III. 1. Grundzüge der Fronwirtschaft

1. Grundzüge der Fronwirtschaft

Ausgangspunkt einer Untersuchung der heutigen Gutswirtschaft muss jenes Wirtschaftssystem sein, das in der Epoche der Leibeigenschaft herrschte. Der Kern der damaligen Wirtschaftsweise bestand darin, dass der gesamte Boden einer landwirtschaftlichen Einheit, d. h. des Erbgutes (Wotschina), in Herren- und Bauernland zerfiel; das Bauernland wurde den Bauern als Anteilland überlassen; sie erhielten außerdem noch andere Produktionsmittel (Wald, mitunter Vieh usw.) und erwarben durch ihre Arbeit und unter Benutzung ihres Inventars auf diesem Anteillande ihren Lebensunterhalt. Diese bäuerliche Arbeit lieferte, nach der Terminologie der politischen Ökonomie, das notwendige Produkt; notwendig für den Bauern, weil es ihm die Subsistenzmittel bot, für den Gutsherrn, weil es ihm die Arbeitshände lieferte; genau so, wie das den variablen Teil des Kapitals ersetzende Produkt das notwendige Produkt in der kapitalistischen Gesellschaft darstellt. Die Mehrarbeit der Bauern bestand in der Bearbeitung des Gutslandes mit demselben Inventar; das Produkt dieser Arbeit gehörte dem Gutsbesitzer. Die Mehrarbeit war hier demnach räumlich von der notwendigen getrennt: für den Gutsbesitzer bearbeitete der Bauer das Herrenland, für sich selbst das Anteilland; für den Gutsbesitzer arbeitete er den einen Teil der Woche, für sich selbst den andern. Der „Anteil" des Bauern diente so bei diesem Wirtschaftssystem gewissermaßen als Naturalarbeitslohn (wenn man sich sinngemäß der modernen Begriffe bedient) oder als ein Mittel, um den Gutsbesitzer mit Arbeitshänden zu versehen. Die „eigene" Wirtschaft der Bauern auf ihrem Anteillande war Voraussetzung der Gutswirtschaft, hatte ihren Zweck nicht in der „Versorgung" des Bauern – mit Lebensmitteln, sondern des Gutsbesitzers – mit Arbeitshänden.*

Dieses Wirtschaftssystem nennen wir Fronwirtschaft. Es ist augenscheinlich, dass ihre Vorherrschaft an folgende unentbehrliche Vorbedingungen geknüpft war: erstens, Herrschaft der Naturalwirtschaft. Das feudale Gut musste ein sich selbst genügendes, in sich abgeschlossenes, mit der übrigen Umwelt nur sehr lose verbundenes Ganzes bilden. Die Getreideproduktion der Gutsbesitzer für den Markt, die sich besonders in der letzten Zeit der Leibeigenschaft entwickelte, war bereits ein Vorbote des Verfalls der alten Ordnung. Zweitens war für diese Wirtschaft erforderlich, dass der unmittelbare Produzent mit Produktionsmitteln überhaupt und besonders mit Boden versorgt war; außerdem aber, dass er an die Scholle gefesselt war, da nur so dem Gutsbesitzer Arbeitshände gesichert waren. Demzufolge sind die Methoden, wie das Mehrprodukt gewonnen wird, in der Fronwirtschaft und in der kapitalistischen Wirtschaft einander diametral entgegengesetzt: die erste Methode gründet sich auf die Versorgung des Produzenten mit Boden, die zweite auf die Freisetzung des Produzenten vom Boden.** Die dritte Voraussetzung dieses Wirtschaftssystems ist die persönliche Abhängigkeit des Bauern vom Gutsbesitzer. Ohne diese unmittelbare Gewalt über die Person des Bauern könnte der Gutsherr den mit Land versehenen und eine eigene Wirtschaft führenden Bauer nicht zur Arbeit für sich zwingen. Unentbehrlich wird daher „außerökonomischer Zwang", wie sich Marx bei der Charakterisierung dieser Ordnung ausdrückt (die er, wie schon oben erwähnt, in die Kategorie der Arbeitsrente einreiht. „Das Kapital", Bd. III, 2, S. 324). Formen und Grade dieses Zwanges können außerordentlich mannigfaltig sein, angefangen mit der Leibeigenschaft bis zur ständischen Rechtsbeschränktheit der Bauern. Die vierte Bedingung und Folge des beschriebenen Wirtschaftssystems war endlich der äußerst niedrige und erstarrte Stand der Technik, da die Wirtschaftsführung in der Hand von Kleinbauern lag, die von der Not erdrückt, durch persönliche Abhängigkeit erniedrigt und in geistigem Dunkel gehalten wurden.

* Besonders treffend charakterisiert diese Wirtschaftsstruktur A. Engelhardt in seinen „Briefen aus dem Dorfe", St. Petersburg 1882, S. 554. Er weist völlig richtig nach, dass die Leibeigenenwirtschaft ein gewisses geregeltes und abgeschlossenes System darstellte, dessen Disponent der Gutsbesitzer war, der die Bauern mit Land ausstattete und ihnen diese oder jene Arbeiten zuwies.

** In seiner Erwiderung auf die Behauptung Henry Georges, dass die Expropriation der Bevölkerungsmassen die mächtigste und universelle Ursache der Armut und Bedrückung ist, schrieb Engels 1887: „Historisch betrachtet ist dies nicht ganz zutreffend Im Mittelalter war nicht die Freisetzung (expropriation) des Volkes vom Boden, sondern im Gegenteil seine Bindung (appropration) an den Boden, die Quelle der feudalen Ausbeutung. Der Bauer behielt sein Land, war aber an dasselbe als Leibeigener gefesselt und dem Grundbesitzer in Geld oder in Produkten tributpflichtig" („The condition of the working class in England in 1844". New York 1887. Preface, p. III).

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