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Friedrich Engels 18440113 Die „Times" über den deutschen Kommunismus

Friedrich Engels: Die „Times" über den deutschen Kommunismus1

[„The New Moral World" Nr. 30 vom 20. Januar 1844. Nach Marx Engels Werke, Ergänzungsband Zweiter Teil, Berlin 1982, S. 317-321]

An den Redakteur der „New Moral World"

Sir,

Ich sehe, dass der Aufsatz der „Times" über die Kommunisten in Deutschland in der „New Moral World" nachgedruckt worden ist2 und kann daran nicht vorbeigehen, ohne einige Bemerkungen zu machen, die Sie vielleicht für wert finden werden zu veröffentlichen.

Die „Times" besaß bislang auf dem Kontinent den Ruf einer wohl informierten Zeitung, aber noch einige solche Artikel, wie der über den deutschen Kommunismus, dürften diese Ansicht sehr bald zunichte machen. Jeder, der auch nur das Geringste über die sozialen Bewegungen in Frankreich und Deutschland kennt, wird sofort bemerken, dass der Verfasser dieses Aufsatzes über eine Sache spricht, von der er absolut nichts versteht. Seine Unwissenheit ist so groß, dass er nicht einmal imstande ist, die schwachen Seiten der Partei aufzudecken, die er angreift. Wollte er Weitling verleumden, könnte er in dessen Schriften viel passendere Stellen für seinen Zweck finden als die, die er anführt. Hätte er sich nur die Mühe genommen, den Züricher Kommissionalbericht3 zu lesen – den er versichert, gelesen zu haben, was offensichtlich nicht der Fall ist –, er würde eine Fülle verleumderischen Materials, eine Menge zurechtgemachter Textstellen gefunden haben, die extra für diesen Zweck zusammengetragen worden sind. Im Grunde genommen ist es sehr seltsam, dass die Kommunisten ihre Gegner mit Waffen für den Kampf versorgen müssen; aber da sie auf dem weiten Fundament der philosophischen Auseinandersetzung stehen, können sie sich das gestatten.

Der Korrespondent der „Times" beginnt damit, die kommunistische Partei in Frankreich als eine sehr schwache Partei darzustellen. Er bezweifelt, dass der Aufstand in Paris von 1839 von ihr ausgegangen war und nimmt für sehr wahrscheinlich an, dass dies von der „mächtigen" republikanischen Partei geschah. Halten Sie, mein wohlinformierter Benachrichtiger der englischen Öffentlichkeit, eine Partei für sehr schwach, die etwa eine halbe Million erwachsener Männer zählt? Wissen Sie, dass die „mächtige" republikanische Partei in Frankreich sich seit neun Jahren im Zustand völliger Auflösung und des fortschreitenden Verfalls befindet? Wissen Sie, dass die Zeitung „National", das Organ dieser „mächtigen" Partei eine viel geringere Auflage hat als irgendeine andere Pariser Zeitung? Muss ich, ein Ausländer, Sie an die im vergangenen Sommer von der „National" durchgeführten' republikanischen Geldsammlung für den irischen Repeal-Fonds erinneren, die weniger als hundert Pfund einbrachte, obwohl die Republikaner eine große Sympathie für die irischen Repealer empfinden? Wissen Sie nicht, dass die Masse der republikanischen Partei, die arbeitenden Klassen, sich schon seit langem von ihren reichen Parteigängern getrennt hat und sich der kommunistischen Partei nicht angeschlossen, sondern sie gegründet hat, lange bevor Cabet begann, den Kommunismus zu verteidigen? Wissen Sie nicht, dass die ganze „Macht" der französischen Republikaner in dem Vertrauen zu den Kommunisten besteht, weil diese die Errichtung einer Republik zu sehen wünschen, bevor sie beginnen, den Kommunismus in die Praxis umzusetzen? Es scheint, dass Ihnen alle diese Dinge unbekannt sind, obwohl Sie sie kennen sollten, um sich eine richtige Meinung vom Sozialismus auf dem Kontinent bilden zu können.

Was den Aufstand von 1839 anbelangt, betrachte ich solche Dinge nicht als ehrenvoll für eine Partei; aber ich weiß von Leuten, die aktiv an dieser Emeute beteiligt waren, dass sie von den Kommunisten vorbereitet und durchgeführt würde.

Der wohlinformierte Korrespondent erklärt ferner, „die Lehren von Fourier und Cabet scheinen mehr die Gemüter einiger Literaten und Gelehrten zu bewegen, als die allgemeine Gunst des Volkes zu gewinnen". Hinsichtlich Fouriers ist das richtig, wie ich schon in einer früheren Nummer dieser Zeitung Gelegenheit hatte auszuführen. Aber Cabet! Cabet, der fast nichts anderes als nur kleine Pamphlete geschrieben hat –, Cabet, der beständig Vater Cabet genannt wird, ein Name, der ihm wohl kaum von den „Literaten und Gelehrten" gegeben worden ist –, Cabet, dessen größter Fehler seine Oberflächlichkeit und der Mangel an Achtung vor den berechtigten Ansprüchen wissenschaftlicher Forschung ist –, Cabet, der Herausgeber einer Zeitung, die zur Information für diejenigen bestimmt ist, die gerade eben lesen können –, die Lehren dieses Mannes sollen den Verstand eines Professors der Pariser Universität wie Michelet oder Quinet bewegen, deren Stolz eine Tiefe ist, tiefer als der Mystizismus? Das ist doch einfach lächerlich.

Der Korrespondent spricht dann von der berühmten deutschen nächtlichen Versammlung bei Hambach und Steinhölzli und äußert seine Ansicht, „dass sie eher einen politischen, denn einen sozialen und revolutionären Charakter getragen hat". Ich weiß kaum, wo ich beginnen soll, die Fehler dieser Sentenz aufzudecken. Erstens, „nächtliche Versammlungen" sind auf dem Kontinent gänzlich unbekannt; wir kennen keine Versammlungen bei Fackellicht, wie die der Chartisten oder nächtliche Meetings in der Art der Rebekkaiten. Das Hambacher Fest fand am hellen Tage unter den Augen der Obrigkeit statt. Zweitens, Hambach liegt in Bayern und Steinhölzli in der Schweiz, einige hundert Meilen von Hambach entfernt; unser Korrespondent jedoch spricht von der „Hambacher und Steinhölzlier Versammlung". Drittens, die beiden Versammlungen waren in einem ziemlichen Maße nicht nur durch den Raum voneinander getrennt, sondern auch durch die Zeit. Die Steinhölzlier Versammlung fand einige Jahre nach der anderen statt. Viertens, diese Versammlungen trugen nicht nur scheinbar, sondern tatsächlich einen ausschließlich politischen Charakter; sie fanden statt, bevor die Kommunisten in Erscheinung traten.

Die Quellen, aus denen unser Korrespondent seine unschätzbaren Informationen schöpfte, waren „der (Züricher) Kommissionalbericht, die veröffentlichten und unveröffentlichten kommunistischen Schriften, die bei der Verhaftung Weitlings entdeckt wurden, und die eigene Untersuchung". Die Ignoranz unseres Korrespondenten zeigt eindeutig, dass er den Bericht niemals gelesen hat; es ist erwiesen, dass die „veröffentlichten kommunistischen Schriften" bei der Verhaftung einer Person nicht „entdeckt" werden können, da die einfache Tatsache ihrer Veröffentlichung jede Möglichkeit einer „Entdeckung" ausschließt. Der Oberstaatsanwalt von Zürich würde gewiss nicht mit der „Entdeckung" von Büchern prahlen, die ihm jeder Buchhändler beschaffen könnte. Was die „unveröffentlichten" Schriften anbelangt, für deren Unterdrückung die gerichtliche Verfolgung eingeleitet wurde, würden die Züricher Senatoren tatsächlich inkonsequent gewesen sein, hätten sie, wie unser Korrespondent zu glauben scheint, diese nachträglich selbst veröffentlicht! Sie taten nichts Derartiges. Tatsächlich wird in dem ganzen Bericht unseres Korrespondenten nichts angeführt, was er diesen Quellen und der eigenen Untersuchung hätte entnehmen können, abgesehen von den zwei Neuigkeiten, dass die deutschen Kommunisten ihre Lehre hauptsächlich von Cabet und Fourier ableiten, d.h. dieselben, die von ihnen angegriffen werden, worüber unser Korrespondent in demselben Buch hätte nachlesen können, aus dem er so ausführlich zitiert (Weitlings Garantien, S.228), und dass sie „in Cabet, Proudhon, Weitling und – und – Constant ihre vier Evangelisten sehen"! Benjamin Constant, der Freund der Madame de Stael ist schon lange tot und hatte niemals auch nur im entferntesten daran gedacht, sich mit der sozialen Reform zu befassen. Offensichtlich meint unser Korrespondent Considérant, den Anhänger Fouriers, den Herausgeber der „Phalange" und jetzt der „Democratie pacifique", der überhaupt nicht mit den Kommunisten in Verbindung steht.

Die kommunistische Lehre ist zur Zeit mehr negativ als positiv" – und unmittelbar, nachdem er diese Behauptung aufgestellt hat, schlägt unser Korrespondent sich selbst ins Gesicht, indem er in zwölf Paragraphen eine Skizze der von Weitling vorgeschlagenen neuen sozialen Ordnung entwirft, deren Einrichtungen ganz und gar positiv sind und die Zerstörung des jetzigen sozialen Regimes nicht einmal erwähnen.

Diese Auszüge werden jedoch in einer sehr konfusen Weise gebracht und zeigen, dass unser Korrespondent in verschiedenen Fällen nicht das Wesen der Sache verstanden hat; anstelle dessen bringt er unbedeutende Einzelheiten. So unterlässt er es, den Hauptpunkt zu erklären, in dem Weitling Cabet überlegen ist, nämlich jede auf Gewalt und Vorrang beruhende Herrschaft abzuschaffen und an ihrer Stelle eine bloße Verwaltung einzusetzen, die die verschiedenen Arbeitszweige organisiert und deren Produkte verteilt. Er übergeht den Vorschlag, alle Beamten dieser Verwaltung und in jedem einzelnen Zweig nicht durch eine Mehrheit der Gemeinschaft zu ernennen, sondern nur durch diejenigen, die die besondere Art der Arbeit kennen, die der künftige Beamte zu verrichten hat. Ferner übergeht er eines der charakteristischen Merkmale des Plans, dass die Mitglieder der Prüfungskommission die geeignetste Person durch eine Art Preis-Wahlproben auswählen, ohne selbst den Verfasser dieser Proben zu kennen. Die Namen befinden sich in einem versiegelten Kuvert, und nur das Kuvert wird geöffnet, das den Namen des erfolgreichen Bewerbers enthält. Auf diese Weise wird jedes persönliche Motiv ausgeschlossen, das auf den Entschluss der Mitglieder der Prüfungskommission einwirken könnte.

Was die übrigen Zitate von Weitling anbelangt, so überlasse ich es den Lesern dieser Zeitung, darüber zu urteilen, ob sie solch verächtliches Zeug aufnehmen, wie unser Korrespondent es ihnen zumutet, oder ob sie nicht in vielen, wenn nicht gar in allen Fällen die gleichen Prinzipien und Vorschläge vertreten, für deren Verbreitung diese Zeitung gegründet wurde. Auf jeden Fall, wenn die „Times" abermals wünschen sollte, über den deutschen Kommunismus Betrachtungen anzustellen, würde sie gut daran tun, sich nach einem anderen Korrespondenten umzusehen. Ich verbleibe, mein Herr,

Ihr ergebener

F.Engels

1 Der Artikel „Die ,Times' über den deutschen Kommunismus" und das nachfolgende Schreiben über den französischen Kommunismus gehört zu den vier Arbeiten, die von Engels in der Zeit vom 4. November 1843 bis zum 3. Februar 1844 in der Wochenschrift der englischen Owenisten „The New Moral World and Gazette of the Rational Society" erschienen waren. Siehe die Artikel „Fortschritte der Sozialreform auf dem Kontinent" und „Bewegungen auf dem Kontinent".

2 „The New Moral World" brachte am 6. Januar 1844 einen Nachdruck des am 29. Dezember 1843 in der „Times" veröffentlichten Artikels „The Communists in Germany".

3 „Die Kommunisten in der Schweiz nach den bei Weitling vorgefundenen Papieren. Wörtlicher Abdruck des Kommissionalberichtes an die H. Regierung des Standes Zürich", Zürich 1843. Dieser Kommissionalbericht ist unterzeichnet von dem Berichterstatter, dem Schweizer Juristen und reaktionären Politiker Bluntschli.

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