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Friedrich Engels 18420714 Zur Kritik der preußischen Pressegesetze

Friedrich Engels: Zur Kritik der preußischen Pressegesetze1

[„Rheinische Zeitung" Nr. 195 vom 14. Juli 1842, Beiblatt. Nach Marx Engels Werke, Ergänzungsband Zweiter Teil, Berlin 1982, S. 271-278]

*x* Berlin, im Juni. Dem Preußen stehen zwei Wege zur Veröffentlichung seiner Gedanken offen. Entweder kann er sie im Inlande drucken lassen, wo er sich dann der heimischen Zensur zu unterwerfen hat; oder er kann, wenn er hier Beanstandung finden sollte, immer noch außerhalb der Grenzen seines Staats, entweder unter die Zensur eines andren Bundesstaats sich stellen oder die Pressefreiheit auswärtiger Länder benutzen. In allen Fällen bleibt dem Staate das Recht, gegen etwaige Ungesetzlichkeiten Repressivmaßregeln zu ergreifen. Im ersten Falle werden, der Natur der Sache nach, derartige Maßregeln nur höchst selten anwendbar sein, da in der Regel die Zensur eher zu viel als zu wenig streicht und am allerwenigsten strafbare Dinge passieren lässt. Bei Publikationen jedoch, welche unter auswärtiger Pressegesetzgebung bewerkstelligt worden sind, werden Konfiskationen des Werkes und gerichtliche Verfolgung des Autors weit eher und häufiger eintreten können. Um nun ein Urteil über die Gesamtverhältnisse der preußischen Pressegesetzgebung fassen zu können, ist es von großer Wichtigkeit, auch die gesetzlichen Repressivmaßregeln nicht außer acht zu lassen.

Die darauf bezüglichen Gesetze finden sich nun, da eine besondere Repressiv-Pressegesetzgebung uns bis jetzt noch fehlt, im Landrecht unter verschiedenen Titeln zerstreut. Von den Strafgesetzen gegen Injurie, Unsittlichkeit usw. können wir einstweilen absehen, da es sich doch in der Hauptsache nur um politische Vergehen handelt, und hier finden wir die betreffenden Data in den Rubriken: Hochverrat, frecher, unehrerbietiger Tadel oder Verspottung der Landesgesetze und Majestätsbeleidigung. Wie sich bald ergeben wird, sind diese Gesetze indes so unbestimmt gehalten und namentlich in Beziehung auf die Presse einer so weiten und unleugbar willkürlichen Deutung unterworfen, dass das Urteil über sie <nur> durch die Praxis der Gerichtshöfe wesentlich bestimmt werden muss. Denn wenn die Voraussetzung richtig ist, dass der Geist jeder2 Gesetzgebung in den3 Gerichtsbeamten lebendig geworden ist, so muss die bei ihnen gebräuchliche Auslegung der einzelnen Bestimmungen ein wesentliches Ergänzungsmoment derselben bilden, wie denn auch in zweifelhaften Fällen die bisherige Praxis einen bedeutenden Einfluss auf die Entscheidung ausübt.

Schreiber dieses ist nun in dem Falle, sein Urteil über die preußischen Pressegesetze durch eine ihm vorliegende, ausführlich motivierte Entscheidung eines preußischen Gerichtshofes supplieren zu können. Der Verfasser einer außerhalb Preußen gedruckten Schrift über inländische Angelegenheiten4 wurde wegen sämtlicher oben angeführten Vergehen zur Untersuchung gezogen und von der Anklage des Hochverrats zwar unbedingt freigesprochen, des frechen und unehrerbietigen Tadels und der Verspottung der Landesgesetze indes, sowie der Majestätsbeleidigung für schuldig erklärt.

Das preußische Strafrecht bestimmt das Verbrechen des Hochverrats

§925 also:

ein Unternehmen, welches auf eine gewaltsame Umwälzung der Verfassung des Staats oder gegen das Leben oder die Freiheit seines Oberhaupts abzielt, ist Hochverrat."

Es kann vorausgesetzt werden, dass für die jetzigen Verhältnisse diese gesetzliche Definition als genügend allgemein anerkannt werden wird. Da nun auch nicht zu erwarten steht, dass dergleichen Unternehmungen durch die Presse und von solchen Leuten, die unsrer Justiz erreichbar sind, begonnen werden, so ist dieser Punkt für die Presse ziemlich unwichtig. Das klare Wort: „gewaltsam" schützt vor richterlicher Willkür oder Unfreiheit hinreichend. Dagegen ist ein andrer Punkt für die Presse von der höchsten Bedeutung, nämlich derjenige, welcher von der unerlaubten Besprechung der Landesgesetze handelt. Die gesetzlichen Bestimmungen in dieser Beziehung sind folgende: Strafrecht § 151:6

Wer durch frechen, unehrerbietigen Tadel oder Verspottung der Landesgesetze und Anordnungen im Staate Missvergnügen veranlasst, der hat Gefängnis- oder Festungsstrafe auf 6 Monate bis 2 Jahre verwirkt."7

Hierzu gehört das Edikt8 vom 18. Oktober 1819, worin sub XVI, Nr. 2 bestimmt wird:

dass bei frechem, unehrerbietigem Tadel und Verspottung der Landesgesetze und Anordnungen im Staate es nicht bloß darauf ankommen soll, ob Missvergnügen und Unzufriedenheit veranlasst worden sind, sondern die obige Strafe wegen solcher strafbaren Äußerungen selbst verwirkt ist".9

Es fällt aber beim ersten Blick auf, wie unbestimmt und ungenügend diese gesetzlichen Verordnungen sind. Was heißt frech und unehrerbietig? Augenscheinlich ist in dem Paragraphen des Strafrechts entweder der erste oder der zweite Teil überflüssig. Frecher Tadel oder Verspottung der Landesgesetze wird mit Aufreizung zum Missvergnügen so gut wie synonym erklärt, und das Edikt vom 18. Okt. 1819 spricht die Koinzidenz dieser Begriffe geradezu aus. Die gesetzliche Bestimmung wäre also so zu fassen: Wer frechen, unehrerbietigen Tadel oder Verspottung der Landesgesetze und Anordnungen im Staate sich zuschulden kommen lässt, der sucht zu Missvergnügen und zur Unzufriedenheit mit denselben aufzureizen und hat deshalb die fragliche Strafe verwirkt.

Jetzt erst lässt sich das Gesetz klar ins Auge fassen. Die Bestimmungen: frech und unehrerbietig nebeneinanderzustellen, war ein Missgriff des Gesetzgebers, der die größte Verwirrung herbeiführen kann. Man kann unehrerbietig sein, ohne frech zu werden. Unehrerbietigkeit ist ein Mangel, eine Nachlässigkeit, ein übereiltes Versehen, das dem Besten passieren kann; Frechheit setzt den animus injuriandi10, die böse Absicht voraus. Und nun vollends Verspottung! Welcher Abstand von „Unehrerbietigkeit" bis zur „Verspottung"! Und doch für beide eine Strafe. Diese beiden Begriffe sind nicht etwa bloß quantitativ unterschieden, nicht etwa nur verschiedene Grade einer und derselben Sache, sondern sie sind qualitativ wesentlich verschieden, sie sind geradezu inkommensurabel. <Begegnet mir jemand, dem ich etwas verdanke, ich bemerke ihn und gehe ihm aus dem Wege, um nicht zu grüßen, so ist das unehrerbietig; sehe ich ihm dreist ins Gesicht, drücke den Hut in die Stirn und renne ihm im Vorbeigehen den Ellbögen in die Seite, so ist das frech; drehe ich ihm aber vor seinen Augen eine Nase und schneide ihm Fratzen, so ist das Verspottung. Gewisse Leute wollen es sogar schon für unehrerbietig halten, wenn man sie nicht bemerkt.> Und diese verschiedenen Dinge sollen in einem Gesetze unter einen Hut gebracht werden? Jedenfalls ist das „unehrerbietig" hier zu streichen und, wenn es nicht lieber ganz ausfallen soll, in einen besonderen Paragraphen zu bringen. Denn durch unehrerbietigen Tadel kann doch nimmermehr Unzufriedenheit und Missvergnügen bezweckt werden, da die Unehrerbietigkeit in jedem Falle absichtslos, unwillkürlich oder doch immer ohne böse Absicht begangen wird. Bleibt also das Wort: unehrerbietig hier stehen, so ist damit ausgesprochen, dass aller und jeder Tadel der Staatsverhältnisse auf die Erregung von Unzufriedenheit ausgeht und deshalb zu bestrafen ist. Dies würde aber mit unsren jetzigen Zensurverhältnissen durchaus im Widerspruch stehen. Kurz, die ganze Verwirrung rührt daher, dass aus den Zensurinstruktionen, wohin das Wort: unehrerbietig gehört, es ins Gesetz hinübergenommen ist11. Bei Zensurfällen mag es der Einsicht des Zensors als Polizeibeamten, und solange die Zensur Polizeimaßregel ist, überlassen bleiben, ob er etwas für „unehrerbietig" oder für „wohlmeinend" hält; die Zensur ist eine Ausnahme, und hier werden genauere Bestimmungen stets unmöglich bleiben. Aber im Kriminalkodex darf ein so vager Begriff, ein solcher Spielraum für das subjektive Belieben nicht vorkommen, am allerwenigsten da, wo die Differenz politischer Ansichten sich ms Spiel mischen

Dass diese Kritik des Gesetzes richtig, der Vorwurf der Begriffsvermischung gegründet ist, wird sich am besten aus der Praxis der Gerichtshöfe nachweisen lassen. Ich zitiere das oben erwähnte <vom 5. April d. J. unterzeichnete> und bereits publizierte Erkenntnis.

Der Verfasser der fraglichen Druckschrift entwirft darin eine Schilderung der – wohlbemerkt, gegen Ende 1840 in Preußen gehandhabten Zensur, aus welcher folgende Stellen inkriminiert werden12:

Bekanntlich darf bei uns weder der kleinste Zeitungsartikel, noch Schriften über 20 Bogen ohne Zensurprüfung erscheinen; ist der Gegenstand ein politischer, so fällt meistens die Prüfung einem Polizeiagenten anheim, der bei den vagen Bestimmungen des Zensurreglements (vom 18. Oktober 1819) sich allein nach den besonderen Instruktionen des Ministers zu richten hat. Vom Minister vollkommen abhängig und nur dem Minister verantwortlich, ist dieser Zensor alles zu streichen gezwungen, was den individuellen Ansichten und Absichten seiner Oberen nicht genehm ist. Führt der Verfasser gegen ihn Klage, so wird er in der Regel abschläglich beschieden oder erhält sein Recht erst nach so langer Zeit, dass er keinen Gebrauch mehr davon machen kann. Wie wäre es sonst auch möglich, dass seit jenem im Jahre 1804 ausgesprochenen Lobe anständiger Publizität man in keiner preußischen Zeitung, in keinem hier gedruckten Buche auch nur den leisesten Tadel über das Verfahren des untergeordnetsten Beamten findet, dass jede das öffentliche Interesse nur entfernt berührende Andeutung (die Rubrik: Inland der ,Staatszeitung' wird wohl niemand hieher rechnen), um veröffentlicht zu werden, sich erst außerhalb der preußischen Grenzen flüchten muss!

Und auch hier ist sie nicht sicher vor jener bedenklichen Beamten-Eigenmacht, welche mit Recht Friedrich Wilhelm III. als die notwendige Folge unterdrückter Publizität bezeichnet; damit auch durch ausländische Zeitungen kein ungünstiges Urteil über Beamtenhandlungen, keine irgend freimütige Beleuchtung unsrer Zustände nach Preußen gelange, werden dergleichen Blätter entweder verboten oder deren Redaktionen durch wohlbekannte Mittel fügsam gemacht. Wir übertreiben, leider! nicht. Die französischen Zeitungen sind freilich erlaubt, die meisten aber dürfen nicht unter Kreuzband nach Preußen kommen, so dass ein solches Blatt jährlich mehr als 400 Taler an Postporto kosten würde; nur der Schein ist gewahrt, der Sache nach aber eine solche Erlaubnis und ein Verbot eins und dasselbe. Anders verfährt man mit den deutschen Zeitungen. Sind deren Redakteure nicht schon in ihrem eignen wohlverstandenen Interesse auf ihrer Hut, nehmen sie über Preußen oder preußische Beamte einen in Berlin missliebigen Artikel auf, so werden an sie von Seiten des preußischen Ministeriums (dem Zweifler sind wir dies durch Aktenstücke darzutun bereit) Vorwürfe und Reklamationen gerichtet, Angabe ihrer Korrespondenten drohend verlangt und nur unter demütigenden Bedingungen der einträgliche preußische Markt ihnen ferner offengelassen."

Nach dieser Schilderung bemerkt der Angeklagte, eine so gehandhabte Zensur werde zu einer anmaßenden Bevormundung, zu einer wahrhaften Unterdrückung der öffentlichen Meinung und führe endlich zu einer höchst bedenklichen, dem Volke wie dem Könige gleich gefährlichen Eigenmacht der Beamten.

Nun, wie erscheint diese Stelle? Würde eine Schrift, in diesem Tone geschrieben, nicht heutzutage das preußische Imprimatur bekommen? Wird nicht in allen preußischen Zeitungen genau dasselbe Urteil über die damaligen Zensurzustände gefällt? Sind nicht schon weit stärkere Sachen über noch bestehende Einrichtungen gesagt worden? Und was sagt unser Urteil?

In solcher Weise darf ein Untertan sich über Gesetze und Anordnungen im Staate nicht auslassen, die Behauptung, dass jede das öffentliche Interesse nur entfernt berührende Andeutung, um veröffentlicht zu werden, sich außerhalb der preußischen Grenzen flüchten müsse, dass die Zensur, wie sie in Preußen gehandhabt werde, eine anmaßende Bevormundung, eine wahrhafte Unterdrückung der öffentlichen Meinung involviere, enthalten der Sache und dem Worte nach frechen Tadel und verletzen die dem Staate schuldige Ehrerbietung. Die Aufstellung aber, dass dadurch eine höchst bedenkliche, dem Volke wie dem Könige gleich gefährliche Eigenmacht der Beamten gefördert werde, beweiset deutlich die Tendenz, Missvergnügen und Unzufriedenheit mit den also geschilderten Institutionen zu veranlassen. Inkulpat hat in der vorliegenden Untersuchung zu erweisen gesucht, dass sein Urteil über die Zensurverwaltung in der Wirklichkeit begründet sei, und es sind von ihm in dieser Hinsicht mehrere spezielle Fälle angeführt, in welchen Artikeln publizistischen Inhalts das Imprimatur verweigert worden ist <auch hat er eine zwischen dem Geheimen Oberregierungsrate Seyffert und dem Redakteur der ,Leipziger Allgemeinen Zeitung' stattgefundene Korrespondenz allegiert zum Beweise, dass jene Zeitung wirklich unter dem Einflüsse der preußischen Regierung stehe>.

Diese Anführungen sind indessen offenbar unerheblich; denn abgesehen davon, dass einzelne Beispiele für den Wert oder Unwert einer Staatseinrichtung überhaupt nichts beweisen, so würde, auch selbst die Richtigkeit des von dem Inkulpaten gefällten Urteils vorausgesetzt, die Form, in welcher dasselbe ausgesprochen ist, den Vorwurf der Frechheit und Unehrerbietigkeit fortbestehen lassen. Er urteilt nicht in ruhig erörternder Weise, sondern tadelt in solchen Ausdrücken, welche, wenn sie gegen Personen gerichtet wären, unzweifelhaft als Injurien anzusehen sein würden."

Ferner heißt es:

Inkulpat bemerkt über die Kommunalverfassung: ,vor allem müsse die Städteordnung vom Jahre 1808 von der revidierten des Jahres 1831 wohl unterschieden werden. Erstere trüge den liberalen Charakter der damaligen Zeit und achte der Bürger Selbständigkeit; die zweite werde überall von der jetzt-Regierung begünstigt und den Städten dringend anempfohlen/ Der in diesen Worten enthaltene Gegensatz zwischen den Worten: liberaler Charakter der damaligen Zeit und Jetzt-Regierung enthält die frech tadelnde Behauptung, dass die jetzige Regierung nicht allein illiberal sei, sondern auch, dass sie überhaupt die Selbständigkeit der Bürger nicht achte (??). Die unlautere Gesinnung und die verwerfliche Tendenz seiner Schrift gibt sich aber ganz besonders kund aus den Beispielen, welche Inkulpat zum Beweise jener von ihm aufgestellten Parallele folgen lässt, indem er hierbei die von ihm allegierten Bestimmungen der beiden Städteordnungen teils unrichtig, teils unvollständig und entstellt wiedergibt."

Ich kann mich der zu weit führenden Auszüge, die jetzt folgen, um so eher entschlagen, als, selbst die Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der angeklagten Darstellung zugegeben, daraus doch noch lange nicht „unlautere Gesinnung und verwerfliche Tendenz" folgen würde. Nur den Schluss will ich noch anführen:

Erwägt man die den ständischen Verhandlungen vollkommen entzogene Öffentlichkeit, die daher rührende, bei Wahlen wie überall sich offenbarende Gleichgültigkeit der gebildeten Klassen, endlich die zweimal, im Jahre 1826 und 1833, von den liberalen rheinpreußischen Ständen erfolgte Ablehnung einer derartigen Gemeindeverfassung, so wird man wohl schwerlich geneigt sein, die viel gerühmte preußische Städteordnung als Gegengewicht des selbständigen Volksbewusstseins gegen Ministerwillkür, geschweige als ein Surrogat konstitutioneller Vertretung gelten zu lassen."

Über diese Worte bemerkt das Erkenntnis:

Auch diese Stelle enthält offenbar spöttischen Tadel und verrät gleichfalls die Tendenz, Unzufriedenheit und Missvergnügen zu erregen. Wem es nur darum zu tun ist, dem Vaterlande zu nützen, der wird nicht nachzuweisen bemüht sein, dass früher eine dem Volke ersprießlichere Richtung verfolgt sei, welche man jetzt immer mehr und mehr verlasse und mit einer dem Gemeinwohl schädlichen Tendenz vertausche. Eine solche Vergleichung des früheren, vorgeblich besseren Zustandes mit dem gegenwärtigen ist durchaus unnötig, um die vermeintlichen Mängel der bestehenden Verfassung aufzudecken; sie kann daher keinen andern Zweck haben, als die Ansicht hervorzurufen, dass es jetzt nicht mehr so gut um das Wohl der Nation stehe wie früher, um solchergestalt Missvergnügen und Unzufriedenheit zu erregen."

<Genug der Auszüge, die ich übrigens verzehnfachen könnte!> Was vom Gesetz oben ausgesagt wurde, das bestätigt die Praxis nur zu sehr. Die Bestimmung der Unehrerbietigkeit, die ins Ressort der Polizei, der Zensur gehört, äußert hier ihre nachteiligen Wirkungen. Durch die Verpflanzung dieses Begriffs auf den Boden des Gesetzes wird dies von der jedesmaligen schwereren oder leichteren Zensur abhängig gemacht. Ist die Zensur gerade drückend, wie 1840, so ist der leiseste Tadel unehrerbietig. Ist sie <leicht und> human, wie jetzt, so ist, was damals für frech galt, heute kaum unehrerbietig. <Daher der Widerspruch, dass in der „Rheinischen" und „Königsberger Zeitung" Dinge das preußische Imprimatur erhalten, die 1840 nicht nur unerlaubt, sondern sogar strafbar waren.> Die Zensur muss ihrer Natur nach schwankend sein; das Gesetz aber muss feststehen, bis es aufgehoben wird; es muss unabhängig sein von dem Auf und Ab der polizeilichen Praxis.

Und nun vollends die „Erregung zum Missvergnügen und zur Unzufriedenheit"! Das ist allerdings der Zweck13 aller Opposition. Wenn ich diese14 gesetzliche Bestimmung tadle, so habe ich allerdings die Absicht, Unzufriedenheit damit zu erregen, und nicht nur15 im Volke, sondern sogar (womöglich) bei der Regierung. Wie kann man anders etwas tadeln, als in der Absicht, andere von der – gelinde gesagt – Unvollkommenheit des Getadelten zu überzeugen, also bei ihm Unzufriedenheit damit zu erwecken? Wie kann ich hier tadeln und dort loben, wie kann ich etwas zu gleicher Zeit für schlecht und für gut halten? Es ist rein unmöglich. Ich bin auch ehrlich genug, gleich gradeaus zu sagen, dass ich die Absicht hege, durch diesen Artikel Unzufriedenheit und Missvergnügen gegen den § 151 des preußischen Strafrechts zu erregen, und hege dennoch die Überzeugung, dass ich denselben nicht „frech und unehrerbietig", wie dieser § sagt, sondern „anständig und wohlmeinend", wie das Zensurzirkular sagt, tadele. Das Zensurzirkular hat aber dieses Recht, Unzufriedenheit zu erregen, sanktioniert, und zum Ruhm der preußischen Nation ist seitdem bereits das Möglichste16 geschehen, um Unzufriedenheit und Missvergnügen zu erwecken. Dieser Teil des § ist dadurch faktisch aufgehoben, und die Strafbarkeit des „unehrerbietigen Tadels" bedeutend beschränkt. Beweis genug, dass der § eine Vermischung und Zusammenwürfelung heterogener, legislatorischer und pressepolizeilicher Bestimmungen enthält.

Dies erklärt sich auch ganz einfach aus der Zeit, in welcher das Landrecht gesammelt wurde, aus dem Konflikt der freisinnigen Aufklärung jener Epoche mit dem preußischen ancien régime von damals. Missvergnügen mit der Regierung, mit Staatseinrichtungen zu hegen, war damals nicht viel besser als Hochverrat und wenigstens schon ein Verbrechen, worauf sich eine recht hübsche Untersuchung und Verurteilung basieren ließ.

Die Majestätsbeleidigung interessiert uns wenig. Die preußischen Publizisten haben bis jetzt den richtigen Takt befolgt, die Person des Königs aus dem Spiele zu lassen. Es ist das die Antizipation des konstitutionellen Prinzips von der Unverletzlichkeit der königlichen Person und kann nur gebilligt werden.

Der obige Paragraph sei hiermit der Gesetzrevisionskommission bestens empfohlen; wir wollen indes fortfahren, in der angedeuteten guten, wohlmeinenden und anständigen Weise recht viel Missvergnügen und Unzufriedenheit mit allen überlebten und illiberalen Resten in unsren Staatseinrichtungen zu erwecken.

1 Dieser Artikel wird nach der erhalten gebliebenen Handschrift gebracht. Die „Rheinische Zeitung" veröffentlichte ihn mit einigen von der Redaktion der Zeitung vorgenommenen Auslassungen und Korrekturen. Die Auslassungen werden im vorliegenden Text in Winkelklammern wiedergegeben und die Korrekturen der „Rheinischen Zeitung" in Noten ausgewiesen.

2 In der „Rheinischen Zeitung": unserer

3 in der „Rheinischen Zeitung": unsern

4 Gemeint ist Johann Jacoby, der 1841 in Mannheim anonym die Broschüre „Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen" herausgegeben hatte. In dieser Broschüre wird die preußische Staatsordnung kritisiert und die Einführung einer Verfassung für Preußen gefordert.

5Siehe „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten", Teil II, Titel 20, § 92

6 in der „Rheinischen Zeitung": „Allg. L.R. Th. II. T.20":

7 Siehe „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten", Teil II, Titel 20, § 151.

8 In der „Rheinischen Zeitung": Zensur-Edikt

9 „Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten", 1819, Berlin, S. 232.

10 Vorsatz zu beleidigen

11 In der „Rheinischen Zeitung": dass das Wort: unehrerbietig aus den Zensurinstruktionen, wohin es gehört, ins Gesetz herübergenommen ist

12 Die nachfolgenden Zitate sind mit geringen Abweichungen zwei Schriften von Johann Jacoby entnommen: „Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen" (Mannheim 1841. S. 8-11 und 14) und „Meine weitere Vertheidigung wider die gegen mich erhobene Beschuldigung der Majestätsbeleidigung und des frechen, unehrerbietigen Tadels des Landesgesetzes" (Zürich und Winterthur 1842, S. 13, 16, 20 und 33/34).

13 In der „Rheinischen Zeitung": Das ist freilich zum Teil Zweck

14 in der „Rheinischen Zeitung": eine

15 in der „Rheinischen Zeitung": und zwar nicht

16 In der „Rheinischen Zeitung": bereits viel

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