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Karl Kautsky 19071205 Fritz Mauthner, Die Sprache

Karl Kautsky: Fritz Mauthner, Die Sprache

(9. Band des Sammelwerks: "Die Gesellschaft".) Frankfurt a. M., Rütten & Löning. 120 Seiten. 1,50 Mark.

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 26.1907-1908, 1. Band (1907-1908), Heft 10 (5. Dezember 1907), S. 349-351]

Herr Mauthner verfügt über sehr viel Geist, hat sehr viel gelesen, steht aber den bewegenden Kräften der Gesellschaft verständnislos gegenüber. Kein Wunder, dass ihm die Geschichte der Menschheit nichts ist als ein Haufen von Zufälligkeiten, unlösbaren Widersprüchen und Illusionen, woraus aber merkwürdigerweise ein Gedanke ihm klar entgegenleuchtet: die Herrschaft der Sprache, das heißt der Phrase, über die Menschheit. Nicht materielle Bedingungen und Interessen bestimmen das Streben und Kämpfen der Völker und Klassen, sondern bloße Worte. Die richtige Literatenidee. So schreibt er:

Sind denn alle die Grundsätze, Schlagworte, Ideale und Götter, die als letzte Triebfedern unser Handeln bestimmen, etwas anderes als Worte? (S. 82) „Und der demokratische Wille wird gelenkt durch Worte, durch alte und neue Worte, die einander befehden. Menschensitte und Weltgeschichte – die Geschichte der langsamen Änderungen aller Menschensitte nennen wir Weltgeschichte – steht unter der Tyrannei sprachlicher Herren, unter der Tyrannei alter und neuer Worte" (S. 89).

Auf der ganzen Linie dringen die neuen Worte siegreich vor, und ich sehe schon im Geiste die Sonne des neuen Tages aufgehen, an dem zwar alles beim Alten bleiben wird, an dem aber durch einen revolutionären Beschluss die bisherigen Gefängnisse und Zuchthäuser den Namen Sanatorien und Irrenhäuser bekommen werden. Vielleicht werden die Richter auch den Titel Medizinalrat erhalten" (S. 100).

Natürlich ist Herr Mauthner Aristokrat, und die Demokratie scheint ihm „trostlos“ (S. 88).

Bei solchen Anschauungen ist es kein Wunder, wenn Mauthner neben manchen sehr feinen Bemerkungen auch eine Fülle des lächerlichsten Zeugs aufstapelt. Besonders heiter wirkt es, wenn er sich auf den Ökonomen hinausspielen will. So will er zum Beispiel die drei Faktoren der materiellen Produktion, Rohmaterial, Werkzeug, Arbeit. auf die Sprache anwenden, als ob diese ein materielles Produkt wäre, und aus der Eigenart dieser drei Faktoren nachweisen, warum die Sprache Gemeineigentum ist und nichts kostet im Unterschied etwa von einem Kessel.

Die soziale, zweckmäßige, verbale Tätigkeit des Kesselschmiedens braucht drei Faktoren: Menschenarbeit. Werkzeug und Material. … Damit vergleiche man nun die drei Faktoren bei dem Unternehmen, dem einzigen wahrhaft sozialen Unternehmen des sprachlichen Menschenverkehrs.

Das Material ist ohne jeden ökonomischen Wert. Die Luft." Also aus Luft als Rohmaterial wird Sprache gemacht, wie aus Kupfer ein Kessel. Das erinnert an jene geniale Entdeckung, dass man aus einem Loch eine Kanone macht, indem man Kanonenmetall darum herumgießt. Wird aus Luft das Sprechen fabriziert, so aus Wasser wohl das Schwimmen. Der zweite Faktor der Produktion ist die Sprache. „Diese Arbeit ist so leicht. dass sie als Nebengeräusch des Atmens mühelos nebenbei geleistet wird. Wie bei den neuen Kanonen der sonst lästige Rückstoß zum Laden benützt wird." Da haben wir abermals die Kanone. Man könnte aber auch sagen, die Sprache ist ein Nebenprodukt des Atmens, wie der Teer ein Nebenprodukt des Koks ist. und kostet daher nichts. Wäre das Sprechen harte Arbeit, dann würde es wohl Geld kosten, nach Mauthners Logik. Er verweist ausdrücklich im Gegensatz zu dem billigen Material und der billigen Arbeit des Sprechens auf „das kostbare Material des Kesselschmiedes und an dessen erschöpfende Arbeit. die mit einem schweren Silberstück täglich aufgewogen werden muss".

Also die Arbeit des Schmiedens wird bezahlt, weil sie schwer ist, und die des Sprechens nicht, weil sie mühelos ist. Wäre sie so erschöpfend, wie die des Kesselschmiedens, dann müsste sie mit einem „schweren Silberstück täglich aufgewogen werden". Tatsächlich wird aber Sprecharbeit, wenn sie für einen anderen, im Auftrage eines anderen geleistet wird, ebenso und oft noch besser bezahlt wie die Arbeit des Kesselschmiedes. Und andererseits zahlt dem Kesselschmied kein Mensch ein Silberstück, und mag jener sich noch so geplagt haben, wenn er den Kessel für sich selbst und nicht für einen anderen produzierte.

Die Unentgeltlichkeit der gewöhnlichen Sprecharbeit rührt also nicht daher, weil sie ein „müheloses Nebengeräusch des Atmens" ist, sondern daher, weil die Menschen gewöhnlich für sich selbst sprechen, und was man für sich selbst tut, dafür zahlt einem niemand etwas, einerlei, ob es mühselig oder leicht ist. Verfolgte man den Mauthnerschen Gedankengang weiter, dann müssten Menschen mit hartem Stuhlgang für dessen Verrichtung auch mit einem schweren Silberstück entlohnt werden. Es fragt sich bloß von wem.

Endlich aber weiß Mauthner noch einen dritten Grund dafür, warum das Sprechen nichts kostet. Er findet ihn in der Eigenart des „Werkzeugs der Sprache“.

Was ist aber das Werkzeug der Sprache? Man sollte annehmen, die Sprachwerkzeuge und das Gehirn, also der menschliche Organismus. Das Sprechen kostete demnach nichts, weil es der Mensch selbst mit sich selbst ohne jedes andere Werkzeug produziert. Aber das wäre zu gewöhnlich, nicht verblüffend tiefsinnig philosophisch genug. Und so macht Mauthner die überraschende Entdeckung, dass das Werkzeug der Sprache – die Sprache ist – und dieses Werkzeug stellt ein Gemeineigentum des Volkes dar, „ist entweder unkäufliches Gemeingut. wie das luftige Material, oder es ist doch so billig, so sehr Nebenleistung, wie die Sprecharbeit".

Dass die Sprache das Produkt des Sprechens ist, also nicht gut auch das Werkzeug des Sprechens sein kann, geniert Mauthner nicht weiter. Aus seinen Andeutungen darüber darf man annehmen, dass ihm die Sprache als Werkzeug des Sprechens erscheint. weil sie der Sprechende zu gebrauchen, das heißt hervorzubringen verstehen, im Kopfe innehaben muss, bevor er spricht. Aber der Kesselschmied muss auch in der Herstellung des Kessels geübt sein und dessen Bild im Kopfe fertig haben, ehe er einen Kessel produzieren kann, deswegen wird man doch nicht den Kessel, den er fabriziert, für sein Werkzeug bei dieser Produktion erklären.

Das Ergebnis der Argumentation ist, dass die Sprache nichts kostet, einmal weil die Luft nichts kostet, dann die Sprecharbeit nichts kostet und endlich die Sprache nichts kostet. Originell ist diese Beweisführung auf jeden Fall, und das ist wohl die Hauptsache.

Derartige Ausführungen sollen uns nun helfen, „die Stellung der Sprache in der Soziologie ein wenig zu erkennen". Allerdings nur „ein wenig", denn mehr wäre gemein, platt. nicht tiefsinnig.

Dass Hämmern und Dreschen Werte einer sozialen Tätigkeit. soziale Werte sind, soll mir helfen, das Metaphorische in der Behauptung, die Sprache sei das sensorium commune des Volkes, resigniert zu erkennen, und die Behauptung selbst leiser vorzutragen. Und nicht einen Augenblick darf ich, nicht einen Augenblick soll der Leser dabei vergessen, dass eben die Begriffe ,Sprache' und ,sozial' selbst wieder in metaphorischem Bedeutungswandel geworden sind und sich immer noch wandeln, dass wir in einer dunklen Höhle sitzen und nur von den wirklichen Artbegriffen etwa einige Schatten sehen, von Abstraktionen wie ,Sprache' und ,sozial' jedoch fast nur noch die unmerkliche Kältewirkung des Schattens merken. Ich bemühe mich, das Metaphorische solchen geistigen Erfassens durch fast spukhafte Wortfolgen etwas fühlbarer zu machen" (S. 111).

Dieses spukhafte Bemühen ist Herrn Mauthner höchst fühlbar gelungen. Nur ist es nicht immer eine unmerkliche Kältewirkung, die wir dabei merken.

K. K.

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