Karl Kautsky‎ > ‎1905‎ > ‎

Karl Kautsky 19050308 Die Lehren des Bergarbeiterstreiks

Karl Kautsky: Die Lehren des Bergarbeiterstreiks

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 23.1904-1905, 1. Band.(1904-1905), Heft 24, S. 772-782, 8. März 1905]

Der Streik im Ruhrrevier hat leider nicht mit derselben glorreichen Einmütigkeit geendet, mit der er begonnen hatte. Ihm folgten eine Reihe von Diskussionen und Kritiken, deren Leidenschaftlichkeit Zeugnis ablegte von der tiefen Erregung, die der große Kampf, noch mehr aber sein Abschluss hervorgerufen. So unvermeidlich, ja notwendig diese Kritiken waren, sie mussten zunächst von jenen geführt werden, die den Streik selbst mitgekämpft hatten. Nur sie verfügten über die erforderliche Kenntnis der Dinge und der Menschen, um die es sich handelte.

Jetzt scheint aber genügend Material vorhanden zu sein, dass auch ferner stehende Beobachter ein Urteil über den Streik gewinnen, und die Leidenschaften des Kampfes haben sich inzwischen auch soweit gelegt, dass wir unbefangener seine Resultate prüfen können.

Die Diskussionen nach seinem Abschluss galten vor allem der Frage: Bedeutete er eine Niederlage oder einen Sieg? Aber damit, dass man diese Frage überhaupt stellte, hatte man sie auch schon beantwortet. Über Siege diskutiert man nicht; nur Niederlagen gesteht man sich und anderen ungern ein und sucht ihnen ein möglichst trostreiches Gesicht zu geben.

Man hat den Abschluss einen Waffenstillstand genannt. Wollte man damit sagen, dass der Klassenkampf weiter geht und bei nächster Gelegenheit wieder eine akute Form annimmt, dann ist das selbstverständlich, dann ist aber damit auch nicht das Resultat des Streiks besonders charakterisiert, denn das gilt von jedem Streik. Wollte man aber mit dem Worte Waffenstillstand mehr sagen, dann war es falsch; denn unter einem Waffenstillstand versteht man einen Vertrag, der vorübergehend beide Seiten der Kämpfenden bindet. Die Bergarbeiter aber haben die Arbeit bedingungslos aufgenommen. Und sie haben sie aufgenommen, ohne etwas von dem Ziele erreicht zu haben, das sie sich gesteckt: durch die Einstellung der Arbeit den Grubenbesitzern direkt Konzessionen abzuringen. Eine Aktion, die ihr Ziel nicht erreicht, bedeutet aber eine Niederlage.

Andererseits hat man sogar einen Sieg daraus deduzieren wollen, dass der Streit die Massen aufgerüttelt, den gewerkschaftlichen Organisationen neue Mitglieder zugeführt und die Schädlichkeit des Kapitalismus weiten Kreisen klar gemacht habe. Aber wenn man darin einen Sieg steht, dann gibt es überhaupt keine proletarische Aktion, die nicht mit einem Siege endet. Dann war der Fall der Pariser Kommune auch ein Sieg. Gerade die gewerkschaftliche Organisation ist in ihren Anfängen durch eine Reihe von Niederlagen groß geworden. Alles das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gegner den Angriff auf ihn abgeschlagen hat. Dieser Misserfolg ist unleugbar.

Man kann indes noch mehr sagen: er ist nicht bloß unleugbar, er war auch unvermeidlich, sobald man sich das Ziel steckte, die Grubenbesitzer direkt zu Konzessionen zu zwingen; er stand von vornherein fest. Mögen Fehler in der Führung während des Streiks begangen worden sein – darüber kann und will ich nicht urteilen; aber auch bei bester Führung ließ sich die Niederlage nicht vermeiden. Denn die Position der Unternehmer ist eine so starke, dass sie mit rein gewerkschaftlichen Machtmitteln nicht mehr zu erschüttern ist. Und so kann man noch weiter gehen und sagen: Wie umfangreich immer die Organisationen der Bergarbeiter werden mögen, wie groß die Geldmittel, die sie ansammeln, sie werden nie ausreichen, um einem Gegner ihren Willen direkt aufzudrängen, der eine Monopolstellung besitzt wie die organisierten Zechenbesitzer im Ruhrgebiet. Hier versagen alle gewerkschaftlichen Machtmittel alten Stiles.

Dafür sprechen die Erfahrungen der Bergarbeiterstreiks der letzten Jahre; und eine theoretische Erwägung zeigt, dass die lange Reihe von Niederlagen in diesen Streiks kein Zufall ist, sondern einer Notwendigkeit entspringt.

Der Lohnarbeiter steht von vornherein dem Unternehmer in einer nachteiligen Position gegenüber, da jener über nichts verfügt als seine Arbeitskraft. Alle Reichtümer der Gesellschaft. auch alle ihre Lebensmittel, sind in den Händen der Kapitalistenklasse, und nur durch den Verkauf seiner Arbeitskraft an einen Kapitalisten kann der Lohnarbeiter in den Besitz der notwendigen Lebensmittel gelangen. Er ist also dem Kapital gegenüber stets in einer Zwangslage, und aus ihr rührt seine Ausbeutung her.

Diese Zwangslage wird noch vermehrt dadurch, dass der Lohnarbeiter viele sind, der Kapitalisten wenige, und dass die kapitalistische Produktionsweise eine industrielle Reservearmee erzeugt. welche nach Arbeit um jeden Preis drängt und die Konkurrenz unter den Lohnarbeitern aufs Äußerste steigert.

Hier setzt nun die Gewerkschaft ein. Sie sucht die Konkurrenz unter den Arbeitern zu beseitigen, den Druck der Reservearmee auf die Löhne aufzuheben durch Unterstützung der Arbeitslosen, zugleich aber auch die Kräfte der gesamten Organisation, also womöglich aller Arbeiter des Industriezweigs, allen jenen Arbeitern zu Gebote zu stehen, die mit ihren Unternehmern in Konflikt kommen. Die Widerstandskraft der Arbeiter einer Fabrik wird dadurch vermehrt, dass hinter ihnen die Arbeiter aller Fabriken der Branche am Orte stehen; die der Arbeiter eines Ortes, dass hinter ihnen die Arbeiter im ganzen Lande, schließlich die des Landes, dass hinter ihnen die der anderen kapitalistischen Nationen stehen.

So werden die Kräfte der Arbeiter gegenüber ihren Unternehmern durch die gewerkschaftliche Organisation verstärkt und bürgerliche Sozialpolitiker, wie auch Gewerkschaftler selbst waren der Ansicht, diese Verstärkung genüge, den Lohnarbeitern eine befriedigende Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft zu erringen und sie mit dieser auszusöhnen, die Proletarier aus einem revolutionären in ein konservatives Element zu verwandeln.

Diese hoffnungsvollen Harmoniepolitiker, denen theoretischer Vorkämpfer in Deutschland Professor Lujo Brentano ist, vergaßen nur einige Kleinigkeiten.

Zunächst kann die Gewerkschaft im besten Falle für den Arbeiter nur jene Nachteile beseitigen, welche die Konkurrenz mit seinen Kollegen und die industrielle Reservearmee für ihn schafft, nie aber jene, die daraus hervorgehen, dass die Produktionsmittel, deren er bedarf, ohne die er nicht arbeiten und existieren kann, im Besitz einer anderen Klasse sind, welche diesen Besitz dazu benutzt, ihn auszubeuten. Die Tatsache dieser Ausbeutung und das Streben, sie möglichst zu steigern, kann keine Gewerkschaft aus der Welt schaffen; sie kann also auch nicht den Klassengegensatz und den Klassenkampf aufheben, sondern ihn nur unter Umständen für das Proletariat günstiger gestalten.

Aber auch das vermag sie nicht für das gesamte Proletariat. Es ist ein alter Grundsatz, dass Gewerkschaften nur etwas leisten können bei hohen Beiträgen. Diese setzen aber schon eine gewisse Höhe des Arbeitslohns voraus. Wo er knapp nur zur Deckung des Existenzminimums ausreicht oder gar noch darunter steht, da ist es ganz unmöglich, eine größere Zahl von Arbeitern zu veranlassen, dauernd sich so zu beschränken, dass sie einen erheblichen Beitrag zur Gewerkschaft zu zahlen vermögen. Am ehesten zur gewerkschaftlichen Organisation geeignet sind die qualifizierten Arbeiter, die aus technischen oder traditionellen Rücksichten eine längere Lehrzeit haben, die den Zuzug von Lehrlingen beschränken können, wo diese sich meist aus besser situierten Volksschichten rekrutieren, die allein die Mittel für die Lehrzeit erschwingen können und deren Lebenshaltung dann auch die Ansprüche der ausgelernten Arbeiter bestimmt: die von Frauen und Kindern keine Konkurrenz zu fürchten haben und auch durch keine starke industrielle Reservearmee bedrängt werden. Je tiefer man in der Stufenleiter unter diese Arbeiterkategorien herabsteigt, desto größer die Konkurrenz unter ihnen, desto leichter sind sie zu ersetzen, desto größer der Andrang von Arbeitsuchenden – deklassierte Handwerker, zuziehende Landarbeiter und Bauernsöhne, Ausländer, Frauen, Kinder – desto niedriger die Arbeitslöhne, desto notwendiger die gewerkschaftliche Organisation, aber auch desto schwieriger, bis sie schließlich bei der großen Masse der ungelernten Arbeiter auf unüberwindliche Hindernisse stößt.

Die gesamte Masse des Proletariats gewerkschaftlich zu organisieren, ist eine Utopie, ist völlig unmöglich. Die gewerkschaftliche Organisation wird stets nur eine Elite oder Aristokratie der Arbeiterschaft umfassen.

Andererseits aber sorgt die ökonomische Entwicklung und die gewerkschaftliche Tätigkeit selbst dafür, dass die günstige Position wieder verloren geht, welche die Gewerkschaften den Unternehmern gegenüber erlangt haben.

Man darf sich eben die Entwicklung nicht als eine gradlinige denken; wohl geht sie in einer bestimmten Richtung vor sich, aber im Zickzack oder vielmehr in einer Spirale, dass es oft aussieht, als kehrte man zum Ausgangspunkt zurück. Solange wir nicht die Kraft haben, unsere Gegner völlig niederzuwerfen, dient jeder unserer Erfolge dazu, sie aufzupeitschen zu erhöhten Anstrengungen, sie zum Aufgeben ihrer inneren Zwistigkeiten, zum stärkeren Zusammenschluss gegen uns zu drängen. Je stärker wir werden, desto stärker werden also auch unsere Gegner, desto schwerer unser Kampf, desto größer die Aufgaben, die uns gestellt werden. Das gilt für den politischen wie für den gewerkschaftlichen Kampf. Unsere Gegner lernen von uns wie man unter den arbeitenden Klassen agitiert, wie man sie organisiert, wie man die Frauen in den politischen und gewerkschaftlichen Kampf einführt usw.; sie gucken uns unsere Taktik ab und wenden sie gegen uns an; und sobald es einmal soweit gekommen, müssen wir wieder neue Methoden des Kampfes erfinden, um unseren Gegnern überlegen zu werden.

Fast jeder große Sieg, den wir errungen, hat daher einen Rückschlag nach sich gezogen, eine Zeit des Stillstandes. So die großen Wahlsiege unserer französischen Genossen in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, die die Waldeck-Rousseausche Sozialdemagogie hervorriefen, der es tatsächlich gelang, die sozialistische Sturmflut für eine Zeitlang einzudämmen. So der Dreimillionensieg unserer Partei von 1903, der die Reste der bürgerlichen Demokratie ins Lager der Reaktion trieb und den indifferentesten Philister zum Kampfe gegen uns aufrüttelte.

So haben auch die Erfolge der gewerkschaftlichen Streiktaktik neben der Konzentration des Kapitals dahin geführt, dass die Unternehmer sich immer mehr in festen Verbänden zusammenschließen und die Konkurrenz unter sich ausschalten, gerade jenes Moment, das die Streikaktion am meisten begünstigt.

Je mehr die Unternehmerverbände sich entwickeln, desto schwieriger wird es, durch den Streik den Kapitalisten Konzessionen abzutrotzen, desto mehr bricht sich in den Gewerkschaften die Anschauung Bahn, der Streik sei ein veraltetes, barbarisches Mittel, das durch friedliche Vereinbarungen zu ersetzen sei, durch Schiedsämter, die an Stelle des Streiks ein gerichtliches Verfahren mit einem Schiedsspruch sehen, oder durch den Abschluss von Verträgen und die Einrichtung gemeinsamer Organisationen von Unternehmern und Lohnarbeitern, Tarifgemeinschaften. Diese Einrichtungen bieten sehr verschiedenartige Seiten, und können nicht einfach mit ein paar Worten abgetan werden; aber im Ganzen und Großen gehen sie Hand in Hand mit einem Wachstum der Unternehmerverbände und einer Abnahme der Aggressivkraft und Aggressivlust der Gewerkschaften und entwickeln sie einen defensiven, konservativen Charakter. Wo sie auftauchen, da verzichten die Gewerkschaften immer mehr darauf, eine Position der Unternehmer nach der andern zu erobern, diese immer weiter zurückzudrängen; da legen sie das Hauptgewicht darauf, die gewonnenen Positionen nicht wieder verloren gehen zu lassen. Diese Einrichtungen mögen unter Umständen nützlich, ja notwendig sein, aber sie bedeuten nicht einen Fortschritt der Gewerkschaften über ihre früher errungene Machtstellung hinaus, sondern eine Tendenz zum Beharren beim Errungenen, mitunter gar Versuche, mit den Unternehmern gemeinsame Sondervorteile auf Kosten der Gesellschaft ober selbst anderer Arbeiterkategorien zu erringen. Vereinbarungen der letzteren Art sind ein Rückfall in die reaktionärste Zünftlerei. In einer Zeit so gewaltiger technischer und ökonomischer Umwälzungen und Fortschritte bedeutet aber jeder Stillstand einen Rückschritt und eine Verschlechterung der relativen, sozialen Position der Arbeiterklasse.

Der. „soziale Friede", der auf diese Weise hergestellt werden kann, wird natürlich auch im besten Fall nur eine vorübergehende Erscheinung sein. Der Klassengegensatz muss immer wieder durchbrechen, und wehe der Arbeiterschicht, die für die Zeiten solcher Konflikte nicht gerüstet ist. Aber auch als vorübergehende Erscheinung ist dieser „soziale Friede" nur für bestimmte Kategorien möglich und sein Gebiet noch viel enger begrenzt als das der gewerkschaftlichen Organisation.

Die Tarifgemeinschaft ist nur die eine Erscheinung, die der Unternehmerverband zeitigt. Die andere ist – der „Scharfmacher".

In manchen Produktionszweigen, die entweder durch Schutzzölle oder natürliche Bedingungen besonders geschützt sind, gelangt der Unternehmerverband dahin, die Konkurrenz unter seinen Mitgliedern nach allen Seiten hin auszuschließen, seinen Betrieben alle Vorteile eines Monopols zu verschaffen, das in der Ausdehnung der Produktion und Festsetzung der Preise in einem hohen Grade willkürlich verfahren kann. Natürlich nicht ganz willkürlich. Ein absolutes Monopol gibt es nicht. Der Verband oder das Syndikat darf die Preise nicht so hoch ansehen, dass der Konsum dadurch allzu sehr eingeengt wird oder die auswärtige Konkurrenz die Möglichkeit erhält, die Schranken erfolgreich zu überspringen, die die Politik oder die Natur um den Produktionszweig im Lande ausgerichtet. Aber man kann überall von einem Monopol reden, wo die Konkurrenz unter den Unternehmern so weit abgeschlossen ist, dass diese dauernd Preise erzielen, die ihnen einen erheblich höheren als den Durchschnittsprofit sichern.

Wo es so weit kommt, da brauchen die Unternehmer einen Streik nicht zu fürchten. Er kann sie nicht nur nicht zu Konzessionen zwingen, er kann sie nicht einmal ernsthaft schädigen, da sie die Macht haben, die schlimmsten Konsequenzen eines Produktionsausfalls auf die Konsumenten abzuwälzen. Diese, nicht die Unternehmer, bei denen der Streik ausbricht, sind nun dabei die Leidtragenden. Die Monopolisten können ihn ruhig aushalten.

Diese Produktionszweige sind es, die den Typus des Scharfmachers produzieren, der jede Konzession an die Arbeiter, jedes Verhandeln, jede Vereinbarung mit ihnen hochmütig abweist und stets unbedingten Gehorsam fordert.

Die Schwärmer für den sozialen Frieden lieben es, diesen Typus als einen veralteten zu bezeichnen, einen, der nicht den modernen sozialpolitischen Geist erfasst habe, der aber nach und nach entweder zu „moderneren" Anschauungen „erzogen" werden oder aussterben müsse. Nichts irriger als das. Der Scharfmacher ist der modernste unter den Kapitalistentypen, nicht ein Produkt der Vergangenheit. Ihm gehört vielmehr die Zukunft – soweit der Kapitalismus noch eine hat. Er dürfte dessen letzte Phase verkörpern.

Äußerlich hat er freilich manches mit dem alten Typus des patriarchalischen „Herrn" in der Fabrik gemein. Aber vergessen wir nicht, dass die Entwicklung in der Form einer nach aufwärts gerichteten Spirale vor sich geht. Sie kehrt anscheinend immer wieder zu ihren Ausgangspunkten zurück, aber sie wiederholt sie in höherer Form.

Der Herr der vorgewerkschaftlichen Zeit forderte allerdings strengste Disziplin und schweigende Unterwerfung in seinem Betrieb. Aber er war mit diesem groß geworden. verstand ihn aufs Genaueste, arbeitete am unermüdlichsten, war der erste an der Arbeit und der letzte, der sie verließ; er kannte seine Arbeiter persönlich, die Unterwerfung, die er von ihnen forderte, war die, welche man von unmündigen Kindern verlangt, die ihm freilich auch oft als ungeratene Kinder erschienen. Nicht jeder dieser Unternehmer war ein Robert Owen. Sie waren oft rücksichtslos, ja grausam, aber das erschien dann mehr als Folge persönlicher Charaktereigenschaften, denn als Geschäftsprinzip. Die Persönlichkeit des Unternehmers war da noch von großer Bedeutung.

Die Gewerkschaft, die den Proletarier widerstandsfähig machte und zum Selbstbewusstsein erzog, bläute den Herren Respekt ein; sie lernten in ihrem Lohnarbeiter den ebenbürtigen Menschen achten.

Nun aber lässt die moderne Zentralisation des Kapitals in ihren Riesenunternehmungen wieder den Typus des absoluten Herrschers erstehen. Indes gehört dieser jetzt zur hohen Finanz, hat persönlich mit seinem Betrieb nichts mehr zu tun, den er besitzt und ausbeutet. aber nicht selbst leitet. Und für die hohe Finanz sind in der Politik wie in der Industrie Menschen nur Schachfiguren, Menschenleben die gleichgültigste Sache von der Welt. Sie macht ebenso gleichmütig ihre Geschäfte zur Unterstützung der Bluthunde von Kischinew und Petersburg, wie sie die Getreidepreise durch einen Corner in die Höhe treibt, um Millionen auszuhungern, ober Baumwolle aufkauft, um hunderttausende von Textilarbeitern brotlos zu machen. Warum soll sie den Lohnarbeitern ihrer eigenen industriellen Betriebe gegenüber sentimental sein, die sie persönlich nicht kennt. die für sie nichts sind als Arbeitswerkzeuge oder Lasttiere, Zahlen in einem Rechenexempel, dessen Lösung stets einen möglichst hohen Profit bildet? Diese Macht zermalmt alles, was nicht imstande ist. ihr Widerstand zu leisten.

Unter dieser Unternehmerschaft wäre ein Robert Owen heute ganz unmöglich, denn sie ist eine ganz unpersönliche Macht geworden. Auf der einen Seite beruht sie meist auf dem Aktienbesitz, auf der andern Seite ist der Einzelbetrieb in völlige Abhängigkeit vom Unternehmerverband gekommen und was sich an kleineren, noch von den Besitzern selbst geleiteten Betrieben, in diesen Produktionszweigen erhalten hat. ist der Konkurrenz der Großen so wenig gewachsen, dass es sich nur schwer über Wasser hält und am allerwenigsten das Zeug dazu hat, den Arbeitern Konzessionen zu machen, die den großen Konkurrenten unbequem wären.

Dieses moderne Scharfmachertum, weit entfernt, einen überwundenen Typus darzustellen, bemächtigt sich immer mehr des gesamten ökonomischen Lebens; technisch, indem es gerade jene Produktionszweige umfasst, die die unentbehrlichsten Rohstoffe für die Industrie liefern; ökonomisch, indem es in der hohen Finanz seinen Sitz hat, den Finanzkönigen und Banken, die immer mehr den ganzen ökonomischen Prozess dirigieren; politisch, indem diese Mächte durch ihre enormen Mittel die Regierungen immer mehr in Abhängigkeit von sich bringen. Vergeblich sucht die bürgerliche Gesellschaft sich dieses Regimes zu erwehren; es wird wachsen, solange bis das Proletariat stark genug geworden ist, es zu stürzen, damit aber den Kapitalismus überhaupt unmöglich zu machen.

Der Scharfmacher. ist kein Überbleibsel aus früheren Zeiten, auch keine zufällige individuelle Erscheinung; er wird mit Notwendigkeit auf der modernen kapitalistischen Entwicklung geboren und bedeutet deren Gipfelpunkt.

In jenen Produktionszweigen aber, in denen der Scharfmacher dominiert, wird jeder Versuch, ihm durch Streiks Konzessionen direkt abzuringen, immer aussichtsloser.

Also, schließt man, muss hier die parlamentarische Aktion eingreifen. Durch gesetzgeberische Reformen muss erreicht werden, was auf gewerkschaftlichem Wege nicht mehr zu erreichen geht.

Aber sehen wir denn nicht, dass auch die isolierte parlamentarische Aktion immer mehr versagt? Und zwar nicht bloß in Deutschland, sondern überall in der Welt? Seit dem Anfang der neunziger Jahre ist keine soziale Reform von Belang durchgeführt worden. Selbst der viel gerühmte Zehnstundentag des sozialistischen Ministers in Frankreich war im Wesentlichen nur eine Neuauflage des Gesetzes von 1892. Und werden die Parlamente nicht immer ohnmächtiger, die Regierungen aber immer abhängiger voll den großen Monopolisten, denen die soziale Reform entgegenwirken soll? Ist es da nicht eine Illusion, vom Parlamentarismus zu erwarten, was die Gewerkschaft nicht mehr leisten kann?

Notabene, es gibt Leute, die einen Widerspruch darin sehen, dass gerade jetzt, wo der Parlamentarismus in Westeuropa impotent dahinsiecht, das russische Volk Ströme von Blut vergießt, um den Parlamentarismus zu erringen, und dass dieselbe Sozialdemokratie, die im Westen den parlamentarischen Kretinismus bitter verhöhnt, in Russland die ganze revolutionäre Kraft des Proletariats auf die Eroberung einer parlamentarischen Verfassung hin lenkt. Aber darin kann nur jemand einen Widerspruch erblicken, der im Parlamentarismus ein Wesen für sich sieht, das eine eigene Existenz führt, unabhängig von der Außenwelt, und das überall in gleicher Weise sich geltend macht. Tatsächlich ist der Parlamentarismus an sich eine leere Form, die ihren Inhalt erst durch die Klasse erhält, die sie erfüllt. Der Parlamentarismus ist heute die Form der Beherrschung des Staates durch die Bourgeoisie. Mit dieser muss auch jene verkommen. Was als Niedergang des Parlamentarismus erscheint. ist nur der politische Niedergang der Bourgeoisie, die keine großen politischen Ziele mehr hat, zu deren Erreichung sie des Parlamentarismus bedürfte. Dieser dient ihr fast nur noch dazu, kleine Zänkereien einiger ihrer Fraktionen unter sich auszufechten und die staatliche Bürokratie zu kontrollieren, die sich stets nur schwer den rasch wechselnden Bedürfnissen der kapitalistischen Wirtschaft anpasst. Aber man lasse einmal das Proletariat die politische Macht erobern und man wird sehen, wie damit der Parlamentarismus neu auflebt und ein fruchtbares Wirken entfaltet! Heute schon sind die proletarischen Elemente in den Parlamenten die einzigen, die ihnen noch Bedeutung geben. Am offenkundigsten ist, bei gleicher Höhe der Entwicklung, der Verfall des Parlamentarismus dort, wo sie fehlen.

In Russland aber hat die Bourgeoisie selbst noch dem Absolutismus gegenüber revolutionäre Aufgaben; hat andererseits das Proletariat, wenigstens solange die revolutionäre Periode dauert, eine größere politische Macht erlangt als irgendwo in Europa. Vor drei Jahren bemerkte ich in meiner Broschüre über die soziale Revolution, nachdem ich darauf hingewiesen, dass ein russisch-japanischer Krieg vielleicht den Weg zu politischen Erschütterungen und proletarischen Erhebungen eröffnen werde: dank ihrem lebendigen revolutionären Bewusstsein ständen die russischen Arbeiter heute als politischer Faktor. höher als die Arbeiter Englands mit ihrer „Realpolitik". Diese Bemerkung hat damals manches weise Haupt zu bedenklichem Kopfschütteln veranlasst: heute wird sie niemand mehr leugnen wollen.

Vermöge dieser Kraft des Proletariats und vermöge der revolutionären Aufgaben der Bourgeoisie kann und wird der Parlamentarismus Russlands, wenigstens zunächst, eine Kraft entfalten, deren die altersschwachen Parlamente des „verfaulten Westens" nicht mehr – oder auch noch nicht – fähig sind.

Wenn aber an deren Aktion zunächst keine großen Erwartungen mehr geknüpft werden können, wenn die Aufgabe der Sozialdemokratie selbst in den Parlamenten mehr darin besteht, Attentate auf Freiheit und Wohlstand abzuwehren, als darin, große Fortschritte durchzusetzen, die gewerkschaftliche Aktion in der bisherigen Weise für Arbeiterschichten, wie die Bergarbeiter, immer aussichtsloser wird, was können diese dann tun? Bleibt ihnen nichts anderes übrig als das Harren auf den großen Tag der Erlösung?

Es wäre schlimm, wenn dem so wäre, denn das hieße einige der wichtigsten und bisher kampffähigsten Teile des Proletariats aus seinem Emanzipationskampf gerade in einer seiner schwierigsten und wichtigsten Epochen völlig ausschalten und die Bataillone des kämpfenden Proletariats erheblich vermindern.

Aber zum Glücke ist dem nicht so. Weder die politische noch die gewerkschaftliche Aktion ist für sie aussichtslos geworden, sondern nur besondere Formen derselben. Aber die gewerkschaftliche wie die politische Organisation und Aktion werden für die Bergarbeiter dadurch nicht überflüssig, sondern notwendiger als je.

Eine der bemerkenswertesten Erscheinungen im jüngsten Bergarbeiterstreik waren die großen Sympathien, denen er in bürgerlichen Kreisen begegnete. Man darf ihre Wirkung nicht überschätzen – sie dauerten gerade nur so lang, als der Streik dauerte, und haben eine kaum nennenswerte praktische Hilfe gebracht. Man darf in diesen Sympathien auch nicht etwas Unerhörtes sehen. In England äußerte sich derartiges bürgerliches Wohlwollen bei ähnlichen Streiks mitunter viel stärker, aber auch in Deutschland hatten wir schon solche Sympathiekundgebungen bei früheren Streiks zu verzeichnen. Wenn wir aber näher zusehen, so finden wir diese Äußerungen auf zwei Kategorien von Streikenden beschränkt: einmal solcher die dem Lumpenproletariat nahe stehen, völlig unfähig scheinen, aus eigener Kraft sich zu helfen, die also nie der bürgerlichen Gesellschaft als Masse gefährlich zu werden drohen, die nicht zum kämpfenden, sondern nur zum leidenden Proletariat gehören, wie etwa Heimarbeiterinnen. Dann aber die Arbeiter in einem monopolisierten Betriebszweig, der durch sein Monopol die Gesamtmasse der Konsumenten aufs Unverschämteste ausbeutet und dadurch seine Profite ungebührlich erhöht. So zum Beispiel die Arbeiter bei Straßenbahnen oder die Kohlengräber.

Bei einem Streik dieser zweiten Kategorie kommt aber nicht bloß die Sympathie der ausgebeuteten Konsumenten mit den ausgebeuteten Produzenten in Betracht – das ist, wie gesagt, eine sehr wenig wirksame Kraft –, sondern vor allem die große Unbequemlichkeit, ja Schädigung, die die Konsumenten durch den Streik erleiden. Wir haben ja gesehen, dass die Unangreifbarkeit der Unternehmer der Monopole gegenüber einem Streik gerade darin beruht, dass dessen Schäden weit mehr die Konsumenten als sie selbst zu tragen haben.

Je umfassender ein solcher Streik ist, je mehr er auf einer lokalen zu einer nationalen, das ganze Volk berührenden Angelegenheit wird, desto näher liegt es dann, dass die Gesetzgebung eingreift, um den Streit zu schlichtem und dass sie den Bergarbeitern gibt, was diese nicht imstande sind, direkt den Unternehmern abzutrotzen. Die bürgerliche Gesellschaft hat keine Ursache, sich für diese besonders kräftig ins Zeug zu legen, die ihr selbst das Fell über die Ohren ziehen; sie ist in diesem Falle eher als sonst geneigt, auf gesetzlichem Wege den Arbeitern Konzessionen zu bewilligen, deren Kosten ja nur eine Unternehmerschicht zu tragen hat, die innerhalb der Kapitalistenklasse eine privilegierte Aristokratie darstellt. Je größer die Schädigung, die der Streik dem allgemeinen Produktionsprozess der Gesellschaft zufügt, desto leichter wird die Gesetzgebung bereit sein, die Forderungen der. Arbeiter zu bewilligen.

Es ist aber selbstverständlich, dass die Erfüllung dieser Forderungen um so weitergehend sein und um so wirksamer gestaltet sein wird, je besser die Arbeiterklasse im gesetzgebenden Körper vertreten ist. Denn der Streik kann nur bewirken, dass dieser Körper den Willen erhält, etwas zu tun, was die Arbeiter einigermaßen befriedigt. Er kann nicht die Details der gesetzgeberischen Tat bestimmen. Indes die Erfahrung zeigt, wie leicht man ein Gesetz so gestalten kann, dass es viel verheißend aussieht und doch unwirksam, rein auf dem Papier bleibt. Bei den bürgerlichen Abgeordneten und gar bei den Regierungen ist aber in solchen Fällen nur der Trieb mächtig, etwas zu tun, was nach einer Hilfe aussieht. Einen ernsthaften Kampf gegen die mächtigen Monopolisten aufzunehmen haben sie kein Bedürfnis. Soll etwas Wirksames zustande kommen, so muss hier die Kritik sozialdemokratischer. Abgeordneter eingreifen, die dem Kapital rücksichtslos gegenüberstehen, die mit den Pfiffen und Schlichen der Fabrikation und Anwendung von Gesetzen vertraut sind und die der Arbeiterschaft entstammen oder in engster Verbindung mit ihr leben, deren Bedürfnisse aus eigener Erfahrung kennen.

Nur auf diesem Wege lassen sich noch erhebliche Fortschritte für die Bergarbeiterschaft erzielen. Der Streik gegen die Grubenbesitzer ist aussichtslos geworden; der Streik muss von vornherein als politischer auftreten, seine Forderungen, seine Taktik müssen darauf berechnet sein, die Gesetzgebung in Bewegung zu sehen, und der Streik muss vorbereitet werden nicht bloß durch die möglichste Stärkung der Gewerkschaft und ihrer Kasse, sondern auch durch politische Aufklärung ihrer Mitglieder und das Streben nach einer möglichst starken Vertretung des kämpfenden Proletariats im gesetzgebenden Körper.

Soweit der jetzige Streik überhaupt etwas erreicht, kann es nur in der Anregung geschehen, die er und die aus ihm resultierenden Verhandlungen des Reichstags zur Schaffung gesetzgeberischer Maßregeln boten. Und dabei kann es keinem Zweifel unterliegen, dass diese – wie immer sie jetzt ausfallen mögen – weit umfassender und wirksamer gestaltet würden, wenn der Streik noch länger hätte dauern können, wenn er ganz Deutschland umfasst hätte, durch eine starke internationale Aktion unterstützt worden wäre – kurz, wenn die Gefährdung der nationalen Produktion durch ihn noch gewaltiger gewesen wäre – und andererseits, wenn das allgemeine gleiche Wahlrecht zum preußischen Landtag bestände und in diesem eine starke sozialdemokratische Fraktion säße.

Diese neue gewerkschaftliche Taktik – die des politischen Streiks – der Verbindung von gewerkschaftlicher und politischer Aktion, ist die einzige, die den Bergarbeitern noch möglich bleibt; sie ist überhaupt diejenige, die bestimmt ist, die gewerkschaftliche wie die parlamentarische Aktion neu zu beleben und der einen wie der anderen erhöhte Aggressivkraft zu geben; die bestimmt ist, noch die größten Siege für das Proletariat zu erfechten und in dem Maße mehr in den Vordergrund zu treten, in dem die isolierte gewerkschaftliche wie die isolierte parlamentarische Aktion unfruchtbarer wird.

Natürlich ist damit nicht gesagt. dass diese neue Taktik nun unterschiedslos überall anzuwenden wäre und dass ihrer Anwendung der Sieg stets sicher sei. Sie wird stets an bestimmte Bedingungen geknüpft bleiben, und der alten gewerkschaftlichen und parlamentarischen Taktik bleiben noch genug Gebiete übrig, in denen sie am Platze sind und Erfolge erzielen können. Aber die großen entscheidenden Aktionen des kämpfenden Proletariats werden immer mehr durch die verschiedenen Arten des politischen Streiks auszufechten sein. Und die Praxis schreitet da schneller vorwärts wie die Theorie. Denn während wir über den politischen Streik diskutieren und nach seiner theoretischen Formulierung und Begründung suchen, entbrennt spontan, durch Selbstentzündung der Massen, ein gewaltiger politischer Massenstreik nach dem anderen – oder wird jeder Massenstreik zu einer politischen Aktion, gipfelt jede große politische Kraftprobe in einem Massenstreik, sei es bei den Bergarbeitern, sei es unter den Proletariern Russlands, den Landarbeitern und Eisenbahnern Italiens usw. Dabei ist freilich der Streik um rein politische Machtfragen wohl zu unterscheiden von dem Streik, der die Gesetzgebung zu einer sozialpolitischen Tat drängen will. Jede dieser Streikarten erfordert eine andere Taktik, ist an andere Bedingungen geknüpft; bei dem einen wird die gewerkschaftlicher bei dem anderen die politische Leitung in den Vordergrund treten müssen; der eine ist eine Aktion, die sich des öfteren wiederholen kann, der andere bleibt ein letztes Auskunftsmittel verzweifelter Situationen; bei dem einen gilt es, die Regierung zu einer Tat zu drängen, bei dem anderen, die Regierung zu stürzen, der eine gelingt umso besser, je planmäßiger er vorbereitet ist, der andere umso eher, je spontaner er losbricht, Freund und Feind überraschend usw. Aber bei allen Unterschieden beider Streikarten, des politischen Streiks einer bestimmten Arbeiterkategorie, um eine soziale gesetzgeberische Reform durchzudrücken, und des politischen Streikes des ganzen empörten Proletariats, um ein feindseliges Regime zu stürzen oder einen Staatsstreich zu parieren – haben beide Streikarten das miteinander gemein, dass sie eine Vereinigung der politischen und gewerkschaftlichen Aktion darstellen.

Nicht nach der Neutralisierung der Gewerkschaften, nicht nach ihrer Isolierung von der politischen Bewegung geht die Tendenz der Entwicklung, sondern nach stärkerer Annäherung, nach engerem Zusammenwirken politischer und gewerkschaftlicher Organisationen, nach immer stärkerer Beeinflussung der letzteren durch politische, der ersteren durch gewerkschaftliche Aktionen.

Die Anhänger der Neutralität selbst geben denn auch zu, dass die Gewerkschaften – oder sagen wir besser, eine Reihe von Gewerkschaften – immer mehr Politik treiben müssen – aber es soll nicht Parteipolitik sein. Nun, es kommt darauf an, was man unter dieser versteht. Versteht man unter Parteipolitik die offizielle Zugehörigkeit zu einer bestimmten Parteiorganisation und die Anerkennung eines bestimmten Parteiprogramms, dann natürlich sollen die Gewerkschaften nicht Parteipolitik treiben. Aber es handelt sich nicht um organisatorische Zugehörigkeit. sondern um den Geist, der die Gewerkschaften beseelt. Die Frage ist die, sollen sie, soweit sie gezwungen sind, Politik zu treiben, konsequente, zielbewusste Klassenpolitik treiben oder engherzige, bornierte Berufspolitik von Fall zu Fall, ohne Zusammenhang mit der Gesamtheit des kämpfenden Proletariats und ohne leitendes Prinzip. Sollen sie überhaupt eine Politik des Kampfes treiben, eine Politik, die darauf abzielt, der bürgerlichen Gesellschaft Reformen abzuzwingen, oder eine Politik des Schachers, die mit den verschiedensten bürgerlichen Parteien mogelt. um von jeder derselben übers Ohr gehauen zu werden, die durch Wohlverhalten das Wohlwollen der bürgerlichen Gesellschaft zu erkaufen und ihr Reformen abzulisten sucht. Kurz, die Frage ist die, sollen die Gewerkschaften eine Politik des zielbewussten, konsequenten Klassenkampfes treiben, oder eine Politik kurzsichtiger Harmonieduselei; eine Politik rücksichtsloser Aufklärung, oder eine Politik staatsmännischer Unentschiedenheit.

Die Entscheidung über diese Frage ist gerade jenen Gewerkschaften, die nur noch durch politische Streiks vorwärts kommen, am wenigsten zu ersparen; darüber müssen die Bergarbeiter sich vollständig klar geworden sein, ehe sie wieder einen großen Vorstoß unternehmen können. Und wenn der eben ausgekämpfte Streik ihnen den Anstoß gäbe, diese Frage entschieden und weit schauend zu beantworten, dann wird für sie ihre jüngste Niederlage das werden, was für das kämpfende Proletariat schon so oft eine Niederlage geworden ist, die Mutter künftiger Siege.

Kommentare