Clara Zetkin 19020919 Zollwucher und Junkermacht

Clara Zetkin: Zollwucher und Junkermacht

(19. September 1902, Redebeitrag auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in München)

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu München vom 14. bis 20. September 1902. Mit einem Anhang: ”Bericht über die 2. Frauenkonferenz am 13. und 14. September in München”, Berlin 1902, S. 239.]

Bebel hat in meisterhafter Weise dargelegt, aus welchen wirtschaftlichen Gründen das Proletariat seine Kräfte mit schärfster Energie gegen den Zollwucher einsetzen muss. Der Zollwucher ist aber zu bekämpfen nicht nur mit Rücksicht auf das Massenelend, das er im Gefolge haben müsste, sondern auch vom Standpunkte des Kampfes um die politische Macht. Das Junkertum will den Zollwucher nicht nur durchdrücken, um den Beutezug auf die Taschen des Proletariats unternehmen zu können, sondern auch, um seine politische Machstellung in Staat und Gesellschaft zu stärken und womöglich zu verewigen. Im Kampfe gegen die Herrschaftsgelüste des Junkertums hat das Proletariat aus bürgerlichen Kreisen heraus auf keinen zuverlässigen Bundesgenossen zu hoffen. Der mächtigste Teil der Bourgeoisie hat sich bereits mit den agrarischen Zollwucherern verbündet. Bis tief in die Reihen des Nationalliberalismus, ja bis in die Reihen der süddeutschen Volkspartei hinein finden sich verschämte Zollwucherer und der so genannte Freisinn leistet der politischen Machstellung des Junkertums Vorschub. Als die Frage des bevorstehenden Zollwuchers zum ersten Male im Reichstag angeschnitten wurde, warf der Freisinnige Georg von Siemens die Frage auf, ob nicht vielleicht trotz aller wirtschaftlichen Schädigung die Lasten dem deutschen Volk aufgebürdet werden müssten, um den Adel als herrschende Klasse zu erhalten. Das Charakteristische ist, dass er diese Frage nicht mit allem Nachdruck verneint hat. Unsere ganze deutsche Geschichte ist aber ein einziger Beweis dafür, dass unser Ade nicht nur unfähig, sondern auch unwürdig ist, die herrschende Klasse zu sein. Indem das deutsche Bürgertum durch einen seiner Vertreter damals die Frage aufwarf, ohne es sie sofort zu verneinen, hat es sich von vornherein zum Verrat an dieser Sache bereit erklärt. Die Konsequenzen dieser Stellungnahme zeigten sich denn auch bereits bei den Wahlen in Memel-Heydekrug, in Kulmbach-Forchheim usw. Die Bourgeoisie hat auf die Durchführung ihrer historischen Aufgabe, die politische Macht des Junkertums zu brechen, verzichtet, und bis weit in die bürgerlichen Kreise hinein hat das Junkertum mehr oder weniger schlecht geschminkte Anhänger. Die Bourgeoisie verzichtet auf diesen Kampf, weil sie sich des Junkertums als des politischen Hausknechtes gegen das Proletariat bedienen will. Sie greift zur Politik der Hochschutzzöllnerei als Konsequenz ihrer reaktionären Politik der Arbeiterklasse gegenüber. Die Politik der gepanzerten Faust der Arbeiterklasse gegenüber, der Zuchthaus-Vorlage, der Stillstand der Sozialreform — das Alles drängt mit Notwendigkeit zur Hochschutzzollpolitik gegenüber dem Auslande. Wir können nur alle bürgerlichen Parteien in derselben Weise behandeln. Die bürgerlichen Parteien erklären bereits jetzt: Die Parole darf nicht lauten ”Gegen den Zolltarif!”, sondern ”Für Handelsverträge!” In dieser Parole tritt uns der vollzogene Rückzug aus dem Kampf gegen das Junkertum klar entgegen. Das Zentrum wird im Kampfe die ausschlaggebende Rolle spielen; es wird wieder mit allen schäbigen Mitteln der Lüge und der Verdrehung hervortreten. Ich möchte deshalb den Antrag Singer (126) empfehlen, dass der Redaktion des ”Vorwärts” alle gegnerischen Flugblätter, zumal aus Zentrumskreisen, zugeschickt und gesammelt werden und dass dann die gehörige Antwort darauf erfolgt. Auch ich bin durchaus pessimistisch in Bezug der Hoffnung auf Zerbröckelung des Zentrumsturmes. Der geistunterdrückenden Macht des Zentrums gegenüber müssen wir nicht nur unsere politischen Forderungen geltend machen, sondern auch alle die hohen geistigen und sittlichen Kulturwerte des Sozialismus ins Feld führen, die so herrlich sind, wie sie das Christentum nie herrlicher zur Entfaltung gebracht hat. Auf in den Kampf und vorwärts zum Siege! (Lebhafter Beifall.)

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