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Friedrich Engels 18450222 Brief an Karl Marx

Friedrich Engels: Brief an Karl Marx

in Brüssel

[Nach Marx Engels Werke, Band 27, Berlin 1963, S. 19-24]

Barmen, 22.-26. Febr. [und 7. März] 45

Lieber Marx,

Soeben erhalte ich nach langem Hin- und Herschreiben von Köln aus endlich Deine Adresse und setze mich gleich hin, an Dich zu schreiben. Sowie die Nachricht von der Expulsion herkam, hielt ich es für nötig, gleich eine Subskription zu eröffnen, um die Dir dadurch verursachten Extrakosten auf uns alle kommunistisch zu repartieren. Das Ding hatte guten Fortgang, und vor 3 Wochen schickte ich 50 und einige Taler an Jung, forderte auch die Düsseldorfer auf, die ebenso viel zusammengebracht haben, und habe auch in Westfalen die deshalb nötige Agitation durch Hess anstiften lassen. Hier ist die Zeichnung indes noch nicht geschlossen, der Maler Köttgen hat indes die Sache verschleppt, und so bin ich noch nicht im Besitz aller zu erwartenden Gelder. Indes wird in ein paar Tagen alles hoffentlich einkommen, und dann werde ich Dir einen Wechsel auf Brüssel schicken. Da ich übrigens nicht weiß, ob das genügen wird, um Dir Deine Einrichtung in Brüssel zustande zu bringen, so versteht es sich von selbst, dass mein Honorar für das erste englische Ding, was ich hoffentlich bald wenigstens teilweise ausbezahlt bekomme und für den Augenblick entbehren kann, da mein Alter mir pumpen muss, Dir mit dem größten Vergnügen zur Disposition steht. Die Hunde sollen wenigstens das Pläsier nicht haben, Dich durch ihre Infamie in pekuniäre Verlegenheit zu bringen. Dass man Dich gezwungen hat, die Hausmiete für die Zukunft noch zu bezahlen, ist doch die Krone der Scheußlichkeit. Ich fürchte aber, man wird Dich am Ende in Belgien auch molestieren, so dass Dir zuletzt nur England übrigbleibt.

Doch kein Wort weiter von der ganzen niederträchtigen Geschichte. Kriege wird bei Ankunft dieses schon bei Dir sein. Der Kerl ist ein famoser Agitator. Er wird Dir von Feuerbach viel erzählen, – den Tag nach seiner Abreise von hier traf ein Brief von F[euerbach] an mich ein, wir hatten dem Kerl nämlich geschrieben. F[euerbach] sagt, er müsse erst den religiösen Dreck gründlich vernichtet haben, eh' er sich so mit dem Kommunismus beschäftigen könne, dass er ihn schriftstellerisch vertrete. Auch sei er in Bayern zu sehr von dem ganzen Leben abgeschlossen, als dass er dazu kommen könne. Übrigens sei er Kommunist, und es handle sich für ihn nur um das Wie der Ausführung. Womöglich kommt er diesen Sommer an den Rhein, und dann soll er auch nach Brüssel, das wollen wir ihm schon beibringen.

Hier in Elberfeld geschehen Wunderdinge. Wir haben gestern im größten Saale und ersten Gasthof der Stadt unsre dritte kommunistische Versammlung abgehalten. Die erste 40, die zweite 130, die dritte wenigstens 200 Menschen stark. Ganz Elberfeld und Barmen, von der Geldaristokratie bis zur epicerie1, nur das Proletariat ausgeschlossen, war vertreten. Hess hielt einen Vortrag. Gedichte von Müller, Püttmann und Stücke aus Shelley wurden gelesen, ebenso der Artikel über die bestehenden Kommunistenkolonien im „Bürgerbuch". Nachher diskutiert bis ein Uhr. Das Ding zieht ungeheuer. Man spricht von nichts als vom Kommunismus, und jeden Tag fallen uns neue Anhänger zu. Der Wuppertaler Kommunismus ist une vérité2, ja beinahe schon eine Macht. Was das für ein günstiger Boden hier ist, davon hast Du keine Vorstellung. Das dümmste, indolenteste, philisterhafteste Volk, das sich für nichts in der Welt interessiert hat, fängt an, beinahe zu schwärmen für den Kommunismus. Wie lang man dem Ding noch so zusehen wird, weiß ich nicht, aber die Polizei ist jedenfalls in der höchsten Verlegenheit, sie weiß selbst nicht, woran sie ist, und der Hauptschweinhund, der Landrat, ist grade in Berlin. Aber wenn man's auch verbietet, so umgehen wir das, und geht das auch nicht, so haben wir jedenfalls so ungeheuer angeregt, dass alles, was in unsrem Interesse erscheint, hier furchtbar gelesen wird. Da ich nun Ostern weggehen werde, so ist es um so besser, dass Hess sich hier ansiedelt und zugleich bei Baedeker in Elberfeld eine Monatsschrift herausgibt, wovon Kriege, glaub' ich, einen Prospektus hat. Ich gehe, wie ich Dir wohl schon schrieb, jedenfalls nach Bonn. Meine projektierte Reise nach Paris wird nun zu Wasser, da ich dort nichts mehr zu suchen habe, dafür aber komm' ich jedenfalls nach Brüssel, um so eher, als meine Mutter und meine beiden Schwestern im Sommer nach Ostende gehen werden. Ich muss außerdem noch mal nach Bielefeld unter die dortigen Kommunisten, und wenn Feuerb[ach] nicht kommt, so geh' ich zu ihm, und dann, wenn ich Geld und Zeit habe, auch noch einmal nach England. Du siehst, ich hab's gut vor. Bergenroth erzählte mir ebenfalls, er werde wahrscheinlich in einigen Wochen oder so nach Brüssel kommen. Er war, nebst einigen Düsseldorfern, bei unsrer zweiten Versammlung anwesend und hat mitgesprochen. Es ist übrigens doch ein ganz anderes Ding, da vor den wirklichen leibhaftigen Menschen zu stehen und ihnen direkt, sinnlich, unverhohlen zu predigen, als dies verfluchte abstrakte Schreibertum mit seinem abstrakten Publikum vor den „Augen des Geistes" zu treiben.

Ich soll Dich nochmals in Hess' Namen – auch in dem meinigen tu ich es – auffordern, dem Püttmann was für seine ¼Jahresschrift zu schicken. Wir müssen durchaus gleich im ersten Heft alle erscheinen, damit das Ding Charakter bekommt. Ohnehin kommt es ohne uns gar nicht einmal zustande.

25. Febr.

Gestern Abend kam die Nachricht an, dass unsre nächste Versammlung mit Gendarmen gesprengt und die Redner verhaftet werden sollten.

26. Febr.

Gestern morgen untersagte der Oberbürgermeister der Frau Obermeyer, in ihrem Lokal solche Zusammenkünfte zu gestatten, und mir wurde gesteckt, dass, wenn trotzdem die Versammlung gehalten würde, eine Verhaftung und Klage folgen würde. Wir haben's jetzt natürlich dran gegeben und müssen erwarten, ob man uns einklagen wird, was aber kaum zu erwarten steht, da wir schlau genug waren, keine Handhabe zu bieten, und der ganze Dreck nur in einer großartigen Blamage der Regierung endigen könnte. Ohnehin waren die Staatsanwälte und das ganze Landgericht gegenwärtig, und der Oberprokurator hat selbst mit diskutiert.

7. März

Ich bin, seitdem ich das Vorstehende schrieb, eine Woche in Bonn und Köln gewesen. Die Kölner dürfen ihre Versammlung wegen des Vereins jetzt halten. In unsrer hiesigen Angelegenheit ist ein Reskript der Regierung zu Düsseldorf eingetroffen, wodurch fernere Versammlungen verboten werden. Hess und Köttgen haben protestiert. Nutzt natürlich nichts, aber die Leute werden aus der Haltung des Protests ersehen, dass sie uns nichts anhaben können. Hess ist wieder ungeheuer sanguinisch, weil alles sonst so famos abläuft und unsre Fortschritte wirklich ungeheuer sind, der gute Kerl macht sich nur immer Illusionen. – Unser „Gesellschaftsspiegel" wird prächtig, der erste Bogen ist schon zensiert und alles durch. Beiträge in Masse. H[ess] wohnt in Barmen in der „Stadt London". Bergenr[oth] wird wahrscheinlich doch sobald nicht dorthin kommen, dagegen ein andrer, den ich nicht nenne, weil dieser Brief doch wohl erbrochen wird. Wenn es irgend geht, komm' ich auch noch einmal im April herüber. Der Geldpunkt ist jetzt die Hauptsache für mich, da ich infolge der Versammlung Familientuck gehabt habe, wonach mein Alter resolviert ist, mich nur für meine „Studio", nicht aber für kommunistische Zwecke irgendeiner Art zu unterstützen.

Ich würde Dir noch eine Masse Zeugs schreiben, wenn ich eine sichre Adresse nach Brüssel wüsste, die Du mir jedenfalls verschaffen musst. Viele Sachen, die hier vorgefallen, könnten vielen schaden, wenn sie in einem cabinet noir gelesen würden. Ich bleibe nun noch 4 Wochen hier und gehe anfangs April nach Bonn. Schreibe mir jedenfalls nochmals vorher, damit man weiß, wie Dir's geht. Die Gelder sind so ziemlich zusammen, ich habe noch nicht erfahren, wie viel es ist, es soll unverzüglich abgehen. Mein Manuskript geht dieser Tage ab. – Die „Kritische Kritik" ist noch immer nicht hier! Der neue Titel: „Die heilige Familie" wird mich wohl in Familienhäkeleien mit meinem frommen, ohnehin jetzt höchst gereizten Alten bringen, das konntest Du natürlich nicht wissen. Wie aus der Ankündigung hervorgeht, hast Du meinen Namen zuerst gesetzt, warum? Ich habe ja fast nichts [daran]3 gemacht, und [Dein]en4 Stil kennt doch jeder heraus.

Schreibe mir nun umgehend, ob Du noch Geld nötig hast. Wigand muss mir in ca. 14 Tagen was schicken, und dann hast Du nur zu disponieren. Ich fürchte, die Rückstände der Subskription werden nicht über 120 bis 150 Franken betragen.

Apropos. Wir haben hier vor, den Fourier zu übersetzen und überhaupt womöglich eine „Bibliothek der vorzüglichsten sozialistischen Schriftsteller des Auslandes" zu geben. Fourier wäre der beste, um anzufangen. Leute zum Übersetzen sind gefunden. Hess erzählt mir soeben von einem in Frankreich herausgekommenen Wörterbuch zu Fourier, von einem beliebigen Fourieristen. Du wirst davon wissen. Gib mir doch auch hierüber sogleich Auskunft und womöglich schick ein Exemplar per Post an mich. Empfiehl zu gleicher Zeit die Sachen der Franzosen, von denen Du glaubst, dass sie sich zum Übersetzen in der Bibliothek eignen. Aber rasch, die Sache hat Eile, da wir schon mit einem Verleger am Unterhandeln sind. Wie weit bist Du mit Deinem Buch? Ich muss jetzt an mein Manuskript. Darum leb einstweilen wohl und schreib über die erwähnten Punkte sogleich.

Dein

F.E.

Grüß Kriege und Bürgers. Ist Bernays da?

Barmen, 7. März 45

1 Krämerschaft

2 eine Wirklichkeit

3 Papier beschädigt

4 Papier beschädigt

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