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Karl Kautsky 19051227 Ferdinand Freiligraths Werke

Karl Kautsky: Ferdinand Freiligraths Werke

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 24.1905-1906, 1. Band (1905-1906), Heft 14 (27. Dezember 1905), S. 466 f.]

In 9 Bänden. Mit Einleitung von Schmidt-Weißenfels. Berlin, Th. Knaur Nachf. In 3 Leinwandbände gebunden 5 Mk.

Will man gesellschaftliche Einrichtungen in natürliche und unnatürliche unterscheiden, dann gibt es nichts Unnatürlicheres als das geistige Eigentum, das Eigentum an geistigen Produktionen. Der Dichter wie der Gelehrte sprechen zur Menschheit, sprechen mit der Absicht, dass ihre Worte möglichst weit gehört und verstanden, dass sie Gemeineigentum werden. Das ist Zweck und Ziel jeder geistigen Produktion. Die kapitaliftische Produktionsweise zwingt aber die geistigen Produzenten, ihre Produkte davor zu schützen, dass sie Gemeineigentum werden. Denn die geistigen Produzenten sind heute Warenproduzenten geworden, wie alle anderen auch, eine Ware erhält aber Wert nur als privates, nicht jedermann zugängliches Eigenturn.

Die Anerkennung des geistigen Eigentums ist in der kapitalistischen Produktionsweise unentbehrlich zur Ermöglichung einigermaßen unabhängiger geistiger Produktion. Ohne dieses Eigentum würde die geistige Produktion völliges Monopol der Besitzenden und ihrer Kreaturen, denen sie direkt oder durch Vermittlung des Staates das geistige Produzieren ermöglichen. Aber so notwendig in der heutigen Gesellschaft das Privateigentum an geistigen Produkten ist, so muss doch selbst sie einen Unterschied zwischen geistigern und sonstigem Eigentum machen und heute schon die wahre kommunistische Natur der geistigen Produkte anerkennen, indem sie ihnen den Eigentumscharakter nur für einen beschränkten Zeitraum zuerkennt. Was an geistigen Schätzen diesen Zeitraum überdauert. verwandelt sich in Gemeineigentum.

So werden bald (1907) auch Freiligraths Werke frei werden, und dem haben wir es zu danken, wenn jetzt schon die bisher 15 Mark kostende Ausgabe für 5 Mark breiteren Schichten zugänglich wird.

Zu keinem gelegeneren Moment konnte diese billige Ausgabe kommen als im Jahre der russischen Revolution. Ist doch Freiligrath neben Herwegh und mehr noch als dieser unter den Deutschen der wahre Dichter der Revolution, dessen Wucht und hinreißende Gewalt von keinem seitdem übertroffen wurde. Sehr erfreulich wäre es, wenn der Verleger nun auch eine auf die politischen Gedichte Freiligraths beschränkte Volksausgabe veranstaltete, in ähnlicher Weise, wie wir schon eine von Herweghs Gedichten eines Lebendigen haben,1 eine Ausgabe der Zeitgedichte (1844), Ça ira (1846) und der „neueren politischen und sozialen Gedichte" (1849 und 1851), die den vierten und einen Teil des fünften Bandes der vorliegenden Ausgabe einnehmen. Die Übersetzungen aus dem Englischen ebenso wie die exotischen Balladen und sonstigen Gedichte dürften heute weniger auf allgemeines Interesse Anspruch erheben. Die politischen Gedichte dagegen lesen sich so jugendfrisch, als wären sie für uns geschrieben. Ja sie erhalten mitunter für uns einen höheren Sinn, als sie für ihre Zeit besaßen.

Man lese nur zum Beispiel den Eispalast:

Doch – auch in Russland kommt der Lenz, und auch der Newa Blöcke tau'n!

Hui, wie beim ersten Sturm aus Süd der ganze schimmernde Koloss

Hohl in sich selbst zusammensank und häuptlings in die Fluten schoss.

Das und die ganze folgende prächtige Schilderung des Zusammenbruchs des Eispalastes in der jauchzenden, freigewordenen Newa ist nicht auf Russland gemünzt, sondern auf Westeuropa, vor allern Deutschland. Freiligrath kam es noch nicht in den Sinn, die kommende Revolution in Russland besingen zu wollen. Aber ohne es zu wollen, hat er es getan.

Es ist anders gekommen, als er mit der ganzen deutschen, ja europäischen Demokratie um 1848 erwartet und er in seinem Gedicht „Am Birkenbaum" beschrieben. Er sah dort die „Völker des Westens, die Freien", unter der Fahne des „einigen Rot" heranziehen, die „letzte Schlacht" zu schlagen mit den „Sklaven aus Osten", die herantosten, „das Banner bestickt mit wildem Getier".

Aus den Sklaven des Ostens sind die Freien geworden, die Vorkämpfer der Revolution, und sollte es zu einer Schlacht am Birkenbaume kommen, dann würden die Banner, mit wildem Getier von Westen heranziehen gegen das rote Panier des Ostens.

Aber wir denken, auch die Völker des Westens sind heute nicht mehr Sklaven genug dazu. Wir dürfen erwarten, dass die Schlacht am Birkenbaum zur Unmöglichkeit geworden ist.

K. K.

1 Herausgegeben von Marcel Herwegh. Leipzig, Max Hesses Verlag. 60 Pf.

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