Clara Zetkin 19120821 Menetekel

Clara Zetkin: Menetekel

(August 1912)

[“Die Gleichheit”, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Stuttgart. 21. August 1912. Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 556-560]

In der Villa Hügel bei Essen hat in den letzten Tagen die Apotheose des Kapitals stattgefunden. Oder was denn, was anderes war die Jubiläumsfeier des Hauses Krupp? Sie brachte mehr als rauschende Festlichkeiten, geschmückt mit allem Glanz, den der Reichtum und die ihm dienenden Künste zu geben vermögen. Eine Huldigung aller gesellschaftlichen Elemente, die dank dem Kapital herrschen und genießen oder die sein Fluch zur Knechtschaft und Entbehrung verdammt. Eine Huldigung, die schon mehr einer sozialen Heiligsprechung glich. Vor der Kapitalsgewalt des Hauses Krupp bückten sich devotest Minister, die noch nie Zeit gefunden haben, einer Tagung klassenbewusster Proletarier beizuwohnen. Sie ward vom Kaiser gefeiert, der trotz seiner Inanspruchnahme durch Reisen, Reden und die tausenderlei Regierungssorgen um die Änderung von Uniformen, den Neubau des Opernhauses, die Straußenfarm des guten Hagenbeck und die Pleureusen der Kaiserin in Person erschienen war, um dem Feste die höchste Weihe zu geben. Die überragende Stellung der vom Kapital geschaffenen Plutokratie im Staat, in dem Preußen der Junker, Bürokraten und des Gottesgnadentums, fand schließlich ihren sichtbarsten Ausdruck in einer höfischen Rangerhöhung, wie sie früher nur wenigstens dem scheinbaren Verdienst um das Gemeinwohl zuteil wurde. Der Herr Krupp von Bohlen und Halbach wurde einem außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister gleichgestellt. Der Herr Krupp von Bohlen und Halbach, von dessen Wundertaten man bis jetzt nur wusste, dass er einer jener Legationsräte war, wie sie der Wissenschafts- und Staatsbetrieb der bürgerlichen Gesellschaft zu Dutzenden fabriziert, dass er sich der Genialität rühmen durfte, Krupps Tochter gefreit zu haben, und des Verdienstes, der Gründer eines Gesangvereins zu sein. Tagelang waren die Spalten der bürgerlichen Blätter mit breiten Schilderungen der Feier, mit bedientenhaftem Klatsch über ihre Einzelheiten erfüllt. Ein beiläufiges Familienfest wurde durch die Macht des Kapitals, die sich in ihm verkörperte, zu einem öffentlichen, einem politischen Geschehen. Das Jubiläum war ein schamloser Tanz der bürgerlichen Gesellschaft ums Goldene Kalb.

Aber freilich: Über diesen Götzen warf man verhüllend das schlichte Gewand des Mannes der Arbeit. Niemand geringerer als Wilhelm II. selbst nannte das Jubiläum “ein Fest und einen Triumph der Arbeit”. Der Arbeit, wirklich der Arbeit? War sie es tatsächlich, der die gesellschaftlichen, höfischen, staatlichen Ehren galten? Ach, geht doch! Nicht der schöpferischen Mutter des gesellschaftlichen Reichtums ward in Essen gehuldigt, sondern ihrem Geschöpf; das sich gewalttätig, fühllos, als mörderische Bestie, gegen sie erhoben hat und ihr Mark und Blut aussaugt. Dem ausbeutenden Kapital genügt es nicht, seinen Lohnsklaven die Früchte ihres Mühens zu entreißen, es eignet sich auch noch die Ehre ihrer Arbeit an. Indem von der Arbeit geredet wurde, während man das Kapital meinte, trat die Tatsache der bürgerlichen Ordnung in Erscheinung, dass das Kapital den Proletarier gleichsam mit Haut und Haar verschlingt, ihm keine selbständige Existenz zuerkennt, sondern nur als Teil seiner selbst wertet. Marx hat das im “Kapital” also ausgedrückt:

Mit dem Eintritt in denselben (den Arbeitsprozess — die Red.) sind sie dem Kapital einverleibt. Als Kooperierende, als Glieder eines werktätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besondre Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgeltlich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestellt sind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente Produktivkraft.”1

Von den proletarischen Produktivkräften, die sich das Kapital stündlich einverleibt, ist bei der Jubiläumsfeier nur sehr nebenher die Rede gewesen. Nicht mehr, als nötig war, um das Kapital in bengalischer Beleuchtung als Schöpfer und Wohltäter erscheinen zu lassen. Der wirklichen Bedeutung der proletarischen Produktivkräfte, ihrer Existenzbedingungen hat keine Ansprache, kein Toast gedacht.

Allein, während zum Triumph des Kapitals die Musikkapellen spielten, Gesangvereine ihre Weisen ertönen ließen, Gelehrte schwungvoll deklamierten, Minister und Kronenträger Herrn Krupp von Bohlen und Halbach als ebenbürtig an ihr Herz drückten, tat sich im buchstäblichen Sinne des Wortes die Erde auf und enthüllte in Bildern der Verdammnis, auf wessen Kosten und um welchen Preis die ganze kapitalistische Herrlichkeit existiert. Wie Banquos Geist bei Macbeth‘ Festmahl zogen plötzlich in die Sieges- und Freudenhalle des Kapitals die Schatten der 128 Kohlengräber ein, die der kapitalistischen Beutegier in der Zeche “Lothringen” zum Opfer gefallen sind. Wie. beweglich wissen nicht bürgerliche Wissenschaftler und Zeitungsschreiber von dem “Risiko” der “königlichen Kaufleute” und der “Hauptleute der Industrie” zu jammern. Lassen wir das Risiko gelten, und fühlen wir mit den Geängstigten! Aber bleibt nicht die Tatsache, dass das Risiko des Kapitals nur in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs oder bei allzu gewagten Spekulationen besteht? Ist in den Tagen wirtschaftlichen Aufschwungs das Risiko nicht gleichbedeutend mit phantastischem Gewinn? Augenblicklich blühen den Kapitalisten goldene Tage. In der chemischen Industrie zum Beispiel schütten die Aktiengesellschaften unerhörte Dividenden aus. Als Ausdruck beklagenswert dürftigen Ertrags wird es verzeichnet, dass einige dieser Unternehmungen ihre Dividende von 45 auf 25 Prozent herabsetzten — wobei nicht einmal festgestellt werden kann, ob nicht verschleiernde Buchungen vorliegen —, auf dass die Begehrlichkeit der Ausgebeuteten in den Gifthöhlen nicht allzu stark gereizt werde. Frau Bertha Krupp versteuerte 1908 “nur” 187 Millionen, 1911 aber 290 Millionen Mark Vermögen. Gegenüber diesem schimmernden Berge Gold jener Berg entsetzlich verstümmelter Leichen, der herzzerreißende Jammer von Waisen, Witwen und Eltern! Und nun sagt: Wer trägt jederzeit das Risiko, mit Leib und Leben für den Vorteil, die Ehren des Kapitals zahlen zu müssen?

Was hat die bürgerliche Gesellschaft für dieses Risiko zu bieten? Nicht einmal wirksamen Schutz! Billige Beileidstelegramme, Minister- und Kaiserbesuche; teilnehmende und gar “auszeichnende” Gespräche der hohen, höchsten und allerhöchsten Herrschaften mit ganz gewöhnlichen Proleten; Untersuchungen, nach denen alles beim alten bleibt; kostbare Nelken aus der Villa Hügel für Todsieche; für die Hinterbliebenen die Wassersuppen der Witwen- und Waisenrenten und Almosen “großmütiger” Spender. Weckt all das auch nur einen der 128 auf, die gesund in die Zeche “Lothringen” einfuhren, um nach wenigen Stunden als zerfetzte Leichen geborgen zu werden? Nur einen der 9559 Bergleute, die in den sechs Jahren von 1905 bis 1910 in Deutschland tödlich verunglückten? Ist all das imstande, das Herzeleid der Hinterbliebenen zu stillen, ja, auch nur dem nackten Hunger vieler zu wehren?

Tausende, Hunderttausende von Händen Gequälter, Gemordeter vereinigen sich zur Riesenfaust. Und während in Belsazars Festhallen die Zimbeln tönen, schreibt sie der kapitalistischen Ordnung das richtende Menetekel an die Wand.

Kommentare