Clara Zetkin 19200100 Revolutionäre Kämpfe und revolutionäre Kämpfer

Clara Zetkin: Revolutionäre Kämpfe und revolutionäre Kämpfer

(Januar 1920)

[Revolutionäre Kämpfe und revolutionäre Kämpfer 1919. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches, E. Leviné, Franz Mehring und all den treuen, kühnen revolutionären Kämpfern und Kämpferinnen des Jahres 1919 zum Gedächtnis von Clara Zetkin. Broschüre Stuttgart o. J., gekürzt in Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 147-181]

Am 15. Januar jährt es sich zum ersten Mal, dass Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als Blutzeugen der Revolution, des Sozialismus von uns genommen worden sind. Nicht im Kampfgetümmel für die Revolution, die ihres Daseins Erfüllung war, gefällt von ehrlichen, ritterlichen Gegnern, die Leben gegen Leben eingesetzt hätten. Nein, als wehrlose Gefangene, als die Opfer einer Offizierskamarilla in bestialischer Weise hingeschlachtet von der schleichenden Niedertracht galonierter Mordbuben, an deren ruchloser Tat der ausgesetzte Kopfpreis mindestens ebensoviel teilhatte, wie der fanatisierte Hass. Die Tatsache besagt darüber genug, dass der Klüngel der Mordgesellen zwar die Kraft besaß zur Rohheit der Tat und des sie feiernden Sektgelages, jedoch nicht den Mut des bekenntnisstarken, verantwortungsvollen Einstehens für die Tat. Die skandalösen Runge-, Vogel- und Marloh-Prozesse und der nicht prozessierte Sklarz-Skandal reden unmissverständlich über die sehr einträgliche Verquickung von Geschäft und Gesinnung, die den schmutzigen, stinkenden Untergrund des scheußlichen Verbrechens an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und anderen Vorkämpfern der proletarischen Revolution bildet.

Diese Verquickung hat ihre besondere Bedeutung. Sie lässt sinnenfällig erkennen, wie weit fortgeschritten der Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft ist. Der gedungene Meuchelmord zur politischen Kampfmethode erhoben, von der Regierung ohnmächtig oder auch wohlwollend geduldet, vielleicht sogar heimlich begönnert, von großen Kreisen der Besitzenden und Herrschenden applaudiert, von den Gerichten ungesühnt hingenommen: Das ist ein untrügliches Symptom hochgradiger Fäulnis der Politik, der Moral, des Rechtes jener Ordnung, um deren Verewigung sich Ebert, Scheidemann, Bauer und David in inniger Seelengemeinschaft mit den Erzberger, Dernburg und Stinnes so eifrig mühen. Indem sich die bürgerliche Gesellschaft durch Taten der größten moralischen Verworfenheit und Lumperei vor dem offenen, ehrlichen Kampf unversöhnlicher Gegner retten lässt, bestätigt sie unfreiwillig, wie reif sie für ihren Untergang ist und dass sie im Interesse der gesellschaftlichen Moral nicht minder verschwinden muss wie in dem der gesellschaftlichen Wirtschaft.

Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und ihren Schicksalsgenossen sollte durch tückische Mörderhand der anklagende, kampfbefeuernde Mund für immer geschlossen werden. Die Sache aber, der sie mit unvergleichlicher Hingabe dienten, lebt weiter, und auch der Tod der gemeuchelten Kämpfer wird ihr zum Leben. Die Mörder der teuren Toten leben, leben herrlich und in Freuden, die Sache jedoch, der sie sich verkauften, trägt den Tod im Leibe, sie stirbt. Die Nemesis der Geschichte lässt ihrer nicht spotten. Die revolutionäre Vorhut des deutschen Proletariats sei dessen eingedenk, denn es verpflichtet. In ihrer Arbeit, ihrem Kampf müssen die Erschlagenen weiterleben, bis das Ziel erreicht ist, das uns alle über Tod und Grab hinaus verbindet: die kommunistische Ordnung, für die die Opfer der Gegenrevolution lebten und für die sie starben.

Die Berliner Januarkämpfe

Anfang Januar 1919, kaum zwei Monate nach der Novemberrevolution. Immer schärfer stellt sich heraus, dass — wie die Kommunisten vom ersten Tage an betonten — der Kampf nicht um Einzelheiten der Revolution geht, sondern ums Ganze, um die Revolution selbst, um ihr Wesen, ihren Inhalt, ihr Ziel. Bürgerliche Reform oder proletarische Revolution, das ist die Frage. Deutlicher gefasst: eine neue Staatsform oder eine neue Gesellschaftsordnung; voll entfaltete Herrschaft der Bourgeoisie mittels der bürgerlichen Demokratie und Fortbestand des Kapitalismus oder Klassendiktatur des Proletariats mittels der Räteordnung und Aufrichtung des Sozialismus. Immer augenscheinlicher zeigt es sich, dass die Mehrheitssozialdemokratie mitsamt ihrem Zwillingsgeschwister, der Gewerkschaftsbürokratie, schimpflich aber konsequent fortsetzt, was sie am 4. August 1914 schimpflich und konsequent begonnen: den Verrat des Sozialismus, den übertritt in das Lager des Kapitalismus. Die Abdämmung der brausenden Revolutionsflut in die kleinen Rinnsale und stillen Tümpel einer wohlanständigen Reform, bei der das Bürgertum und Junkertum ”freudig” mitarbeiten: Das ist ihres Ehrgeizes Ziel. Das Ziel des Ehrgeizes von Sklaven, die ihre Freiheit nicht zu denken wagen!

Die kapitalistenfürchtige Regierung der Ebert-Scheidemann-Landsberg stört in Berlin die um Geltung ringende neue Ordnung, indem sie zur Wiederherstellung der alten Ordnung den Polizeipräsidenten Eichhorn absetzt, einen Parteigänger der Unabhängigen Sozialdemokratie. Die Maßregelung ist ein Glied in einer Kette von Aktionen, die wohlüberlegt auf die Entwaffnung des revolutionären Berliner Proletariats hinzielt auf die Bewaffnung des gegenrevolutionären Bürgertums. Sie soll den Verzicht der Arbeiter auf die Revolution, ihr demütiges Unterkriechen unter das alte, kapitalistische Joch im ganzen Reiche einleiten, das Vorspiel sein zur Bettleroper der mehrheitssozialdemokratischen Regierungsfähigkeit von der Bourgeoisie Gnaden.

Die revolutionäre Vorhut der Berliner Arbeiterschaft empfindet die brennende Schmach des Faustschlages ins Gesicht. Sie tut, was Pflicht und Ehre gebeut, sie nimmt den Kampf auf. Ohne klaren Überblick über die geschichtliche Situation und die richtige Einschätzung der Kräfte hüben und drüben, ohne Führung, die verstanden hätte, das konkrete Kampfobjekt der Situation und dem Stärkeverhältnis entsprechend zu begrenzen, und die gleichzeitig entschlossen gewesen wäre, für das gegebene, fest umrissene Ziel die ganze revolutionäre Energie aufzubieten, will sie auf einen Schelmen anderthalbe setzen. Sie begnügt sich nicht mit der nachdrücklichen Aktion für die Rückgängigmachung von Eichhorns Absetzung, für die Entfernung von Noskes gegenrevolutionärer Soldateska aus Berlin, für die Bewaffnung der Arbeiterschaft und die Kontrolle der militärischen Macht durch sie. Sie geht darüber hinaus und macht zum Kampfziel, was zunächst nur Losung für die Sammlung aller revolutionären Elemente im Reich sein kann: den Sturz der Renegatenregierung.

Sie fordert zum Generalausstand auf, der zwangsläufig zum Generalaufstand werden muss, zum Ringen mit einem Feind, für den es um Sein und Nichtsein geht. Das aber unter Umständen, unter denen dem Kampf der Berliner Stoßtruppen der Revolution nichts anderes beschieden sein kann als das Schicksal der Pariser Kommunarden. Nicht einmal das Proletariat der Reichshauptstadt steht geschlossen hinter ihnen, geschweige denn breite werktätige Massen im ganzen Reich. Auf der Höhe des Kampfes tritt das Verhandeln mit dem Feind an die Stelle des Handelns gegen ihn, der Aufstand verliert die Stoßkraft. Eine Episode bildet in seinem Auf und Ab die Besetzung des ”Vorwärts”-Gebäudes, das die Parteivorstandsclique der SPD der Berliner Arbeiterschaft geraubt hat, bildet die Besetzung einiger anderer Redaktionen, die sich mit dem offiziellen Scheidemann-Organ demokratisch in das ehrsame Geschäft teilen, der Revolution den Weg zu verlegen und ihre Vorkämpfer mit Schmutz zu bewerfen.

Die revolutionäre Vorhut der Berliner Arbeiterschaft ist voll leidenschaftlicher Kampfbegier, sie schlägt sich heroisch. Sie unterliegt im Ringen der zermalmenden Übermacht der schwerkalibrigen Bomben und Minenwerfer, sie verblutet an der mangelnden revolutionären Erkenntnis und Energie der proletarischen Massen innerhalb und außerhalb von Berlin. Die ”Vorwärts”-Parlamentäre werden nach entsetzlicher Misshandlung gemordet. Die weißen Garden stellen die ”Ruhe” her, wie sie es im mehr als vierjährigen Mordhandwerk des Krieges gelernt haben. Die bürgerliche Ordnungsbestie rast. Sie nimmt ihre Rache dafür, dass sie einen Augenblick lang für ihre Druckmaschinen, Papierballen und Kassenschränke, kurz, für ihr Heiligstes: das Eigentum, gezittert hat. Sie speit den giftigen Geifer von Lügen und Beschimpfungen über den Aufstand, sie nimmt mit Hand und Mund teil an der scheußlichen Misshandlung wehrloser Gefangener, sie schreit nach Mord.

In dieser Atmosphäre des Hasses, der Furcht, des Siegestaumels, des Blutrausches wird die Kommunistische Partei für den Ausbruch und Verlauf des Kampfes verantwortlich gemacht. ”Nieder mit Spartakus!”, das ist die Losung aller, die die Revolution als das Jüngste Gericht der bürgerlichen Gesellschaft empfinden. Die Leitung der kaum gegründeten und noch nicht fest zusammengefassten Kommunistischen Partei hatte die Führung der Januarkämpfe nicht in der Hand gehabt. In klarer Wertung der Lage hatte sie die Beschränkung der Aktion und ihres Ziels gefordert und die Einsetzung aller Energie dafür. Als jedoch der ihrer Überzeugung nach falsch orientierte und geführte Kampf entbrannt war, durfte sie ihm nicht in den Rücken fallen. Sie musste bestrebt sein, dass die Kommunistische Partei ihn unterstützte und förderte innerhalb der Grenzen ihrer eigenen grundsätzlichen und taktischen Auffassung.

Trotz dieser Sachlage ist es das Geschick der Kommunisten und ihrer Führer, dass sie vor allen anderen als die Urheber der Januarkämpfe gehasst und gehetzt, besudelt und gemordet werden. ”Tod Liebknecht! Tod Luxemburg!” ”An die Laterne mit Liebknecht und Rosa Luxemburg!” So und so ähnlich heulen Tag für Tag Hunderttausende Flugzettel, so und so ähnlich fordern kaum verhüllt die ”gutgesinnten” Zeitungen, so rufen sich mit militärischer Bestimmtheit Offiziere zu, denen Straffreiheit und ”Fangprämie” verbürgt sind. Der Blutstrom der wieder aufgerichteten Ordnung trägt am 15. Januar Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Leichen. Die Erschütterung über ihre furchtbare Meuchelung beschleunigt das Ende ihres treuen Waffengefährten und Freundes Franz Mehring, dessen einst so robuste Kraft von der vielmonatigen Schutzhaft als Siebzigjähriger gebrochen ist. So stirbt auch dieser große Führer der deutschen Arbeiterklasse — wenngleich er auf dem Krankenpfühl verlöscht — als ein Opfer des Kampfes zwischen Revolution und Gegenrevolution.

Die Märzkämpfe in Berlin

Februar-März 1919. Die unechten Revolutionsreden der Nationalversammlung haben die Revolution nicht eingeschläfert, denn sie waren von echten Reaktionstaten begleitet. Der weiße Terror der Noske-Gardisten hat die Revolution nicht morden können. Ihr Weben und Wirken kündet sich wieder stärker an. Wie nach dem November 1918, aber gewaltiger, fortreißender rollt eine Streikwelle gegen den vom Weltkrieg erschütterten, unterwühlten kapitalistischen Bau. Sie kommt dem rheinisch-westfälischen Kohlengebiet, erfasst Mitteldeutschland, sendet ihre Ausläufer bis nach Baden, Bayern, Württemberg, zieht immer neue Berufsgruppen in ihre Wirbel und erhebt sich in Berlin zu stolzer Höhe. Die einzelnen Lohnforderungen der revoltierenden Sklaven des Kapitals haben diesmal eine feste Kristallisationsachse des Wollens. Sozialisierung, Räterecht, Rätemacht, das ist das Schibboleth der Bewegung.

Die regierenden und parlamentarisierenden Schützer der bürgerlichen Ordnung verlieren ihre Selbstsicherheit. Sie machen Zugeständnisse in Worten, auf die revolutionäre Unreife der Massen bauend. Es erscheinen die Riesenplakate des politischen Schwindelausverkaufs: ”Die Sozialisierung marschiert!” ”Die Sozialisierung ist da!” In Berlin sind die führenden Mehrheitssozialdemokraten von ganzem Herzen gegen den Streik, allein, angesichts des brausenden Stroms der Massenstimmung müssen sie mittun. Die führenden Unabhängigen sind nur mit halbem Herzen für den Kampf. Abermals soll im kritischen Augenblick das Verhandeln das Handeln ersetzen. Mit lokalen Abtönungen zeigen die Dinge auf den meisten Kampfplätzen in der Hauptsache ein ähnliches Bild. Die Bewegung zersplittert und bricht zusammen, ehe die Regierung gezwungen gewesen wäre, die Messingspielpfennige ihrer Versprechungen in vollgewichtige Goldmünzen revolutionärer Handlungen umzuwechseln. Wo die Empörer wider die kapitalistische Profitwirtschaft und ihren Staat im Kampfe verharren, da werden sie mit blutiger Gewalt in das alte Sklavendasein zurückgetrieben.

Das sozialdemokratische Mitgliedsbuch in der einen Hand, Galliffets Säbel in der anderen, wird Noske zum Retter des neuen Reichs der Reichen, zum gefeierten Helden der Fabrikanten, Händler, Börsenjobber, Schieber, Junker, Bookmaker, politikasternder Spießbürger, alldeutscher Professoren und Pastoren der leichten und schweren Damen der Halb- und Ganzwelt. Seine Maercker, Gerstenberg, Lüttwitz usw. holen sich kreuz und quer durch Deutschland im Bürgerkrieg die Lorbeeren, die ihnen im imperialistischen Raubkrieg nicht beschieden waren. Namentlich aber soll die Vortruppe der Berliner Arbeiterschaft dafür gezüchtigt werden, dass sie ihre sozialistischen Ideale und revolutionären Forderungen nicht abgeschworen hat, dem Beispiel der Ebert, Scheidemann und ihrer Spießgesellen, der Wels und Ernst, zum Trotz und ungeachtet des ”erzieherischen” Waltens des Stampfer-Blattes für Gesinnungslumperei.

Noch ehe der Streik verebbt ist, schafft eine unbedeutende blutige Auseinandersetzung zwischen ”regierungstreuen” und ”unzuverlässigen” Truppenteilen — wie feststeht, von einem gegenrevolutionären Lockspitzel inszeniert — den Vorwand, dass die Stahlbehelmten auf das Proletariat losgelassen werden. Noske proklamiert das Standrecht für Berlin. Wer im Besitz einer Waffe angetroffen wird, der darf, der soll ohne weiteres an die Wand gestellt werden. Die Noskiden würgen wie die wilden Bestien und plündern wie zivilisierte kapitalistische Europäer, plündern und berauben die noch zuckenden Opfer ihrer Mordgier. Leutnant Marloh schießt auf Befehl des Obersts Reinhardt, angespornt durch Kessel und Noskes Segen gewiss, die tückisch in einen Hinterhalt gelockten 29 Matrosen zu einem Klumpen zerfetzter, entstellter Menschenleiber zusammen wie Hasen, die von den Treibern auf einen Fleck zu leichter Beute zusammengescheucht worden sind. Die Züge der Gefangenen sind endlos. Die Gefängnisse, die Kasernen widerhallen von den Entsetzens- und Schmerzensschreien der zu Tode gefolterten Opfer. Die Leichenhügel türmen sich. Der Erschlagenen und Gemeuchelten sind nicht mehr wie im Januar Dutzende, sie zählen nach Hunderten, nach vielen Hunderten.

Abermals ist ”Vernichtung des Spartakus” das Feldgeschrei der bluttrunkenen Gegenrevolution. Und Spartakus ist jeder Proletarier, der verdächtig scheint, nicht an die Herrlichkeit und Heiligkeit der kapitalistischen Ordnung und ihrer Demokratie des Besitzes zu glauben, wie sie sich in der Dreieinigkeit offenbart von Eberts Herz für das Volk, Scheidemanns staatsmännischem Blick und Noskes edler Menschlichkeit. Die Kommunistische Partei hatte den Streik weder ”gemacht”, noch geführt. Sie durfte nicht auf dem Umweg über die Unabhängigen mit dem sicheren Verrat der mehrheitssozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsbürokratie paktieren, sie konnte keinen Teil an dem Wackeln und Fackeln der Unabhängigen Führerschaft haben, an ihren starken Worten und schwachen Taten. Sie musste ihrer grundsätzlichen Auffassung getreu ihren eigenen Weg gehen, aber sie durfte sich nicht in einer splendid isolation, in einer glänzenden Vereinsamung, von den ringenden proletarischen Massen halten. Sie musste danach trachten, den elementar ausgebrochenen Streik zur zielklaren politischen Massenaktion zu steigern mit scharf ausgeprägter Physiognomie, größere Massen für den Kampf zu mobilisieren, zu sammeln und auf eine höhere Stufe der revolutionären Erkenntnis und des revolutionären Willens zu heben. Dem Ausbruch der bewaffneten Kämpfe stand sie durchaus fern.

Trotzdem Räuber und Mörder über sie! Wieder sind es von allen Parteien und Organisationen die Kommunisten, die der tödlichste Hass der Feinde ehrt, die die schwersten Opfer treffen. Ihre Büros, Lagerräume, Druckereien usw. werden vandalisch verwüstet, ihre Propagandaschriften fortgeschleppt und vernichtet, ”Die Rote Fahne”, Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts teures Vermächtnis, verfällt dem Verbot. Wer von den Führern der Partei nicht verhaftet ist, ist verfemt und muss flüchten oder sich verbergen. Die Henker der Bourgeoisie meucheln Leo Jogiches, neben Rosa Luxemburg der scharfäugigste politische Kopf der Partei und ihr erprobter, großzügigster, Organisator. Obgleich Leo Jogiches nie an die Öffentlichkeit getreten und sogar den weitaus meisten ”Spartakusbündlern” persönlich unbekannt ist, wird er eines Frühmorgens von Ordnungsbanditen aus seiner Wohnung gerissen und nach Moabit gebracht. Nachdem ihm dort roheste Misshandlungen keinen Laut entlockt haben, streckt ihn Dorrenbachs Mörder Tamschick durch einen Schuss von rückwärts nieder. Selbstredend bei einem ”Fluchtversuch” — auf der Treppe des Gefängnisses Moabit, hinter siebenfach verriegelten und verschlossenen Türen -‚ wie Liebknecht bei einem ”Fluchtversuch” im dunklen Tiergarten niedergeknallt wurde. Fluchtversuche werden unter der Klassendiktatur der ordnungsliebenden Bourgeoisie stets revolutionären Kämpfern verhängnisvoll. Sie glücken dagegen ebenso unfehlbar den Vogel, Marloh und ihren Mordkameraden, die auf sorgsam vorbereiteten Kraftwagen den leichten Streifschüssen der Militärjustiz entfliehen.

Die Münchener Räterepublik

Mai 1919. München, das fröhliche, ausgelassene München, die Stadt der Weißwurstphilister, Bockbierandächtigen und der bunt zusammen gewürfelten, launentollen Boheme ist eine belagerte und eroberte Stadt geworden. Nur die Karabiner, Maschinengewehre, Handgranaten und Brownings reden hier laut und Offiziere, die Massenschlächtereien kommandieren, Weißgardisten, die sich im Niedermetzeln von ”Spartakisten” nicht genugtun können, hasstrunkene, Beifall klatschende ”Bürger”, die zum Morden und Würgen hetzen. In den Arbeitervierteln, in den Bezirken, wo der Kampf getobt hat, lauert an jeder Hauswand, in jedem Hof der Tod auf Männer und Frauen, die nach Kleidung, Haltung, Miene oder auch durch nichts verdächtig scheinen, mit den ”Rotgardisten” für die Räterepublik gekämpft zu haben. Die gemeinsten Eigenschaften der Menschen kriechen hervor und feiern in Spitzeleien und Angebereien schamlose Orgien. Massenexekutionen, wohin das entsetzte Auge blickt, und endlose Züge von Gefangenen, deren Schicksal Leibes- und Seelenqual und der Tod ist.

Die Einheit des neuen Deutschlands, von der man sonst sowenig spürt, bewährt sich glänzend bei dem Zusammenwirken der Sicherheits- und Freiwilligenbataillone aller ”engeren Vaterländer” zur blutigen Niederwerfung der Münchener Räterepublik. Die viel berufenen tiefen Gegensätze der ”kulturellen, völkischen Eigenart” zwischen Urbajuwaren, Schwaben, Badensern und den ”Nordkaffern”, den ”Saupreußen” und Sachsen verflüchtigen sich zu nichts in dem Blutrausch, der studierende, buchführende und fabrikleitende Bourgeoissöhne, Rentbürger und brotlose Abgeschürfte aller Klassen vereinigt bei der Verteidigung der gott- und naturgewollten kapitalistischen Kassenschränke und ihrer Ordnung. Zehrende Sorge um der Nibelungen fluchbehaftenden Ring, um das gleißende Gold, das kapitalistische Eigentum und seine Herrschaftsstellung, der tödliche Hass gegen das revolutionäre Proletariat, das diese ”heiligsten Güter” der Völker Europas, der Welt bedroht, sind der festeste Kitt, der heute wie die politischen Parteien so das eine neue Deutschland zusammenhält. Denn es ist trotz seines demokratischen Aufputzes ein kapitalistisches Deutschland, ein Reich der Bourgeoisherrschaft, des bürgerlichen Klassenterrors. München beweist es.

Das revolutionäre Ringen des Münchener Proletariats ist geschichtlich gesehen Höheres als eine ”vermehrte und erweiterte” Neuauflage der Januar- und Märzkämpfe, ”durchgesehen und verbessert” von allen möglichen politischen Mitarbeitern. Es verhält sich zu jenen Kämpfen wie das wissenschaftliche Experiment zur wissenschaftlichen Formel. Womit nicht etwa gesagt sein soll, dass die Räterepublik, die Seele und Inhalt des Ringens ist, als ein nach wissenschaftlicher Formel zurecht gebrautes Experiment zu betrachten wäre. Mitnichten! Die Münchener Räterepublik — soweit sich in ihr Massenwille und Massentat verkörpern — ist urwüchsiges, elementares Klassenleben des Proletariats. In ihr drängen historisch gegebene Kräfte nach sozialem Ausdruck und sozialer Gestaltung, die ebenfalls historisch gegeben sind. Das springt geradezu in die Augen, wenn man den Herzschlag der Münchner revolutionären Kämpfe in P. Werners ausgezeichneten Studie empfindet: ”Die bayrische Räterepublik”.1 In München ist die Losung des revolutionären Proletariats — Räteordnung und Sozialisierung — Praxis geworden, als Werk der Proletarier selbst, die nach Befreiung von der kapitalistischen Lohnsklaverei dürsten.

Gewiss, die Räterepublik Münchens beginnt als ”Farce”, als ”Scheinräterepublik”. Ein grotesk-lächerlicher ”Homunkulus” geht sie aus der Retorte literarischer und politischer ”Alchimisten” hervor. Die Ausrufung der Räterepublik wird beschlossen von Mehrheitssozialdemokraten, die die aufsässigen Arbeiter durch eine Verfälschung des Rätegedankens, durch eine bürgerliche Räterepublik, beschwindeln und verraten wollen; von Unabhängigen, die gleich Rohren im Wind im unklaren hin- und herschwanken über das, was sie grundsätzlich wollen müssen, was sie taktisch tun können und wie sie es strategisch durchzuführen haben; von ehrlichen, schwarmgeistigen humanitären Konfusionsräten; von unsauberen, politischen Abenteurern und Geschäftemachern. Sie war das Produkt regierungssozialistischer Verlegenheiten und Intrigen, anarchistischer Donquichotterie und unabhängiger Gelegenheitspolitik. Der Wechselbalg welkt dahin wie wurzelloses Gras. Er ist nichts, er kann nichts, er tut nichts. Ein gegenrevolutionärer Putsch soll ihn mit einem Fußtritt zur Seite schleudern. Doch siehe da! Aus den Fabriken und Werkstätten bricht mit unwiderstehlicher Wucht der Wille hervor, die Scheinräterepublik zur wirklichen, ernsten Räterepublik zu machen. Die gewählten Vertreter werktätiger Massen nehmen das Schicksal der Räteordnung in die Hand. Nicht bloß die Menschen wechseln, die die Revolution durchführen sollen, das Wesen, der Inhalt der Münchener Revolution selbst wird anders. Die proletarische Räterepublik erhebt sich.

Gewiss: unter geschichtlichen Bedingungen, die ihr schon in der Geburtsstunde das Todesurteil sprechen. Der Massenwille, die Massentat sind irrig eingestellt. Sie erblicken nur das leuchtende Ziel und nicht den steinigen, dornigen Weg mit seinen Hindernissen, der sie noch davon trennt. Ein Land wie Bayern mit weitaus überwiegender Agrarwirtschaft in den Händen reicher Bauern und mit nur geringer Industrie, ohne die vorherrschende Rolle der auf die Spitze getriebenen modernen Klassengegensätze ist nicht der Boden, auf dem zuerst in Deutschland eine proletarische, eine sozialistische Räteordnung entstehen könnte. Und die proletarischen Massen in den kapitalistisch entwickelten Teilen des Reiches sind blind und taub für das Signal und Beispiel, das ihre Brüder in München geben. Dafür versteht die Gegenrevolution dessen Bedeutung mit um so feineren Sinnen. Mit rührender ”nationaler” Einmütigkeit vereinen sich die Ebert, Hoffmann, Blos und Gradnauer, um die Münchener Räterepublik zu begeifern und zu verleumden, die Noske, Haas, Herrgott, Epp, um sie im Blute zu ersticken. Die Revolutionstage enden als furchtbare, erschütternde Tragödie.

Räte-Münchens Schicksal ist das der vorzeitig zurückgekehrten Lerche, die durch den flimmernden, schimmernden Sonnenglanz eines kalten Tages gelockt, jubilierend hoch in die Lüfte steigt, um erstarrend und sterbend auf die gefrorene Flur herabzusinken. Ein Bild der Trauer und Hoffnung zugleich: ”Es muss doch Frühling werden.” Die proletarische Räterepublik München ruft Karl Marx‘ Wort ins Gedächtnis, dass das Proletariat, wie es riesig nach seinen Aufgaben und Kräften ist, auch riesig in seinen Irrtümern und Fehlern sein muss. Dieser Vorstoß der Revolution war ein riesiger Irrtum, aber — also will es die lebendige Dialektik der Geschichte — er ist gleichzeitig ein gewaltiger Fortschritt. Proletarische Massen unternehmen es wagemutig, den alten, kapitalistischen Staatsapparat zu zerschlagen und durch eine neue Ordnung zu ersetzen, die alle Macht in ihre Hände legt. Seit den Januartagen ein erhebliches Mehr an revolutionärem Inhalt und revolutionärer Kühnheit der proletarischen Kämpfe. Die Zukunft kündet sich stark, verheißungsreich an.

Die Stellung der Kommunisten zu den Münchener Ereignissen war gegeben. Sie lehnten die fratzenhafte Scheinräterepublik verächtlich und nachdrücklich ab. Sie konnten in den stürmischen Versuchen werktätiger Massen, eine wahre proletarische Räterepublik zu schaffen, nichts anderes erblicken als eine zu früh und verfehlt aufgenommene Schlacht. Allein, nachdem diese Schlacht entbrannt war, nachdem die Arbeiter tapfer das Schwert und rüstig die Kelle führten, durften die Kommunisten nicht passiv beiseite stehen. Sie mussten in der Gegenwart mit ihren Irrungen und Wirrungen die Zukunft der Zielsicherheit und zusammengeballten Kraft zu fördern suchen. So waren sie wohlwollende Kritiker und Berater bei den tastenden, unsicheren und oft ungeschickten Versuchen der Arbeitermassen, die Räteordnung aufzubauen, durchzusetzen und zu verteidigen. Sie nahmen tapfer ihr Teil Mitarbeit und Verantwortlichkeit in den Räten auf sich, als diese in den Tagen sich verschärfender Nöte und Kämpfe der festen, zielklaren Orientierung und Führung bedurften. Und sie trugen pflichttreu die Bürde dieser Arbeit und Verantwortlichkeit bis zu der Stunde, da die revolutionäre Unreife der Verhältnisse und Menschen unter dem Druck der Niederlage die possenhafte Scheinräterepublik abgedankter Konfusionsräte eine kurze Auferstehung feiern ließ.

Auch in den Münchener Kämpfen ist der Schrei ”Gegen Spartakus!” die Sammlungsparole für die Gegenrevolutionäre von Nord und Süd aus dem mehrheitssozialdemokratischen und bürgerlichen Lager. Er inspiriert die Lügen und Beschimpfungen gegen die Räterepublik, lässt die Gewehrkolben auf bartlose katholische Gesellenvereinler niedersausen und noch nach der Wiederherstellung der Sicherheit der Banksafes viele Hunderte juristisch niederschlagen. Der bürgerlichen Ordnung sind in den Märztagen zu Berlin Hunderte geschlachtet worden, in München Tausende. Unter ihnen mit der Blüte der revolutionären Arbeiterschaft die energischsten, zielklarsten und hingebungsvollsten Anhänger des Kommunismus. Und auch hier fällt das Schicksal wiederum einen ihrer wertvollsten Führer: Eugen Leviné. Ungleich Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Leo Jogiches wurde er nicht gemordet und gemeuchelt, sondern ”gerichtet”. Doch der Unterschied ist nur in der Form, nicht im Wesen. In Wirklichkeit wurde auch an Leviné ein Mord verübt, dessen Tücke und Feigheit das dünne Rechtsmäntelchen des gerichtlichen Verfahrens hervortreten lässt und nicht verhüllt. Die Kugeln, die Leviné laut dem Urteil einer abscheulichen Gerichtskomödie niederstreckten, trafen tödlich das bürgerliche Recht und nicht den kommunistischen Kämpfer.

Die aufsteigende Entwicklung der revolutionären Kämpfe

Vergegenwärtigen wir uns, dass der Zeitabschnitt, der mit den Berliner Januarkämpfen beginnt und mit der Münchener Räterepublik endet, ausgefüllt und erschüttert wird von revolutionären Streiks und Kämpfen, bei denen es hart auf hart geht. In Bremen, Düsseldorf, in dem rheinisch-westfälischen Kohlengebiet, in Braunschweig, Halle, Erfurt, Hamburg, Stuttgart Chemnitz, Leipzig, Oberschlesien und anderwärts werden die Arbeiter mit Waffengewalt über die Segnungen der kapitalistischen Ordnung belehrt. Überall im Reiche trinkt der Boden das Blut proletarischer Meuterer. Die Zersplitterung des revolutionären Ringens und die zeitliche Nähe mag den Blick für die Größe, den Umfang, die Bedeutung des Geschehens trüben. Fasst man jedoch das Zersplitterte und Vereinzelte zu dem Ganzen zusammen, das es dank innerer Verknüpfung ist, und versucht man dieses Ganze perspektivisch zu betrachten, so erkennt man das bedeutsame, gewaltige Stück revolutionären Befreiungskampfes, den die Vorhut des deutschen Proletariats in diesen wenigen Monaten getragen hat. Wie zwergenhaft und beinahe harmlos erscheint neben diesem leidenschaftlichen, zähen, erbitterten, opferreichen Ringen der revolutionäre Kampf des deutschen Bürgertums gegen den Feudalstaat; wie zwergenhaft und beinahe harmlos trotz aller Romantik der geheimen Gesellschaften, der sorgsam vorbereiteten Handstreiche, der anrückenden vereidigten Legionen, der emporwachsenden Barrikaden und des verstohlenen Kugelgießens.

Schon der Anfang des revolutionären Kampfes lässt den Unterschied sehr scharf hervortreten. Hier der Riese Proletariat, der aus der Weite der modernen Fabrikbetriebe kommt, die die Tausende zusammenballen; dort das honette Bürgertum, das seine Heimat in der Enge der mittelalterlichen Stadt hat, in dem Spielschachtelbetrieb des zünftigen Handwerks. Hier das Ziel, das der Geschichte ehernes Muss ist: eine neue Gesellschaftsordnung, eine neue Welt, in der alle Klassenscheidewände zwischen den Menschen zerschlagen werden; dort: eine neue Staatsform, die die Herrschaft einer zur Macht emporsteigenden Klasse bringen und verewigen soll. Das revolutionäre Kämpfen von 1919 findet in der Geschichte Deutschlands ein ebenbürtiges Seitenstück nur in der gewaltigen Rebellion der Bauern wider ihre Herren und Peiniger. Auch diese Rebellion war mehr oder minder klar ausgesprochen auf eine andere Gesellschaftsordnung gerichtet, auf das ”Kommunistische Gottesreich”, in dem die idealen, auf die Innerlichkeit und das Jenseits gerichteten Forderungen des Christentums die realen Überreste der altheidnischen Gemeinwirtschaft mit neuem Leben erfüllen und gesellschaftsgestaltend wirken sollten.

Das Fortschreiten der proletarischen Revolution in der Richtung auf ihr gewaltiges Ziel ist unverkennbar. Nach Inhalt und geschichtlichem Sinn entwickelt sich der revolutionäre Kampf in aufsteigender Linie. In den Berliner Januartagen geht es der Vorhut des deutschen Proletariats um die gesicherte Bewegungs- und Aktionsfreiheit der Revolution. Sie rekognosziert gleichsam das Kampfterrain und will es durch den Sturz der Regierung, die unter sozialdemokratischer Firma dem Kapital dient, von dem Hindernis säubern, das ihrer Auffassung nach der Entfaltung der Revolution am meisten den Weg versperrt. Die Berliner Märztage haben zum Teil noch diesen gleichen Sinn, aber auch nur zum Teil. Zumal im Zusammenhang mit ihrem Ausgangspunkt und der revolutionären Bewegung in anderen Gegenden des Reiches tritt als ihr Wesentliches die Forderung der Sozialisierung, des Räterechtes hervor. Sie ist noch reichlich unklar und verschwommen gesehen. Ihre Verwirklichung wird als gesetzgeberische Tat von der Regierung und dem Parlament eines Staates erwartet, dessen unverfälscht kapitalistische Seele durch den Mund von Maschinengewehren und Schwergeschützen zu den Arbeitern spricht. So spuken in dem Inhalt der Märzkämpfe die nebelhaften Vorstellungen Vom Wesen der Räte, von einem harmonischen Nebeneinander Von Parlamentarismus und Räteordnung, die alten Täuschungen über den Wert der bürgerlichen Demokratie usw., kurz, all die Schwächen der Erkenntnis und des Wollens, die in dem damals entstandenen Aktionsprogramm der Unabhängigen Sozialdemokratie ihren typischen Niederschlag zurückgelassen haben.

Der historische Sinn der Münchener Kämpfe zeigt die gewaltige Wegstrecke der Erkenntnis, die die Vorhut des Proletariats seit den Januartagen im Sturmschritt durchlaufen hat. Der Sinn dieser Kämpfe ist unzweideutig die Zertrümmerung des kapitalistischen Staates, die Errichtung der proletarischen Diktatur und ihrer neuen Ordnung. Sicherlich wird dieser Sinn noch durch Unklarheiten, Illusionen und Unsicherheiten des Sehens und Handelns entstellt, allein, nichtsdestoweniger ist er der feste Kern des revolutionären Geschehens. Die Vorhut des Proletariats kämpfte in München, befreit von einem Wust politischen, sozialen Aberglaubens. Ihr revolutionäres Ringen ist so nicht nur nach seinem Umfang, seinem Ungestüm, der Größe seiner Opfer der Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse in den Revolutionsmonaten. Es ist ebenso ein Höhepunkt nach seinem geschichtlichen Sinn. Es wird deshalb für die künftigen Revolutionskämpfe bedeutsam bleiben, wenn diese auch zunächst auf niedrigerer Stufe einsetzen würden. Einem weithin sichtbaren Signalfeuer gleich leuchtet die Zeit der Münchener Räterepublik dem kämpfenden Proletariat Deutschlands voran.

Das Ergebnis der revolutionären Kämpfe

Allein, ist die Vorhut der deutschen Arbeiterklasse nicht trotz ihrer gewachsenen Erkenntnis von Niederlage zu Niederlage marschiert? Hat sie nicht viele Tausende ihrer unerschrockensten Kämpfer geopfert, Führer verloren, die unersetzlich sind, und steht nun mit leeren Händen? Wo sind die politischen, die wirtschaftlichen Errungenschaften der revolutionären Kämpfe von Januar bis Mai? So fragen die Kleinmütigen und Feigen, die nie gewinnen werden, weil sie nie wagen wollen. So fragen namentlich jene Neunmalklugen, denen das Befreiung ringen des Proletariats, die Revolution, ein nüchternes Rechenexempel ist, dessen Fazit sich für sie aus dem Zusammenzählung kleiner und kleinster positiver Summen ergibt. Ihrer Weisheit letzter Schluss bleibt die Moral hausbackener Trivialität, dass der Sperling in der Hand besser sei als die Taube auf dem Dache. Ins Politische übersetzt: Das Proletariat hat ein schiedlich-friedliches Vertragen mit dem Kapitalismus auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie, des Parlamentarismus, sozialer Reformen, der Arbeitsgemeinschaft und Tarifbindungen dem revolutionären Kampf zur Überwindung des Kapitalismus vorzuziehen.

Wie tief steht diese Auffassung unter der Moral des antiken Altertums, die dem kämpfenden Bürgertum einst von seinen Besten gepredigt wurde: ”Eine magere Freiheit ist besser als eine goldene Sklaverei.” Das Proletariat unserer Tage hat aber unter kapitalistischer Ordnung nicht einmal mehr ”eine goldene Sklaverei” zu erwarten. Der Weltkrieg hat die riesigste Zerstörung gesellschaftlicher Güter und Werte bewirkt, die die Geschichte kennt, eine beispiellose Zerrüttung und Verlotterung des gesellschaftlichen Produktionsapparates. Gleichzeitig hat er auf allen Gebieten die Gesellschaft vor gewaltige Aufgaben gestellt, um das geschaffene Chaos zu überwinden, die bittersten Nöte zu wenden, die Armut an Gütern und Kultur zu beheben. Angesichts dieses Standes der Dinge kann das Fortbestehen der kapitalistischen Profitwirtschaft und der bürgerlichen Klassenherrschaft gar nichts anderes besagen als: skrupellose, grausamste Steigerung der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats, vollständige Verarmung und Versklavung der breitesten Massen Der Arbeiter wird nicht einmal mehr den berühmten ”Sperling in der Hand” behalten. Rückfall in die Barbarei oder Eroberung der politischen Macht, Aufrichtung des Sozialismus, das ist für ihn nicht bloß die Lebensfrage der Gesellschaft, seine eigene, persönliche Lebensfrage. Darum heißt es: kämpfen!

Jedoch ist es denn überhaupt wahr, dass die revolutionären Kämpfe dem Proletariat nur Opfer und keinen Gewinn gebracht haben? Nein und abermals nein, antwortet die Geschichte. Der Befreiungskampf des Proletariats geht zwar unaufhaltsam vorwärts, allein, keineswegs in gerader Linie von Sieg zu Sieg. Er hat seine krausen Windungen wie seine Höhen und Tiefen. Das Kennzeichnende ist, dass auch die Niederlage das Proletariat emporhebt, vorwärts führt, seinem Ziele nähert. Es bleibt bei dem, was schon das Kommunistische Manifest festgestellt hat. Die wichtigste Frucht der proletarischen Klassenkämpfe, ihr historischer Sinn, ist nicht ihr jeweiliges praktisches, ”positives” Ergebnis. Es ist die steigende Sammlung, Zielklarheit und Tatbereitschaft der Habenichtse und Ausgebeuteten als Klasse. Es ist der gestärkte Wille zur Befreiungstat. So gesehen verlieren die Niederlagen der kämpfenden proletarischen Vorhut — Niederlagen, denen sich auszusetzen der lebendige geschichtliche Entwicklungsprozess zwingt — ihre lähmenden Schrecken. Auch sie sind Vorbereitungen, Vorstufen künftiger Siege. Wahre Niederlagen werden sie nur dann, wenn das Proletariat aus ihnen hervorgeht klagend und zagend, ohne gelernt zu haben.

Wir haben bereits weiter oben darauf hingewiesen, dass das Proletariat den revolutionären Kämpfen seiner Vorhut im vorigen Jahre klarere Losungen, eine Taktik größerer Zielsicherheit und einen gestärkten Kampfwillen verdankt. Es ist das in der ”Revolte” gegen die Politik der Gewerkschaftsbürokratie innerhalb der größten deutschen Gewerkschaft, des Metallarbeiterverbandes, zum Ausdruck gekommen. Desgleichen in dem entschiedenen Marsch nach links, auf dem sich die Unabhängige Sozialdemokratie befindet, ohne den Segen ihrer hervorragendsten Führer, ja gegen deren Willen, unter dem Druck gewachsener Massenerkenntnis. Aus den Revolutionsmonaten geschöpfte Erfahrung müsste in den künftigen proletarischen Kämpfern wirksam werden. Wie notwendig ist es, dass die revolutionäre Vorhut des Proletariats die geschichtliche Situation klar überblickt und das Verhältnis der Kräfte von Freund und Feind richtig wertet. Sie darf sich nicht mehr in einzelnen Fähnlein zum Kampfe mit einem übermächtigen Feind verlocken und zersplittert schlagen lassen. Ihre einzelnen kühnen Stoßtruppen müssen warten lernen, bis breite Heeressäulen nachfolgen. Die breiten Heeressäulen des Proletariats aber sind mit dem Bewusstsein der Solidarität alles revolutionären Kämpfens zu erfüllen. Der kapitalistische Todfeind des empordrängenden Proletariats hat die Solidarität des Kampfes früher und besser begriffen. Er sieht in jedem lokalen Aufstand der Lohnsklaven die Gefahr für das Ganze. Für die Noske lauert wie einst für Puttkamer hinter jedem Streik größeren Stils ”die Hydra der Revolution”. Daher stets Konzentration der gegenrevolutionären Kräfte, um vereint die Revolution zu schlagen. Die Räterepublik München war für die Hüter der kapitalistischen Ordnung eine ”nationale” Sache, für das Proletariat blieb sie trotz mancher schönen Sympathieerklärung eine ”lokale” Angelegenheit der Münchner. Lernen wir von den Feinden!

Die Bedeutung der revolutionären Tradition

Seit den revolutionären Kämpfen des Jahres 1919 steht ein breiter Blutstrom zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat Deutschlands. Er kann nicht überbrückt werden, wie eifrig sich auch die mehrheitssozialdemokratischen Hände darum bemühen, die noch rot und feucht vom Brudermord sind. Der Blutstrom ist voller Leben und Kraft für das Proletariat. In der Tat! Die revolutionären Kämpfe haben die deutschen Arbeiter um einen unschätzbaren idealen Wert bereichert, dessen Fehlen sich in ihrer Psyche wie in ihrer Geschichte schmerzlich fühlbar machte. Die Proletarier Deutschlands haben im Feuer des Bürgerkrieges der überlegenen modernen Mordtechnik revolutionär kämpfen gelernt, weil sie revolutionär kämpfen mussten. Sie haben erfahren, dass die feine äußerliche Zucht des pünktlichen Beitragsmarkenklebens und der eifrigen Flugblattverteilung — sowenig sie zu unterschätzen ist — doch allein nicht ausreicht, um die Enterbten und Ausgebeuteten aus der Wüste der kapitalistischen Gesellschaft in das Kanaan der kommunistischen Ordnung zu führen. Das gleichförmige Tack-Tack der Maschinengewehre hat es ihnen in die Ohren geschrieen, in die Seele gehämmert, dass es geschichtliche Augenblicke gibt, in denen der Proletarier, ohne zu schachern und zu feilschen, sich selbst ganz, sein Leben für sein Ziel einsetzen muss. Die Kampfmonate Januar bis Mai 1919 haben dem deutschen Proletariat eine revolutionäre Tradition geschaffen mit ihrer hohen erzieherischen Bedeutung.

Auch diese Tatsache bekundet, dass der Abschnitt des proletarischen Emanzipationskampfes abgeschlossen ist, der mit dem Ausgang des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/1871 anhub und durch ihn bestimmt wurde, wie Karl Marx es mit genialem Blick vorausgesagt hatte. Jene Geschichtsperiode begann in Deutschland — wohin sich das Schwergewicht des großen geschichtlichen Waffengangs zwischen Arbeit und Kapital verschoben hatte — mit einem langjährigen erbitterten Kampf der Bourgeoisie gegen das sich sammelnde und orientierende Proletariat. Der Kapitalismus, der noch die imperialistischen Kinderschuhe trug, träumte davon, den Sozialismus mittels der Ausnahmegesetze niederzuschlagen. Das Proletariat hat sich in zähem, klugem und Opfer heischendem Ringen für seine Gegenwart und Zukunft gewehrt. Allein, wie heroisch es damals geduldet und sich geschlagen hat, sein Kämpfen wurde nie zur großen offenen revolutionären Feldschlacht. Es blieb ein Kleinkrieg, der sich erschöpfte im Überlisten und Übertölpeln der Behördenallmacht, im juristischen, silbenstechenden Ringen mit den Staatsanwälten und den Richtern in Parlamentsfehden mit den bürgerlichen Parteien und der Regierung.

Unter dem Sozialistengesetz bildete sich jene Tradition strengster ”Gesetzlichkeit, die den Feind tötet”, des Kampfes einzig und allein mit so genannten legalen Mitteln, die für den Klassenkampf des deutschen Proletariats bis zum Ausbruch der Revolution beherrschend war. Das Selbstverständliche, dass revolutionäre Kämpfe unter bestimmten geschichtlichen Umständen überflüssig sind, ja vermieden werden müssen, wurde zu dem historisch Unsinnigen, dass das Proletariat unter allen Umständen revolutionären Kämpfen auszuweichen hat. Das Bedingte verwandelte sich in das Unbedingte, in einen ”kategorischen Imperativ” des proletarischen Klassenkampfes. Die Tradition erstarrte zur tötenden Formel. Karl Kautsky, der Gralshüter des ”reinen Marxismus”, wie ihn der Parteivorstand der Sozialdemokratie auffasste, kanonisierte theoretisch die Taktik des konsequenten Ausweichens vor dem Kampf als alleinseligmachende ”Ermattungsstrategie”. Das aber zu einer Zeit, als der voll entfaltete Imperialismus proletarische Massenaktionen großen Stils herausforderte, die sich zu revolutionären Kämpfen steigern konnten. Der Weltkrieg machte es auch den Kurzsichtigen klar, wie lange schon die respektlose Wirklichkeit der Kautskyschen Spintisierereien von der ”Überlegenheit der Ermattungsstrategie” spottete, an die nur noch jene glauben, die den revolutionären Kampf überhaupt nicht wollen. Noskes gewalttätige Faust hat die alte idyllische Tradition gewürgt. Die Tradition des revolutionären Kampfes steht nun mitten unter dem deutschen Proletariat, eine geschichtliche Macht. Bluttropfend und tränenüberströmt aber hoch aufgerichtet, stolz, kühn, das Antlitz der aufgehenden Sonne zugewandt.

Was ist das geschichtlich Bedeutsame der revolutionären Tradition des Proletariats? Dass sie als sein ureigenes Geschöpf, als sein persönliches Werk entsteht; dass Proletariermassen im revolutionären Kampf und Tod die Schranken überfliegen, die die bürgerliche Ordnung ihrem Leben und Weben zieht; und dass sie sich damit die volle menschliche Freiheit vorwegnehmen, die das Ziel des Emanzipationsringens ihrer Klasse ist. Die revolutionäre Tradition ist der Ausdruck höchsten neuen inneren Lebens, aufs höchste gesteigerter neuer Geistigkeit proletarischer Massen. Darauf beruht ihre fortreißende, erzieherisch-schöpferische Macht. Wenn die einzelnen Führer des Proletariats nicht davor zurückschrecken, als Helden und Märtyrer im Kampfe zu fallen, der Ehre und Pflicht ist, so ist das sicherlich von hohem Wert. Es bildet individuell revolutionäre Tradition vor, erzieht zur revolutionären Tradition. Allein, diese selbst wird erst geboren, wenn das revolutionäre Kämpfen und Sterben Massenerscheinung ist, Ausdruck einer größeren inneren, ideellen Gemeinsamkeit, Ausdruck von freiem Massenwillen. In der jungen revolutionären Tradition der deutschen Arbeiter kreist unversiegbar das Blut der 15.000 Erschlagenen, und der Herzschlag dieser 15.000 klingt zu einem einzigen gewaltigen Pochen zusammen, das die Stumpfsinnigen und Jochgewöhnten, die Lauen und Flauen, die Zagenden und Schwankenden dringend, unwiderstehlich mahnt: Empor! Vorwärts!

Freunde und Feinde der Revolution erblicken die entscheidende Ursache für deren Triumph in Russland darin, dass ihr dort Führer größten Stils entstanden sind. Und sie zerbrechen sich die Köpfe darüber, welche ”völkischen Eigenschaften” es bewirkt haben, dass in Russland die überragende Gestalt eines Lenin, die großen Gestalten von Trotzki, Lunatscharski, Swerdlow, Sinowjew, kurz die ganze Plejade führender Bolschewiki wachsen konnten? Das aber in einer Zeit, wo in allen übrigen Ländern der Mangel an großen, ideenreichen leitenden Politikern auffallend hervortritt. Geschichtliche ”Tiefschürfer” dieser Art verstehen weder das Wesen der Revolution noch kennen sie die Geschichte der Revolution in Russland, In Russland hat die Revolution triumphiert, weil die Tradition der langen, opferreichsten revolutionären Kämpfe einen Lenin, Trotzki, Sinowjew, Swerdlow, Lunatscharski und andere erzeugt hat, Nicht bloß persönlich, als glänzende, gipfelnde Einzelerscheinungen, sondern Hunderte, Tausende von Lenin, Trotzki etc., nämlich Männer und Frauen, die jeden Augenblick die Gesamtsumme ihrer Kräfte bis zum letzten Atem pflichttreu der übertragenen Aufgabe widmen und jeden Augenblick bereit sind und es für eine Selbstverständlichkeit halten, mit Einsetzung des letzten Blutstropfens für die Sache der Revolution zu kämpfen und zu sterben.

Bei der Wiederkehr von Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Todestag wird der Name der großen gefällten Führer auf den Lippen aller sein, die sich zum internationalen Sozialismus bekennen. Das kämpfende Proletariat der ganzen Welt senkt seine Fahnen vor ihren Gräbern. Es grüßt in bewundernder Dankbarkeit wie sie, so auch die Tausende Ungenannter und Unbekannter, die 1919 im Kampfe mit der deutschen Gegenrevolution gefallen sind. Das blutige Geschick von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Leo Jogiches und Eugen Leviné ist Widerspiegelung und Symbol von Massenschicksal. Wenn der Blick sehnsüchtig hinausschweift über das grenzenlose Meer, so haftet er an den weithin leuchtenden Wogenkämmen, die den ewigen Fluss der Wasser künden. Aber die leuchtenden Wogenkämme sind nur die Krönung der bewegten Wassermassen, sie glänzen um so weiter hinaus, je breiter und stärker die Weile ist, die sich stürmisch emporbäumt.

Freilich ist es kein blindes Spiel des Zufalls, dass Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Leo Jogiches und Eugen Leviné noch sterbend auf der Höhe der revolutionären Welle erscheinen. Sie sind zeitlebens Sturm gewesen, der die Wasser aufrührend emporpeitschte und vorwärts trieb. Ihr Tod bedeutet die Erfüllung ihres Lebens, das ganz innere Einheit von Überzeugung und Tat war, revolutionärer Kampf wider alle Gewalten, die Menschen unterdrücken, in Fesseln schlagen, als Arme, Unfreie von dem Bankett kulturellen Lebens vertreiben. ”Tod dem Spartakus!”

Die gefallenen revolutionären Kämpfer

Spartakus ist der Feind!” — das war der Ruf; mit dem die hervorragenden Führer des revolutionären Proletariats gemeuchelt, die Tausende kämpfender Proletarier erschlagen wurden. Der Ruf war kindisch-töricht, soweit ihm die Meinung zugrunde lag, ”Spartakus” habe die Januar-, März- und Mai-Ereignisse ”gemacht”. Er hatte jedoch seinen inneren Sinn insofern, als ”Spartakus” den Geist der Empörung, der Rebellion proletarischer Massen erweckte und erzog, der in den revolutionären Kämpfen von 1919 elementar, brausend zum Ausdruck kam. Es wird der unsterbliche Ruhm unserer gefallenen Führer bleiben, dass sie ”Spartakus” waren, der mit Wort und Tat die Sklaven des Kapitals zum Aufstand rief, als die mehrheitssozialdemokratischen Führer zu Sklavenvögten und Sklaventreibern wurden, die die proletarischen Massen in die Schlachten des imperialistischen Weltkrieges hetzten und während der Revolution zurück unter das alte Joch jagten, als die Führer der Unabhängigen Sozialdemokratie unsicher und scheu zur Seite standen. Denn was ist ”Spartakus”?

Spartakus” ist mehr denn allein die uralte und doch ewig junge Sehnsucht der Menschen nach Befreiung von sozialen Übeln, jene Sehnsucht, die in den verschiedensten ideologischen Verkleidungen suchend, tastend durch die Geschichte gewandert ist und in den glühenden Träumen von Dichtern, Propheten und Religionsstiftern eine Verkörperung gefunden hat. ”Spartakus” ist Erkenntnis, Wille, Tat, um diese Sehnsucht zu erfüllen. Das alles aber in der höchsten geschichtlichen, in der klassischen Form des Ringens für die Freiheit, das Vollmenschentum aller, im Kampf für den internationalen Sozialismus. Im Zeichen des internationalen Sozialismus sammelt ”Spartakus” die zersprengten und verratenen proletarischen Massen zum Kampfe gegen die knechtenden Mächte, als der imperialistische Kapitalismus alles Menschliche in diesen Massen mit äußerster Verachtung leugnet und unter die Füße tritt, indem er sie zum Brudermord, zur Besudelung und Preisgabe ihres Menschheitsideals zwingt. Im Zeichen des internationalen Sozialismus sammelt ”Spartakus” die zersprengten und verratenen proletarischen Massen, als die Revolution durch Deutschland zu schreiten beginnt und zur Dirne der besitzenden Minderheit erniedrigt werden soll. ”Spartakus” sammelt die Massen der Sklaven zu einer großen Kampfgemeinschaft für die große Endschlacht um den Birkenbaum. Als ”Spartakus” haben die gefallenen Führer in unverbrüchlicher Treue und mit leidenschaftlicher Hingabe zusammengewirkt. Da ist Karl Liebknecht, der große, unermüdliche Agitator, der mit der Glut tiefinnerlicher Überzeugung und hinreißendem Wort die Massen erweckt und bewegt, mit Freiheitswillen erfüllt. Ein kühner Soldat der Revolution, den Blick begeistert aufs hehre Ziel gerichtet, stürmt er ihnen voran. Er zählt zu den ersten deutschen Sozialdemokraten, die den Militarismus und Imperialismus in seiner ganzen furchtbaren Gefährlichkeit als Todfeind der Arbeiterklasse erkennen und ihn niederringen wollen, unbeirrt durch Phrasen. Und Karl Liebknecht wirbt dem Kampf gegen diesen Feind, gegen den Kapitalismus, neue, unversöhnliche Streiterscharen, indem er -sein unvergessliches Verdienst — die proletarische Jugend zum Sozialismus ruft. Er ahnt, fühlt den heranschleichenden Verrat im sozialdemokratischen Lager und sucht ihn durch tapferen Kampf zurückzuwerfen. Der Gefahr spottend, der Opfer nicht achtend, ficht er stets ungestüm, wagemutig, mit echtem Rebellentrotz im heißesten Schlachtengetümmel. Karl Liebknecht ist der erste und lange der einzige von mehr als hundert sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, der im deutschen Parlament das reine Banner des internationalen Sozialismus über die blutdampfenden Schlachtfelder erhebt, den Proletariern der ganzen Welt ein Mahner, Wegweisender, Voranstürmender, ein großes hoffnungsreiches Beispiel. Verfolgungen und Zuchthausjahre sind außerstande, die Kraft seiner Bekennertreue, seinen leidenschaftlichen Kampfwillen zu brechen. Während der Revolution ringt er mit schier übermenschlicher Zähigkeit täglich Brust an Brust mit dem Feind bis zu der Stunde, da die Kugeln der meuchelnden Offiziere ihn durchbohrten.

Neben Karl Liebknecht der ”Spartakist” Franz Mehring, der geborene Geistesritter, dessen Feder ein sausendes Schwert ist. Der bienenfleißige, glänzende Geschichtsschreiber und Schriftsteller verzichtet auf die Vorteile und Ehren im Lager der Bourgeoisie, um sich der Sache des Proletariats mit größter Hingabe und Treue zu widmen. In schwersten Stunden besteht er die Feuerprobe des revolutionären Kämpfers. Als das Sozialistengesetz das aufmarschierende Proletariat entwaffnen und knebeln soll, wirft sich Franz Mehring mit kraftvoller Kühnheit dem vereinigten Gewalthaufen der Kapitalisten und Junker entgegen. Der 4. August 1914. Die deutsche Sozialdemokratie gibt sich selbst auf und läuft unter patriotischer Janitscharenmusik zum imperialistischen Feind über, die große Mehrheit der Arbeiter ihm als Kanonenfutter seiner Weltmachtgier zuführend. Da stößt der fast siebzigjährige Franz Mehring mit jugendlichem Feuer zu dem Fähnlein der Aufrechten, das mit dem Imperialismus und Sozialpatriotismus um die Seelen der proletarischen Massen ringt. Mit seinen Beiträgen zur ”Roten Fahne” gibt er die letzten Atome seiner Kraft der Revolution. ”Spartakus’” Geist spricht laut und eindringlich aus dem reichen literarischen Erbe, das er dem Proletariat hinterlassen hat.

In tiefer, dankbarer Bewegung gedenken wir Leo Jogiches‘ und Eugen Leviné, der beiden ”Landfremden”, die wie die ”russischpolnische Jüdin” Rosa Luxemburg sich durch Arbeit und Kampf unveräußerliches Heimatrecht in jedem deutschen Proletarierherzen erworben haben, das für die Freiheit schlägt. Ihr blutiges Sterben hat nur die Urkunde darüber untersiegelt. Diese ”Landfremden” waren internationale Sozialisten im wahrsten Sinne des Wortes. Der bürgerliche Patriot hat bekanntlich sein Vaterland da, wo es ihm gut geht, kapitalistisch gesagt: wo er ausbeuten und genießen kann. Die ”Spartakisten” fanden ihr Vaterland dort, wo der Sozialismus ihre Kraft, ihr Leben einforderte. Die Namen von Leo Jogiches und Eugen Leviné stehen unverwischbar in der Revolutionsgeschichte zweier Länder.

Unter den wütenden Schrecken des Zarismus entfacht Leo Jogiches-Tyszka im Proletariat Russisch-Polens ”Spartakus”‘ Geist und lässt ihn schöpferisch werden. Er war mit Rosa Luxemburg zusammen einer der Gründer und Führer der unvertückt international gerichteten sozialdemokratischen Partei des Landes. Er schreitet festen Schrittes und klaren Blickes den sich erhebenden Sklaven in der Revolution von 1905 voran. Aus dem zaristischen Zuchthaus entflohen, stürzt er sich in Deutschland in Arbeit und Kampf für die Revolution. Seit dem Ausbruch des Weltkrieges steht er, ein ebenbürtiger Ideen- und Waffengenosse, neben seiner Freundin Rosa Luxemburg, um die Proletarier zur großen geschichtlichen Abrechnung mit dem Menschen würgenden und Menschen verderbenden Kapitalismus zu rufen. Er ist der genialen Freundin organisatorische Hand, aber auch ihr nie verstummendes kritisches Gewissen und manchmal der ihr vorauseilende Pfadfinder. Ihm gebührt das größte Verdienst daran, dass trotz Belagerungszustand vor der Nase der argusäugigen Zensur, der spürenden Polizei die Schulungs- und Propagandaliteratur gedruckt und verbreitet werden kann, die das Wesen des imperialistischen Weltkrieges scharf beleuchtet, den Bankrott der Sozialdemokratie brandmarkt, die Ausgebeuteten bereitmachen soll für die Revolution. Ja, zum Teil wäre diese Literatur ohne das nimmer rastende Drängen und Anregen Leo Jogiches‘ nicht entstanden. Seine Energie ist von entscheidender Bedeutung für die Organisierung der Spartakusgruppe, des späteren Spartakusbundes, der die Stoßtruppe der kämpfenden Sklaven zusammenschließen soll. Er ist den höchsten Aufgaben der Revolutionswochen gewachsen, und die Gegenrevolution mordet in ihm Rosa Luxemburgs berufensten politischen Testamentsvollstrecker.

Auch Eugen Leviné hilft 1905 in Russland die Schlachten der Revolution schlagen und muss dafür im Kerker büßen. In Deutschland wirft er die Vorteile reicher Geburt und umfassender Studien von sich, hängt den Akademikertitel an den Nagel und stellt sich als schlichter Proletarier an den Schraubstock. Er durchmisst mit Weib und Kind den tiefen Abgrund proletarischen Klassenelends, durchmisst ihn mit verfeinerten Sinnen und empfindsamer Seele. Eugen Leviné hält tapfer stand. Denn seiner Auffassung nach muss selber ganz im Proletariat untertauchen, wer es aus den Niederungen seiner materiellen und kulturellen Dürftigkeit emporführen will auf die sonnigen Höhenhalden der Freiheit. Und Eugen Leviné hat ein Ziel der Sehnsucht: dem Proletariat kämpfend, führend vorauszugehen. Die Fahnenflucht der Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie treibt ihn in ”Spartakus’” Lager. Er ist überall, wo die Sache der Arbeiter und der Freiheit eines klaren Kopfes, eines starken Herzens, eines pflichttreuen Kämpfers bedarf. Eugen Leviné steht kämpfend unter den Januarrebellen in Berlin. Er schart die rheinisch-westfälischen Bergarbeiter zum Vorstoß für die Sozialisierung und Räteordnung; er trägt in München der Arbeiterschaft das Banner des Kommunismus voran, und er verblutet mit dem Rufe stolzer Siegesgewissheit: ”Es lebe die Weltrevolution!”

Es sind erlesene, hochragende Gestalten, die 1919 gefallenen ”Spartakisten”, die sich um die Persönlichkeit gruppieren, die Spartakus’ heilig glühend Herz, sein klares, weit blickendes Auge, sein stählerner Wille ist: Rosa Luxemburg. Rosa Luxemburg ist ”Spartakus” selbst, der unsterbliche Führer des großen Sklavenaufstandes. Ihr Leben ist ganz Arbeit und Kampf, um den Sklaven unserer Tage zuzurufen: Erwachet! Besinnet euch darauf, dass ihr Menschen seid! Beweist es, indem ihr aus den Jammerhöhlen des Kapitalismus empordrängt ans Licht. Sehet, es nahet euer Tag! — Ihr Leben war ganz Mühe und Sorge, Heldentum und selbstlose Hingabe, damit diese Sklaven sich selbst den Freibrief ihres Menschentums schreiben, indem sie aus duldenden Kreuzesträgern zu zielsicheren, kühnen, hingebungsvollen Kämpfern werden. Rosa Luxemburgs Taten? Sie sind in ungezählten Anstrengungen zusammengefasst, die dem einen Ziel dienen. Ihre Eigenschaften? Sie sprühen und funkeln, wärmen und kälten, zeugen Leben und geben den Tod in dem einen Willen, der ehern auf das eine Ziel gerichtet ist: die Arbeiter tatwillig und tatfähig zu machen, das Urteil der Geschichte am Kapitalismus zu vollstrecken.

An dem Tage, wo Rosa Luxemburg beginnt, ein bewusstes Leben zu leben, gehört es den Mühseligen und Beladenen. Nicht in jenem rührseligen Wohl tun, das nur zu oft sich selbst bewundernd genießt — obwohl niemand ein leiseres Ohr, eine offenere Hand für der Nächsten Nöte hätte als die großherzige Frau, sondern in dem Bestreben, die Mühseligen und Beladenen durch den erweckten einsichtsvollen Willen zu adeln, ihre Ketten zu brechen und eine Welt zu gewinnen. Die kaum dem Flügelkleid entwachsene Rosa Luxemburg wählt sich Deutschland zum Kampfplatz als Vaterland. Denn nach dem damaligen Stand gesellschaftlichen Reifens sagt ihre wissenschaftliche Erkenntnis, dass in Deutschland die nächste große entscheidende Schlacht für proletarische Freiheit geschlagen werde. Und Rosa Luxemburg will die Sklaven gerüstet und unbezwingbar zum Siege führen. Nun beginnt das Ringen langer Jahre ”mit dem Unverstand der Massen”, der scharfe unermüdliche Kampf gegen die bürgerliche Verfälschung des internationalen revolutionären Sozialismus in wachsenden Kreisen der Sozialdemokratie. Das Ringen und der Kampf in Rede und Schrift, in Theorie und Praxis, auf Parteitagen und in Volksversammlungen, überall wo es gilt, dass die Sklaven sich zählen und dass sie handeln lernen.

Rosa Luxemburgs Wirken erreicht seinen Höhepunkt, als mit dem Ausbruch des Weltkriegs die modernen Sklaven, verraten von der Sozialdemokratie und genannt von der Fabel der Landesverteidigung vom weiten geschichtlichen Blachfelds ihres Befreiungskampfs desertierten, um auf den imperialistischen Schlachtfeldern zu fallen, Lieder des Patriotismus auf den Lippen. Es hält sich auf seinem Höhepunkt, als der militärische Zusammenbruch des deutschen Imperialismus die Proletarier vor die Aufgabe stellt, die halbe Revolution der Staatsumwälzung zur ganzen Revolution der Gesellschaftserneuerung zu machen. In diesen schicksalsschweren Stunden der Geschichte erweist Rosa Luxemburg ihre Überlegenheit als politisch und revolutionär Wegweisende und Führende des Proletariats. Sie hebt für dieses aus dem blutigen Chaos des Weltkrieges die sieghafte Zuversicht, dass die Stunde des Zusammenbruchs der versklavenden Welt des Kapitalismus nahe herbeigekommen ist. An dem schimpflichen Bankrott der Sozialdemokratie, der zweiten sozialistischen Internationale, weist sie ihm die Notwendigkeit nach, die internationale Solidarität der Ausgebeuteten als oberstes Gesetz des proletarischen Klassenkampfes zu achten und in einer Internationale der Tat gegen den Kapitalismus anzustürmen. Und Rosa Luxemburg stellt hinter klares Erkennen kraftvolles, zielsicheres, leidenschaftsdurchglühtes Handeln, ”Spartakus” beginnt, die Heerhufen der Sklaven zusammenzuschließen.

Scharf, bestimmt tritt nun die leitende Idee hervor, die vom Anfang bis zum Ende Rosa Luxemburgs Lebenswerk beherrscht hat. Über die Elite der Arbeiterschaft hinaus alle Ausgebeuteten und Geknechteten, alle Enterbten und Zertretenen der bürgerlichen Ordnung zu eine gewaltigen Kampfesgemeinschaft zusammenzuschweißen. Wie in dem biblischen Gleichnis nicht die von dem reichen Mann einer Organisation Geladenen, sondern auch die Schwachen, Krüppeln und Siechen des sozialen Lebens hinter den Hecken und Zäunen. Der revolutionäre Kampf wird sie stark und gesund machen. Nicht der enge Rahmen einer Partei soll alle, die Menschenantlitz tragen und kämpfen können, kämpfen müssen, zusammenhalten, sondern ein Festeres, Dauernderes, Unzerreißbareres. Die Gemeinschaft der Idee der Willensrichtung auf das hehre Ziel: die Welt zu verändern, au fass sie allen zu Eigen werde, der Boden freien, stolzen Menschentums, der Acker schöpferischer Arbeit, die Quelle reinen Genusses.

Keineswegs, dass dieses Ziel die Missachtung der Organisation, ihrer Notwendigkeit und Aufgaben in sich begriffen hätte. Im Gegenteil. In Rosa Luxemburgs Auffassung war die fest zusammengefügte Partei das organisatorische Rückgrat und das leitende Hirn der riesigen Kampfesgenossenschaft, der Massenaktion. Jedoch in dieser Partei durfte die Form nicht den Geist töten, nicht sie, die Idee sollte die tragende, beherrschende Kraft sein. Und der Geist sollte jenseits der Partei die breitesten Massen aller Tätigen mit Hand und Hirn zu Schlachthaufen zusammenfügen, denen die kapitalistische Ordnung nicht zu widerstehen vermag.

Rosa Luxemburg fiel, als die Sklaven erst begonnen hatten, sich um die rote Fahne des ”Spartakus” zu scharen. Nicht erst im Augenblick ihres grausigen Endes gab sie ihr Leben für ihr Ziel. Sie hat es täglich, stündlich bis zum letzten Fünkchen ihrer Kraft dafür eingesetzt. Wir wissen, dass sie bereit war, jederzeit schlicht, freudig für den revolutionären Sozialismus ihr Leben zu lassen. Wir können der felsenfesten Überzeugung sein, dass sie mutig wie ein antiker Held und glaubensstark wie eine christliche Märtyrerin verschieden ist, mit dem letzten Gedanken den Sieg des Sozialismus grüßend, mit dem letzten Gefühl das Glück preisend, ihm gedient und sein Nahen im Sturm der Revolution empfunden zu haben.

Revolutionäre Kämpfe und Kämpfer des Proletariats und des Bürgertums in Deutschland

Der politische Emanzipationskampf des deutschen Bürgertums weist keine Gestalten auf, die sich ebenbürtig neben diejenigen unserer großen Toten des Jahres 1919 stellen könnten. Wir neigen uns ehrerbietig vor Robert Blum, Trützschler und anderen, die im Kampfe gegen die feudalen Gewalten ihr Blut oder ihre Freiheit gegeben haben. Sie waren tapfere Männer mit hehren Idealen und reinem, hohem Sinn. Aber das deutsche Bürgertum hat 1848 und 1849 weder breite revolutionäre Kämpferscharen noch politische Helden großen Stils gestellt. Seine überragenden, unsterblichen Geister haben die Schlachten der Emanzipation in den Wolken der Literatur und Philosophie durchgefochten und nicht auf dem harten Grund der politischen Wirklichkeit. Ihr tragisches Los war es, durch ihre Kunst und Philosophie eine knechtende Ordnung zu vergolden, die sie hassten und wenigstens im Reiche der Gedanken in Trümmer schlugen, gleichzeitig aber sich unter diese Ordnung zu beugen und ihm womöglich in einem kümmerlichen Ämtchen zu dienen. Lessing, dem Dichter von Talent und Geschmack, der große Kämpfer für Geistesfreiheit, starb nach Hungerjahren als Bibliothekar eines Herzogs von Braunschweig. Richard Wagner, der den Zusammenhang von Kunst und Revolution klar erkannte, der Menschheit eine neue große Volkskunst schenken wollte und 1848 ein Revolutionär war, musste froh sein, durch die Gunst eines halbtollen Fürsten aus seinen Nöten gerettet zu werden. Die klassische Freiheitstat des Proletariats liegt auf dem ”rauen, hässlichen Felde der Politik”. Es ist die soziale Revolution. Sie bedeutet eine Weltordnung, die gleichzeitig Weltfreiheit ist. Das besagt: Sache der Weltanschauung, die allein einem Kampfe die geistige, sittliche Größe und Gewalt verleiht, die Kraft, große Menschen zu erzeugen.

Wir müssen in der deutschen Geschichte weit zurückgehen, in das Reformationszeitalter, bis zu dem Bauernkriege, um Seitenstücke zu finden wie zu den sozialen, den revolutionären Kämpfen unserer Tage, so zu den Menschen, die sie führen und tragen. Freilich sind nicht alle diese Menschen gleichen Wuchses, und den mehrheitssozialdemokratischen ”Reformatoren” der bürgerlichen Ordnung würden die geschichtlichen Kostüme bedenklich zu weit sein, die das ”leise tretende und sanft lebende Fleisch” jener opportunistischen Kämpen trug, wider die sich der zornige Eifer der Stürmer und Dränger empörte. Sicherlich: Nach einem kühnen Anlauf, ein Revolutionär der Gesellschaftsordnung zu werden, begnügte sich Martin Luther mit der weit bescheideneren Rolle eines Reformators der Kirche. Aber Seite an Seite gestellt mit diesem urwüchsigen, saftstrotzenden Bauernsohn, der ein Denker und Dichter war, wirkt Dr. David, die geistige Leuchte des Regierungssozialismus, wie ein verhutzeltes, verstaubtes scholastisches Magisterlein. Alle regierungssozialistische Weisheit zusammengepackt, erinnert höchstens in einem Zuge an die ”Realpolitik” des ”teuren Gottesmannes”, der vom Erwecker burgenbrechender Bauern zum Freund der Fürsten wurde, die geistliches Besitztum ”säkularisierten”, auf deutsch gesagt: einsäckelten — das ist die gutbürgerliche, hausväterliche Klugheit, mit der sich Philipp Scheidemann auf das politische Altenteil des Kasseler Oberbürgermeisterpostens zurückzuziehen gedenkt, wie Luther seine Tage in dem ”mäßigen Wohlstand” des Besitzes von zwei Klostergütern, einem weltlichen Gut und einem Vorwerk beschloss.

Damals wie heute begegnen wir den Persönlichkeiten größten Wurfs dort, wo man dafür kämpft, dass das Eigentum aus seiner Machtposition geworfen und der Mensch in sein Recht eingesetzt werde. Wo man mit Ernst, Innbrunst, todverachtender Kühnheit dafür ringt, durch den Kommunismus das Gottesreich der allgemeinen Gotteskindschaft, dem Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit aller, im buchstäblichen Sinne des Wortes, vom Himmel herunterzuholen, die hohe Jenseitsmoral des Christentums in gültige Diesseitspolitik, in bindendes Diesseitsrecht zu verwandeln. Auf dem vulkanisch bebenden Boden dieses sozialen Kämpfens und Ringens erwächst die überragende Gestalt Thomas Münzers, des ”Spartakus” Seiner Zeit. Von tiefster Innerlichkeit getrieben, opfert er alles, was den Menschen gemeiniglich das Leben lebenswert macht, um dafür die eine köstliche Perle einzutauschen: das Aufgehen der Persönlichkeit in der Hingabe an ein großes unerschütterlich festgehaltenes Ziel. Ein unbeugsamer Streiter mit Geist und Schwert, will er die rebellierenden Bauern und Proletarier dem zünftigen Städte in das kommunistische Gottesreich führen, entbehrt er mit ihnen, duldet mit ihnen, kämpft mit ihnen und stirbt mit ihnen noch im Tode groß, gewaltig im Schauen, Glauben und Bekennen -‚ ein Unsterblicher. Wir dürfen die gefallenen führenden ”Spartakisten” neben Thomas Münzer stellen, ohne dass der Vergleich sie klein und bedeutungslos erscheinen ließe. Rosa Luxemburg ist seines Riesenmaßes, ist ihm eine Ebenbürtige. Das wird unbestritten anerkannt werden, wenn nicht mehr die Politik über Rosa Luxemburgs Persönlichkeit und Lebenswerk zu Gericht sitzen wird, sondern wenn die Geschichte unbefangen darüber urteilt.

Über die revolutionären Kämpfe von 1919 und ihren blutigen Preis mögen jene ach und weh schreien, die sich in ihrer Machtstellung bedroht und erschüttert fühlen, und die politischen Klageweiber beider Geschlechter, die den Kampf als die Stimme des bösen Gewissens hassen, die sie an ihre eigene Untätigkeit, Feigheit und Selbstsucht mahnt. Könnten gerade wir blind sein für die gebrachten Opfer, wir, die wir ihre Größe und Schwere täglich aufs Neue empfinden? Diese Kämpfe haben uns Wunden geschlagen, die brennen, solange wir atmen, sie haben uns Verluste zugefügt, die nie ersetzt werden können. Trotz alledem entringt sich unserer Brust ein starkes; Und dennoch! Jawohl: Und dennoch! Spartakus wird Kampf und Opfer bleiben. Die revolutionären Kämpfe des,, roten Jahres” waren nicht umsonst, die schmerzlichsten Opfer nicht vergeblich. Fünfzehntausend Rebellenleichen und ungezählte Eingekerkerte melden, dass sich im Proletariat Deutschlands die Massen zusammenzuballen beginnen, die zielklar und willenskühn die bürgerliche Ordnung im revolutionären Kampf berennen. Sie künden ein Vorwärts des Kampfes. Größere Kämpferscharen sammeln sich, von klareren Losungen geleitet, einer Taktik von größerer Zielsicherheit gehorchend. Mit Siegeszuversicht im Feuer gehärtet, geht die revolutionäre Vorhut des deutschen Proletariats aus dem Ringen des abgelaufenen Jahres hervor.

Ausblick

Unsere Totenklage für die entrissenen Führer ist Kampfschwur, unsere Trauer um sie Kampfrüsten, nicht Entmutigung und müde Resignation. Die geschichtliche Sage berichtet, in der Völkerschlacht auf den katalaunischen Feldern sei so erbittert gekämpft worden, dass die Geister der Erschlagenen noch in den Lüften miteinander weiter gerungen hätten. Nicht in den Lüften, unter uns, mit uns kämpfen unsere teuren Gemordeten weiter. Was sie waren, was sie durch ihr Wesen und Wirken gaben, das ist unsterblich. Es ist eingegangen in ungezählte Proletarier und wird in ihnen Erkenntnis, Wille, Tat. Tausend Liebknechts, Luxemburgs, Jogiches‘, Mehrings und Leviné muss das deutsche Proletariat, das Weltproletariat haben, den gemordeten Führern gleich an Größe und Reinheit der Gesinnung, an Charakterstärke und Überzeugungstreue, an Kühnheit und Opfermut. Darum klagen wir nicht, kämpfen wir. ”Aufs neue erklingen die Drommeten, es gilt neuen Kampf.”

Die kapitalistische Wirtschaft, die bürgerliche Ordnung Deutschlands ist reif, überreif für den Untergang. Sie trägt hippokratische Züge. Rohstoff- und Lebensmittelmangel, Stockung der Produktion, Sinken der Produktivität, Geldentwertung, Ausverkauf aller Waren nach dem Auslande, Arbeitslosigkeit. Wucherpreise des notwendigen Lebensbedarf — kurz Erscheinungen, die vernichtendes Elend für ungezählte Millionen bedeuten — schreiben der Wirtschaft der bürgerlichen Ordnung ihr Todesurteil. Ihrer Politik schreiben es Belagerungszustand, Einwohner- und Polizeiwehren, Widerauferstehung alten Militarismus, Hindenburgvergötterung und putschlüsterne monarchistische Offizierskamarillen, parlamentarische Sozialisierungsspiegelfechtereien, Untersuchungskomödien über die Schuldigen des Weltkrieg, Sparprämienanleiheschwinden, Notengroßfabrikation, die Auslieferung der Werktätigen als Sühne- und Ausbeutungsobjekt an den Ententeimperialismus und die gepanzerte Faust gegen das sozialistische Sowjetrussland und anderes mehr. Die Verwesung der bürgerlichen Moral stinkt gen Himmel in den Praktiken der Schleichhändler, Schieber und Börsenspekulanten, der Steuerdrückebergerei der Kriegsgewinnler, dem Sklarsz-Parvus-Skandal, dem Marloh-Prozess, den Orgien, die der satte Reichtum auf Kosten der hungernden Armut feiert. Das bürgerliche Deutschland nähert sich unaufhaltsam jenem Zustand, wo nach Karl Marx eine Gesellschaft verloren ist, weil sie ihren Sklaven nicht mehr ihre nackte Existenz zu sichern vermag. Die Stimmung des versinkenden alten Regimes in Frankreich lagert über seinen herrschenden Klassen: ”Nach uns die Sintflut!”

Anzeichen für den Verfall der kapitalistischen Ordnung auch in den siegreichen Ententestaaten. Immer greifbarer tritt es zutage, dass sie ohnmächtig sind, wie sie den Völkern vorgeschwindelt, die politischen, die nationalen Schwierigkeiten zu lösen durch das vielbeschworene Selbstbestimmungsrecht der Nationen, das der Ententeimperialismus zerstampft und den viel besungenen ”Völkerbund” von Wilsons Weisheit, der ein Schutz- und Trutzbündnis des Weltkapitalismus zur Weltausbeutung und Abwehr des Sozialismus ist. Immer offenkundiger wird es, dass der Kapitalismus auch in den Ententestaaten die sozialen Gegensätze nicht zu bannen, zu meistern vermag. Trotz des Sieges und der erwarteten Riesensummen und Vorteile zur ”Wiedergutmachung” der Schlachtenbarbarei hat der Weltkrieg auch dort die Wirtschaft in ihren tiefen erschüttert, unlösbare Finanzprobleme heraufbeschworen, wenige Reiche reicher, die ungeheure Mehrzahl ärmer gemacht. Aus dem Krater der Klassengegensätze muss die feurige Lohe der Revolution hervorbrechen, auch wenn die siegestrunkenen Besitzenden heute noch auf dünnem blumigen Boden tanzen, ungestört durch Spartakus’ freiheitsverlangende Sklaven. Die Götterdämmerung der bürgerlichen Ordnung steigt in der ganzen Welt unaufhaltsam herauf.

Harren wir jedoch hier in Deutschland nicht in schmerzlicher Spannung darauf, dass wie bei den Revolutionen des vorigen Jahrhunderts der ”Schrei des gallischen Hahnes” den Ausbruch des Freiheitsmorgens verkündet. Wenden wir den Blick nach Osten. Dort hat der Freiheitsmorgen bereits getagt, dort kämpft seit mehr als zwei Jahren das sozialistische Sowjetrussland unter Schwierigkeiten und Gefahren, wie die Geschichte sie nie größer gesehen mit unvergleichlichem Heldenmut und Opfersinn gegen die Gegenrevolution im Innern und die Macht des Weltkapitalismus außen. Das sozialistische Sowjetrussland ist uns Symbol, Hoffnung, Bürgschaft der neuen Zeit, die aus dem Untergangschaos der bürgerlichen Welt sich erhebt. Das revolutionäre, kämpfende deutsche Proletariat muss die Brücke schlagen, über die sich vom Osten her nach dem Westen das fressende, reinigende Feuer der Revolution wälzt, das den Kapitalismus verschlingt. Seien wir bereit, machen wir bereit! Jeder Nerv in Arbeit und Kampf angespannt, auf dass Tat Geist sei und Geist Tat werde! Spartakus, Dein Banner hoch! Sklaven heraus und heran! Das Ganze durch die Revolution! Alles für die Revolution!

1 [Paul Frölich:] Die bayrische Räterepublik. Tatsachen und Kritik, Frankes Verlag, Leipzig. Das Heft ist eindringlich zum Studium empfohlen.

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