Clara Zetkin 19180627 An W. I. Lenin

Clara Zetkin: An W. I. Lenin

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Zentrales Parteiarchiv, Moskau. 5/3/281. Bl. 1. Nach ”Für die Sowjetmacht”, S. 61 f.]

Clara Zetkin (Zundel)

Wilhelmshöhe, 27. 6. 18

Post Degerloch bei Stuttgart

Geehrter Genosse Lenin,

hiermit empfehle ich Ihnen ebenso herzlich als dringend eine junge Genossin, Fräulein Hertha Gordon. Ihr Vater, der in Russland geboren ist, bekleidet seit fast 40 Jahren einen Posten in der kgl. preuß. Bernsteinindustrie zu Königsberg und hat verabsäumt, sich naturalisieren zu lassen. So kam es, dass Genossin Gordon, die in Königsberg geboren ist, nie in Russland war, kein Wort russisch kennt, als Russin interniert und nun nach Moskau überführt wurde. Frl. Gordon war jahrelang Korrespondentin und Buchhalterin in großen Industriebetrieben, kennt deutsch, englisch und französisch und ist eine treffliche Stenografin und Maschinenschreiberin. Sie ist ein treuer, zuverlässiger Charakter, eine überzeugte Sozialistin und hat als solche die „Feuertaufe“ erhalten. Ich vermute, dass es in Russland irgendwelche Beschäftigung für sie gehen wird.

Ich weiß, geehrter Genosse Lenin, dass Sie und Ihre nächsten Freunde jetzt für größere Dinge zu sorgen haben als für ein einzelnes kleines Menschenschicksal. Aber ich weiß auch, dass Euch allen dabei nichts Menschliches fremd geworden ist, und so bin ich überzeugt, dass Sie in Ihren Kreisen jemand finden werden, der sich Hertha Gordons annimmt. Was ich Ihnen schreiben möchte, muss zur Zeit unausgesprochen bleiben. Aber Sie dürfen überzeugt sein, dass ich die Alte geblieben bin und mit Kopf und Herz ganz mit Ihnen bin und einen dicken Trennungsstrich zwischen [mir und] den Kritiken von der Art Kautsky und tutti quanti gezogen habe.

Ich grüsse Sie, Ihre Frau und alle herzlich

Ihre

Clara Zetkin

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