Clara Zetkin 19201100 Flammenzeichen

Clara Zetkin: Flammenzeichen

(November 1920)

[“Die Kommunistische Internationale”, 1920/21, Nr. 14, S. 38-47. Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 290-303]

Flammenzeichen ringsum! Der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie hat sich verschärft. Revolution und Gegenrevolution ringen zäh, erbittert miteinander. Außenpolitisch kommt das zum Ausdruck in dem Verteidigungskrieg Sowjetrusslands gegen das weißgardistische Polen, den Söldling des Ententeimperialismus, der internationalen Gegenrevolution, und in der Rückwirkung dieses Krieges auf Deutschland. Innenpolitisch in dem fieberhaften Rüsten der Bourgeoisie, in der fortschreitenden Demaskierung der Reichsregierung, der Stinnes-Leute und Kappisten, dem offenen Paktieren der bayrischen und württembergischen Regierung mit den Orgesch-Helden; in dem wachsenden Widerstand breitester proletarischer Massen gegen den Steuerraubzug auf ihre Taschen, gegen die Produktionssabotage der Unternehmer, in der Ausbreitung, Verwurzelung und beginnenden Verwirklichung des Rätegedankens.

Der unerhört rasche und glänzende Siegeslauf, in dem die Rote Armee russischer freier Arbeiter und Bauern den polnischen Imperialismus militärisch in die Knie gezwungen, ist zum Stehen gekommen. Die Regierung der Schlachta und Bourgeoisie hat unter den fadenscheinigsten, heuchlerischsten Vorwänden die von Sowjetrussland angebotenen Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen erst verschleppt, die vorgeschlagenen Waffenstillstands- und Friedensbedingungen dann abgelehnt. Sie hat durch eine Schreckensherrschaft, die an Horthy-Ungarn erinnert, die revolutionärer Gesinnung und Erhebung verdächtigen Arbeiter und Kleinbauern geknebelt. Es ist ihr gelungen, neue weißgardistische Truppen zu sammeln und zu rüsten. Nicht etwa aus eigener Kraft, lediglich dank der Unterstützung durch die Entente — namentlich Frankreichs —‚ ja dank der offenen oder heimlichen Hilfe der kapitalistischen Gegenrevolutionäre aller Länder. Der sicher scheinende Sieg Sowjetrusslands über Polen ließ sie alle vor dem “Bolschewismus” zittern. In fester Solidarität der Interessen, gemeinsamer Gefahr und gemeinsamen Hasses betrachteten sie es als ihre Aufgabe, Polen zu “retten” und den einzigen proletarischen Staat der Welt zu vernichten.

Eine Zeitlang schien es, als ob Lloyd George unter dem einsetzenden Druck der englischen Arbeitermassen von den französischen Imperialisten abrücke, die fanatisch zur Zerschmetterung Sowjetrusslands aufrufen. Jetzt führt er den Kreuzzug der kapitalistischen Mächte zur Errettung des heiligen Polens der Junker- und Bourgeoisherrschaft von den bolschewistischen Ungläubigen. In Luzern hat er an sein gut kapitalistisch schlagendes Herz [den italienischen Ministerpräsidenten] Giolitti gerissen, der gern den großen Staatsmann mimen möchte und nie mehr als ein seichter liberalisierender Schwätzer gewesen ist. Auch Italien soll sich zum Kampf gegen Sowjetrussland stellen, in dreister Nichtachtung des Willens seines werktätigen Volkes. Lloyd George hat dem Krieg der Gegenrevolution wider die sozialistische Republik eine neue Parole gegeben: Friedenssicherung. Sowjetrussland muss als Friedensstörer, als Friedensgefahr unschädlich gemacht werden, so wird versichert. Und das Angesichts der Tatsache, dass Sowjetrussland der einzige Staat der Welt ist, der vom ersten Augenblick an bis heute eine konsequent rein friedliche Auslandspolitik erstrebt, verfolgt hat. So durch und durch verlogen Lloyd Georges Losung ist, so bestechend und gefährlich ist sie. Sie spekuliert auf das tiefe Friedensbedürfnis der Arbeiter Englands, der schaffenden Massen der ganzen Welt.

Der Ententeimperialismus will den Sieg des kapitalistischen Polens über das kommunistische Russland durch die tatkräftigste moralische, politische und militärische Unterstützung erzwingen. Mehr Munition, Waffen, Flugzeuge, Heeresbedarf jeder Art, mehr Lebensmittel, mehr Truppen sollen nach Polen entsendet werden. Die Horden des gegenrevolutionären Generals Wrangel brennen und morden in Südrussland mit dem Segen, dem Gelde und den Waffen der Entente. Eine neue Blockade soll die Räterepublik von der Welt abschneiden, den Aufbau der russischen Wirtschaft verhindern und ungezählte Millionen dem Verderben, dem Tode überliefern. Aus Trümmern und Leichen soll ein kapitalistisches Russland erstehen.

Ob diese Blütenträume des Ententekapitalismus wohl reifen? Deutschland hat ein gewichtiges Wort dabei mitzusprechen — Deutschland, das am Anfang seiner Umwälzung durch die proletarische Revolution steht und in dem Proletariat und Bourgeoisie einander ins Weiße des Auges blicken; Deutschland, dessen Massen der Ausgebeuteten und Enterbten durch die Auflösung der kapitalistischen Wirtschaft unwiderstehlich vorgetrieben werden zum Kampfe für die Überwindung des Kapitalismus, während seine Regierung als Regierung der besitzenden Minderheit den Kapitalismus mit allen Mitteln, mit List und Gewalt zu verewigen strebt und lieber zehn Schritte zurück in die militärisch-monarchistische Vergangenheit tut als einen halben Schritt vorwärts zur kommunistischen Zukunft; Deutschland, für das als Staat ausgeprägter und bedrohter Kapitalistenherrschaft Sowjetrusslands Niederlage ein Ziel ist, aufs innigste zu wünschen, und das doch als bürgerlicher Nationalstaat vor einem Siege des imperialistischen Polens, vor einer Befestigung des Bundes zwischen diesem und der Entente sich ängstigen muss.

Wird dieses weiteste und bequemste Verbindungstor zwischen Polen und dem Westen für den unbeschränkten Transport von Truppen und Heeresbedarf der Entente offen stehen?

Das ist die schicksalsschwere Frage, die nicht nur für den Ausgang des russisch-polnischen Krieges und für Sowjetrussland entscheidend werden kann, sondern mehr noch für die nächste Zukunft der Weltrevolution, der proletarischen Revolution in Deutschland. Die Antwort selbst auf diese Frage wird aber keinesfalls von den unsicher schwankenden Köpfen und gespaltenen Zungen der Männlein gegeben, die sich in Deutschland als Staatsweise und Diplomaten gebärden. Sie wird der Ausdruck einer bedeutsamen Etappe des Ringens zwischen proletarischer Revolution und kapitalistischer Gegenrevolution sein, der Gradmesser der Macht, die das deutsche Proletariat in seinem Befreiungskampf zu entfalten fähig ist. In der Tat, die Solidaritätsaktion der deutschen Arbeiterklasse für Sowjetrussland kann sich nur im Kampf gegen die deutsche Bourgeoisie, die deutsche Konterrevolution zu Fleisch und Blut verkörpern und wird ein wesentlicher Vorstoß zur Niederzwingung der kapitalistischen Gewalt sein.

Als Lloyd George und Giolitti in Luzern den Kriegs- und Hungerpakt gegen Sowjetrussland schlossen, war dem Außenminister der Kapp-Ersatzregierung Deutschlands1 keine ermunternde Antwort auf das leise Flehen geworden:

Ich sei, gewährt mir die Bitte,

In eurem Bunde der Dritte.”

Der Preis für den offenen Verzicht auf die Neutralität des Deutschen Reiches war erheblich gesunken. Von Frankreich gestärkt, hatte das weißgardistische Polen den Ansturm der Roten Armee zunächst zurückgeschlagen. Die Neutralitätstugend der Regierung des gottseligen Fehrenbach wurde nicht ernstlich durch den Ententeimperialismus in Versuchung geführt. So setzt diese Regierung das Doppelspiel fort, das sie angesichts des weltgeschichtlichen Konflikts begonnen. Sie schwört Eide der Neutralität für die unaufgeklärten, naiven Volksmassen, die instinktiv mit Sowjetrussland empfinden, und für die nationalbolschewistischen Kreise des Bürgertums, die das imperialistische Polen hassen und in ihm die Entente gedemütigt sehen möchten. Sie sieht und hört nichts und hilft kräftig mit, wenn die Neutralität sich zugunsten Polens in eitel Dunst auflöst durch Truppen- und Munitionstransporte unter falscher Flagge, durch Riesenlieferungen von Spekulanten und Schiebern, um das Wohlwollen der Entente und der mit ihr sympathisierenden Kohlenkönige und Schwerindustriellen nicht zu verscherzen, um alle zufrieden zu stellen, die brünstig danach verlangen, dass mit Sowjetrussland die proletarische Revolution niedergeschlagen werde.

Ihrem gegenrevolutionären Wesen getreu, geht die deutsche Regierung weiter. Sie fällt den organisierten Eisenbahnern und Transportarbeitern in den Arm, die in richtiger Erkenntnis der Klassenlage und der Klassenpflicht des deutschen Proletariats die blutlose Neutralitätsdeklaration der Regierung zur kraftvollen Solidaritätsaktion der Ausgebeuteten für ihre kämpfenden russischen Brüder erheben wollen. Sie bestreitet den Betriebsräten der Eisenbahn- und Transportarbeiter das Recht zur Kontrolle aller verdächtigen Transporte, das Recht, die Weiterbeförderung von Truppen, Waffen, Munition, Lebensmitteln usw., die für Polen bestimmt sind, abzulehnen zu verhindern. Sie hat schließlich die Transportkontrollkommissionen dreist beiseite geschoben und aufgelöst. Nur die Dienstvorsteher sollen jetzt über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Transporte bestimmen. Die Regierung beruft sich dabei auf die mangelnde gesetzliche, juristische Befugnis der Betriebsräte, der Kontrollkommissionen, selbständig entscheidend und handelnd in das Verkehrswesen einzugreifen. Sie verkriecht sich hinter den Versailler Friedensvertrag. Nach ihm haben die Ententetruppen in den besetzten Orten des Reiches Ablösungsmannschaften und Heeresbedarf zu erhalten, und die so genannten Poloniazüge mit angeblichen Lebensmitteln dürfen unbeanstandet durch Deutschland nach Polen fahren.

Jedoch, abgesehen von der Liebedienerei der Besiegten vor den triumphierenden Imperialisten, verbergen sich hinter all dem süßsauren Neutralitätsgeschmuse der deutschen Regierung nur schlecht die beiden treibenden Beweggründe: die Furcht vor dem siegreichen russischen Proletarierstaat und der Wille, die sich in dem selbständigen Handeln der Eisenbahner und Transportarbeiter ankündigende revolutionäre Aktion des Proletariats im Keime zu zertreten. Die bürgerliche, mehrheitssozialdemokratisch gesegnete Koalitionsregierung stemmt sich gegen den bedeutsamen Schritt proletarischer Betriebsräte, ohne Erlaubnis, ja im Widerspruch zu den kapitalistischen Herren in Wirtschaft und Staat selbständig zu handeln, kraft eigenen Rechtes als Macht aufzutreten. Richtig versteht sie das Vorgehen der Transportarbeiter und Eisenbahner als Pronunziamento, als Schilderhebung, des Proletariats, das sich auf seine revolutionäre Macht und auf seine revolutionäre Pflicht zu besinnen beginnt. Sie will durch gesetzliche, formalistische Zwirnsfäden von vornherein die Macht der Betriebsräte, der Arbeiterräte binden, indem sie die von den Betriebsräten der Eisenbahner und Transportarbeiter geführte Solidaritätsaktion für Sowjetrussland abzudrosseln sucht. Dem deutschen Proletariat bleibt abermals nicht die brennende Schmach erspart, dass die mehrheitssozialistischen Führer Arm in Arm mit den führenden Gewerkschaftsbürokraten der gegenrevolutionären Regierung Hand- und Spanndienste leisten. Und um die Schmach voll zu machen, decken die rechtsgerichteten Führer der Unabhängigen Sozialdemokratie den Handel.

Die Betriebsräte der Eisenbahner und Transportarbeiter empfanden stark die revolutionäre Solidarität des deutschen Proletariats mit Sowjetrussland. Sie erkannten die Notwendigkeit, das Rüsten der deutschen Gegenrevolution zu verhindern, das unter der Maske des “Selbstschutzes” und “Landesschutzes” für Ostpreußen vor sich geht. Sie handelten. Nun kam es darauf an, ihre Aktion durch den Willen und die Tat der breitesten Massen zu schützen. Die Leitung des zur einheitlichen Front zusammengerufenen Proletariats stellte dagegen an den Anfang ihrer Betätigung das Verhandeln mit der Regierung. Es erfolgten “Vorbesprechungen” führender Scheidemänner und Gewerkschafter mit dem Reichsverkehrsminister, dem Reichswehrminister, dem Auswärtigen Amt, kurz, mit allen möglichen und unmöglichen “Staatsautoritäten”. Eine Konferenz von Vertretern der sozialistischen Parteien, des Vorstandes der Gewerkschaften, der Zentralvorstände der Eisenbahner- und Transportarbeiterverbände hatte “allgemeine Richtlinien” für die Transportkontrolle auszuarbeiten, die dem Kabinett zur Begutachtung und Vereinbarung vorgelegt werden sollten, “damit ihre Durchführung gesichert sei”. Also eine proletarische Klassenaktion von der Gnade der Regierung kapitalistischer “Fachminister” zur Niederwerfung des Proletariats, zur Stärkung der Gegenrevolution!

Vor so viel Bedientenhaftigkeit konnte die Regierung die Spröde spielen. Durch die “Vossische Zeitung” ließ sie den Möchte-gern-Vereinbarern die offiziöse Ohrfeige verabfolgen, sie verhandle in der Sache überhaupt nicht. Natürlich war sie schlau genug, dem Bären, der tanzen wollte, den Ring von Verhandlungen durch die Nase zu ziehen. Sie gab in der Form nach, indem sie die Eisenbahner zur Kontrolle der Güter- und Truppentransporte zuließ. Sie triumphierte aber in der Sache, indem sie die Kontrolle und die Nichtbeförderung von Transporten in den Grenzen der Neutralität hielt, “wie sie sie auffasst”. Sie vollendete die Nasführung und Unterwerfung der Arbeiter mit der Auflösung der Kontrollkommissionen. Die “Vereinbarer” wurden mit einem Fußtritt hinausgeworfen. Im Zeichen von Versailles können die polnischen Weißgardisten noch weiter Zuzug und Mordwerkzeuge über Deutschland erhalten, und im Namen des “Entwaffnungskommissars” werden über den Umweg der Reichswehr und Sicherheitspolizei noch weiter die Landbündler und Orgesch-Männer gegen die Arbeiter gerüstet. Die revolutionäre Solidaritätstat des deutschen Proletariats für Sowjetrussland sollte verfälscht werden in eine burgfriedliche Hilfsaktion für die kapitalistische Regierung. Dem Kern nach wiederholt sich, was in den Tagen des Kapp-Putsches geschehen. Die Scheidemänner und Legien fingen den vorwärts stürmenden proletarischen Renner ein und spannten ihn vor den Regierungskarren des Kapitalismus. Die Breitscheid und Hilferding sagten ja und amen dazu. Eines Sinnes mit Ludendorff, warnte der “Vorwärts” mit Unkentönen vor jeder einseitigen Unterstützung des bolschewistischen Russlands.

Die “Freiheit” schwitzte Angstschweiß angesichts der Möglichkeit, das Vorgehen der Eisenbahner könne einen Buchstaben des neunmalheiligen Versailler Vertrags auslöschen. Breitscheid erteilte der Regierung Fehrenbach bereits Sündenvergebung auf Vorschuss, wenn sie unter dem Druck der Entente die vollständige Neutralität gegen Sowjetrussland nicht bewahren könne.

Selbstredend steht die Kommunistische Partei Deutschlands im schärfsten Gegensatz und Kampf zu diesem Verhalten von Verrätern der Revolution aus Grundsatz oder aus Schwäche. Zur Strafe dafür wurde sie aus der Berliner Zentralkörperschaft ausgeschlossen, die zur Leitung der Bewachung eingesetzt worden war. In der ersten Sitzung dieser Körperschaft hatte der Vertreter der Kommunisten erklärt, dass unsere Partei jede ernste Aktion energisch unterstützen werde, die eine Verletzung der Neutralität zuungunsten Sowjetrusslands verhindern solle, dass sie aber ihr Recht zu weitergehendem, selbständigem Handeln voll wahre. Der gemeinsame Aufruf der politischen und gewerkschaftlichen Organisationsvertreter war ein farbloses, charakterloses Kompromissgewächs. Wohl war es den Vertretern der Kommunisten gelungen, zwei Verbesserungen des Textes durchzusetzen: die Streichung von zwei Stellen, von denen die eine mehrheitssozialdemokratisch-patriotisch-burgfriedlich war, die andere unabhängig-bürgerlich-pazifistisch. Jedoch der Aufruf gab dem Proletariat nicht die klaren, unzweideutigen Losungen, deren es nach der Überzeugung der Kommunisten in dieser geschichtlichen Stunde bedurfte. Wenn die Zentrale der Kommunistischen Partei trotzdem den Aufruf unterzeichnete, so handelte sie politisch richtig. Sie stellte damit den Zusammenhang her zwischen der eigenen Aktion unserer Partei, als der revolutionären Vorhut des Proletariats, und dessen breiten, langsam nachrückenden Heeressäulen. Sie unterstützte und förderte die ersten unsicheren und tastenden Schritte einer Bewegung der Arbeiter, die, von der Logik der Tatsachen gezwungen, über sich selbst hinaustreiben konnte, ja musste. Gleichzeitig aber musste sie mit den eigenen selbständigen Losungen und Aktionen wegweisend an der Spitze des Kampfes bleiben.

Es war mithin das gute Recht und die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit der Zentrale der KPD, dass sie in einem eigenen Aufruf das kundgab, was die gemeinsame Kundgebung vorenthielt: nämlich die Aufforderung an die Proletarier, sich nicht mit dem Eintreten für eine laue, brüchige Neutralität zu begnügen, sondern tatkräftige Solidarität mit den russischen Brüdern zu üben: sich über die Partei- und Gewerkschaftsorganisationen hinaus in einer einheitlichen‚ geschlossenen Front zusammenzuscharren und zu diesem Zweck wie zur einheitlichen, ziel- und wegsicheren Leitung seines Vormarsches und Kampfes politische Arbeiterräte zu wählen. Durch diesen Aufruf und einen kritischen Satz gegen die “Scheidemänner und Kautskyaner” sollen die Kommunisten das Abkommen zwischen den Organisationen und die Einheitsfront des Vorgehens durchbrochen haben. Die Vertreter der Unabhängigen Sozialdemokratie — Kurt Rosenfeld, Adolph Hoffmann und Luise Zietz — hieben in dieselbe Kerbe der Beschuldigungen wie die Mehrheitssozialdemokraten und Gewerkschaftsbürokraten. Ihr Votum gegen den Ausschluss der Kommunisten aus dem leitenden Zentralausschuss — nachdem ihr Kompromissantrag gefallen — entbehrt jeder Bedeutung. Es ist null und nichtig gemacht worden durch ihr Verbleiben in dieser Körperschaft. Sie haben damit besiegelt, dass sie in der Sache selbst innerlich stärkere Fühlung haben mit der opportunistischen Rechten der deutschen Arbeiterbewegung als mit deren Linken und den revolutionär vorwärts drängenden Massen. Sogar die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale der Sozialpatrioten von der Art der Appleton und Jouhaux ist in ihrem Aufruf für die Verhinderung jedes Transports von Truppen, Munition usw. weitergegangen als der Zentralausschuss zu Berlin, in dem Unabhängige Sozialdemokraten sitzen. Übrigens ist es kennzeichnend für das Urteil der Massen, dass den Lokalausschüssen für die Transportkontrolle nach wie vor Kommunisten angehören.

Ohne zu schwanken und wanken setzt die Kommunistische Partei ihren Weg, ihren Kampf fort. Mit Kritik und Aktion richtungweisend, schreitet sie dem Proletariat voraus, das sich zum Ansturm wider den Kapitalismus sammeln muss, wenn es sich nicht in die Barbarei höchster Ausbeutung und Unterdrückung zurückschleudern lassen will. Die Kommunistische Partei hat die Losung der Solidaritätsaktion für Räterussland zu der Forderung verschärft: vollständige Blockade Polens. Sie ruft die deutschen Proletarier auf, zur Durchführung der Blockade, zum Kampfe mit der Gegenrevolution überall politische Arbeiterräte zu wählen und diese auf einer Reichskonferenz zentral zusammenzufassen. Sie ermüdet nicht in der Agitation, der Propaganda für ihre Losungen, in dem eifrigen Bestreben, Parole Tat werden zu lassen. Ihre Forderung der politischen Arbeiterräte stößt auf den entschiedensten Widerstand der Führer des rechten Flügels der Unabhängigen Sozialdemokratie. Diese leiern noch immer das Sprüchlein herunter, das Mangel an geschichtlichem Sinn und Gedankenarmut für das Leipziger Programm ausgeheckt haben: nämlich, dass politische Arbeiterräte erst nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat geschaffen werden und wirken können.

Als ob die revolutionäre Betätigung der Arbeiterräte ein sorgfältig bis zur Vollkommenheit ausgeklügeltes System zur Voraussetzung hätte und nicht selbst erst unter Suchen und Tasten allmählich eine Ordnung, ein System schaffte. Als ob die Räte wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus so mit dem gewaltigen Hammerschlag der Eroberung der Staatsgewalt durch die Ausgebeuteten erstehen könnten. Als ob sie nicht die Organe des Proletariats im Kampfe für die Eroberung dieser Macht wären. Als ob sie nicht von der revolutionären Gärung und Bewegung der breitesten Massen gezeugt, während politischer Massenaktionen geboren, bei Arbeit und Kampf sich organisch entwickelten. Das “Rätesystem” ist nicht Ausgangs- sondern Endpunkt der revolutionären Kämpfe unserer Tage. Im Anfang ist die Tat: die Wahl, das Wirken politischer Arbeiterräte.

In steigendem Maße findet die kommunistische Mahnung Gehör: Wählt politische Arbeiterräte, werbt Anhänger und Anhängerinnen für ihre Wahl! bis weit in die Kreise der Gefolgschaft der Unabhängigen Sozialdemokratie, ja der Sozialpatrioten hinein. In Berliner Betrieben, in Fabriken und Werkstätten vieler anderer großer Industriezentren hat die Arbeiterschaft politische Arbeiterräte gewählt, wird ihre Wahl leidenschaftlich erörtert.

Die fortschreitende Produktionssabotage durch die Unternehmer und ihre furchtbaren Folgen für das Proletariat — Arbeitslosigkeit, geringer, unsicherer Verdienst; die Ohnmacht des Kapitalistenstaats, seine Pflicht sozialer Fürsorge für die Hilfsbedürftigen zu erfüllen, den schlimmsten sozialen Übeln zu steuern; der erzwungene Steuervorschuss von Arbeitern und Angestellten bei geradezu verbrecherischer Bewegungsfreiheit für die Kriegsgewinnler und Schieber, ihre Reichtümer “steuersicher” zu verhehlen; die herausfordernde Bewaffnung der gegenrevolutionären Kreise —‚ all das und noch andere Zeiterscheinungen peitschen die Ausgebeuteten in den Kampf. Denn übermächtig springt von ihnen allen den werktätigen Massen diese Erkenntnis in die Augen: Der kapitalistische Profit, die kapitalistische Ausbeutungswirtschaft, der kapitalistische Gewaltstaat ist der Feind. Immer häufiger brechen lokale Bewegungen und Kämpfe der Arbeiterschaft aus. Hier wegen des Steuerabzugs, dort wegen Schließung und Abbruchs der Betriebe, wegen Lohnkürzungen usw. Typisch für die Lage ist der große Kampf der Stuttgarter Arbeiterschaft,2 die sich ehrenvoll gegen einen überlegenen Feind, gegen schmutzigstes Unternehmerpack und skrupellose Regierung, im Zeichen des Stahlhelms vereinigt, geschlagen hat. Gewerkschaftliche Verräterei hat die Niederlage vollendet. Die einzelnen Kämpfe der Proletarier verlangen danach, zu allgemeinen einheitlichen Massenaktionen größten Stils unter einheitlicher Leitung und Führung zusammengefasst zu werden. Die zusammengefassten Betriebsräte allein vermögen das elementare Bedürfnis nach Zusammenballung und Leitung der proletarischen Massen nicht zu erfüllen. Ihrem Kampf gegen die kapitalistische Profitwirtschaft werden durch die politische Macht der Besitzenden Ketten angelegt. Zu den Aufgaben der politischen Arbeiterräte gehört es, den Betriebsräten volle Bewegungsfreiheit zu erkämpfen und zu sichern. So drängt der Gang der Dinge von den verschiedensten Seiten dazu, die Forderung politischer Arbeiterräte für das deutsche Proletariat zum Gebot der Stunde zu erheben.

Dieses Gebot stellt die Unabhängige Sozialdemokratie vor die Entscheidung, ob sie mit der Revolution und für die Revolution vorwärts will oder noch länger die Zaudernde, Unentschlossene zu bleiben gedenkt, hinter der sich die Scheidemänner verkriechen. Das just in dem nämlichen Augenblick, wo die Kommunistische Internationale eine klipp und klare Antwort von ihr fordert, wo die Partei steht. Die rechtsgerichteten Führer scheinen ihre Wahl getroffen zu haben. Die Führer des linken Flügels haben sich in Moskau zur III. Internationale bekannt. Sie haben jetzt durch die Tat zu bestätigen, dass sie wirklich zur neuen Internationale gehören, die nicht ein Verein von Grundsatzbetern sein will, sondern eine Organisation revolutionären Handelns. Rascher als die Führer beginnen sich die Massen zu entscheiden, die in der Unabhängigen Sozialdemokratie organisiert sind. Nicht vergeblich sprechen zu ihnen die Flammenzeichen, die aus dem Verfall der kapitalistischen Wirtschaft und der Mordbereitschaft der deutschen Gegenrevolution, die aus dem Feldzug der internationalen Gegenrevolution zur Abwürgung Räterusslands emporschlagen. Sie mahnen: Gefahr im Verzug! Nicht säumen und träumen! Auf zur Tat!

1 Regierung Fehrenbach (Zentrum, Deutsche Volkspartei, Deutsche Demokratische Partei).

2 Im August 1920 gab es in Stuttgart einen 11-tägigen Generalstreik

Kommentare