Lenin‎ > ‎1903‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19030828 Das Zeitalter der Reformen

Wladimir I. Lenin: Das Zeitalter der Reformen

[Iskra" Nr. 46 15. August 1903. Nach Sämtliche Werke, Band 5, 1930, S. 489-497]

Ja, wir leben zweifellos in einem Zeitalter der Reformen, wie sonderbar das in Anwendung auf das heutige Russland auch klingen mag. Ein Stillstand auf allen Gebieten der Innenpolitik, soweit sie nicht von dem Kampf gegen den inneren Feind berührt sind und trotzdem – oder richtiger: gerade darum – ständige und unaufhörliche Reformversuche auf dem Gebiete der brennendsten, aktuellsten sozialpolitischen Fragen. Das Proletariat, das zum klassenbewussten Leben erwacht, ist schon vor ziemlich langer Zeit als wirklicher, als wichtigster, als einziger unversöhnlicher Feind unseres Polizeiselbstherrschertums aufgetreten. Ein solcher Feind aber, wie die fortgeschrittene Gesellschaftsklasse, kann mit Gewalt allein, und sei es auch die schonungsloseste, bestorganisierte, vollkommenste Gewalt, nicht bekämpft werden. Ein solcher Feind zwingt zur Beachtung und zu Zugeständnissen, die, wenn sie auch immer unaufrichtig, immer nur halb, oft ganz verlogen und trügerisch sind, und gewöhnlich mehr oder minder gut verhüllt als Falle dienen, dennoch Zugeständnisse, Reformen sind, die der ganzen Zeit das Gepräge geben. Natürlich sind das nicht Reformen, die eine Zeit des Niedergangs der politischen Entwicklung kennzeichnen, wenn die Krise überstanden, der Sturm vorüber ist und diejenigen, die die Herren der Lage geblieben sind, zur Verwirklichung ihres Programms, oder (was es auch gibt) zur Verwirklichung des von ihren Gegnern übernommenen Programms schreiten. – Nein, das sind Reformen einer Zeit des Aufstiegs, wo immer breitere Massen zum Kampf herangezogen werden, wo die Krise erst naht, und jeder Kampf, bei dem Hunderte auf dem Schlachtfelde bleiben, Tausende neue Kämpfer erstehen lässt, die noch erbitterter, mutiger und besser geschult sind.

Solche Reformen sind immer die Anzeichen, die Vorboten der Revolution. Zu ihnen gehören zweifellos auch die letzten, zum Teil durchgeführten, zum Teil erst beabsichtigten Maßnahmen der Zarenregierung: der Gesetzentwurf über die Arbeitervereinigungen zu gegenseitiger Hilfe (ein Entwurf, der von der Regierung nicht veröffentlicht und nur durch die Mitteilungen der liberal-bürgerlichen Zeitschrift „Oswoboschdenije" bekannt geworden ist)1, die Gesetze über die Entschädigung der Arbeiter, die Unfälle erlitten haben, und über die Fabrikältesten. Auf dieses letztgenannte Gesetz wollen wir jetzt näher eingehen.

Das Wesen des neuen Gesetzes besteht darin, dass die Arbeiter unter gewissen Bedingungen das Recht auf eine Vertretung in ihrem Verkehr mit den Unternehmern, das Recht auf gewisse Anfänge einer Organisation erhalten können. Diese Rechte sind verbunden mit einer unglaublichen Menge von polizeilichen Genehmigungen, Bewilligungen, Einschränkungen und Beschränkungen. In der Tat. Vor allem muss man in Betracht ziehen, dass nach dem neuen Gesetz das Recht der Arbeiter auf eine Vertretung von der Zustimmung, ja der Anregung der Fabrikleitungen und der Erlaubnis der Fabrik- und Bergbauämter abhängig ist. Die Fabrikbesitzer können den Arbeitern das Recht auf eine Vertretung geben, doch sind sie vom Gesetz keineswegs dazu verpflichtet, wobei das Fabrikamt die Vertretung verbieten kann, auch wenn der Fabrikant sie befürwortet, es kann sie aus beliebigen Gründen oder auch ohne jeden Grund verbieten. Auf diese Weise wird die Vertretung der Arbeiter von vornherein vollkommen und bedingungslos, unwiderruflich dem Gutdünken der Unternehmer und der Polizei ausgeliefert. Wenn Unternehmer und Polizei es für zweckmäßig und wünschenswert halten, so können sie eine Arbeitervertretung (auf sehr beschränkter Grundlage) schaffen – das ist das Wesen der Reform. Dabei erwähnt das Gesetz mit keinem Wort eine Vertretung in den staatlichen Betrieben: in den privaten Betrieben können die Arbeitervertreter neue Agenten oder Fabrikhausknechte in Händen der Polizei werden, in den staatlichen Betrieben sind Agenten und Hausknechte stets zur Genüge vorhanden! Auf diesem Gebiet fordert die Polizei keine Reform: also ist hier keine Reform notwendig.

Weiter. Der Vertretung der Arbeiter selber wird eine widerlich-entstellte Form gegeben. Die Arbeiter werden zersplittert, in Gruppen geteilt; die Regeln, die bestimmen, wie die Arbeiter in Gruppen zu teilen sind, müssen vom Gouverneur bestätigt werden, wie überhaupt alle Regeln, die die Organisierung der Arbeitervertretungen nach dem neuen Gesetz betreffen. Die Unternehmer und die Polizei können und werden selbstverständlich die Gruppen so bilden, dass die Solidarität und die Einigung der Arbeiter in jeder Weise erschwert wird, dass Streitigkeiten hervorgerufen und geschürt werden, und zwar nicht nur zwischen den einzelnen Berufen, den einzelnen Branchen, sondern auch zwischen den Arbeitern verschiedener Nationalität, verschiedenen Geschlechts, verschiedenen Alters, verschiedener Ausbildungsstufe, verschiedener Lohnhöhe usw. Die Arbeitervertretung kann den Arbeitern nur dann nützlich sein, wenn sie ihnen hilft, sich zu einer Masse zu vereinigen, denn die einzige Quelle der Kraft für die eingeschüchterten, geknechteten, von der Arbeit erdrückten Lohnsklaven unserer Zivilisation ist ihre Vereinigung, ihre Organisation, ihr Zusammenhalten. Der zaristische Absolutismus will den Arbeitern eine solche Vertretung und unter solchen Bedingungen geben, dass die Arbeiter in jeder Weise voneinander getrennt und dadurch geschwächt werden.

Die von der Polizei zusammengestellten Gruppen werden auf Grund genauer Polizeivorschriften Kandidaten für die Funktion der Ältesten wählen müssen, und zwar so viele Kandidaten, wie ihnen die Polizei zu wählen vorschreibt. Die Fabrikleitung wird dann nach ihrem Gutdünken einen der Kandidaten bestätigen, der Gouverneur aber hat immer das Recht, einen Ältesten seines Amtes zu entheben, der, wie es im Gesetz heißt, „seiner Bestimmung nicht genügt".

Nun, dieser ganze polizeiliche Mechanismus ist nicht allzu verwickelt! Die „Bestimmung" der Ältesten besteht augenscheinlich darin, der Polizei nützlich und gefällig zu sein. Das Gesetz sagt nichts darüber, denn von solchen Bedingungen spricht man nicht, man schafft sie. Sie schaffen ist mehr als einfach, da ja das Oberhaupt der örtlichen Polizei, der Gouverneur, das unkontrollierbare Recht erhält, unliebsame Älteste nach Belieben abzusetzen. Noch einmal: wäre es nicht richtiger, einen solchen Fabrikältesten Fabrikhausknecht zu nennen? Die Polizei kann die Wahl einer sehr großen Zahl von Kandidaten bestimmen, von denen nur einer bestätigt wird. Es wird z. B. befohlen, dass jede Gruppe von, sagen wir, 100 oder 50 Mann 10 oder 5 Kandidaten wählt. Wird man da nicht diese Liste von gewählten Kandidaten unter Umständen in eine Liste von Leuten verwandeln können, die einer besonderen Aufsicht zu unterstellen oder gar zu verhaften sind? Früher wurden solche Listen nur von Spitzeln zusammengestellt, jetzt werden sie vielleicht manchmal die Arbeiter selber zusammenstellen? Eine Gefahr aber, oder auch nur eine Unbequemlichkeit entsteht für die Polizei durch diese Kandidatenlisten nicht, denn man wird immer den schlechtesten Kandidaten bestätigen, oder auch niemand bestätigen, sondern eine neue Wahl anordnen.

In seinem Bestreben, die Fabrikältesten so zu wählen, dass sie der polizeilichen „Bestimmung" genügen, hat das neue Gesetz (wie die meisten russischen Gesetze) sogar zu viel Eifer an den Tag gelegt. Die Kandidaten müssen mindestens 25 Jahre alt sein. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah ein Mindestalter von 21 Jahren vor, die höheren Regierungskreise haben es für vorsichtiger und staatsmännisch klüger gehalten, dieses Mindestjahr noch um vier Jahre hinaufzusetzen, um den „unruhigsten Teil der Fabrikbevölkerung", „nach Angaben des Polizeidepartements die Leute, die im 17. bis 20. Lebensjahr stehen", von vornherein auszuschließen (aus der erläuternden Begründung des Finanzministeriums, mit Kürzungen im „Wjestnik Finansow", ungekürzt im „Oswoboschdenije" abgedruckt). Doch mehr als das. Die Fabrikleitung und die Polizei können in jedem einzelnen Fall, d. h. für jeden einzelnen Betrieb, erstens eine Erhöhung der Altersgrenze, zweitens eine Mindestdienstzeit des Arbeiters im Betrieb fordern. So ist es z. B. möglich, dass man ein Mindestalter von 40 Jahren und eine mindestens 15jährige Dienstzeit in dem Betrieb fordern wird, damit der betreffende Arbeiter das Recht erhält, zum Kandidaten für den Posten des Ältesten gewählt zu werden! An eins haben aber anscheinend die Verfasser des Gesetzes, die die Interessen der Polizei so eifersüchtig hüten, nicht gedacht: werden die Arbeiter unter solchen Bedingungen diesen Ältesten-„Posten" gerne bekleiden? Ist doch der Älteste fast ebenso der Willkür der Polizei ausgeliefert, wie irgendein Dorfaufseher. Kann doch der Älteste einfach in einen Boten verwandelt werden, der den Arbeitern die Anordnungen und Erläuterungen der Fabrikbehörde zu überbringen hat. Wird man doch zweifellos vom Ältesten einfache Spitzeldienste und Berichte über die Versammlungen der Arbeitergruppen verlangen, die von den Ältesten einberufen werden und über deren ordnungsmäßigen Verlauf die Ältesten zu wachen haben. Dagegen schweigt sich das Gesetz, in dem Regeln über die Befreiung der Ältesten von der Arbeit zum Zwecke der Erfüllung ihrer Pflichten vorgesehen sind, bescheiden darüber aus, ob und von wem die Ältesten entschädigt werden sollen. Glauben etwa die Verfasser des Gesetzes, dass die von der Arbeit befreiten Ältesten für diese „freie Zeit" von der Fabrik keine Bezahlung fordern werden? Oder sollen sie vielleicht, auf Wunsch der Fabrikbesitzer und Gouverneure, nur um der schönen Augen dieser treuen Freunde des Arbeitervolkes willen das Amt der Ältesten bekleiden?

Das Bestreben, die Ältesten zu Fabrikhausknechten zu machen, geht besonders auch aus dem dritten Punkte des neuen Gesetzes hervor: die Ältesten werden als Bevollmächtigte der Arbeitergruppen nur für die Behandlung solcher Angelegenheiten anerkannt, die die Einhaltung der Arbeitsverträge betreffen. Von einer Änderung der Dienstverträge haben die Ältesten nicht das Recht auch nur zu reden! Schöne „Bevollmächtigte" der Arbeiterschaft sind das, das muss man sagen! Und wie unsinnig ist diese Bestimmung sogar vom Standpunkt der Verfasser des Gesetzes selbst, die die „Klärung der wirklichen Wünsche und Nöte der Arbeiter" „besonders in einer Zeit, wo Unzufriedenheit und Unruhen bereits entstanden sind", erleichtern wollten. In neun von zehn Fällen sind die Unruhen gerade die Folge von Forderungen, die Arbeitsbedingungen zu ändeгn, und die Ältesten von der Teilnahme an diesen Angelegenheiten fernhalten, heißt ihre Rolle fast vollkommen bedeutungslos machen. Die Verfasser des Gesetzes haben sich hier in einen der zahllosen Widersprüche des Absolutismus verstrickt, denn den Arbeiterbevollmächtigten (den wirklichen – nicht den mit Erlaubnis der Polizei Bevollmächtigten) das Recht geben, eine Änderung der Arbeitsbedingungen zu fordern, würde heißen, das Recht der Redefreiheit und der Unantastbarkeit der Person gewähren.

Es kann überhaupt keine Rede davon sein, die Fabrikältesten als wirkliche Arbeiterbevollmächtigte anzusehen. Der wirkliche Bevollmächtigte muss nur von Arbeitern gewählt sein, ohne jede Bestätigung durch die Polizei. Der Bevollmächtigte muss sofort abgesetzt werden, wenn die Arbeiter, die ihn gewählt haben, ihm ihr Misstrauen aussprechen. Der Bevollmächtigte muss vor der Arbeiterversammlung erscheinen, um Bericht zu erstatten, sobald die Arbeiter ihn dazu auffordern. Nach unserem Gesetz aber bleibt es dem Ältesten überlassen, die Arbeiter der Gruppe, die ihn gewählt hat, zu versammeln, wobei Zeit und Ort von der Betriebsleitung bestimmt werden. Das heißt also, dass der Älteste die Versammlung nicht einzuberufen braucht und dass die Leitung weder Ort noch Zeit freizustellen braucht. Es wäre wohl zweckmäßiger gewesen, von einer Arbeitervertretung gar nicht zu reden, als die Arbeiter mit einer solchen, nur zur Schau gestellten Vertretung zu reizen.

Die Arbeiterversammlungen flößen der absolutistischen Regierung (und mit Recht) einen solchen Schrecken ein, dass sie gemeinsame Versammlungen verschiedener Gruppen unbedingt verbietet. „Zur Besprechung von Angelegenheiten, die mehrere Gruppen betreffen“ – verfügt das neue Gesetz –, „versammeln sich ausschließlich die Ältesten dieser Gruppen". Für die Kapitalisten und die sie schützende Polizeiregierung wäre das wirklich sehr vorteilhaft: man bildet zahlenmäßig kleine Gruppen aus Meistern, Angestellten und hochbezahlten Arbeitern, und zahlenmäßig größere Gruppen aus ungelernten und Gelegenheitsarbeitern, um dann nur Versammlungen der Ältesten der verschiedenen Gruppen zuzulassen. Doch diese Rechnung ist ohne den Wirt gemacht: das klassenbewusste Proletariat ist der Herr seines eigenen Schicksals, es wird diese elenden Polizeikäfige, in die man es setzen will, mit Verachtung weg stoßen. Die Arbeiter werden sich gemeinsam versammeln, um über ihre Angelegenheiten zu beraten, sie werden Geheimversammlungen ihrer wahren, der sozialdemokratischen Ältesten veranstalten, trotz allen Verboten.

Wenn aber diese erbärmliche Reform die Keime einer Arbeitervertretung bis zu einem solchen Grade mit Polizei- und Spitzelgeist ansteckt, sollten sich nicht lieber die klassenbewussten Arbeiter von jeder Beteiligung an den Wahlen der Fabrikältesten oder an den Versammlungen der Gruppen fernhalten? Wir glauben, dass sie das nicht tun sollen. Der Verzicht auf die aktive Teilnahme an der gegenwärtigen politischen Wirklichkeit, wie gemein sie auch sein mag, ist die Taktik der Anarchisten und nicht die der Sozialdemokraten. Wir werden es verstehen, wir müssen es verstehen, den Kampf der Arbeiter gegen jede niederträchtige Intrige des Gesetzes, gegen jeden Spitzelstreich mit Hilfe des neuen Gesetzes auf breiter Grundlage zu entfalten, – und dieser Kampf wird die rückständigsten Arbeiter wecken, wird das politische Bewusstsein aller entwickeln, die an der russischen. Polizei-, Gendarmen- und Spitzel-„Arbeitervertretung" beteiligt sind. Die Subatowschen Versammlungen haben die Arbeiter noch, viel mehr, viel rascher demoralisiert, als sie die der Obrigkeit gefügigen Ältesten demoralisieren werden, und dennoch schickten wir in diese Versammlungen klassenbewusste Arbeiter, die, dabei selbst lernten und andere lehrten, und dennoch endete diese Subatowiade mit einem kläglichen Zusammenbruch, nachdem sie der Sozialdemokratie bedeutend mehr genutzt hatte als dem Absolutismus: die Odessaer Ereignisse haben in dieser Hinsicht nicht den geringsten Zweifel übriggelassen.

Die absolutistische Regierung beginnt von Arbeiterversammlungen zu reden. Nutzen wir das für die breiteste Propaganda und Agitation zugunsten der sozialdemokratischen Forderungen völliger Versammlungsfreiheit aus. Die absolutistische Regierung beginnt von Wahlen zu reden: nutzen wir das aus, um die Arbeitermassen mit der Bedeutung der Wahlen, mit den verschiedenen Wahlsystemen, mit allen bei Wahlen angewandten Polizeikniffen vertraut zu machen. Und mögen sie das alles nicht nur aus Büchern und aus Unterhaltungen, sondern auch aus der eigenen Erfahrung kennenlernen: an dem Beispiel der russischen, von der Polizei organisierten Wahlen und durch die Teilnahme an ihnen* werden die klassenbewussten Arbeiter es lernen, immer breitere Massen für die Wahlagitation, für die Leitung von Versammlungen, für die Verteidigung ihrer Forderungen sowohl in diesen Versammlungen als auch den Ältesten gegenüber, für die Organisierung einer ständigen Überwachung der Tätigkeit der Ältesten zu schulen. Die absolutistische Regierung beginnt von einer Arbeitervertretung zu reden. Nutzen wir das zur Verbreitung richtiger Ansichten über eine wirkliche Vertretung aus. Vertreter der Arbeiter kann nur eine freie Arbeitervereinigung sein, die viele Fabriken und Städte umfasst. Eine Fabrikvertretung, eine Vertretung der Arbeiter in jeder einzelnen Fabrik, kann nicht einmal den Arbeitern im Westen, nicht einmal in freien Staaten genügen. Die Führer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, z. B. in Deutschland, haben sich mehr als einmal gegen die Fabrikvertretung gewandt. Und das ist verständlich. Denn der Druck des Kapitals ist zu stark und das Recht, Arbeiter zu entlassen – dieses heilige Recht des kapitalistischen freien Vertrages –, wird die Arbeitervertretung in jeder einzelnen Fabrik immer machtlos machen. Nur die Arbeitervereinigung, die die Arbeiter vieler Fabriken und vieler Orte vereinigt, beseitigt die Abhängigkeit der Arbeitervertreter vom einzelnen Fabrikbesitzer. Nur die Arbeitervereinigung sichert alle Kampfmittel, die in einer kapitalistischen Gesellschaft überhaupt möglich sind. Freie Arbeitervereinigungen sind aber nur denkbar, wenn politische Freiheit besteht, wenn Unantastbarkeit der Person, Versammlungsfreiheit, freie Wahl von Delegierten für eine Volksvertretung gegeben sind.

Ohne politische Freiheit bleiben alle Formen der Arbeitervertretung ein kläglicher Betrug, bleibt das Proletariat nach wie vor im Kerker, ohne Licht, ohne Luft und Bewegungsfreiheit, die es für den Kampf um seine vollständige Befreiung braucht. In diesen Kerker bricht die Regierung jetzt statt eines Fensters eine winzige Öffnung durch, wobei sie die Öffnung so einrichtet, dass sie den Gendarmen und Spitzeln, die den Gefangenen bewachen, mehr Nutzen bringt als dem Gefangenen selbst. Und solch eine Reform wollen die Henker des russischen Volkes für eine Wohltat der Zarenregierung ausgeben! Doch die russische Arbeiterklasse wird mit Hilfe dieser Öffnung neue Kraft zum Kampf schöpfen, sie wird die Mauern des verfluchten allrussischen Kerkers dem Erdboden gleichmachen und sich im bürgerlich-demokratischen Staat eine freie Klassenvertretung erobern.

1 Die Mitteilung von einem in Regierungskreisen vorhandenen Entwurf über Arbeitervereine zur gegenseitigen Hilfe ist im Leitartikel der Nr. 4 (28) des „Oswoboschdenije" vom 15. August n. St. 1903 enthalten.

* Natürlich darf man auf keinen Fall organisierte Arbeiter zu Ältesten wählen; als Kandidaten sind passende Leute aus der unorganisierten Masse aufzustellen.

Kommentare