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Friedrich Engels 18420525 Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit

Friedrich Engels: Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit

Vier öffentliche Vorlesungen, gehalten zu Königsberg von Ludwig Walesrode. Königsberg, H. L. Voigt, 1842

[„Rheinische Zeitung" Nr. 145 vom 25. Mai 1842. Nach Marx Engels Werke, Ergänzungsband Zweiter Teil, Berlin 1982, S. 258-262]

Königsberg in Preußen hat sich seit mehreren Jahren zu einer Bedeutsamkeit erhoben, die für ganz Deutschland erfreulich sein muss. Durch die Bundesakte formell von Deutschland ausgeschlossen, hat sich das deutsche Element dort zusammengerafft und macht Anspruch darauf, als deutsch anerkannt, als Vertreter Deutschlands gegen die Barbarei des slawischen Ostens geachtet zu werden. Und wahrlich, die Ostpreußen konnten Deutschlands Bildung und Nationalität dem Slawentum gegenüber nicht besser vertreten, als sie es getan haben. Das geistige Leben, der politische Sinn haben sich dort zu einer Regsamkeit des Treibens, zu einer Höhe und Freiheit des Standpunktes aufgeschwungen wie in keiner andern Stadt. Rosenkranz vertritt mit der Vielseitigkeit und Beweglichkeit seines Geistes die deutsche Philosophie dort auf eine erfreuliche Weise, und wenn er auch nicht den Mut der rücksichtslosen Folgerung hat, so stellt ihn außer seinen Kenntnissen und seinem Talent auch noch sein feiner Takt und seine unbefangene Auffassung sehr hoch. Jachmann und andere besprechen auf freisinnige Weise die Fragen des Tages, und jetzt eben liegt uns in dem obigen Heft ein neuer Beweis vor, welch einen hohen Bildungsgrad das dortige Publikum besitzt.

Es sind vier, vor einem großen Auditorium gehaltene humoristische Vorlesungen über aus der unmittelbaren, lebendigen Gegenwart gegriffene Stoffe, die der talentvolle Verfasser hier vereinigt hat. In der Tat zeigt sich hier eine solche Anlage zum Genremalen, eine solche Leichtigkeit, Eleganz und Schärfe der Darstellung, ein solch sprühender Witz, dass dem Verfasser eine bedeutende Anlage zum Humoristen nicht abgesprochen werden kann. Er hat den richtigen Blick, der den Zeitereignissen gleich die günstige, traktable Seite abgewinnt, und weiß seine zahllosen Beziehungen und Anspielungen auf eine so feine Art anzubringen, dass der Getroffene selbst wird lächeln müssen; dazu drängt eine die andere, und zuletzt kann keiner auf den Spötter eigentlich böse sein, weil alle etwas mitbekommen haben. Die erste Vorlesung: „Die Masken des Lebens", führt uns München, Berlin, den deutschen Michel, die Hohlheit der Adelsaristokratie, die Zerrissenheit und eine Gesellschaft deutscher Zelebritäten vor, aus der ich folgende Stellen aushebe:

Nicht weit von uns sitzt ein junger Mann am Tisch, der seinen Wein aus einem schweren silbernen Pokale trinkt. Er hat einmal mit einem einzigen Liede zwanzig französische Batterien demontiert, welche gegen die freien Najaden des grünen, freien Rheins gerichtet waren, und mit seinen vierfüßigen Jamben mehrere Kavallerieregimenter der französischen Avantgarde, die schon bis Andernach gekommen waren, in unaufhaltsamer Flucht bis nach Thionville zurückgeschlagen. Für diese kühne Tat wurde er mit einem silbernen Pokale und einer Partizipialkonstruktion belohnt, die noch kühner war als sein Lied, so wunderbar gigantisch, dass alle Gymnasiallehrer Deutschlands erbleichten und die Tertianer von den Schulbänken sprangen und jauchzend riefen: Nun haben wir Hundstagsferien!"

Bald darauf heißt es:

Da tritt uns eine Zensormaske entgegen. Wenn sie einen unzensierten Tintenfleck an unsern Fingern entdecken sollte, wär's um uns geschehen. Ein Zensor sieht aus wie ein anderer Mensch, aber sein Amt ist mehr als menschlich. Er richtet den Geist und die Gedanken und hält die Waage in Händen, welche die ewige Gerechtigkeit allein führen sollte. In der Literatur ist er angestellt, um das pharaonische Gesetz zu exekutieren, dass alle männlich geborenen literarischen Kindlein getötet, wenigstens abälardisiert1 werden. Die Zensur des alten Roms bestand in einem strengen Sittengericht über die Bürger der Republik; sie hörte auf, als sie, wie Cicero sagt, nichts weiter vermochte, als einen Mann zum Erröten zu bringen. Unsere Zensur kann erst dann aufhören, wenn die ganze Nation wie ein Mann über sie zu erröten vermag!"

Die zweite Vorlesung, „Unser goldenes Zeitalter", verbreitet sich in derselben leichten Weise über die Geldaristokratie; die dritte, „Literarisches Don-Quixote-Tournier", geht mit eingelegter Lanze auf allerlei Verkehrtheiten der Zeit los, zuerst auf den deutschen politischen Stil.

Die deutsche Sprache", heißt es in dieser Vorlesung, „ist frei und republikanisch geboren; sie erklimmt die höchsten Alphörner und Gletscher der Dichtkunst und des Gedankens, um mit dem Adler sich zur Sonne zu schwingen. Aber sie gibt sich auch, wie die Schweizer, zur Leibgarde des Despotismus her. Was der König von Hannover seinem Volk im schlechtesten Deutsch gesagt hat, das hätte er im besten Englisch nicht ausdrücken können. Kurz, unsere Sprache ist, wie die Morisonschen Pillen, zu allem gut und brauchbar; nur etwas fehlt ihr, was ihr sehr nottut – der politische Stil! Freilich, in Zeiten der höchsten Gefahr, wenn sich der Kölner Dom im Rheine spiegelt, was er nur unter sehr bedenklichen Umständen zu tun pflegt, dann nimmt sie, mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung, eine Art politischen Schwung an; dann wird jedes Kartoffelfeld ein ,Gau' genannt, und ehrliche Kleinstädter werden zu ,Mannen' promoviert, und jede Nähterin verwandelt sich plötzlich über Nacht in eine deutsche ,Maid'. Aber das ist nur der politische Defensivstil, der gewöhnlich zugleich mit dem Landsturm aufgeboten wird; zur Offensive hat's unsere Sprache noch nicht gebracht. Wenn der Deutsche sich sein einfachstes politisches Recht, das ihm auf Stempelbogen so gesetzlich verbrieft ist wie seine Frau durch den Heiratskontrakt, in Anspruch nehmen will, dann verklausuliert er seine Forderung mit so vielen Kurialschnörkeln, Hochachtungsepisoden, Respektstrichen und so vielen Versicherungen nicht zu ersterbender Liebe und Treue, dass man das Ganze eher für den zeremoniösen Liebesbrief eines Schneidergesellen als für eine gerechte Forderung halten dürfte. Denn der Deutsche hat nicht Courage genug – Recht zu haben, und darum bittet er tausendmal um Verzeihung, wenn er's gewagt haben sollte zu glauben, zu meinen, zu vermuten oder auch nur zu ahnen, dass er bei einem hohen Kunden noch eine politische Forderung ausstehen hätte. Erinnern z.B. nicht die meisten Bittschriften um Pressefreiheit ganz und gar an den vollständig in der Theatergarderobe kostümierten Marquis Posa, der sich dem König Philipp zu Füßen wirft mit den Worten: ,Sire! geben Sie Gedankenfreiheit!'2 Kann man sich denn noch wundern, wenn solche Suppliken ebenfalls mit König Philipps Worten: „Sonderbarer Schwärmer!“ abgetan und ad acta gelegt werden? Die wenigen Deutschen, die den Mut hatten, als die Advokaten ihres Vaterlandes dessen politische Rechte in klarer und bündiger Sprache, wie es Männern geziemt, darzulegen, haben es lediglich dieser Feigheit unseres politischen Stils zu danken, dass sie der Staatsinquisition als Opfer in die Hände gefallen sind. Denn, wo die Feigheit Norm ist, da ist der Mut Verbrechen! Ein politischer Schriftsteller unserer Zeit könnte sehr leicht wegen bloßer Stilsünden, dafür, dass er seine Worte und Gedanken in nackter Wahrheit, nicht mit dem vom Zeremonienmeister vorgeschriebenen Kostüme bekleidet erscheinen lässt, etwas gelinde von unten nach oben gerädert werden, und das von Rechts wegen. So eunuchenhaft feige der deutsche Stil indes ist, wenn er politische Rechte geltend zu machen hat, so plump schlägt er auch wieder den großmächtigsten Gewalten das Weihrauchfass um die Ohren. Wenn irgendwo ein Fürst sagt: ,Ich will Recht und Gerechtigkeit üben!', gleich stürzen ganze Schwärme von Zeitungsphrasen wie wilde Bienen über die Fleckchen Honig her und summen vor Wonne über den köstlichen Fund auf der öden politischen Heide. Gibt's aber wohl etwas Beleidigenderes für einen Fürsten, als wenn der bloß ausgesprochene Wille zur Ausübung der ersten Regentenpflicht, ohne welche man seinen Namen zu einem Nero und Busiris werfen müsste, als eine außerordentliche, unerhörte Fürstentugend durch alle Zeitungen ausposaunt wird? Und das geschieht in Staatszeitungen, unter den Augen der Zensoren, unter den Auspizien des Bundestages! Müsste nicht auf einen solchen ungeschickten Lobredner der §92 des Kriminalrechts3 in seiner ganzen Strenge angewendet werden?"

Die vierte gibt „Variationen über beliebte Zeit- und Nationalmelodien", worunter sich „Ein Ordenskapitel" befindet, welches folgendermaßen anhebt:

Die Fürsten sind die Hirten der Völker, wie schon Homer sagt, und daher die Völker natürlich die Schafe der Fürsten. Und die Hirten lieben ihre Schafe sehr und führen sie an einem bunten seidenen Leitseile, damit sie ihnen nicht abhanden kommen, und die Schafe haben wiederum ihre Freude an dem artigen, in allen Regenbogenfarben schillernden Bande und merken es nicht, dass diese Zierde zugleich ihre Fessel ist, weil es eben Schafe sind" usw.

Walesrode hat durch diese vier Vorträge seine Befähigung zum Humoristen dargetan. Aber damit ist es nicht genug. Solche Sachen haben einmal das Recht, locker, zersplittert, einheitslos sein zu können, wenn sie nur ihren Zweck als Vorlesungen erfüllen; der echte Humorist indes würde noch mehr, als Walesrode es getan hat, den Hintergrund einer positiven, großen Weltanschauung hervorgehoben haben, in der sich zuletzt aller Spott und alle Negation zur vollsten Befriedigung auflöst. In dieser Beziehung hat Walesrode durch die Herausgabe des obigen Werkchens eine Pflicht auf sich genommen; er muss die Erwartungen, die er hier rege gemacht hat, so bald wie möglich rechtfertigen und beweisen, dass er ebenso sich konzentrieren, seine Anschauungen zu einem Ganzen verarbeiten kann, wie er sie hier hat auseinandergehen lassen. Und das ist um so nötiger, als er eine große Verwandtschaft mit den Autoren des weiland Jungen Deutschlands durch sein Hervorgehen aus Börne, durch seine Auffassungsweise und seinen Stil bekundet; fast alle jener Kategorie angehörigen Autoren haben indes die erregten Erwartungen nicht gerechtfertigt und sind in eine Erschlaffung versunken, wie sie ein fruchtloses Streben nach innerer Einheit zur Folge haben musste. Die Unfähigkeit, etwas Ganzes zu liefern, war die Klippe, an der sie scheiterten, weil sie selbst keine ganzen Leute waren. Walesrode lässt indes hier und da einen höheren, vollendeteren Standpunkt durchblicken und berechtigt so zur Anforderung, seine einzelnen Urteile untereinander und mit der philosophischen Höhe der Zeit ins Gleichgewicht zu bringen.

Übrigens wünschen wir ihm Glück zu dem Publikum, das solche Vorlesungen zu würdigen verstand, und zu dem Zensor, der sie der Öffentlichkeit nicht vorenthielt. Wir sind der Hoffnung, dass eine solche Handhabung der Zensur, wie dies Buch sie beweist, alle andern, schwankenden Prinzipien in derselben, für Preußen wenigstens, überwinden und sich allgemeine Geltung verschaffen werde; dass die Zensur überall von solchen Männern ausgeübt werde, wie es in Königsberg geschieht, wo, wie unser Verfasser sagt, die Zensoren Männer sind,

die das gehässigste aller Ämter mit schmerzlicher Aufopferung übernommen haben, um es nicht in die Hände solcher übergehen zu lassen, die es mit Freuden übernehmen möchten".

F.O.

1 entmannt

2Aus Schillers Drama „Don Carlos", Dritter Akt, zehnter Auftritt.

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