III. 6. Engelhardts Wirtschaft

6. Engelhardts Wirtschaft

Eine völlige Sonderstellung unter den Narodniki nimmt Engelhardt ein. Seine Bewertung der Abarbeit und des Kapitalismus kritisieren, hieße die Darlegungen des vorigen Paragraphen wiederholen. Bedeutend zweckmäßiger erscheint es uns, den Narodniki-Ansichten Engelhardts die Geschichte seiner eigenen Wirtschaft entgegenzuhalten. Einer solchen Kritik wird auch deshalb positives Interesse zukommen, weil die Entwicklung dieses Wirtschaftsbetriebes gewissermaßen ein Miniaturbild der Entwicklung gibt, die die private Gutswirtschaft Russlands seit der Reform durchläuft.

Engelhardt begann seine Wirtschaft auf einem Gut mit traditioneller Abarbeit und Schuldknechtschaft, die eine „geregelte Wirtschaftsführung" ausschließen („Briefe aus dem Dorfe", S. 559). Die Abarbeit hatte zur Folge Tiefstand der Viehzucht, schlechte Bodenbearbeitung, starre, veraltete Systeme der Felderwirtschaft (S. 118). „Ich erkannte die Unmöglichkeit, nach altem Muster zu wirtschaften" (S. 118). Die Konkurrenz der Getreidesteppe senkte die Preise und machte die Wirtschaft unrentabel (S. 83)A Wir bemerken, dass in der Wirtschaft neben dem System der Abarbeit von Anfang an auch das kapitalistische System eine gewisse Rolle spielte: Lohnarbeiter waren, wenn auch in sehr geringer Anzahl, bereits in der alten Wirtschaft vorhanden (Viehknecht u. a.), doch bezeugt Engelhardt, dass der Lohn seiner Landarbeiter (aus den Reihen der Bauern mit Landanteil) „fabelhaft niedrig" (S. 11) war, niedrig auch deshalb, weil bei dem schlechten Stande der Viehhaltung „mehr zu geben unmöglich war". Die niedrige Arbeitsproduktivität schloss die Möglichkeit einer Lohnerhöhung aus. So sehen wir am Ausgangspunkt der Engelhardtschen Wirtschaft die uns bereits bekannten Merkmale aller russischen Wirtschaften: Abarbeit, Schuldknechtschaft, äußerst niedrige Arbeitsproduktivität, „fabelhaft niedrige" Arbeitslöhne, Rückständigkeit des Ackerbaues.

Worin bestehen nun die Änderungen Engelhardts? Er geht zum Flachsbau über, zum Anbau eines Handelsgewächses also, das zahlreiche Arbeitskräfte erfordert. Verstärkt wird demnach der marktmäßige, kapitalistische Charakter der Landwirtschaft. Wie aber Arbeitskräfte heranschaffen? Engelhardt versuchte zuerst, auf die neue (marktmäßige) Landwirtschaft das alte System anzuwenden: die Abarbeit. Der Erfolg blieb aus, es wurde schlecht gearbeitet, die „Abarbeit für die Desjatine" überstieg die Kräfte der Bauern, die sich mit allen Kräften der Schuld- und „Pauschalarbeit" widersetzten.

Das System musste geändert werden. Inzwischen entwickelte ich meine eigene Wirtschaft, beschaffte eigene Pferde, Geschirre, Wagen, Hakenpflüge, Eggen und konnte so bereits zur Wirtschaftsführung mit Knechten übergehen. Ich betrieb nun den Flachsbau teils mit eigenen Knechten, teils mit Akkordarbeitern, die bestimmte Arbeiten zu verrichten hatten" (S. 218).

Der Übergang zum neuen Wirtschaftssystem und zur landwirtschaftlichen Marktproduktion forderte demnach die Ersetzung der Abarbeit durch das kapitalistische System. Um die Arbeitsproduktivität zu steigern, bediente sich Engelhardt der Stückarbeit, des erprobten Mittels der kapitalistischen Produktion.

Frauenarbeit wurde nach Gewicht oder Zahl der Kopna (52–60 Garben) bezahlt. Engelhardt berichtet (nicht ohne naives Frohlocken) über den Erfolg dieses Systems: die Arbeitskosten stiegen von 25 auf 35 Rubel für die Desjatine, dafür erhöhte sich aber auch der Ertrag um 10–20 Rubel, es stieg die Produktivität der Arbeiterinnen nach Ersatz der Abarbeit durch die freie Lohnarbeit (von 20 Pfund täglich auf 1 Pud), es stieg der Tagesverdienst der Arbeiterinnen auf 30–50 Kopeken („was in unserer Gegend noch nie dagewesen ist"). Der Schnittwarenhändler des Ortes pries Engelhardt von Herzen: „Sie ließen durch Ihren Flachsbau dem Handel die größte Förderung angedeihen" (S. 219).

Die zunächst beim Anbau des Handelsgewächses angewendete freie Lohnarbeit wurde allmählich auch auf die übrigen Landarbeiten übertragen. Eine der ersten dieser Arbeiten, aus welchen das Kapital das System der Abarbeit verdrängte, war das Dreschen, das bekanntlich auch auf den übrigen privaten Gütern meist von kapitalistischen Lohnarbeitern verrichtet wird. „Einen Teil des Bodens – schreibt Engelhardt – verpachte ich den Bauern gegen Bearbeitung der sogenannten Nester1, da ich sonst schwerlich mit der Roggenernte zurechtkommen könnte" (S. 211). Die Abarbeit bildet also hier den direkten Übergang zum Kapitalismus und sichert dem Besitzer die Arbeit der Tagelöhner während der kritischen Erntezeit. In der ersten Zeit wurde die Bearbeitung des „Nestes" einschließlich Drescharbeit geleistet, aber auch hier erzwang die schlechte Ausführung der Arbeit den Übergang zur freien Lohnarbeit. Die Drescharbeit wurde von der Bearbeitung des „Nestes" getrennt und teils Knechten, teils einem Vorarbeiter mit einer Gruppe von Lohnarbeitern (Artel) gegen Stücklohn übertragen. Das Ergebnis der Ersetzung der Abarbeit durch das kapitalistische System war auch hier: 1. Steigerung der Arbeitsproduktivität: früher droschen 16 Personen 900 Garben aus, jetzt 8 Personen 1100 Garben; 2. Erhöhung des Ausdrusches; 3. Verkürzung der Dreschzeit; 4. Steigerung des Arbeitsverdienstes; 5. Steigerung des Profits des Besitzers (S. 212).

Weiter ergreift das kapitalistische System auch die Bestellung des Ackers. Die alten Hakenpflüge werden durch moderne Pflüge ersetzt, die Arbeit geht von dem arbeitspflichtigen Bauer auf den Knecht über. Engelhardt berichtet triumphierend von dem Erfolg der Neuregelung, der größeren Sorgfalt der Arbeiter; es zeige sich, dass die üblichen Klagen über Trägheit und Unzuverlässigkeit des Arbeiters das Resultat der Leibeigenschaft und der Zwangsarbeit den „Herrn" seien, dass aber die neue Wirtschaftsorganisation vom Gutsherrn Unternehmungsgeist, Menschenkenntnis und Verständnis für den Umgang mit den Arbeitern, Kenntnis der Arbeit und ihres Umfanges, Bekanntschaft mit der technischen und kommerziellen Seite der Landwirtschaft verlange – d. h. Eigenschaften, die sich bei den Oblomows der Leibeigenen- oder Hörigendörfer nicht fanden und auch nicht finden konnten. Die verschiedenen agrikulturellen Veränderungen stehen in engster Beziehung zu einander und bedingen zwangsläufig eine Umbildung der ökonomischen Verhältnisse.

Die Einführung des Flachs- und Kleebaues z. B. fordert eine ganze Reihe gleichzeitiger Veränderungen, ohne die der Erfolg der Unternehmung ausbleiben müsste. Man muss andere Ackergeräte, moderne Pflüge statt der Hakenpflüge, eiserne statt der hölzernen Eggen verwenden, und dies erfordert seinerseits wieder andere Pferde, andere Arbeiter, ein anderes System der Arbeiterbeschaffung usw." (S. 154 u. 155).2

Wir sehen so, dass die neue agrikulturelle Technik und die Verdrängung der Abarbeit durch den Kapitalismus in untrennbarem Zusammenhange stehen. Besonders interessant ist die Allmählichkeit dieser Verdrängung: das Wirtschaftssystem vereinigt nach wie vor Abarbeit und Kapitalismus, aber der Schwerpunkt wird ganz allmählich von der ersten auf die zweite Art verlegt. Die reorganisierte Wirtschaft schildert Engelhardt folgendermaßen:

Da ich das ganze Wirtschaftssystem von Grund auf änderte, habe ich heute viel zu tun. Ein erheblicher Teil der Arbeiten wird von Knechten und Tagelöhnern ausgeführt. Es gibt bei mir die verschiedensten Arbeiten: Brandrodungen für Weizenanbau, Ausrodung von Birkengestrüpp für Flachsbau, Kleesaat auf den gepachteten Dnjepr-Wiesen, ich habe eine Unmenge Roggen und viel Flachs. Ich brauche unzählige Arbeitskräfte. Diese Arbeiter muss man sich rechtzeitig sichern, weil in der Arbeitssaison selbst alle arbeitsfähigen Personen entweder in eigener oder fremder Wirtschaft beschäftigt sein werden. Diese Art der Arbeiterwerbung verlangt die Hergabe von Geld- und Getreidevorschüssen gegen spätere Arbeitsleistung" (S. 116 u. 117).

Abarbeit und Schuldarbeit blieben demnach auch in der „regelrecht“ betriebenen Wirtschaft bestehen, aber sie nahmen erstens gegenüber der freien Lohnarbeit einen untergeordneten Platz ein, und zweitens veränderte die Abarbeit selbst ihren Charakter; bestehen blieb vorwiegend die Abarbeit der zweiten Art, die nicht selbständige Bauernwirte, sondern landwirtschaftliche Knechte und Tagelöhner voraussetzt.

So widerlegt die eigene Wirtschaft Engelhardts besser als alle Erörterungen die Narodniki-Theorie Engelhardts. Die erstrebte Rationalisierung der Wirtschaft konnte er unter den bestehenden ökonomischen Verhältnissen nicht anders verwirklichen als durch die Heranziehung von Knechten. Die Verbesserung der Agrikultur und die Verdrängung der Abarbeit durch den Kapitalismus ging in dieser Wirtschaft Hand in Hand, und ebenso verhält es sich in allen übrigen Gutswirtschaften Russlands. Mit größter Eindringlichkeit zeigt sich dies in der Anwendung von Maschinen in der russischen Landwirtschaft.

A Die Tatsache, dass die Konkurrenz billigen Getreides einen Antrieb für aar Umwandlung der Technik und folglich auch für die Ersetzung der Abarbeit durch freie Lohnarbeit bildet, verdient besondere Beachtung. Die Konkurrenz des Steppengetreides zeigte sich auch in den Jahren hoher Getreidepreise; die Periode niedriger Preise ruft diese Konkurrenz nur in besonderer Starke hervor.

1 Je eine Desjatine Sommergetreide und Wintergetreide. Die Red.

2 Von Lenin gesperrt.

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