Clara Zetkin 19190414 Regierungspolitik und Generalstreik in Württemberg

Clara Zetkin: Regierungspolitik und Generalstreik in Württemberg

(Rede in der Verfassungsgebenden Württemberger Landesversammlung, 14. Sitzung, 14. April 1919)

[”Verhandlungen der verfassungsgebenden Landesversammlung beziehungsweise des Landtags des freien Volksstaates Württemberg in den Jahren 1919 und 1920. Protokoll-Band 1”, Stuttgart 1920, S. 307-313, gekürzt in: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 116-137]

Meine Damen und Herren, entschuldigen sie, dass ich die allgemeinen Ausführungen, die ich zu mache habe, mit einer persönlichen Bemerkung einleite. Herr Ministerpräsident Blos hat hier auf Grund eines Berichtes angeführt, ich hätte in einer Märzversammlung zu Göppingen zum bewaffneten Kampf aufgefordert. Ich bestreite das auf das entschiedenste. Und wer meine öffentliche Laufbahn verfolgt hat, der wird wissen, dass ich die Letzte bin, etwas in Abrede zu stellen, was ich gesagt oder getan habe. Wenn die Regierung geheime Berichte entgegennimmt, so sollte sie auch darauf bedacht sein, Leute als Berichterstatter zu haben, die fähig sind, getreu wiederzugeben, was geredet worden ist. Ich kann von dem Göppinger Berichterstatter nur das eine sagen: er hat Ohren gehabt, vielleicht sogar recht große Ohren,

(Heiterkeit.)

aber welche Ohren! Er hat nicht wiedergegeben, was ich geredet habe. Ich habe im Allgemeinen gesprochen von dem Generalstreik, als der vorzüglichsten und als der geschichtlich gebotenen Waffe für den proletarischen Klassenkampf in Zeiten revolutionärer Gärung und Bewegung. Ich habe davon gesprochen, dass gegenwärtig überall mit elementarer Wucht kleine lokale Streiks ausbrechen mit entschiedenen Zielen. Ich habe den Gedanken entwickelt, dass man darauf bedacht sein müsse, dass diese kleinen lokalen Streiks zusammenfließen, sich vereinigen müssten zum großen allgemeinen Massenstreik mit politischen Zielen. Gewiss, ich habe wegen der Januarvorgänge in Stuttgart die Regierung und auch den Herrn Leutnant Hahn scharf angegriffen. Jedoch habe ich das Wort ”Putschhase” gegen diesen Herrn nicht gebraucht. Ich habe jetzt darüber nachgegrübelt, was dieses Wort eigentlich bedeuten könnte, bin aber noch nicht darauf gekommen. Ich habe Herrn Leutnant Hahn wegen seines Auftretens einen Nachtreter und Nachbeter Noskes genannt, und das entspricht der Meinung, die ich auch heute noch aufrecht halte. Ich spreche das ruhig aus. Von einer Aufforderung meinerseits zu einem Kampf mit bewaffneter Hand

(Zuruf links: nein, absolut nicht.)

kann nicht die Rede sein.

(Zuruf links: Absolut nicht.)

Sie können meiner Behauptung um so mehr Glauben schenken, als ich es offen ausspreche, dass ich persönlich unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen den Kampf des Proletariats mit bewaffneter Hand, den gewaltsamen Kampf, keineswegs grundsätzlich verwerfe. Allerdings, ich betone das: unter bestimmten geschichtlichen Umständen. Meine Auffassung ist jederzeit die von Marx gewesen, dass auch die Idee Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift. Die geschichtliche Voraussetzung dafür, dass proletarische Massen in ihren Befreiungskämpfen auch Gewalt gebrauchen, ist die vorausgegangene Revolutionierung der Arbeiterköpfe. Die Idee muss im Denken, Wollen und Handeln breiter Arbeitermassen Gewalt geworden sein. Das ist meine Auffassung. Ich verhehle nicht, dass es vielleicht die größte Enttäuschung meines Lebens gewesen ist, dass ich beim Ausbruch des Krieges erfahren habe, dass die Idee des internationalen Sozialismus noch nicht genügend Gewalt in den Köpfen der Massen erhalten hatte. Denn wäre das der Fall gewesen: das viereinhalbjährige Blutvergießen wäre verhütet worden.

Ich spreche es offen aus, dass die geschichtliche Entwicklung zu Verhältnissen treiben kann, wo die breiten proletarischen Massen zur Anwendung von Gewalt kommen werden und kommen müssen. Ich halte jedoch jetzt, in dem gegebenen Zeitpunkt, die Bedingungen dafür noch nicht für vorhanden. Gegenwärtig würde ein zum größten Teil unbewaffnetes Volk der Arbeit den brutalen Machtmitteln des bürgerlichen Klassenstaates gegenübertreten.

(Zuruf: Wo ist denn der?)

Gewalt halte ich also in dem Kampf des von der Idee ergriffenen Proletariats für seine Befreiung für erlaubt, ja für unvermeidlich, aber als Antwort auf die Gewalt, die von den herrschenden Klassen ausgeübt wird.

(Zuruf: Da denkt doch kein Mensch daran!)

Wenn die Gewalt von oben mit den brutalsten Mitteln die Gewalt der Idee unten unterdrücken will, dann wird, ja muss auch die breite Masse zur Gewalt greifen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verhältnisse reif dafür sind, dass die Stunde dafür gekommen ist, und das hat zur Voraussetzung die Revolutionierung der Köpfe der proletarischen Massen. Dies zur Steuer der Wahrheit!

(Heiterkeit.)

Ich verlange, dass der Berichterstatter, auf dessen Geschreibsel sich Herr Blos berufen hat, mit seiner Person, in vollster Öffentlichkeit für seinen Bericht eintritt.

(Zuruf: wir glauben’s auch so.)

Ich komme nun zu dem Streik und den Maßnahmen der Regierung dazu.

Der Herr Ministerpräsident Blos und auch der Herr Vorredner haben ihrer Meinung Ausdruck gegeben, dass der Streik lediglich ein künstlich gemachtes, von Hetzern heraufbeschworenes Ereignis gewesen wäre.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten und beim Zentrum.)

Auch in den Flugblättern der Regierung ist diese Auffassung vertreten worden. Ich bestreite ihre Richtigkeit auf das entschiedenste.

(Heiterkeit.)

Sie erkennen ja durch Ihre Auffassung unserer verspotteten Minderheit eine Macht und einen Einfluss zu, die wir leider noch nicht haben. Ich bedaure, dass wir noch nicht die Macht haben, eine gewaltige, unwiderstehliche Massenempörung wider den Kapitalismus entfesseln zu können. Wir haben nicht den Streik gemacht. Der Streik ist mit elementarer Gewalt ausgebrochen.

(Widerspruch und Lachen.)

Da können Sie lachen, wie Sie wollen, Sie ändern damit die Tatsachen nicht. Der Streik ist herausgewachsen aus der tiefen Unzufriedenheit der Massen mit den Lebensbedingungen, in denen sie stehen, aus der tiefen Enttäuschung der Massen darüber, dass die Revolution, die sie im November begonnen haben, für sie bis jetzt nicht ernstere, nicht bessere Früchte getragen hat. Der Streik ist herausgewachsen aus dem Unwillen der Massen darüber, dass die Revolution eine halbe geblieben ist, eine politische Revolution, dass sie nicht geworden ist zur ganzen Revolution,

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

nämlich zur wirtschaftlichen, zur sozialen Revolution. Gewiss, meine Damen und Herren, die soziale Revolution wird nicht das Werk eines Tages sein.

(Lebhaftes Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Aber der Grund, warum die Massen enttäuscht sind, ist, dass bis jetzt von der Regierung, von den ausschlaggebenden Gewalten noch nicht einmal ein ernster Versuch zur durchgreifenden sozialen Tat gemacht worden ist.

(Zuruf: Das ist nicht wahr!)

Was bis jetzt geschehen ist, das ist nicht ernste Tat, an ihr hat es bis jetzt gefehlt. Die Tatenlosigkeit, die Unterlassungssünden, die Tatsünden der Regierung, das sind die wahren Hetzer zum Streik gewesen.

(Rufe: Ihre Verhetzung! — Sie waren ja auch in der Regierung, Sie hatten ja drei Monate Zeit! Crispien war ja Minister! — Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte, die Frau Rednerin nicht zu unterbrechen.

Zetkin: Es ist doch außerordentlich billig, Crispien hier zum Sündenbock für die Haltung der ganzen Regierung zu machen. Crispien war nur ein einziger, ein Alleinstehender in der Regierung; er konnte allein nicht bahnbrechend vorgehen, er war an die Beschlüsse seiner Ministerkollegen gebunden.

(Zuruf: Es war doch Schreiner darin!)

Schreiner war noch früher aus dem Amte geschieden als Crispien, und zwar deswegen, weil er sich davon überzeugt hatte, dass er gegen seine Regierungskollegen und den alten militärischen Machtapparat

(Zuruf: Nichts zu sagen hatte!)

nichts Durchgreifendes ausrichten konnte, und weil er nicht bloße Dekoration nach außen sein wollte.

(Zuruf: Eine schlechte Dekoration! — Heiterkeit)

Der Herr Ministerpräsident Blos ist nicht davor zurückgescheut, zur Motivierung seiner Auffassung den ”Bürgerschreck” aufmarschieren zu lassen. Er sagte nämlich, der Streik wäre mit russischem Gelde gemacht worden. Ich erkläre hier dieses: Als internationale Sozialistin würde ich es für nichts Schimpfliches halten, wenn die Sozialisten der einen Länder

(Zuruf: nicht die Sozialisten, die Bolschewisten!)

die der anderen Länder in ihrem Kampfe

(Zuruf: zugrunde richten!)

unterstützen. Die Bolschewiki sind auch Sozialisten ja sind sogar bessere Sozialisten als ihr, die ihr eine bürgerliche Politik treibt und eine bürgerliche Regierung unterstützt.

(Heiterkeit.)

Also, ich sage, als internationale Sozialistin würde ich mich durchaus nicht schämen zu erklären: Jawohl, die russischen Sozialisten haben es für ihre Pflicht gehalten, die deutschen Sozialisten in ihrem Kampfe zu unterstützen.

(Zurufe.)

Ich will daran erinnern, dass es eine Zeit gab — sie dauerte bis zum Ausbruch des Krieges —‚ in der die deutsche Sozialdemokratie es als einen Ehrentitel beansprucht hat, mit großen materiellen Mitteln die sozialistischen Kämpfer im Auslande zu unterstützen, ohne Rücksicht darauf, ob es den Herren in der Regierung der Länder passte oder nicht.

(Zwischenrufe — Große Unruhe — Zuruf: Es waren Arbeitergroschen, nicht wie jetzt in Russland Staatsgelder.)

Ach, gehen Sie doch, letzten Endes kommt aller gesellschaftliche Reichtum, kommen auch die so genannten Staatsgelder in der Hauptsache von den Massen.

(Zwischenrufe.)

Sie scheinen dieses Abc des Sozialismus vergessen zu haben.

(Heiterkeit.)

Die genialste technische Erfindung kann in der Wirtschaft erst fruchtbar werden, wenn Arbeiterhände ihr Gestalt verleihen, sie zur Anwendung bringen. In den öffentlichen Kassen wäre nicht ein Pfennig vorhanden, wenn die Arbeiter nicht schaffen würden. Das sind doch Tatsachen, an denen nicht zu rütteln ist.

(Zwischenrufe — Große Unruhe — Das sagt Spartakus?)

Jawohl, das sage ich als Spartakistin, verstehen Sie?

(Zwischenrufe — Lachen in der Mitte.)

Also, um zurückzukommen, es würde gar nicht schimpflich sein, wenn es Tatsache wäre, dass der Generalstreik aus russischen Mitteln unterstützt wurde. Aber es ist nicht Tatsache. Tatsache ist, dass die Stuttgarter Arbeiter ihren Kampf mit ihren eigenen Mitteln, mit ihren bescheidenen Mitteln, durchgefochten haben. Wenn ihnen größere Mittel zur Verfügung ständen, so würden Sie erleben, dass die USP und die Kommunisten noch ganz anders arbeiten, eine viel weitergehende, kraftvollere Agitation entfalten würden, als es der Fall ist. Ein Beweis dafür, wie bescheiden die verfügbaren Mittel sind: Wie lange hat es gedauert, bis die Unabhängige Sozialdemokratie sich ein eigenes Tageblatt schaffen konnte. Die Kommunisten haben überhaupt bis jetzt noch kein Organ hier am Ort.

Es ist behauptet worden, dass die Führer, die die Massen erst in den Streik hetzten, sich dann feig und heuchlerisch gedrückt hätten. Meinem persönlichen Geschmack würde es auch nicht entsprechen, mich unter einen Reisighaufen zu verkriechen, aber bedenken Sie das eine: Nicht jeder einfache Arbeiter hat es so gut, dass er sich, wenn er sich bedroht fühlt, nach berühmtem Muster in einen wohl ausgerüsteten Bahnhofsturm flüchten kann.

(Heiterkeit.)

Der Generalstreik in Stuttgart, in Württemberg ist nicht von auswärts anbefohlen worden, wie der Herr Ministerpräsident behauptet hat. Dass hingegen das Beispiel der auswärtigen Streiks auf ihn zurückgewirkt hat, von Einfluss auf Ausbruch, Charakter und Ziel war, ist ganz selbstverständlich. Der Kampf der Arbeiterklasse, der an einem Ort geführt wird, wirkt beispielgebend und ermunternd auf die Kämpfe an anderen Orten zurück. Aber man kann nicht behaupten, dass der Streik in Württemberg künstlich von Berlin aus gemacht worden, dass er das Werk von ”Aufhetzern” wäre. Dagegen spricht schon diese eine Tatsache: Er ist von 220 Vertrauensleuten in 85 Betrieben von Groß-Stuttgart beschlossen worden, und 85 Prozent der Arbeiterschaft dieser Betriebe hat sich für ihn ausgesprochen. Ebenso spontan kam der Streik in anderen Orten zum Ausbruch,

(Widerspruch — Große Unruhe.)

Bitte, das sind Tatsachen. Darüber können wir alle uns nicht täuschen.

(Widerspruch.)

Diese Tatsachen sind öffentlich festgestellt worden.

(Lachen und Zwischenrufe.)

Diese Tatsachen sind da, und wenn Behauptung gegen Behauptung steht, so bin ich der Ansicht, dass man mindestens ebensoviel Glauben haben kann zu Leuten, die ehrlich an ihrer Überzeugung festhalten und sie überall vertreten, wie zu Leuten, die im Handumdrehen von heute auf morgen umlernen.

(Sehr richtig! links — Zwischenrufe. — Sie haben ja auch umgelernt und sind aus einer Sozialdemokratin zur Spartakistin geworden.)

Ich rechne es mir zur Ehre an, heute Spartakistin zu sein. Meine Überzeugungen sind konsequent die gleichen geblieben seit Jahrzehnten, ob ich mich Sozialdemokratin, Unabhängige Sozialdemokratin oder Kommunistin nenne. Ich habe grundsätzlich immer die gleiche Überzeugung vertreten, die einer internationalen Sozialistin. Ich darf sagen: Mein Name ist ein Programm.

(Zwischenrufe.)

Deshalb treffen mich Ihre Anwürfe nicht. Damit wollen Sie ja nur beschönigen, dass Sie im Handumdrehen umgelernt haben. Ihr Umlernen nach rechts empfiehlt Sie ja in den Augen des Bürgertums. Dieses findet Ihre Mauserung nicht bloß entschuldbar, sondern wertvoll, verdienstlich.

(Zwischenruf rechts: Alter schützt vor Torheit nicht!)

Bitte, umgekehrt gilt auch

(Zwischenrufe.)

Jugend allein ist noch kein Privileg für Klugheit. Das Urteil darüber, ob eine alte Frau es mit einem jungen Manne in Bezug auf politische Fähigkeit und politisches Wissen aufnehmen kann, überlasse ich ruhig anderen Leuten. Ich brauche mir nicht ein Selbstzeugnis auszustellen, wie es der Herr Zwischenrufer in geschmackvollster und offenbar genialster Weise getan hat.

(Zwischenrufe.)

Also, ich muss darauf zurückkommen: Der Streik ist nicht künstlich gemacht worden. Ich muss leider auf die Zwischenrufe reagieren, die dadurch nicht richtiger werden, dass sie Unrichtiges wiederholen. Der Streik ist urwüchsig aus der ganzen geschichtlichen Situation hervorgegangen. Der beste Beweis dafür, dass nicht die Verhetzung der Arbeiter ihn heraufbeschworen hat, ist die Einmütigkeit, mit der er bis zuletzt durchgeführt worden ist.

(Lebhafter Widerspruch aus der Mitte.)

Der Streik ist nicht zusammengebrochen, er ist abgebrochen worden.

(Widerspruch.)

Er ist abgebrochen worden, nicht nachdem die Regierung wiederholt Triumphlieder angestimmt hatte, es sei mit dem Streik zu Ende, morgen werde die Arbeit wieder aufgenommen. Nein, der Streik ist erst zu Ende gewesen, nachdem die Arbeiter beschlossen hatten, einmütig wieder in die Betriebe zurückzugehen, wie sie ja auch einmütig aus den Betrieben herausgegangen waren.

(Zwischenrufe — Unruhe.)

Die Regierung hat gegen den Streik die strengsten, die schärfsten, die brutalsten Mittel angewendet. Sie hat Verhandlungen abgelehnt, sie hat dem Aktionsausschuss das Recht abgesprochen, im Namen der Arbeiter zu sprechen.

(Zuruf: Sehr richtig!)

Sie rufen: Sehr richtig! Ich sage: Sehr unrichtig! Allerdings ist die Regierung mit ihrer Haltung konsequent geblieben. Sie hat genau das gleiche getan wie im Januar, wo sie auch — am 11. Januar — nach Berlin telegrafierte: ”Verhandlungen haben wir abgelehnt.” Das dient zur Charakterisierung des ”friedlichen” Sinns der Regierung. Wenn man sie hört, so ist sie ein Lämmlein und setzt sich nur zur Wehr, weil der böse Wolf über sie herfallen will.

Wie war aber die Situation in Wirklichkeit? Die Regierung antwortete auf den friedlichen Generalstreik mit Belagerungszustand und Schutzhaft. Der Belagerungszustand bedeutet die Wiederbelebung ganz vorrevolutionärer Verhältnisse. Er beruht auf einer Verordnung in Preußen vom Jahre 1851. Er stammt also aus der Zeit der schlimmsten Reaktion in Preußen und er war auch ursprünglich nur auf dieses Land beschränkt.

(Zuruf: Die Spartakisten in Bayern und in Bremen!)

Dort sind keine Spartakisten an der Macht und in der Regierung gewesen. Ich bestreite, dass in Bayern die Räterepublik von den Kommunisten ausgerufen worden ist. Bitte, lesen Sie nur die Berichte in der Tagespresse. In München haben die Kommunisten sich entschieden gegen die Ausrufung der Räterepublik erklärt. Die jetzige Räterepublik in München ist von Anhängern anderer Parteien geschaffen worden. (Heiterkeit.) Unter denjenigen, die sich für eine Räterepublik erklärt haben, sind Vertreter der Bauernräte und auch viele Anhänger der Mehrheitssozialisten. Die Kommunisten haben sich vom ersten Tag an der Entwicklung der Dinge in München äußerst kritisch gegenübergestellt, was jedoch nicht sagen will, dass sie etwa feig und tückisch den anderen in den Rücken gefallen wären.

Also zurück! Der Belagerungszustand beruht auf einem ursprünglich preußischen Gesetz, und ich bin außerordentlich erstaunt, dass bei der sonstigen Gepflogenheit, die schwäbische Eigenart stark zu betonen, man sich nicht energisch gegen diese Verpreußung wendet. Der Belagerungszustand ist eines der allerübelsten Erzeugnisse des Preußentums, das man nach Württemberg verpflanzt hat —

(Zurufe.)

Präsident: Ich bitte, die Frau Rednerin nicht zu unterbrechen.

Zetkin: Es gibt bekanntlich Mächte, gegen die nach Schiller selbst die Götter vergebens kämpfen, geschweige denn eine kleine Frau.

(Große Heiterkeit.)

Wir haben weiter die Schutzhaft. Es ist seinerzeit gesagt worden, von dem Herrn Justizminister von Kiene, die Schutzhaft oder die politische Sicherheitshaft wäre zwar nicht gesetzlich festgelegt, aber sie sei ein altes Gewohnheitsrecht, das auch anerkannt worden wäre von dem früheren Landtag im Falle Westmeyer. Bekanntlich wurde Westmeyer ”prophylaktisch” von der Polizei seinerzeit in Haft genommen. Der Ausspruch des Herrn Justizministers von Kiene ist jedoch in etwas einzuschränken. Mir liegt der Bericht vor über die Verhandlungen des Staatsrechtlichen Ausschusses, der sich mit der Frage zu beschäftigen hatte. Hiernach haben damals nur sechs Mitglieder des Ausschusses den Antrag des Berichterstatters gutgeheißen, der Westmeyers Sicherheitshaft billigte, drei Mitglieder des Ausschusses haben dagegen gestimmt.

(Zuruf von rechts: Aus andern Gründen!)

So! Aus andern Gründen! Das ist ganz gleich, jedenfalls bleibt die Tatsache — aus welchen Gründen immer —‚ dass die Sicherheitshaft nicht unbedingt und einheitlich vom früheren Landtag gutgeheißen worden ist. Übrigens lege ich rechtlichen juristischen Formeln in politischen Dingen nicht die letzte entscheidende Bedeutung bei. Im politischen Leben sind Rechtsfragen zuletzt Machtfragen.

(Zuruf: Das hat keine Bedeutung!)

Warten Sie nur ab. Trotzdem hat auch die juristische Seite ihre Bedeutung, und deshalb komme ich darauf zu sprechen. Die Verletzung des formalen Rechts durch die Regierung zeigt klar, dass diese sich nur auf Macht und Gewalt stützt.

Zur gesetzwidrigen Schutzhaft haben wir außerdem die Briefsperre. Die Regierung hat uns zur Niederzwingung des Streiks die Militärgerichtsbarkeit beschert, die Militärgerichtsbarkeit, von der behauptet wurde, dass ihre Beseitigung eine der wichtigsten Aufgaben der Revolution wäre. Der Streik hat gezeigt, dass die Militärgerichtsbarkeit noch in voller Blüte steht. Sie gilt nicht nur für das Militär, sondern sie ist sogar ausgedehnt auf die Zivilisten. Es funktioniert das außerordentliche Kriegsgericht. Kein Wunder! Wir haben ja im Allgemeinen die alte Militärgewalt, die Kommandogewalt der Militärs, wieder. Trotz der Revolution und der Soldatenräte. In der ”Sozialistischen Republik”, die in Heilbronn erscheint, ist in der Nummer vom 5. April dieses Jahres eine Rede veröffentlicht, die General Haas in Münsingen vor seinen Freiwilligen gehalten hat. Die Rede ist in mehr als einer Beziehung außerordentlich interessant. Sie geht davon aus, dass der Bolschewismus aus Ungarn nach Österreich übergreifen könnte, eine Möglichkeit, die nahe liegt.

(Abgeordneter Fischer: Sie wissen ja gar nicht, ob der Bericht stimmt!)

Wenn der Bericht nicht stimmt, so mag sich der Herr General Haas dagegen wehren, ich bin nicht als sein Sachwalter bestellt; ich weiß auch nicht, ob er den Herrn Abgeordneten Fischer als seinen Vormund bestellt hat. — Es hat dann Herr General Haas die Auffassung vertreten, dass es nur eine Kommandogewalt geben, dass von Soldatenräten nicht geredet werden dürfe. Was in der Landesversammlung der Soldatenräte beschlossen worden sei, wäre bedeutungslos. Der Reichswehrminister Noske hätte ihm klar und deutlich gesagt: Es gäbe keine Soldatenräte, es dürfe nur eine Kommandogewalt geben! Ich möchte die Aufmerksamkeit des Herrn Kriegsministers auf diese Äußerungen lenken. Die Regierung, die sich Geheimberichte über spartakistische Reden senden lässt, wird sich zweifelsohne auch über die Reden von Generälen unterrichten lassen!

Wir haben während des Streiks zwar nicht das Standrecht gehabt, wohl aber die Niederknallerei von wehrlosen Demonstranten. Friedliche Demonstranten sind es zweifellos gewesen, auf die von den Regierungstruppen geschossen worden ist.

(Unruhe.)

Jawohl, ich wiederhole, es sind von Haus aus friedliche Demonstranten gewesen, die durch Stuttgarts Straßen gezogen sind. Und wenn es leider anders geworden ist, so ist das die Schuld der Sicherheitstruppen und der Regierung, die durch Truppenaufgebot die Streikenden einschüchtern wollten.

(Zurufe.)

Ich bedaure außerordentlich, vielleicht mehr als sie, die gefallenen Opfer, denn ich empfinde als Frau, als Mutter.

(Zurufe: Oho! Die bestialische Ermordung des Soldaten in Ostheim.)

Sie haben nicht das Recht, sich zu entrüsten. Sie haben nicht protestiert gegen die Bestialität des Meuchelmordes, der an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und anderen verübt worden ist…

(Zurufe: ”Sehr richtig!” auf der äußersten Linken. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte doch die Herren Abgeordneten, ein wenig Rücksicht zu nehmen auf das zarte Geschlecht, dem die Rednerin angehört.)

Zetkin: Ich freue mich außerordentlich, dass dem sonst so witzlosen Herrn Präsidenten auch einmal ein Witz geglückt ist — allerdings ein billiger Witz.

(Große Heiterkeit. Zurufe.)

Wie? Rosa Luxemburg lebe noch? Das ist ein aufgelegter Schwindel. Ich erinnere daran, dass der Justizminister Heine in der preußischen Landesversammlung zugegeben hat, dass man wisse, was aus der Leiche Rosa Luxemburgs geworden sei. Was, das ist leider nicht gesagt worden. Die Leiche ist auch nicht für das Begräbnis freigegeben worden. Wenn Rosa Luxemburgs Leiche da ist, dann muss Rosa Luxemburg auch tot sein. Das ist eine ziemlich einfache Logik.

Ich wiederhole, wir haben nicht das Standrecht während des Streiks gehabt, wohl aber die Niederknallung, die Hinmetzelung friedlicher, wehrloser Demonstranten. Wenn diese Vorgänge dazu geführt haben, dass auch Sicherheitstruppen gräulich niedergemetzelt worden sind, so missbillige ich das so gut wie Sie. Aber vergessen Sie nicht, wie hoch die Empörung der Massen durch das Eingreifen der Truppen gestiegen war! Das Truppenaufgebot, die Verwendung von Truppen war eine Provozierung der Arbeiter.

(Zwischenrufe.)

Durch die Wiederholung wird nicht richtiger, was Sie behaupten. Also, wir missbilligen aufs entschiedenste Bestialitäten, wir bedauern ihre Opfer. Die wirklich Schuldigen sind jene, die moralisch und politisch dafür verantwortlich sind, dass es zum Bürgerkrieg gekommen ist.

(Zurufe auf allen Seiten: Sehr richtig! Schuldig seid ihr!)

Schuldig daran sind nicht wir…

(Zurufe: Doch!)

sind vielmehr alle diejenigen, die nicht ihre volle Kraft daran gesetzt haben, ohne Rücksicht auf das Kapital und seine Ordnung ein neues Deutschland, ein neues Württemberg aufzubauen, wo die Arbeit, befreit von Ausbeutung und Knechtschaft, blühen und gedeihen kann.

Die Regierung hat sich mit ihren Maßnahmen gegen den Massenstreik entschieden auf den Boden des vorrevolutionären Rechtes gestellt. Sie hat zu allen gewalttätigen Maßnahmen ihre Zuflucht genommen, die ihr das vorrevolutionäre Recht in die Hand gab. Nach meiner Auffassung ist das ihrerseits ein sehr gefährliches Beginnen. Warum das? Weil von dem Augenblick an, wo sie sich auf den Boden des vorrevolutionären Rechts stellt, sie anerkennt, dass das vorrevolutionäre Recht überhaupt noch in Kraft ist. Sie gibt damit der Gegenrevolution, die auf der Lauer liegt, die juristische Waffe in die Hand, die Rechtmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der jetzigen Regierung zu bestreiten. Die Gegenrevolution kann sagen: Ihr seid eine Regierung, die von Meuterern, die von Aufrührern unter Anwendung von Gewalt in die Macht hineingetragen worden ist! Wenn die Regierung das vorrevolutionäre Recht als gültig anruft, so gilt auch noch die alte Verfassung. Danach wäre der rechtmäßige Regent Wilhelm II., der nicht freiwillig abgedankt hat, sondern unter dem Zwang der Umstände. So käme als Herrscher der Herzog Albrecht in Frage, der bis heute noch nicht auf den Thron verzichtet hat

(Zurufe.)

Mit ihrem Verfahren gibt die Regierung den Gegenrevolutionären die juristische, die rechtliche Waffe in die Hand, einstmals die Regierung BIos ebenso zu behandeln, wie diese heute die Genossen Hörnle, Schreiner usw. als Aufrührer und Meuterer behandelt. Gewiss, wir Unabhängigen Sozialisten,

(Zuruf: Spartakisten!)

wir sind Kommunisten oder auch Spartakisten — der Name schändet nicht! Es kommt die Zeit, wo der Name Spartakus ein Ehrentitel sein wird. Seinerzeit wähnte man, die niederländischen Freiheitskämpfer zu schänden, indem man sie Geusen, Bettler nannte. Erinnern Sie sich, welcher Ehrentitel der Name ”Geuse” in der Geschichte geworden ist.

(Zuruf: Abwarten!)

Wir können warten, denn mit uns ist die geschichtliche Entwicklung, und die ist stärker als Sie alle.

Wir Spartakisten, wir Unabhängigen Sozialisten teilen diese rechtliche Auffassung der Gegenrevolution durchaus nicht. Wir sind der Überzeugung, dass die Revolution ihr eigenes Recht hat, dass sie ihr eigenes neues Recht schafft. Aber wenn dieses neue Recht sich nicht gegen die Regierung wenden soll, so muss diese selbst sich entschieden auf den Boden des neuen, revolutionären Rechtes stellen. Das hat die Regierung nicht getan. Deshalb hat sie für uns, die wir entschieden die Revolution vorwärts treiben wollen, ihrem Ziel entgegen, das Recht verwirkt, als unantastbar behandelt zu werden. Wir halten es nicht nur für unser Recht, wir nehmen es als unsere Pflicht in Anspruch, uns gegen diese Regierung zu wenden und auf ihre Beseitigung durch Kritik und Aufklärung, durch Massenstreiks, Massenwillen, Massenaktionen hinzuwirken

(Zuruf: Also doch! — Zurufe.)

Bitte, die regierenden Herren haben nichts dagegen gehabt, die Regierung zu übernehmen, obgleich am 9. und in. November Tausende und Tausende von Soldaten mit Handgranaten, mit Karabinern, mit Maschinengewehren usw. in den Straßen für den Sturz der alten Regierung demonstrierten. Man soll nicht die Tatsachen beugen; man soll sie nicht auslegen, man soll, wenn man selbst auf dem Ast der Revolution sitzt, diesen Ast nicht absägen.

(Zuruf: Das wollen Sie!)

Das brauchen wir gar nicht zu tun. Das besorgen die Herren von der Regierung selbst. Es wäre unsererseits überflüssige Liebesmühe. Wir brauchen nur die Massen aufzuklären über die Politik der Regierung.

(Zuruf links: Aufhetzen!)

Es gab eine Zeit, wo Sie stolz darauf waren, Hetzer genannt zu werden; vergessen Sie Ihre eigene Geschichte nicht, beschmutzen Sie Ihre eigene Geschichte nicht. Die Regierung hat sich durch ihre Maßnahmen während des Streiks selbst in ein Dilemma gebracht. Entweder wird ihr auf Grund ihrer Politik die Rechtmäßigkeit von rechts her oder von links her abgesprochen.

Aber, meine Damen und Herren, ich lege letzten Endes diesen Rechtsfragen die geringere Bedeutung bei. Sie haben ihre Bedeutung nur insofern, als die Regierung sich mit dem Mantel eines unantastbaren, heiligen und unverletzlichen Rechtes decken will. Mit dem Mantel eines Rechtes, das allen anderen heilig sein soll, weil es ihr gerade zweckmäßig, bequem, Macht erhaltend ist. Wenn man mit juristischen Formeln operiert, wenn man sich auf das formale Recht beruft, so muss man auch die logischen Konsequenzen ziehen.

Aber es kommt für die Beurteilung der Regierungsmaßnahmen noch anderes in Betracht als Rechtstexte. Das ist die Tatsächlichkeit. Die Tatsache ist unumstößlich, dass die Regierung sich mit ihren Maßnahmen gegen den Streik auf den Boden der nackten, der brutalen Gewalt gestellt hat, und sie ist ja von dem Herrn Vorredner aufgefordert worden, das künftig noch mehr als bis jetzt zu tun. Ich glaube, dass diese Aufforderung an diese Regierung ganz überflüssig ist. Wie wir die Regierung bis jetzt kennen gelernt haben, wird sie auch ohne den Segen von rechts, von der äußersten Rechten mit den schärfsten Maßregeln gegen das vorwärts dringende Proletariat, gegen die ihr unbequeme Richtung vorgehen.

Die Regierung selbst hat in einem Flugblatt zugegeben, dass der Streik vor allen Dingen zusammenhängt mit der großen wirtschaftlichen Not, die der Krieg hinterlassen hat. Sehr richtig Aber ich frage Sie: Wer ist letzten Endes für die Not des Krieges verantwortlich? Ich bewundere die Regierung, ich bewundere die bürgerlichen Parteien, und zu ihnen rechne ich auch die Mehrheitssozialdemokraten, wenn sie die Stirn haben, fortwährend Wilhelm II. von Hohenzollern, die Alldeutschen, die Militärpartei als die für den Krieg und seine Dauer allein Verantwortlichen hinzustellen. Nein, die Verantwortlichkeit für den Krieg mit seinen furchtbaren Folgen tragen Sie alle, tragen alle diejenigen, die mit den verschiedenen Regierungen 4½ Jahre lang durch das Blutmeer des Völkermordens gegangen sind.

(Sehr richtig! ganz links. — Zuruf links: Sie auch mit!)

Bitte, ich nicht. Ich kann feststellen, dass ich unter den vier ersten war, die in Deutschland nach Kriegsausbruch das Banner der Opposition gegen die Bewilligung der Kriegskredite und für den internationalen Sozialismus entfaltet haben.

(Zuruf des Abgeordneten Friedrich Fischer.)

Das ist gelogen.

(Abgeordneter Friedrich Fischer: Das ist nicht gelogen, das ist wahr! Das kann festgestellt werden!)

Wir, Rosa Luxemburg und ich, haben am 2. August bereits die ersten Schritte getan, um mit einem Protest gegen den Krieg und gegen die Zustimmung zum Krieg an die Öffentlichkeit zu treten. Und wenn unser Protest nicht sofort in die Öffentlichkeit gekommen ist, so aus einem bestimmten Grunde: Ungefähr 20 Reichstagsabgeordnete hatten erklärt, unsere Auffassung zu teilen. Wir hofften, sie zu bestimmen, mit uns in der Öffentlichkeit gegen den Krieg zu protestieren. Sie waren jedoch schließlich nicht zu bewegen, ihre Unterschriften unter einen Protest zu setzen. Nur der einzige Liebknecht schloss sich wie Franz Mehring dem Protest an.

(Zuruf links: Wären Sie mit der Rosa Luxemburg den Franzosen entgegengegangen, dann wären die Franzosen davongelaufen! Heiterkeit.)

Ich halte es unter der Würde des Hauses und meiner Würde, auf diesen Zwischenruf zu antworten.

Es ist mir ehrenvoller, mit einer Rosa Luxemburg zusammen wegen unseres Äußeren lächerlich gemacht und verspottet zu werden, als politisch Arm in Arm mit den Herren zu marschieren, die die Blutschuld des Krieges mit auf sich geladen haben.

(Abgeordneter Friedrich Fischer: Sie wegen Ihrer Äußerlichkeit herunterzusetzen, wird niemand einfallen.)

Jawohl.

(Zuruf aus der Mitte: Wer marschiert mit Ihnen — Links: Lesen Sie doch die Geschichte des Krieges.)

Das habe ich getan. Auch die Vorgeschichte gelesen. Ich rate Ihnen, dass Sie die Vorgeschichte des Krieges studieren. Hätten Sie es getan, so würde es Ihnen als Sozialdemokraten vielleicht nicht in den Sinn gekommen sein, die kriegsbegeisterte imperialistische Regierung Deutschlands immer wieder durch Kreditbewilligung und Stimmungsmache zu unterstützen und von der Blutschuld des Krieges weiß zu waschen!

Ich führte an, die Regierung sagte es selbst in einem offiziell verbreiteten Flugblatt, dass es die vom Krieg geschaffenen Nöte sind, die Missstimmung in den breitesten Kreisen erregen. Es ist in dem Flugblatt erklärt worden, dass auch der beste Wille nicht mit einem Schlage in nächster Zukunft das große Weh der breitesten Massen beenden könnte. Das ist unzweifelhaft richtig. Das sieht auch das werktätige Volk ein. Aber was das Volk bemängelt, was das Volk der Arbeit empört, ist dieses: Bis jetzt ist viel mehr geschehen, um die politische und wirtschaftliche Macht der Bourgeoisie wiederherzustellen und zu stärken, als um das werktätige Volk wirtschaftlich und damit auch politisch vollständig frei und gleichberechtigt zu machen. Stände das nicht fest, so wäre die Stimmung der Massen eine ganz andere.

(Zuruf links: Beweise für diese Behauptung!)

Beweise brauche ich im Einzelnen nicht, sie liegen im buchstäblichen Sinne auf der Straße.

(Lachen.)

Gehen Sie unter die Arbeitermassen, sehen Sie, wie sie entbehren, hören Sie die Klagen über die Leiden der Arbeitslosen, hören Sie von den Kriegsbeschädigten, dass nicht einmal allen die Teuerungszulage vom Januar und der Verstümmeltenzuschuss ausgezahlt worden sind.

(Abgeordneter Pflüger Die wirtschaftliche Zerrüttung machte das ja unmöglich! — Abgeordneter Fischer: Das hängt doch nicht mit dem Generalstreik zusammen!)

Jawohl, das hängt mit dem Generalstreik zusammen, das gehört zu seinen Ursachen.

(Zuruf aus der Mitte: Das können Sie nicht mit dem Generalstreik machen!)

Jawohl, zur Notwende soll der Generalstreik helfen …

(Zuruf: Nein, das können Sie mit dem Generalstreik nicht, im Gegenteil! Sie haben das vor zehn Minuten selbst gesagt! Zuruf links: Das alles ist voller Widersprüche! — Abgeordneter Friedrich Fischer: Sie finden den Ausweg nicht mehr zur Verteidigung! — Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich finde, dass die zahlreichen Zwischenrufe weder zur Erhöhung des Niveaus unserer Verhandlung noch zu deren Förderung beitragen. Ich möchte deshalb dringend bitten, etwas sparsamer und wählerischer in den Zwischenbemerkungen zu sein.

(Sehr richtig!)

Zetkin: Ich behaupte, dass die vom Krieg geschaffenen und hinterlassenen Nöte die Grundursache sind, aus der die tiefe Unzufriedenheit der Volksmasse mit der Regierung und der bestehenden Ordnung emporgewachsen ist.

(Sehr richtig! bei der äußersten Linken.)

Ich wiederhole, dass die Massen ganz gut begreifen, dass nicht über Nacht ein Wandel des Elends eintreten kann.

(Zuruf links: Also!)

Aber die Massen sind unzufrieden, sie sind empört, weil von der Regierung nicht einmal der ernste Versuch gemacht worden um die Forderungen einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft zu erfüllen. Die Räte haben bis jetzt nicht die entscheidende politische und wirtschaftliche Macht erhalten. Es ist bis jetzt kein ernster Anfang mit der Sozialisierung gemacht worden. Die allgemeine Arbeitspflicht ist nicht eingeführt worden. Sie alle schreien, dass Arbeit, Arbeit not täte damit Deutschland seinen Zusammenbruch überwinde. Nun wohl, machen Sie doch die Arbeit zur Pflicht all der Müßiggänger, die wir als Träger und Trägerinnen arbeitslosen Vermögens und Einkommens noch in der Gesellschaft haben, auch in Württemberg. Machen Sie doch für produktive Arbeit diejenigen frei, die heute ihre Zeit und ihre Kraft vertrödeln müssen mit dem mühseligen und aufreibenden Dienst, Müßiggänger zu bedienen.

(Zuruf aus der Mitte: Streiks!)

Ich komme schon auf die Streiks.

Sie sagen, dass der Streik das ungeeignetste Mittel sei, die Massennot zu wenden, dass dazu vor allen Dingen Arbeit not tue. Gewiss, Arbeit tut not! Aber es fragt sich, unter welchen Bedingungen die Arbeit geschehen soll. Soll sie frei oder ausgebeutet sein? Die Arbeiter sind es müde geworden, unter der Fuchtel der kapitalistischen Ausbeutung zu bluten. Die Arbeiter werden arbeitswillig sein und mit Freuden ihre letzte Kraft daransetzen zu schaffen, wenn sie für ihr eigenes Wohl, wenn sie für das Wohl der Gesamtheit schaffen — und nicht mehr für eine kleine Minderheit von Reichen und Sehrreichen. Sie müssen in Betracht ziehen, dass die Arbeitsfreudigkeit, die Arbeitsfähigkeit und damit die Arbeitsleistung unter dem Einfluss von Unterernährung und Überarbeit ganz gewaltig zurückgegangen sind. Der schlechte Stand der allgemeinen Gesundheit ist für hohe Arbeitsleistungen nicht günstig Aber ich bin überzeugt, dass trotzdem die Arbeitsfreudigkeit gewaltig steigen wird, wenn die arbeitenden Massen das Bewusstsein haben, dass sie nicht mehr für fremden Reichtum sich mühen, sondern für ihren eigenen Wohlstand, für ihre eigene Kultur, für das Wohl der Allgemeinheit. Will man den Nöten ein Ende machen, so gibt es nur ein Mittel: die Wirtschaft zu sozialisieren ohne Entschädigung, die großen Produktionsmittel — die großen zunächst! — je nach dem Grad ihrer Entwicklung und der Art des Produktionsprozesses, in den Besitz der Allgemeinheit zu überführen, ihren Betrieb genossenschaftlich zu organisieren usw. Aber bis jetzt ist in dieser Beziehung in den fünf Monaten so gut wie nichts geschehen.

Wollen wir zu friedlichen, geordneten Verhältnissen gelangen, so kann es nur eines geben — nämlich die Frage zur Entscheidung zu bringen: Hie Kapitalismus, hie Sozialismus! Der Neuaufbau der deutschen Wirtschaft kann unter den gegebenen Verhältnissen nur erfolgreich sein, die Not kann nur dann enden, wenn die Aufrichtung des Sozialismus das Ziel der Politik ist. Gewiss, dass damit zunächst nicht eine Gesellschaft des Reichtums geschaffen werden kann! Jedoch für alle kann menschenwürdiger Lebensunterhalt gesichert werden, wenn die kapitalistische Ausbeutung, wenn arbeitsloser Gewinn ausgeschaltet wird, wenn die Wirtschaft in der Richtung zur sozialistischen Ordnung organisiert wird.

Fünfzig Jahre lang hat die Sozialdemokratie verkündet, dass der Kapitalismus eine Wirtschaft der Planlosigkeit, der Vergeudung, der Lähmung der Arbeits- und Produktionskräfte ist. Fünfzig Jahre lang hat die Sozialdemokratie verkündet, dass das Gemeinwohl ein stärkerer Impuls und Antrieb für die Produktion sein wird als der Eigennutz der einzelnen Kapitalisten. Jetzt auf einmal in dieser Zeit furchtbarster Krise will man das arbeitslose Einkommen, das arbeitslose Vermögen, das ausbeutende Kapital erhalten, das vampirgleich an dem Mühen, dem Schaffen der breiten Masse zehrt. Die Streiks brechen mit elementarer Gewalt aus, weil den Massen unter der Konjunktur des Krieges zum Bewusstsein gekommen ist, dass sie mit ihrer Arbeit für den Kapitalismus unentbehrlich sind. Kapitalismus besagt nicht nur Kommandogewalt eines einzelnen oder einiger weniger über viele. Es bedeutet auch: Unterwerfung der vielen unter diese Kommandogewalt. Die breitesten Massen wollen sich dieser kapitalistischen ausbeutenden Kommandogewalt nicht mehr unterwerfen. Sie verlangen die Sozialisierung der Wirtschaft als Anfang zur Verwirklichung des Sozialismus. Und weil in dieser Beziehung nichts Durchgreifendes geschehen ist, sind die Vorbedingungen für Streiks gegeben. Diese Streiks sind elementare Ausbrüche des Massenempfindens, das die Überwindung des Kapitalismus fordert, sind ein Hindrängen der Massen zum Sozialismus. Diese Streiks bekommen mehr und mehr ein politisches Gesicht. Die Arbeiter wollen die Streiks nutzbar machen für politische Forderungen, für die Erringung politischer Macht. Die wirtschaftliche Macht der Proletarier soll umschlagen in politische Macht. Der Streik soll dienen zur Beseitigung des Kapitalismus, zur Freimachung der Bahn für den Sozialismus. Das ist der letzte, eigentliche Sinn der Streiks. Bei diesen Streiks drängen sich örtlich, bezirks- und landweise andere Fragen in den Vordergrund, Fragen, wie sie jeweilig durch die wirtschaftlichen Verhältnisse und durch den Kampf um die politische Macht zwischen Bourgeoisie und Proletariat an die Oberfläche getrieben werden. Solche Fragen sind zum Beispiel die vier Bedingungen, die hier in Stuttgart als Ziel des Generalstreiks aufgestellt worden sind. Gewiss, in der Form, äußerlich gesehen, sind die Streikenden unterlegen, sie haben ihre Forderungen nicht durchgesetzt. Moralisch sind sie dagegen die Sieger geblieben.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Sie sind siegreich Geschlagene, sie sind geschlagen, aber nicht besiegt. Wenn Sie erkennen würden, wie mutig und einheitlich die Arbeiter trotz ihrer Niedermilitarisierung in die Betriebe zurückgegangen sind, wie fest entschlossen sie sind wiederzukommen, in größerer Zahl, besser gerüstet wiederzukommen — dann würden Sie wissen, dass der Streik nicht umsonst gewesen ist. Ich meine, auch den führenden Sozialdemokraten in der Regierung müsste die Stelle aus dem Kommunistischen Manifest bekannt sein, wo es heißt, dass der Erfolg von Streiks, von Massenbewegungen zunächst nicht immer der unmittelbare praktische Erfolg ist, sondern die größere Geschlossenheit, die größere Vereinigung, die größere Zielklarheit der ringenden Massen. Diesen Erfolg hat der Generalstreik in Württemberg gebracht. Wenn die Streikenden wiederkommen, so werden sie in größeren Massen, in festerer Geschlossenheit, mit größerer Zielklarheit sich dem Kapitalismus und seiner Regierung entgegenstellen. Es genügt für heute das unerschütterliche Bewusstsein, dass die Zeit kommen wird, wo die angeblich Niedergerittenen die Sieger bleiben werden, nicht durch einzelne kleine Putsche, sondern im Massenkampf.

Ich muss noch ein Wort sagen über die angebliche Provokation von Putschen, die den Unabhängigen Sozialdemokraten wie den Spartakisten nachgesagt worden ist. Ich verweise auf das Programm der Kommunisten als das der äußersten Linken.

In dem Programm der Kommunisten sind Gewalttaten gegen einzelne Personen, sind planlose Putsche mit der größten Entschiedenheit als Kampfmittel abgelehnt worden. Es wird erklärt, dass es darauf ankommt, die Erkenntnis und den Willen der Massen zu wecken und immer fester zu großen Massenaktionen zusammenzuballen. Wir sind nicht so kindsköpfisch, dass wir annehmen, wir könnten mit einem kleinen Putsch oder mit ein paar Putschen Regierungen von ihren Thrönlein wegfegen die über alle Mittel der brutalen militärischen Macht verfügen. Was wir wollen, ist ein anderes: Wir wollen die Massen empören, wir wollen den Massenwillen gegen die ungetreuen Regierungen mobilisieren. Wir erwarten den Sturz der Regierung deshalb nicht von vereinzelten kleinen lokalen Aktionen, sondern als gemeinsame Tat des Willens der breitesten proletarischen Massen. Die Spartakisten, die Kommunisten verfolgen dieses Ziel: Durch eine grundsatztreue, konsequente, energische Politik wollen sie die Massen erwecken, die Massen sammeln, sie zusammenballen und schulen, damit die Massen ihrerseits zu bewussten Trägern einer zielklaren, konsequenten Politik werden, zu Trägern politischer Aktionen, die — ich spreche das offen aus — gerichtet sind auf die Diktatur des Proletariats, wie sie geschaffen werden soll durch das Rätesystem. Sie haben kein Recht, uns das Streben nach der Diktatur des Proletariats zum Vorwurf zu machen, denn Sie alle üben jetzt eine Diktatur, nämlich die Diktatur der Bourgeoisie. Der Unterschied ist, dass wir die Diktatur der breitesten werktätigen Massen wollen, Sie aber wollen die Diktatur einer Minderheit.

(Lachen.)

Wir können es ruhig ertragen, dass Sie uns schmähen, dass Sie uns beschimpfen, dass Sie uns verfolgen, dass Sie uns vielleicht töten. Eine Regierung kann auf die Dauer nicht auf der Spitze von Bajonetten sitzen.

(Heiterkeit.)

Mit Ihnen sind die brutalen Machtmittel, mit uns aber ist die Macht der Idee, die Macht der geschichtlichen Entwicklung. Sei‘s drum, dass wir jetzt unterliegen. Aus unseren Opfern, aus unseren Gebeinen werden uns Rächer erstehen. Verstehen Sie es wohl, nicht in dem Sinn, wie Sie es wahrscheinlich auslegen möchten: Niemand unter uns denkt daran, dass es je Leute geben könnte, die sich die Hände mit dem Blut Ihrer zwerghaften Persönlichkeit besudeln, die diese zu Opfern von Racheakten machen könnten. Nein, Rächer werden uns erstehen in dem Sinn, dass Frauen und Männer heranwachsen, die die Ideen zum Siege tragen und verwirklichen, für die wir heute arbeiten, für die wir kämpfen, für die wir bereit sind, uns bis zum Letzten einzusetzen. Wenn Sie jetzt gegen uns alle Ihre Machtmittel aufbieten, so sagen wir Ihnen mit dem Dichter Freiligrath: ”Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht — unser die Welt trotz alledem!”

Kommentare