Lenin‎ > ‎1904‎ > ‎

ZK der SDAPR 19040700 Erklärung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands

Erklärung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands1

(„Juli-Deklaration")

[„Iskra" Nr. 72, 7. September (25. August) 1904 und Archiv-Materialien des Lenin-Institutes. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 6. Wien-Berlin 1930, S. 529-531]

Das – mit Ausnahme eines Mitgliedes – vollzählig versammelte Zentralkomitee hat die Frage des gegenwärtigen Kampfes der Gruppen innerhalb der Partei erörtert. Nach einem Meinungsaustausch ist folgende Resolution einstimmig angenommen worden:

[1. Drei Genossen aus der Reihe der nächsten Mitarbeiter des Zentralkomitees werden kooptiert, – Wladimir (Leo Karpow), Mark (Alexej Ljubimow), Innokentij (Josef Dubrowinski).]

2. Angesichts der auf dem 2. ordentlichen Parteitag klar zum Ausdruck gekommenen Einmütigkeit der erdrückenden Mehrheit der Parteimitglieder hinsichtlich des Parteiprogramms und der Parteitaktik; angesichts ferner der Zuverlässigkeit dieser Einmütigkeit, die im Großen und Ganzen selbst in der für Spaltungen so günstigen, mit Feindschaft und Misstrauen gesättigten Atmosphäre des innerparteilichen Lebens der letzten Zeit unerschüttert blieb; angesichts schließlich der Tatsache, dass die Meinungsverschiedenheiten in Organisationsfragen, soweit sie genau formuliert sind, weit davon entfernt sind, die Möglichkeit einer planmäßigen zentralisierten Arbeit aller Genossen auszuschließen, –

ist das Zentralkomitee der Meinung, dass die in den Reihen der russischen Sozialdemokratie sich verbreitende fraktionelle Zersplitterung den Interessen des Proletariats und der Würde der Partei absolut widerspricht; das Zentralkomitee gibt der Überzeugung Ausdruck, dass die vollständige Aussöhnung der feindlichen Lager notwendig und möglich ist.

3. Das Zentralkomitee, das die Sicherung der Parteieinheit als seine Hauptaufgabe betrachtet, erachtet seine sofortige und energische Einmischung in den Kampf der Gruppen als unbedingt notwendig.

4. Bevor sie zur Erörterung der einzelnen Fragen übergeht, stellt die Versammlung fest, dass die Hauptaufgabe – die Sicherung der Parteieinheit – es erfordert, dass die Politik des Zentralkomitees auf dem Gebiet des innerparteilichen Lebens in Einklang steht mit dem Ziel der Befriedung und der Verschmelzung der „Mehrheit" und der „Minderheit" zu einer einheitlichen Organisation, entsprechend den Prinzipien der revolutionären Sozialdemokratie, die der 2. Parteitag unserer Partei zugrunde gelegt hat

5. In der Frage des Verhaltens zum Zentralorgan der Partei ist die Versammlung zu folgenden Schlüssen gelangt: a) die Rechtsgültigkeit der Zusammensetzung der Redaktion des Zentralorgans kann nicht angefochten werden. Die Versammlung stellt fest, dass das gesamte Zentralkomitee diese Rechtsgültigkeit anerkennt (ununterbrochene gemeinsame Arbeit: Sitzungen des Rates, Herausgabe und Verbreitung von Literatur); b) ebenso wenig kann das hohe Niveau des Zentralorgans in allem, was die Verteidigung und die Klärung der Hauptprinzipien des internationalen sozialdemokratischen Programms und der Taktik anbelangt, angefochten werden. Angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse im Parteileben sind diese beiden Schlussfolgerungen den Genossen in den Komitees klarzumachen; c) im Zentralorgan sind vom Standpunkte der Erfordernisse der Parteipropaganda Mängel vorhanden: kärglich ist vor allem das Material über die sozialdemokratische Tätigkeit in der Provinz und über das Leben der Arbeitermassen. Die Versammlung ist der Ansicht, dass hier neben den besonderen Bedingungen der Arbeit für Russland vom Auslande aus auch die zeitweiligen Umstände des Kampfes zwischen „Mehrheit" und „Minderheit" zum Ausdruck kommen. Um die erwähnten einzelnen Mängel auszumerzen, hält das Zentralkomitee die Herstellung eines lebendigeren Kontaktes mit der Redaktion auf dem Boden der allgemeinen Parteiarbeit und die tatkräftige Unterstützung des Zentralorgans bei der Organisierung der Verbindungen mit Russland für nützlich; d) im Zentralorgan sind Fraktionsbestrebungen vorhanden, die mitunter das Zentralorgan der Partei auf das Niveau des Kampforgans einer der kämpfenden Gruppen herabsetzen: einseitige Kritik der Komitees – kritisiert werden die Komitees der „Mehrheit", auch wenn es sich um Mängel handelt, die der gesamten Partei anhaften. Der Charakter dieser Kritik ist oft kein kameradschaftlich-aufklärender, wie er der Aufgabe der Führung entsprechen würde, sondern ein feindlich-polemischer, der darauf auszugehen scheint, den Gegner in Verruf zu bringen. Der Kritik in der Presse gehen keine Anfragen bei den Organisationen voraus, an denen Kritik geübt wird und deren Antworten vielleicht viele traurige Missverständnisse verhütet hätten. Der zuverlässigste Weg zur Beseitigung dieser Mängel ist nach Meinung der Versammlung die gründliche Aufklärung der Genossen von der Redaktion über die über den Gruppen stehende Parteipolitik, die sich das Zentralkomitee zu eigen gemacht hat, und die kameradschaftliche Einwirkung auf die Komitees, die das Zentralkomitee von sich abschneiden, indem sie es boykottieren.

6. Das Zentralkomitee gibt dem Wunsch Ausdruck, dass Genosse Lenin der Redaktion des Zentralorgans beitreten möge, da die Entfernung eines geistig so hochstehenden Genossen von den Arbeiten der Redaktion unvereinbar ist mit der Entwicklung der größten Produktivität in der positiven Arbeit der gesamten Partei.

7. Angesichts des Schadens, der der Parteiorganisation dadurch zugefügt wird, dass die Tätigkeit des Zentralkomitees in Russland mit der Tätigkeit seines Vertreters im Ausland nicht übereinstimmt, beschließt das Zentralkomitee: im Verkehr mit dem Zentralorgan unternehmen die Vertreter des Zentralkomitees verantwortliche Schritte nur im unmittelbaren Auftrag des Kollegiums.

8. Was das Verhalten zu den Genossen aus der „Mehrheit" und der „Minderheit" in der praktischen Organisationsarbeit anbelangt, so wird sich das Zentralkomitee an seinen früheren Beschluss halten, jedes Parteimitglied ausschließlich entsprechend seiner sozialdemokratischen Arbeitsfähigkeit und unabhängig davon, ob es sich zur „Mehrheit" oder zur „Minderheit" zählt, mit bestimmten Funktionen zu betrauen. Das Zentralkomitee empfiehlt allen Ortsorganisationen dringend, in derselben Weise vorzugehen.

8. Das Zentralkomitee wendet sich entschieden gegen die Einberufung eines außerordentlichen Parteitages im gegenwärtigen Moment und gegen die Agitation für einen solchen Parteitag. Im Hinblick auf das innerparteiliche Leben würde der Parteitag unter den gegebenen Umständen eine ernste Gefahr für die Einheit unserer Partei bedeuten. Die Bedürfnisse der praktischen Tätigkeit erfordern ihn nicht. Für die Ausarbeitung praktischer Kampfmethoden wäre er nutzlos, denn die seit dem 2. Parteitag angesammelte Erfahrung ist noch zu unbedeutend. Für die Entfaltung einer intensiven positiven Arbeit, die dem gegenwärtigen kritischen Zustand des Landes entspräche, wäre der Parteitag ein ungeheures Hindernis – und die Agitation zugunsten der Einberufung des Parteitages ist es schon jetzt –, weil dadurch viel Kräfte und Mittel absorbiert werden.

10. Den Parteigenossen wird zur Kenntnis gebracht, dass in der Parteidruckerei mehr oder weniger bedeutende Arbeiten gedruckt werden; was die vom Zentralkomitee herausgegebenen Arbeiten anbelangt, so werden sie von nun an den Vermerk tragen: „Herausgegeben vom Zentralkomitee".

Es ist einstimmig beschlossen worden: a) den Genossen in den Komitees den Charakter und die Ziele der Politik des Zentralkomitees klarzumachen; b) sofort den Versuch zu machen, eine Konferenz zu veranstalten, um zusammen mit den Vertretern der Genossen, die sich als „Minderheit" dem Zentralkomitee entgegenstellen, Maßnahmen zu treffen, die zur vollständigen Befriedung der Partei führen könnten.

[11. Die von den Genossen Lenin und Glebow abgeschlossene Vereinbarung über ihr Auftreten im Ausland – mit gemeinsamer Unterschrift – als Vertreter des Zentralkomitees entspricht nicht dem Willen des Zentralkomitees und ist für ungültig zu erklären.]

12. Für die Genossen Glebow und Lenin werden im Ausland folgende Beziehungen festgelegt:

a) Genosse Glebow wird beauftragt, alle Angelegenheiten des Zentralkomitees im Auslande zu verwalten, und zwar: den Verkehr mit dem Zentralorgan, die Entsendung von Genossen nach Russland, die Kasse, die Expedition, die Druckerei, die Erlaubniserteilung für den Druck der verschiedenen Arbeiten in der Parteidruckerei usw.

b) Genosse Lenin wird beauftragt, literarische Arbeiten für das Zentralkomitee zu leisten; für die Veröffentlichung seiner Arbeiten muss ebenso wie für die der übrigen Mitarbeiter des Zentralkomitees jedes Mal die Erlaubnis des Kollegiums des Zentralkomitees eingeholt werden.

13. Es wird beschlossen, den Genossen Lenin an die Erfüllung seiner unmittelbaren Pflichten als Literat dem Zentralkomitee gegenüber zu erinnern. Die Versammlung stellt die traurige Tatsache seiner schwachen Mitarbeit an der literarischen Tätigkeit des Zentralkomitees fest.

....................................................................................

18. Das Büro des Zentralkomitees für den Süden wird aufgelöst, weil seine gegenwärtige Tätigkeit mit der des Zentralkomitees nicht in Einklang steht, und Genosse Wladimir (Leo Karpow) wird beauftragt, ein neues Büro für den Süden zu organisieren.]

1 Der Beschluss des Zentralkomitees bestand aus 26 Punkten; 14 von ihnen trugen prinzipiellen Charakter oder betrafen wichtige Organisationsfragen und werden hier veröffentlicht; die in der „Iskra" nicht veröffentlichten Punkte stehen hier in eckigen Klammern. D. Red.

Kommentare