse zum entschlossenen Widerstand gegen den Ententeimperialismus und gegen den deutschen Kapitalismus im Vaterlande jeder einzelnen Organisation zusammenzuführen.

(Zuruf von der Deutschen Volkspartei: Das ist nicht richtig!)

Sie sagen mir vielleicht: die geschlossene Einheitsfront des Proletariats zertrümmert die nationale Einheitsfront mit der Bourgeoisie. Ich sage: es besteht keine nationale Einheitsfront zwischen Bourgeoisie und Proletariat.

(Zuruf rechts: Schlimm genug!)

Was national geschieden ist durch die kapitalistische Ausbeutung und Herrschaft, das bleibt und muss national geschieden bleiben, trotz aller politischen Kompromisse und Abmachungen, die gelegentlich vielleicht von klassenvergessenen Arbeiterführern mit Führern der Bourgeoisie getroffen werden. Denn alle solche Abmachungen vermögen nicht den Abgrund der Klassengegensätze zu überbrücken, der zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten, zwischen Herrschern und Beherrschten gähnt. Was aber national getrennt bleiben muss, das vereinigt sich international. Und wie die deutsche Bourgeoisie nach Verständigung mit dem Ententeimperialismus strebt, so muss sich das Proletariat international zusammenfinden, und es steht bereits im Kampfe gegen die Bourgeoisie international zusammen.

(Lebhafte Zurufe rechts: Wo? Wo?)

In Frankreich, in Deutschland und anderwärts. Sie sagen vielleicht: es ist Landesverrat, es ist Hochverrat, in diesem Augenblick den Klassenstandpunkt zu vertreten.

(Zustimmung rechts.)

Wir sagen: Landesverräter, Hochverräter das sind die Anilinkönige, die wichtige Patente an die französische Regierung verschachert haben. Hochverräter sind die Zechenbarone, die durch ungenügende Lieferung, die Holzindustriellen, die durch ihren maßgebenden Einfluss dazu beigetragen haben, dass die übernommenen Leistungen Deutschlands nicht erfüllt worden sind. Sie sind Landesverräter, die dem Ententeimperialismus das Tor zum Einfall in das Ruhrgebiet geöffnet haben. Landesverräter sind jene, die aus dem schlechten Stand der Mark Extraspekulationsgewinne gezogen habe, Landesverräter sind alle jene, die das Proletariat knechten, ausbeuten, seine Kraft zerschlagen wollen.

(Zurufe rechts.)

Meine Damen und Herren! Sie meinen, wir seien antinational, weil wir international sind.

(Sehr wahr! rechts.)

Das ist nicht richtig. International und national sind nicht Gegensätze sondern Ergänzungen. International sein heißt nicht einmal anational sein, geschweige denn antinational sein. International heißt nichts anderes, als die große Solidarität der Ausgebeuteten der ganzen Welt für eine größere geschichtliche Kraft, für bindender halten als die vorgebliche nationale Solidarität mit den Ausbeutern, mit den Herrschern. Wir sind nicht national im bürgerlichen Sinne. Wir Kommunisten werten trotzdem das deutsche Reichsgebiet als eine materielle Voraussetzung dafür, dass sich eine einheitlich organisierte, eine große, moderne, reiche Wirtschaft entwickeln kann, die das Erbe des Proletariats sein wird. Wir werten die deutsche Kultur, schätzen sie hoch, wenn wir auch jene Auffassung zurückweisen, als ob sie ein spezifisch deutsch-völkisches Gewächs sei. Es gibt keine Kultur, die so reich von internationalen Einflüssen befruchtet worden ist wie die deutsche Kultur, und das ist es vielleicht gerade, was ihr einen eigentümlichen Wert verleiht.

(Sehr richtig! auf der äußersten Linken.)

In die deutsche Kultur sind Kultureinflüsse aller Zeiten und der ganzen Welt eingegangen, weiter verarbeitet und fruchtbar geworden.

(Zustimmung auf der äußersten Linken.)

Wir Kommunisten wollen, dass dieses Land und dass diese Kultur das Erbe der breiten schaffenden Massen werde, aller derjenigen, die nicht nur Genießende des materiellen und kulturellen Reichtums sind, sondern auch seine Mehrer. Wir wissen aber, dass Vaterland und Kultur heutzutage die Beute und das Vorrecht der herrschenden Klassen sind und nicht das Allgemeingut und das Recht der breiten werktätigen Massen. Wenn wir Deutschland als Vaterland, wenn wir seine Kultur nicht schätzten, Sie können glauben, wir hätten schon längst in diesen Zeiten jenen Rat befolgt, den einst Wilhelm II. den Sozialdemokraten gab, als sie noch eine revolutionäre Partei zu sein glaubten: “Ihr Nörgler, schüttelt den Staub von euren Pantoffeln und wandert aus!” Ach, meinen Sie nicht, dass wir alle dort sein, dort wirken möchten, wo gegenwärtig das Herz der Weltrevolution in heißen Schlägen klopft, in Sowjetrussland, wo sich unter Not, wo sich unter Leid, wo sich unter schweren Entbehrungen, wo sich auch unter Irrungen und Wirrungen, unter tastenden Versuchen neue schöpferische soziale Kräfte regen und am Werke sind, eine neue soziale und kulturelle Welt aufzubauen?

(Lebhafte Zustimmung auf der äußersten Linken.)

Gewiss, es gibt dabei noch viel Elend, es gibt dabei auch manches Unrichtige, Verfehlte und manches Bedauernswerte, wie das im Verlaufe einer Revolution nicht anders sein kann.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten.)

Trotzdem sage ich Euch: es ist eine Lust, dort zu leben.

(Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten. — Lachen und Zurufe rechts.)

Jawohl, lachen Sie nur! — Die Geister sind dort erwacht, die Geister, die aus den Tiefen der Gesellschaft emporsteigen und die schöpferisch wirksam werden. Die Kleinen, die Dumpfen, die früher nie wagten, ihre Freiheit auch nur zu denken, sind jetzt Erwachte, Befreite, Mitschaffende und das nicht nur am Aufbau der Wirtschaft, sondern am Aufbau einer höheren Kultur.

(Zuruf rechts: Illusion!)

Das sind keine Illusionen, das sind Tatsachen.

Meine Damen und Herren! Unserer Auffassung entsprechend tragen wir sehr leicht an der Beschimpfung, dass wir Vaterlandsverräter seien. Wir bleiben hier, weil wir dieses Land lieben, weil wir dieses unglückselige Proletariat lieben, das noch nicht den Mut gefunden hat, für seine Freiheit zu kämpfen. Wir bleiben hier, um zu kämpfen, um das Proletariat zum Kampfe zu rufen, und wenn wir wüssten, dass es unter Tod sein sollte. Wir werden unsere ganze Kraft im Kampfe gegen den Kapitalismus, den deutschen sowohl wie den französischen, den ententistischen, bis zum letzten Hauch einsetzen. Männer und Frauen werden gleich entschlossen im revolutionären Kampf gegen zwei Fronten sein, wie sie es in Russland gewesen sind, als es galt, ihre Freiheit, die Selbständigkeit des Rätestaats gegen kapitalistische Mächte zu verteidigen. Deutschlands Wiedergeburt kann nicht durch nationalistische Abenteuer erfolgen, sondern nur, wenn das Wort wahr wird, das Marx im “Kommunistischen Manifest” wie in den “Klassenkämpfen in Frankreich” geschrieben hat: wenn die Arbeiterklasse sich als Nation konstituiert, indem sie die politische Macht ergreift und ihre Diktatur aufrichtet,1 wie sie das in Sowjetrussland getan hat.

(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Meine Damen und Herren! In diesem Kampf gegen zwei Feinde stehen wir nicht allein: mit uns stehen die Kommunistische Partei und die Roten Gewerkschaften Frankreichs.

(Zurufe rechts und in der Mitte: Ach! Ach! — Zuruf von den Deutschnationalen: Ohnmächtige Gebilde!)

Sie sind nicht ohnmächtig! Der Herr Abgeordnete David hat hier angeführt — und Sie (nach rechts) haben es mit Wohlgefallen angehört, Sie haben nicht “ohnmächtig” geschrieen — dass die Sozialistische Partei in Frankreich gegen die Besetzung des Ruhrgebiets protestiert hat. Lassen Sie sich sagen, dass die Sozialistische Partei in Frankreich eine Minderheit ist, gemessen an der zahlenmäßigen Stärke der Kommunistischen Partei Frankreich! Die Roten Gewerkschaften Frankreichs umschließen mindestens so viele Mitglieder wie die reformistischen Gewerkschaften, die dem Herrn Abgeordneten David und seinen Freunden nahe stehen.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Die französischen Kommunisten und Roten Gewerkschaften hatten nicht nur Worte des Protests. Französische Kommunisten, Marcel Cachin und andere, sitzen seit Wochen hinter Schloss und Riegel, weil sie ihre Solidarität mit dem deutschen Proletariat bekannt haben, weil sie die Zurücknahme der Ruhrbesetzung und die Vernichtung des Versailler Vertrages gefordert und zum Kampf dagegen aufgerufen haben. Sie werden als gemeine Verbrecher behandelt. Aber ihr Martyrium ist nicht vergebens. Zu Tausenden und Tausenden erheben jetzt französische Proletarier die Losung: fort mit dem Versailler Vertrag! Die Truppen zurück aus dem Ruhrgebiet! Die revolutionären Roten Gewerkschaften hatten einen Streik der Bergarbeiter vorbereitet, der, wenn restlos durchgeführt, von größter Bedeutung für die Stärkung des Widerstandes der deutschen Arbeiter gewesen wäre.

(Rufe: Wenn! Wenn!)

Wer hat die volle Entfaltung des Streiks gehindert? Die reformistischen Gewerkschaften sind dem Streik in den Rücken gefallen.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Aber trotz alledem und alledem! Die Massen des französischen Proletariats, ja auch Massen der französischen Kleinbauern stellen sich mehr und mehr in Solidarität zu den Kommunisten und zu den werktätigen kämpfenden Massen in Deutschland.

(Lachen rechts.)

Mit dem Ruhrproletariat mit dem gesamten deutschen Proletariat, das kämpfen will, steht Sowjetrussland und Sowjetrusslands Proletariat. Sie haben hier von der Ruhrhilfe geredet, die oft genug unfreiwillig gewährt wird. Die russischen Proletarier haben, trotz ihrer Armut, trotz ihres Elends, schon Millionen zur Unterstützung der Ruhrarbeiter geschickt.

(Zuruf rechts: Wem denn?)

Nicht der Kommunistischen Partei, den überparteilichen Betriebsräten,

(lautes Lachen.)

unter denen es mehrheitssozialdemokratische und christliche Betriebsräte gibt. Die russischen Gewerkschaften haben 500.000 Pud Mehl zur Unterstützung der mit dem Ententeimperialismus kämpfenden Ruhrarbeiter gesandt.

(Zurufe rechts.)

Das sind Beweise internationaler proletarischer Solidarität, und, meine Damen und Herren, Sie können überzeugt sein: wenn heute das Ruhrproletariat und das deutsche Proletariat die Kraft findet, sich in geschlossener Einheitsfront wider die deutsche Bourgeoisie und wider den Ententeimperialismus zu erheben, wenn es mit eisernem Besen den Ententeimperialismus herausfegen, wenn es den deutschen Kapitalismus knebeln wird, dann wird Sowjetrussland mit seiner ansehnlichen Macht, auch mit seiner Roten Armee, schützend und tragend zu den Arbeitern Deutschlands stehen.

Deshalb schließe ich damit: keine Papiermark Vertrauen zu der Politik der Regierung des Reichskanzlers Cuno! Dafür alles Vertrauen in die eigene Kraft des Proletariats, Vertrauen zu dem Kampf für die Einheitsfront und Vertrauen zum Kampf in der Einheitsfront! Er allein wird beide Feinde der deutschen Arbeiterklasse überwinden: den deutschen Kapitalismus, wie er durch die Herren Stinnes, Klöckner und Thyssen vertreten wird, und ebenso den französischen Imperialismus, ob er den Säbel des Herrn Poincaré schwingt, oder ob er mit gleisnerischen Phrasen redet. Für das deutsche Proletariat gibt es nur eine Losung in dieser Stunde: vorwärts in den Kampf, um die proletarische Diktatur aufzurichten und damit die Grundlage zu schaffen für ein neues, für ein freies, höheres Deutschland, das allein ein Vaterland für alle ist!

(Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei den Kommunisten.)

1Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herr­schaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muss, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie.” (“Manifest der Kommunistischen Partei”, in Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Band 4, S. 459-493, hier S. 479)

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