Clara Zetkin 19200805 Erwerbslosigkeit und Verfall des Kapitalismus

Clara Zetkin: Erwerbslosigkeit und Verfall des Kapitalismus

(Rede im Reichstag, 5. August 1920)

[“Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 344, 19. Sitzung Berlin 1921, S. 727-30.]

Meine Damen und Herren! Wir Kommunisten halten es für eine schlichte Selbstverständlichkeit, für die elementarste Pflicht der kapitalistischen Gesellschaft, für die Erwerbslosen zu sorgen. Und zwar nicht im Stile einer engbrüstigen Armenversorgung, sondern entsprechend dem Stande der Kultur. Das Existenzminimum darf daher nicht so ängstlich knapp berechnet werden. Es ist dabei zu beachten, dass das Bibelwort gilt: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.” Auch der Arbeiter hat in unseren Tagen kulturelle Bedürfnisse, die er als Arbeitsloser, als Erwerbsloser befriedigen muss.

Ich möchte noch mit besonderem Nachdruck befürworten, dass betreffs der Unterstützung und Fürsorge kein Unterschied zwischen Männern und Frauen gemacht wird. Gewiss, es wird darauf hingewiesen, dass nach manchen Gelehrten das Ernährungsminimum für die Frau ein geringeres sei als für den Mann. Das mag im Allgemeinen zutreffen. Aber das allgemein Gültige wird in dem Einzelfall erheblich abgeändert durch die individuelle Größe, das Gewicht des Körpers und vor allen Dingen die Berufstätigkeit. Es liegt auf der Hand, dass zum Beispiel eine Waschfrau ein stärkeres Ernährungsbedürfnis hat als ein zierlicher Mann, der den ganzen Tag hinter dem Bürotisch sitzt.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Es kommt dabei noch eines in Betracht. Als Erwerbslose wie als Arbeitende sind die Männer günstiger gestellt als die Frauen. Der Mann ist im Suchen nach Arbeit freizügiger als die Frau, die an die Familie, an den Ort gebunden ist. Sie meinen vielleicht, dass die Frau dafür an der Familie eine Stütze betrifft. Das mag zutreffen, wenn die Familie selbst sich noch in einigermaßen erträglichen Existenzverhältnissen befindet. Das ist aber durchaus nicht immer der Fall, sondern umgekehrt: dort, wo die Frau im Erwerbsleben steht, ist sie recht oft die Hautstütze für die gesamte Familie, ist sie die Hauptstütze alter Eltern oder jugendlicher Geschwister usw.

Dazu müssen Sie bei der Berechnung der Unterstützung noch einen anderen Umstand berücksichtigen. Die Arbeiter haben häufig, wenn sie aus dem Kriege in ihren Beruf zurückkehrten, Anzüge erhalten; aber ich sage ihnen offen: angesichts der jetzigen Preisverhältnisse gibt es Tausende und Zehntausende von Arbeiterinnen, die ihren geringen Kleidervorrat bis zum letzten Fetzen aufgetragen haben

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

und nicht wissen, wie sie ihn ersetzen sollen.

Bei der Beurteilung der ganzen Frage müssen wir dieses festhalten. Es ist eine Tatsache, die schon seit Jahrzehnten durch die Wissenschaft erhärtet wurde, dass Zeiten des Notstandes immer parallel gehen mit einem Anschwellen der Prostitution. Wenn Sie nicht in ausreichendem Maße für die erwerbslosen Arbeiterinnen und weiblichen Berufstätigen sorgen, so machen Sie sich der Sünde schuldig, viele Frauen in das Laster hinab zu stoßen.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Gewiss, ich gebe Ihnen gern zu, es werden nicht die Stärksten, nicht die Hochstehendsten sein, die sich durch das Laster mürbe machen lassen. Aber nicht alle Menschen sind mit der gleichen moralischen Kraft geboren, und vor allen Dingen: nicht alle Menschen sind in dem gleich günstigen Milieu aufgewachsen,

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

um ihre sittliche Stärke entwickeln zu können. Dieser Umstand muss bei der Unterstützung der Frau, die Sie ja sonst als so schwach und fürsorgebedürftig zu bezeichnen pflegen, in Rechnung gezogen werden.

Ich möchte bei der Frage der Erwerbslosen und der teilweise Erwerbslosen noch auf eine andere Kategorie von Berufstätigen in der Gesellschaft hinweisen. Das ist die große Zahl der Kopfarbeiter, der Träger freier Berufe, die heute vielfach ganz oder teilweise erwerbslos sind, die aber von keiner Erwerbslosenstatistik und keiner Fürsorge für die Zeit der Not erfasst werden.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Denken Sie an die vielen jungen Juristen, an die vielen jungen Ärzte, Schriftsteller, Privatlehrer, Musiklehrer und -lehrerinnen usw., junge Künstler, die in der jetzigen Zeit in ihrer Erwerbsmöglichkeit außerordentlich beschränkt sind, und die infolge ihrer Lebensgewohnheiten nicht nur schwer leiden, sondern die auch nicht selten gerade infolge ihrer Lebensgewohnheiten sehr leicht der Gefahr ausgesetzt sind, deklassiert zu werden, herabgestoßen zu werden nicht bloß in das Proletariat der Handarbeit, sondern in ein Lumpenproletariat der Kopfarbeit.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich meine, es sei eine wichtige Aufgabe der Regierung, auch dieser Seite des Arbeitslosen- und Erwerbslosenproblems ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das um so mehr, als es gerade außerordentlich schwer ist, die Vorbedingungen für Beistand zu schaffen, weil jene Kreise meist nicht organisiert sind und außerhalb jedes Selbstschutzes und gesellschaftlicher Fürsorge stehen.

Es wird mir natürlich erwidert werden: woher angesichts der Lage des Reiches die Mittel nehmen und nicht stehlen? Ich will nicht wiederholen, was über das Missverhältnis angeführt worden ist zwischen dem, was für die bis jetzt Erwerbslosen aufgewendet worden ist und dem, was für andere Zwecke verausgabt wird. Ich stelle hier nur fest, dass die Reichswehr in dem einen Monat Oktober vorigen Jahres mehr kostet, als für die Erwerbslosen bis jetzt im ganzen aufgewendet worden ist.

(Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich bin der Ansicht, dass, solange es in der Gesellschaft Schlösser und Paläste, Villen und Häuser gibt, die die halbe Zeit des Jahres und mehr leer stehen, dass, solange wir hinter den Spiegelscheiben der Läden die Gegenstände des luxuriösesten Lebensbedarfes locken sehen, die die Armen nicht kaufen können, kurz, solange sich in der Gesellschaft der größte Reichtum für wenige anhäuft, auch die Mittel vorhanden sein müssen, für die Erwerbslosen zu sorgen.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Denn aller Reichtum, den wir um uns sehen, alle Kultur, der wir uns erfreuen, ist kristallisierte Arbeit und nichts anderes.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Diejenigen, die mit ihrer Arbeit die Schöpfer des Reichtums und der Kultur sind, müssen von denen, die die Nutznießer ihrer Arbeit sind, die Mittel fordern, dass für die Zeit der Not, der Erwerbslosigkeit gesorgt wird.

Aber meines Erachtens ist die Aufbringung der Mittel nicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ein Gebot der sozialen Klugheit. Der griechische Weise sagte: “Der Mensch ist das Maß aller Dinge.” So kann man sagen: der Mensch ist der Wert aller Werte. Aller materieller, aller kultureller Reichtum rings um uns hat zur Voraussetzung leiblich, geistig, sittlich gesunde, leistungstüchtige Menschen. Und was Sie jetzt verausgaben, um das Millionenheer der Erwerbslosen und der in ihrer Erwerbsfähigkeit Beschränkten zu unterstützen, die Vielen körperlich tüchtig, aber auch geistig und sittlich gesund zu erhalten, das werden Sie ersparen an Ausgaben für Krankenhäuser, für Siechen- und Krüppelasyle und auch für Korrektions- und Zuchthäuser. Denn genau so wie die Statistik den Zusammenhang zwischen dem Steigen der Prostitution und dem Steigen der Not festgestellt hat, genau so weist die Statistik nach die Parallelbewegung zwischen Diebstählen, Verbrechen gegen das Eigentum, Betrügerei usw. und hohen Preisen des Lebensbedarfs, d.h. wirtschaftlichen Notständen.

Für uns Kommunisten bleibt jedoch angesichts des Erwerbslosenproblems die überragende Frage die: wie gliedern wir die Erwerbslosen wieder dem Produktionsprozess, wieder der Wirtschaft ein? Wie ist es möglich, die Erwerbslosen aus Unterstützten und Versorgten zu Reichtumsspendenden und -schaffenden zu machen?

Wenn wir auf diese Frage eine Antwort wollen, müssen wir uns klar darüber sein, welches heute die Ursache der Erwerbslosigkeit ist. Das Heer der Arbeitslosen, das wir heute vor uns sehen, ist nicht jene traditionelle Reservearmee Arbeitsloser, die das Kapital in normalen Zeiten braucht, um die Löhne, die Arbeitsbedingungen, den standard of life der Arbeiter auf ein gewisses Niveau herabzudrücken, das im Interesse des Kapitals, des kapitalistischen Profits liegt. Aber die heutige Arbeitslosigkeit ist auch nicht aus jener Überproduktion geboren, die im normalen Ablauf der kapitalistischen Wirtschaft auftritt und zu Krisen führt, die die Vorläufer eines neuen Aufschwunges der Wirtschaft sind. Nein, die Arbeitslosigkeit unserer Tage ist Ausdruck des Verfalls und der Auflösung der kapitalistischen Wirtschaft selbst.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die gegenwärtige Krise wird in großem Umfange verschuldet durch die freiwillige, die absichtliche Sabotage der kapitalistischen Unternehmer.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Herren lassen den Schornstein nicht rauchen, weil nicht genug Profit oder auch kein Profit dabei abfällt.

Ich erinnere an die Tatsache, dass es in Deutschland an einer Million Wohnungen fehlt. Man sollte meinen, dass das Bauhandwerk blühen müsste. Was sehen wir statt dessen? Zehntausende von Bauhanderkern liegen beschäftigungslos auf dem Pflaster oder haben nur unregelmäßige und geringe Beschäftigung. Die Preise für das Baumaterial sind um 500 Prozent gestiegen. Trotzdem finden es zum Beispiel sehr viele der Herren Ziegeleibesitzer nicht lohnend, weiter Ziegel zu brennen. Sie brechen ihre Betriebe ab, sie sabotieren die Industrie.

(Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: sie verkaufen die Steine!)

Sie verkaufen nicht nur die Steine, sie verkaufen die Dampfkessel, sie verkaufen alles, was überhaupt verschachert werden kann, an wen und wohin es immer sei, vorausgesetzt, dass nur der Preis, der Profit, hoch genug ist. Der Herr Professor Modenhauer hat hier die Anekdote angeführt: “Marie, wir können heiraten, ich melde mich arbeitslos.” Herr Professor, mir hat das Herz weh getan, als ich Ihren Ausspruch hörte. Ich dachte an so und so viele junge Haushaltungen, die ich im Ruhrrevier kennen gelernt habe, Haushaltungen, in denen die ganze Einrichtung aus zusammengenagelten Kisten bestand, aus nichts anderem! Und das, während die Lager von Möbeln aller Art überfüllt sind, die von den Schaffenden nicht gekauft werden können, weil sie viel zu hoch im Preise sind und das Einkommen der Leute nicht im Verhältnis dazu steht.

Meine Damen und Herren! Nicht nur hier in Berlins Umgebung künden hochragende Schornsteine als einzige Überreste ehemaliger Ziegeleien, wie die Industrie sabotiert wird. In der Textilindustrie die gleiche Erscheinung. Erst kürzlich wurden in Chemnitz Waggons angehalten, in denen Teile von Textilmaschinen nach Chiasso und Luino, also nach Italien transportiert werden sollten. Die gleiche Feststellung können Sie für Industriezweige der verschiedensten Art machen. Als der Massenausverkauf deutscher Waren nach dem Ausland bitterste Not erzeugte, hieß es: unsere Wirtschaft wird gesunden, wenn die Mark wieder im Werte steigt. Der Wert der Mark ist gestiegen, und die Rückwirkung der Erscheinung? Der Export nach dem Auslande hörte auf, weil die deutschen Waren in den Augen des Auslands ihre angenehmste Eigenschaft verloren hatten, nämlich die verhältnismäßige Billigkeit. Der hohe kapitalistische Profit kann jetzt nicht mehr gesichert werden durch den Export von Waren nach dem Ausland. Da gehen die Unternehmer nun dazu über, die Betriebe stillzulegen, zu zerschlagen und die Produktionsmittel ans Ausland zu verschachern. Eine unzweideutige Illustration dafür, wie die besitzenden Klassen den Wiederaufbau der nationalen Wirtschaft verstehen.

Der letzte Grund der gegenwärtigen Sabotage der Industrie durch die Kapitalisten ist einzig und allein der kapitalistische Profit. Es tritt uns darin die Tatsache vor Augen, dass die besitzende Minderheit unfähig geworden ist, de großen Produktionsmittel zu verwalten, anzuwenden und nutzbar zu machen, dass heute ihre Haupttätigkeit darin besteht, um des Profits willen den Produktions- und Wirtschaftsapparat zu zertrümmern und zum Verfall zu bringen.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Wir sind der Auffassung, dass die wichtigste Aufgabe im Kampfe gegen die Arbeitslosigkeit darin bestehen muss, der Sabotage der Industrie durch die Kapitalisten mit allen Mitteln entgegenzutreten. Wir appellieren zu diesem Zweck nicht an das Unternehmertum, wir haben nicht Lust, an Felsgestein bittend zu klopfen.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Wir rufen die Arbeiter auf, die Kontrolle über die Wirtschaft in de eigene Hand zu nehmen.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Durch ihre Betriebsräte, ihre Wirtschaftsräte, gruppenweise nach Berufen, nach Wirtschaftsgebieten zusammengefasst, haben sie eine genaue Kontrolle der Produktion durchzuführen und sozusagen eine Inventur der vorhandenen Rohstoffe, Produktivkräfte, Arbeitsmittel und Arbeitskräfte aufzunehmen. Auf der anderen Seite ebenso in Verbindung mit den Konsumentenorganisationen, mit den Organisationen der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft eine Kontrolle über den Bedarf der Gesellschaft. Auf Grund dieser Statistik ist genau festzustellen, in welchem Umfang Betriebe stillgelegt werden müssen oder wo und wie sie umgestellt werden müssen oder wo und wie sie umgestellt werden können, ja umgestellt werden müssen, damit nicht mehr Luxus für wenige Reiche oder für das Ausland produziert wird, sondern der Massenbedarf des werktätigen Volkes befriedigt wird.

Es ist ja ganz schön, wenn die vogtländische Textilindustrie seine Qualitätsspitzen für das Ausland produziert, wie hier befürwortet wurde. Aber wichtiger ist es doch, erst zu produzieren, dass alle Männer, Frauen und Kinder der Arbeiter in ganzen Strümpfen, in ordentlichen Kleidern einhergehen.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Wenn die Bedürfnisse der schaffenden Massen befriedigt werden sollen, so hätte die Textilindustrie Deutschlands gerade mehr als genug zutun.

Die von uns geforderte Kontrolle der gesamten Wirtschaft, der Produktion und des Bedarfs, die Feststellung der Produktions- und Absatzmöglichkeiten, die Verteilung der Rohstoffe, der Aufträge usw., die Preisregulierung, die Arbeitszeitregelung hat von Seiten der beauftragten Arbeiterräte zu geschehen in Verbindung mit den Gewerkschaften und natürlich auch mit Sachverständigen. Diese Kontrolle schließt das Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht der Unternehmer selbst nicht aus. Sie ist eine Grundlage für den Wiederaufbau des Wirtschaftslebens. Sie fragen wahrscheinlich, woher die Mittel nehmen zur Weiterführung der Betriebe. Die Mittel sind vorhanden, sind da, meine Damen und Herren, sobald die Arbeiterklasse will. Die Mittel sind in den Händen der kapitalistischen Unternehmerklasse. Dieselben Unternehmer, die die sieben fetten Kühe des Pharao in ihre Ställe getrieben und gemolken haben, sollen nun auch für die sieben mageren Kühe des Pharao sorgen.

Ich verweise auf die Zahlen, die der Herr Abgeordnete Dißmann hier über die ungeheuerlichen Profite in verschiedenen Industrien in letzter Zeit angeführt hat. Diese Zahlen erschöpfen keineswegs den Reichtum, der während des Krieges und seit der Revolution in den kapitalistischen Kreisen angesammelt worden ist.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Während sich an dem einen Pol der Gesellschaft die Armut, das Elend, die Entbehrungen akkumuliert haben, hat sich an dem anderen Pol das Kapital riesenhaft akkumuliert trotz der Warenarmut auf dem Weltmarkt.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Es wird dies widergespiegelt durch die sehr bedeutenden Erhöhungen der Betriebskapitalien bei den großen Aktienunternehmungen und vor allen Dingen durch die Entwicklung der Banken. Ich will nur einige Beispiele dafür anführen. Die AEG hat eine Kapitalerhöhung von 100 Millionen vorgenommen, der Bergmannkonzern eine solche von 28 Millionen,

(Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Siemens und Halske von 63 Millionen. Ich gebe ganz gern zu, dass in diesen Tatsachen eines zum Ausdruck kommt: das Sinken des Geldwertes, das eine Erhöhung des Betriebskapitals notwendig macht. Aber, meine Damen und Herren, das Kapital, das der Erhöhung dient, muss doch da sein, und es ist da. Die Entwicklung der Banken bestätigt es. Ich will nicht auf die Abschlüsse hinweisen, die die großen Banken veröffentlicht haben. Ich will nur denjenigen einer einzigen anführen, die nicht etwa zu den Mammuten der Bankinstitute gehört, sondern zu den kleinen der Großbanken von Berlin. Es ist dies der Commerz- und Discontobank von Berlin-Hamburg. Sie wird jetzt ihr Betriebskapital von 85 Millionen auf 200 Millionen erhöhen.

(Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ihr Umsatz im letzten Jahre hat sich auf fast 100 Milliarden belaufen. Und diese Bank ist nur ein kleines von den großen Bankunternehmungen.

Solche Ziffern zeigen, dass die Mittel vorhanden sind, um die deutsche Wirtschaft auch ohne kapitalistischen Profit zu betreiben und blühend zu machen. Sache der Arbeitervertretungen, der Arbeiterräte in Verbindung mit den Gewerkschaften, unterstützt durch die entsprechenden politischen Aktionen und Maßregeln, ist es, die einzelnen Unternehmer und die Unternehmer der Berufs- und Wirtschaftsgruppen mit ihrem gesamten Vermögen unter Heranziehung der Banken solidarisch haftbar zu machen, sowohl für die Unterstützung der Erwerbslosen wie für die Weiterführung der Betriebe. Die organisatorischen Grundlagen dafür sind schon da, meine Herren und Damen.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Sie sind da in den Preistreiber- und Scharfmacherorganisationen der Unternehmer.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Wir wissen ganz genau, dass diese Regierung, diese Staatsgewalt der besitzenden Minderheit nicht in dem angedeuteten Sinne in das Wirtschaftsleben eingreifen will. Sache der Arbeiter ist es, sie durch ihren Kampf dazu zu zwingen. Sache der Arbeiter ist es, zunächst die von mir in großen Umrissen angedeutete Kontrolle der gesamten Wirtschaft durchzuführen. Als ersten Schritt zu der Übernahme der gesamten Verwaltung der Wirtschaft durch die Arbeiter. Die Unternehmerklasse hat beweisen, dass sie die Herrenmacht verwirkt hat, noch länger allein die Wirtschaft zu lenken und zu leiten. Die Arbeiterklasse muss zunächst bei der Kontrolle und bei der Verwaltung der Wirtschaft als voll gleichberechtigt mitwirken und eingreifen. Damit ist der kapitalistische Profit noch nicht ausgeschaltet. Nur das Herrenrecht der Kapitalisten ist soweit eingeschränkt, dass es nicht mehr des Profits halber Leib und Seele der Arbeiter vernichten kann. Aber schon dieser bescheidene Schritt vorwärts, der wirtschaftliche Kampf zur Einschränkung des Herrenrechts der Ausbeutenden wird umschlagen in politische Kämpfe und schließlich in den Kampf um die Staatsgewalt. Der Kampf des Proletariats für den Aufbau der Wirtschaft kann nicht bei den bescheidenen Anfängen stehen bleiben. Kontrolle der Wirtschaft, Verwaltung der Wirtschaft sind Maßregeln, die über sich selbst hinaustreiben. Sie treiben hin zu dem Kampf um die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, zu der Errichtung der Rätediktatur, die mit dem Aufbau der kommunistischen Wirtschaft die einzige wirkliche Lösung des Arbeitslosenproblems bringt. Sie treiben hin zu der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat zu dem Zwecke, die Expropriateure zu expropriieren.

(Beifall bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

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