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Karl Marx 18421115 Zum Ehescheidungsgesetzentwurf. Kritik der Kritik

Karl Marx: [Zum Ehescheidungsgesetzentwurf. Kritik der Kritik1]

[„Rheinische Zeitung", Nr. 319 vom 15. November 1842. Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 389-391]

*) Vorstehende Kritik des Ehescheidungsgesetzentwurfes ist vom Standpunkte der rheinischen Jurisprudenz aus entworfen, wie die früher mitgeteilte Kritik (siehe das Beiblatt zu Nr. 310 der „Rhein. Ztg.") sich auf den Standpunkt der altpreußischen Jurisprudenz und ihre Praxis gestellt hatte. Es bleibt eine dritte Kritik, die Kritik des vorzugsweise allgemeinen, des rechtsphilosophischen Standpunktes, vorbehalten. Es wird nicht mehr genügen, die einzelnen Scheidungsgründe pro und contra zu prüfen. Es wird nötig sein, den Begriff der Ehe und die Konsequenzen dieses Begriffes zu entwickeln. Beide Aufsätze, die wir bisher mitgeteilt, verwerfen gleichmäßig die Einmischung der Religion in das Recht, ohne jedoch zu entwickeln, inwiefern das Wesen der Ehe an und für sich selbst religiös sei oder nicht, ohne also entwickeln zu können, wie der konsequente Gesetzgeber, der sich nach dem Wesen der Dinge richtet und es keineswegs bei der bloßen Abstraktion von einer Bestimmung dieses Wesens genügen lassen kann, notwendig verfahren muss. Wenn der Gesetzgeber nicht die menschliche Sittlichkeit, sondern die geistliche Heiligkeit als das Wesen der Ehe betrachtet, also an die Stelle der Selbstbestimmung die Bestimmung von oben, an die Stelle der inneren natürlichen Weihe eine übernatürliche Sanktion, an die Stelle einer loyalen Unterwerfung in die Natur des Verhältnisses vielmehr einen passiven Gehorsam gegen Gebote setzt, die über der Natur dieses Verhältnisses stehen, kann man diesen religiösen Gesetzgeber nun tadeln, wenn er auch der Kirche, welche dazu berufen ist, die Forderungen und Ansprüche der Religion zu realisieren, die Ehe unterwirft und die weltliche Ehe unter die Oberaufsicht der geistlichen Behörde stellt? Ist das nicht einfache und notwendige Konsequenz? Man täuscht sich, wenn man den religiösen Gesetzgeber dadurch zu widerlegen glaubt, dass man dieser oder jener seiner Bestimmungen ihren Widerspruch mit dem weltlichen Wesen der Ehe nachweist. Der religiöse Gesetzgeber polemisiert nicht gegen die Auflösung der weltlichen Ehe, er polemisiert vielmehr gegen das weltliche Wesen der Ehe und sucht sie von dieser Weltlichkeit teils zu reinigen, teils, wo dieses unmöglich ist, dieser Weltlichkeit als einer bloß geduldeten Seite, jeden Augenblick ihre Schranken zu Gemüte zu führen und den sündigen Trotz ihrer Konsequenzen zu brechen. Ganz unzureichend ist aber der Standpunkt der rheinischen Jurisprudenz, der auf scharfsinnige Weise in der oben mitgeteilten Kritik durchgeführt ist. Es ist unzureichend, die Ehe in zwei Wesen zu verteilen, in ein geistliches und in ein weltliches Wesen, so dass das eine nur der Kirche und dem Gewissen der einzelnen Individuen, das andere dem Staat und dem Rechtsbewusstsein der Staatsbürger anzuweisen sei. Man hebt dadurch nicht den Widerspruch auf, dass man ihn zu zwei verschiedenen Sphären verteilt, man schafft vielmehr einen Widerspruch und eine ungelöste Kollision zwischen diesen Lebenssphären selbst, und kann man den Gesetzgeber zum Dualismus, kann man ihn zu einer doppelten Weltanschauung verpflichten? Muss nicht der gewissenhafte Gesetzgeber, der auf religiösem Standpunkt steht, in der wirklichen Welt und in weltlichen Formen zur einzigen Macht erheben, was er in der geistlichen Welt und in religiösen Formen als die Wahrheit selbst weiß, als die einzige Macht anbetet? Erscheint an diesem Punkte der Grundmangel der rheinischen Jurisprudenz, ihre zwiespältige Weltanschauung, welche durch eine Trennung des Gewissens und des Rechtsbewusstseins auf oberflächliche Art die schwierigsten Kollisionen nicht löst, sondern entzwei haut, welche die Welt des Rechts von der Welt des Geistes, daher das Recht vom Geist, daher die Jurisprudenz von der Philosophie scheidet, so hat sich in der Opposition gegen das vorliegende Gesetz noch mehr die gänzliche Haltungslosigkeit der altpreußischen Jurisprudenz auf die unzweideutigste Weise manifestiert. Wenn es wahr ist, dass keine Gesetzgebung die Sittlichkeit verordnen, so ist es noch wahrer, dass keine Gesetzgebung sie als zu Recht gültig anerkennen kann. Das preußische Landerecht basiert auf einer Verstandesabstraktion, die, in sich selbst inhaltslos, den natürlichen, rechtlichen, sittlichen Inhalt als äußerliche, in sich selbst gesetzlose Materie aufnahm und nun diese geist- und gesetzlose Materie nach einem äußern Zweck zu modeln, einzurichten und anzuordnen versuchte. Es behandelt die gegenständliche Welt nicht nach deren eingeborenen Gesetzen, sondern nach willkürlichen, subjektiven Einfällen und nach einer außer der Sache selbst stehenden Absicht. Die altpreußischen Juristen haben nur wenig Einsicht in diese Natur des Landerechtes gezeigt. Sie haben nicht sein Wesen, sondern einzelne Äußerlichkeiten seiner Existenz kritisiert. Sie haben daher auch nicht die Art und Weise des neuen Ehescheidungsgesetzentwurfes, sondern seine reformatorische Tendenz angefeindet. Sie haben in schlechten Sitten einen Beleg für schlechte Gesetze finden zu dürfen vermeint. Wir verlangen von der Kritik vor allem, dass sie sich kritisch zu sich selbst verhalte und die Schwierigkeit ihres Gegenstandes nicht übersehe.

Die Red. der „Rhein. Ztg."

1 Die preußische Regierung ließ 1842 zur Erschwerung der Ehescheidung die bestehende Ehegesetzgebung überprüfen und unter der Leitung von Friedrich Carl von Savigny einen Ehescheidungsgesetzentwurf ausarbeiten. Der Entwurf sowie seine Erörterung im Ministerium wurden streng geheimgehalten. Dessen ungeachtet veröffentlichte die „Rheinische Zeitung" vom 20. Oktober 1842 im Beiblatt den Gesetzentwurf und löste damit eine breite öffentliche Diskussion in der „Rheinischen Zeitung" (siehe die Beiblätter der „Rheinischen Zeitung" vom 6., 13. und 15. November sowie vom 19. Dezember 1842), der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" und in anderen Presseorganen aus. Marx kritisierte diesen Gesetzentwurf in dem am 19. Dezember erschienenen Artikel „Der Ehescheidungsgesetzentwurf" sowie in der hier gebrachten redaktionellen Note zu dem in der „Rheinischen Zeitung" vom 15. November veröffentlichten zweiten Artikel eines rheinischen Juristen „Der Entwurf zum neuen Ehegesetz".

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