Clara Zetkin 19171116 Das Friedenswerk der russischen Revolution

Clara Zetkin: Das Friedenswerk der russischen Revolution

(November 1917)

[Leipziger Volkszeitung, 16. November 1917. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. I, S. 766-769]

Das Friedenswerk der russischen Revolution hat für die Völker eine neue, entscheidungsschwere Situation geschaffen. Am 8. November hat sich in Petersburg die Revolution ”rasselnd in die Höh’ gerichtet und ist reisiger wiedergekehrt”. Der Petersburger Arbeiter- und Soldatenrat hat zusammen mit dem Bauernrat und mit Unterstützung von Land- und Marinetruppen die vorläufige Koalitionsregierung gestürzt, die meisten Minister gefangen gesetzt — ob der Diktator Kerenski dieses Schicksal teilt oder entkommen ist, weiß man im Ausland noch nicht — und die ganze Regierungsgewalt in die Hand des Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte gelegt. Der Petersburger Arbeiter- und Soldatenrat besteht in seiner übergroßen Mehrzahl aus radikalen Sozialisten der Partei der Bolschewiki oder Maximalisten, die nie mit den bürgerlichen Linksparteien paktiert, sondern von Anfang an die Auffassung vertreten hat, die Existenz und das Werk der Revolution könne nur durch die Diktatur des Proletariats und die Übernahme der ganzen Regierungsgewalt durch die Arbeiter- und Soldatenräte sichergestellt werden. Die Revolution in Petersburg und ihr Sieg ist der Triumph der konsequent festgehaltenen und durchgeführten grundsätzlichen und taktischen Auffassung der Bolschewiki. Die Tat- und Unterlassungssünden der vorläufigen Regierungen, die einander abgelöst haben, brachten ihnen die Gefolgschaft großer Bevölkerungsmassen, namentlich aus dem städtischen und industriellen Proletariat, aber auch aus der Bauernschaft und dem Land- und Seeheer. Die vorläufigen Regierungen haben sich als unfähig erwiesen, das Werk der Revolution fortzuführen: Sie vergeudeten ihr Erbe, denn sie waren in der Hauptsache Vertreter der besitzenden Klassen, vor deren Interessen sie respektvoll halt machten. Die Minister aus den Reihen der Menschewiki, dem rechten Flügel der russischen Sozialisten, und der Sozialrevolutionäre konnten nichts Entscheidendes daran bessern. Sie waren Gefangene und nicht Herren der Regierungen. Das alles zeigte sich zumal in der Außenpolitik, die nicht entschieden und durchgreifend genug auf einen raschen Friedensschluss zusteuerte, wie angesichts der notwendigen Agrarreform und der ebenso dringlichen Reformen auf industriellem und sozialem Gebiete, in der Nahrungsmittelversorgung usw. Auch die Verschleppung des Zusammentritts der konstituierenden Versammlung war bezeichnend dafür. Hinter den bolschewistischen Petersburger Arbeiter- und Soldatenrat ist der Kongress aller russischen Arbeiter- und Soldatenräte getreten, der zur Zeit in Petersburg tagt und im Namen von 10 Millionen Soldaten und des gesamten Proletariats sprechen darf. Er hat sich das Programm des Petersburger revolutionären Ausschusses zu Eigen gemacht und das folgende Manifest an die Arbeiter, Soldaten und Bauern gerichtet:

Auf der Grundlage des Willens der überwältigenden Mehrheit der Arbeiter und der Garnison von Petersburg nimmt der Kongress die Gewalt in seine Hand. Er wird allen Völkern einen demokratischen Frieden und einen sofortigen Waffenstillstand vorschlagen, der alsbald auf sämtlichen Fronten eintreten soll. Die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte wird die unentgeltliche Auslieferung der Privat-, Regierungs- und Kirchenländereien an die Bauernausschüsse sicherstellen, die Rechte der Soldaten verteidigen unter Verwirklichung einer vollkommenen Demokratisierung der Armee, eine Kontrolle der Arbeiter über die Erzeugung schaffen, die Einberufung der Verfassungsgebenden Versammlung zu gelegener Zeit sicherstellen, für die Versorgung der Städte mit den Gegenständen des dringenden Bedarfes sorgen und allen Nationalitäten, die Russland bevölkern, ein wirkliches Recht garantieren, ihre Zukunft zu organisieren.

Der Kongress beschließt, dass die gesamte örtliche Gewalt auf die örtlichen Arbeiter- und Soldatenräte übergeht, die eine dauerhafte revolutionäre Ordnung herzustellen haben. Der Kongress fordert die Soldaten in den Schützengräben zur Wachsamkeit und Festigkeit auf. Der Kongress ist überzeugt, dass die revolutionäre Armee die Revolution gegen alle imperialistischen Versuche zu schützen wissen wird bis zu dem Augenblick, wo die neue Regierung den demokratischen Frieden zustande gebracht haben wird, den sie auf direktem Wege allen Völkern vorgeschlagen bat. Die neue Regierung wird alle Maßnahmen ergreifen, um der Armee alles Notwendige zu sichern durch eine energische Politik der Auflagen und Steuern für alle begüterten Klassen. Sie wird gleicherweise die wirtschaftliche Lage der Soldatenfamilien verbessern.

Die Parteigänger Kornilows, Kerenskis, Kaledins und andere versuchen, Truppen nach Petersburg kommen zu lassen. Einige Abteilungen, die sich durch Kerenski hatten täuschen lassen, sind bereits auf die Seite des in Erhebung befindlichen Volkes übergetreten. Soldaten! Setzt tatkräftigen Widerstand Kerenski, diesem Parteigänger Kornilows, entgegen! Eisenbahner! Haltet die Streitkräfte an, die Kerenski gegen Petersburg schickt!‘”

Zum zweiten Mal tritt die revolutionäre Demokratie, tritt ihr voran das revolutionäre Proletariat Russlands als Preisfechter des Friedens vor die Völker. Der Kampf für den Frieden wird die Kraftprobe der Reife und Macht sein. Ein Kampf von größter Tragweite und weltgeschichtlicher Bedeutung. Ein Kampf dem nur der Erfolg blühen kann, wenn die Völker nicht den törichten Jungfrauen gleichen, die vergessen hatten, das Öl auf ihre Lampen zu tun, als sie dem Bräutigam entgegengehen sollten. Der Friede ist in greifbare Nähe gerückt, wenn die heiße Friedenssehnsucht der Völker sich zum bewussten Friedenswillen zusammenballt, der Geschichte macht, wie er sie machen muss.

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