Clara Zetkin 19160609 Petersburger Arbeiter demonstrieren für den Frieden

Clara Zetkin: Petersburger Arbeiter demonstrieren für den Frieden

(Juni 1916)

[“Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, Stuttgart, 9. Juni 1916. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 724 f.]

Erst jetzt werden Einzelheiten der kriegsfeindlichen Kundgebungen der Petersburger Arbeiter am 22. Januar bekannt, dem Jahrestag des Blutsonntags von 1905. Das Organ der Lenin-Richtung, der in Genf erscheinende “Sozialdemokrat”, veröffentlicht darüber in seiner letzten Nummer (Nr. 53 vom 13. April) folgendes: Schon Mitte Dezember begannen die Petersburger Arbeiter zu beratschlagen, was sie am 22. Januar unternehmen würden. Das Petersburger (bolschewistische) Parteikomitee empfahl den Rayonsorganisationen einen eintägigen Proteststreik mit anschließender Demonstration, und zwar unter der Parole: “Nieder mit dem Krieg, es lebe die Revolution!”

Die Rayonsorganisationen nahmen den Plan des Komitees an und begannen ihre Vorbereitungen zu treffen. Das Komitee gab ein besonderes Flugblatt heraus: “An die Soldaten!” und ein anderes über die Bedeutung des 22. Januar. Das Ergebnis dieser Vorarbeit war, dass am 22. Januar, nach Angabe der Unternehmer, etwa 100.000 Arbeiter in Petersburg streikten. An der Spitze marschierte der Wyborger Stadtteil, in dem sämtliche Betriebe (mit ungefähr 40.000 Arbeitern) die Arbeit eingestellt hatten. In den übrigen Stadtteilen war der Streik nicht allgemein, weil ein Teil der organisierten Arbeiter — meist die Anhänger der Mitarbeit in den Kriegsindustrieausschüssen — gegen den Streik waren. In einigen Betrieben wurde eine Anzahl Arbeiter gemaßregelt; es fanden auch Verhaftungen von Demonstranten statt, allerdings von besonderen Ausschreitungen hielt die Polizei aus Furcht vor der Erbitterung der Massen sich zurück.

Über die Kundgebungen selbst schreibt der “Sozialdemokrat”: “Während der zahlreichen Demonstrationen am 22. Januar kam es zu Begrüßungsszenen zwischen den Demonstranten und den Soldaten. So trafen die Arbeiter auf der Wyborger Chaussee mit einem Automobilzug voll Soldaten zusammen. Es kam zu einem freundschaftlichen Austausch von Begrüßungen. Als die Soldaten die roten Fahnen erblickten, entblößten sie die Köpfe und schrieen ‚Hurra!‘, ‚Nieder mit dem Krieg!‘ usw.

Am Abend des 22. Januar bewegte sich auf dem Sabalkanski-Prospekt ein ungeheurer Zug von Arbeitern, Arbeiterinnen und Soldaten. Die Demonstranten sangen revolutionäre Lieder, hielten Ansprachen, schrieen: ‚Nieder mit dem Krieg!‘ Die Polizei verhielt sich während der ganzen Zeit reserviert und bat nur die Demonstranten, ‚auseinander zu gehen‘. Die Anwesenheit von 300 bis 400 Soldaten in der mehr als tausendköpfigen Menge wirkte auf die Polizei beruhigend; sie machte nicht nur nicht den Versuch, die Menge zu zerstreuen, sondern griff nicht einmal zu Drohungen. Die Demonstration währte über eine Stunde und nahm wegen der späten Tageszeit (i11 Uhr abends) in demselben Stadtteil ein Ende.”

Kommentare