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Arnold Ruge18421204 Brief an Karl Marx

Arnold Ruge: Brief an Karl Marx

in Köln

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 381-383]

Dresden den 4 Dec. 42.

Eben, lieber Freund, erhalt' ich Ihren Brief, der mich eben so sehr überrascht, als der Artikel über die oder vielmehr contra die Clique der „Freien". Ich vermutete nicht, dass sie so weit gehen und ihre Hohlheit ernstlich für eine Macht halten würden d. h. ich nahm die Sache, wie sie sich mir darstellte, als Renommage: denn für den Ernst waren weder die Personen, noch ihre Redensarten zu brauchen. Ich wunderte mich daher nicht wenig über Ihre Mitteilung von Meyens förmlichen Drohungen. Sodann überraschte mich der Donnerschlag, den die paar Worte aus Berlin + vom 29. grad auf den Kopf des Nagels führen. Ich dachte die Geschichte würde sich der Publizität entziehen und erklärte mich nur im Prinzip gegen dieses ganze blasierte und eitle Genre bei Gelegenheit der Vorrede zu 1843, die ich vor einigen Tagen niederschrieb. Nun ist also der Würfel gefallen.

Ihr Brief und Ihre Maßregeln haben meine vollkommene Beistimmung, und es freut mich, dass die „Freien" oder vielmehr diese Frivolitätsnarren auch an Ihnen, ohne dass ich Ihnen ein Wort geschrieben, den Charakter der entschiedenen Negation ihrer eignen Charakterlosigkeit gefunden haben.

Im Einzelnen ist viel Betrübendes bei der Geschichte. Vielleicht, dass grade Sie hier nützlich einwirken können. Hören Sie also: Meyens Frage nach meinem Zwist mit Bauer verstehe ich nicht, da ich nichts andres unternommen habe, als Bauer gewarnt vor der Gesellschaft der Freien und vor dem Tone (sie prügeln und schimpfen sich, wenn der Wein wirkt u.s.w.), der bei Walburg herrscht, womit er, Bauer, sich und seine Sache kompromittieren werde. Dies ist von meiner Seite nur die Voraussetzung der Bauerschen Sache und wenn Sie wollen ein freundschaftliches Zureden, das mir wohl in einer so augenscheinlichen Gefahr erlaubt sein sollte. Bauer sträubte sich dagegen und machte aus der ganzen Hal||tung der Freien eine Sache, die er bis ins Tz. verteidigte und erklärte, er wolle die Freien also Meyen, Buhl, Köppen, Stirner u.s.w., nicht verlassen. Ich konnte nun natürlich weiter nichts sagen, als ich würde nun namentlich Köppen selbst gegen Bauers Tyrannei „aufzuwiegeln" suchen und könnte nichts wünschenswerter finden, als dass die Gesellschaft gesprengt werde, einzeln würde dann jeder viel traitabler sein und immer noch gelten was er wert sei. Sie sehen, dass dies noch kein Prinzipienstreit war und dass ich die Verteidigung der Walburgschen Exzesse für Ernst zu nehmen keine Lust hatte. Das war mir freillich wieder unerwartet, dass Köppen, den Bauer mit der Faust auf den Kopf geschlagen hatte, nun auch seinerseits, als ich scherzweise in E. Bauers Gegenwart diese Methode angriff, das ganze Verfahren verteidigte.

Ich verkenne nun nicht, dass diese Gewaltsamkeit der Verteidigung fast eben so betrübend ist, als das ganze tobende, mit Atheismus, Kommunismus, Ausschweifung, Köpfen und Guillotinieren um sich werfende gesellige und schriftstellerische Unwesen; allein ich glaube, dass Bauer ein zu ernster Mensch ist, um seine Paradoxien länger zu behaupten, als es etwa jener Kitzel des Disputs und der Ärger meines – „Moralisierens" und meiner „reaktionären Halbheit" erforderte. Ich wünsche diesen geradezu abgeschmackten Disput, den ich auf 1000 Meilen nicht vermutete, nicht öffentlich und ernstlich zu führen. Ich habe 2 mal an Bauer geschrieben und die Erwähnung der Freien das erste Mal ganz vermieden, das zweite Mal ihm nur auf seine Grüße durch Wigand geantwortet, und namentlich den Vorwurf abgelehnt, dass ich Sie und die Zeitung förmlich vor den Freien gewarnt hätte. (Ein Brief des Inhalts war bei Stehely vorgelesen worden) Ich hätte dies auch schon darum für || überflüssig gehalten, weil Ihnen und Jung ja die Freien persönlich und besser, als mir selbst bekannt seien.

Bauer hat mir allerdings noch nicht geantwortet; aber ich würde glauben, er sei toll geworden, wenn er in diesen Vorfällen und Wirren eine prinzipielle Überschreitung der Jahrbücher und der Zeitung erblickte. Ich halte es ganz für unmöglich, dass Bauer sich an solche Eitelkeiten und Subjectivitäten verlieren sollte. Er muss es einsehen, dass er sich mit den Freien gründlich verhauen hat, und dass es für ihn jetzt keine andre Stellung gibt, als die des unbefangenen und namentlich sittlich und sozial unantastbaren Gelehrten. Die Albernheiten einer studentikosen Flachheit muss er sich vom Leibe halten und auch an ihnen keinen Geschmack finden. Dazu sind ja die Dinge zu ernst, in die er und wir alle durch die geistigen Widersprüche verwickelt sind.

Sehn Sie so steht die Sache. Ich glaube, dass Bauer, trotz Meyens Frage, mit mir zu brechen durchaus nicht berechtigt ist und es auch nicht tun wird, da ich vollkommen im Recht war, die Sauerei der Freien eine Sauerei zu nennen und noch mehr, ihm davon in seinem eignen Interesse abzuraten.

Bei alledem ist die Sache eine gründliche Kalamität – ganz objektiv genommen, dass sie nur möglich ist, und die Philosophie kann solches Unwesen nicht auf ihre Kappe nehmen.

Trinken, Schreien, ja, ich sage es, selbst Prügeleien könnte man Leuten hingehen lassen, die das Alles trieben abgesehen von einem ernsten Inhalt und ohne ihn zu besudeln. Ich werde Bauers Wesen nie in einem solchen Exzess suchen: aber diese Exzesse mit den Dogmen und Stichwörtern der Philosophie und Freiheit auszufüllen oder vielmehr die Freiheit zu einer Dogmatik dieses Treibens zu machen – nun, das geht nicht und wer darauf besteht, es zu tun, ruiniert sich.

Ihre Briefe an Meyen werden eine starke Wirkung hervorbringen. Die Hauptsache wäre aber Bauer selbst von dem Plane abzubringen, || die Freien und ihre hohle Renommage zu beschützen und als etwas Vernünftiges hinzustellen.

Die törichten Reden gegen Herwegh begannen schon vor seiner Verlobung. Damals war er nur ein dummer Schwabe und ich, der ich freilich am meisten pecciert hatte, ein Philister. Die Geniesucht und Selbstverkennung ist wirklich lächerlich groß. Jacoby, die Königsberger, die Rheinische Zeitung – also Charaktere und wesentliche Erweiterungen des politischen Bewusstseins – galten ihnen nicht mehr, als ihre Dogmen und Extremitäten, die sie gar nicht einmal erfunden haben, auch gegen keinen ernstlichen Angriff behaupten können.

Aber noch einmal: ich hoffe, dass Sie Bauer aus dieser Atmosphäre retten, – vielleicht schon durch Ihre Briefe an Meyen, die der natürlich mitteilt und wenn sie noch so stark wären – besser aber noch, wenn Sie sich bei ihm selbst über das Unwesen der Freien ernstlich beschwerten. Bauer darf nicht publice in diese Suppe mit verwickelt werden, und er traut sich viel zu viel zu, wenn er meint, dass er das vertragen könnte. Ohne sittlichen Ernst ist in Deutschland auch die beste Sache verloren, und die soziale und Staatsauflösung (im Begriff, so dass die Menschheit ohne Staat existierte) von der er sprach, kann nimmermehr sein Ernst sein, ist aber als Renommage gegen mich sehr zwecklos, besonders in der Form, „man könne nur negieren und die positive Sache nicht wissen". – Kurz Sie sind nun au fait. Ich mag es mir nicht gestehen, dass Bauer uns den Streich spielen und sich mit den Freien isolieren könnte und ich wünschte um seinetwillen – um der guten Sache willen diesen Tollhausstreich zu vermeiden. – Tun Sie dazu was Sie können. Ist er aber nicht zu vermeiden und zerren die Freien sich und ihr abgeschmacktes Prinzip ins Publikum – so bin ich der erste der alles daran setzt, sie gründlich totzuschlagen und die Sache der Freiheit von dieser wüsten Willkür, die es dahin gebracht hat, dass der herrscht, der am lautesten schreit, am stärksten drein schlägt, zu befreien. Die Freien haben nur Ein Mittel: sich selbst aufzugeben und ganze Menschen zu werden, um noch geistig zu gelten.

Eine Kleinigkeit für die Zeitung leg' ich bei. Ich will weiter tun, was ich kann.

Leider ist Franck so träge und langsam, der könnte Ihnen sonst sehr nützlich werden. An andre will ich sogleich schreiben; auch nach Berlin an meinen Bruder und einige andere, namentlich an Hermann Müller, der Ihnen wenigstens Korrespondenzen verschaffen könnte und einige neue Anknüpfungen.

Vielleicht schriebe Vischer und Strauß Ihnen über Ästhetica. Durch Vischer wäre dies zu besorgen. Ich will ihm nächstens, noch heute, schreiben. Reinhold Köstlin kann über die Württemberger und bairische Politik schreiben. Er ist in Tübingen. Den müssten Sie selbst auffordern. Wenn Sie Merz wollen, der freilich etwas stark entre deux ist, so wohnt er jetzt in Stuttgart und hat Talent und Muße. Gefällt es Ihnen nicht, so können Sie's ja remittieren. Ich will ihn also auffordern.

Grüßen Sie Jung herzlich von mir und zuletzt will ich es noch aussprechen, wie sehr es mich freut, dass Sie Sich an diesem braven, tapferen und ganz objektiven Menschen dem liebenswürdigen Herwegh nicht haben irre machen lassen. Es ist nur nötig Kläger und Beklagten nebeneinander zu sehen, um entschieden zu sein. Von ganzem Herzen

Ihr

A. Ruge.

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