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Redaktion der „Rewoluzionnaja Rossija“ 19040518 Programmentwurf der Partei der Sozialrevolutionäre

Programmentwurf der Partei der Sozialrevolutionäre,

entworfen von der Redaktion der „Rewoluzionnaja Rossija

[„Rewoluzionnaja Rossija" Nr. 46 vom 5./18. Mai 1904. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 550-557]

Das heutige Russland tritt in kultureller und sozialer Hinsicht in eine immer engere Verbindung mit den vorgeschrittenen Ländern der zivilisierten Welt, wobei es jedoch eine Reihe von Besonderheiten beibehält, die durch die Eigenart seiner bisherigen Geschichte, seiner örtlichen Bedingungen und der internationalen Lage bedingt sind.

In allen vorgeschrittenen Ländern der zivilisierten Welt geht, parallel mit der Zunahme der Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse, eine Zunahme der Macht des Menschen über die Natur vor sich, eine Vervollkommnung der Mittel zur Beherrschung der Naturkräfte und eine Erhöhung der schöpferischen Kraft der menschlichen Arbeit auf allen Gebieten ihrer Anwendung. Dieses Wachstum ist eine notwendige Bedingung des sozialen Fortschritts und des Kampfes um eine allseitige und harmonische Entwicklung der menschlichen Individualität.

Diese Zunahme der Macht des Menschen über die Natur vollzieht sich aber in der modernen Gesellschaft unter den Bedingungen der bürgerlichen Konkurrenz, der zersplitterten Wirtschaftseinheiten, des Privateigentums an den Produktionsmitteln, ihrer Verwandlung in Kapital, der vorhergehenden Expropriierung der unmittelbaren Produzenten oder ihrer indirekten Unterordnung unter das Kapital. In dem Maße, wie diese Grundlagen der modernen Gesellschaft sich entwickeln, zerfällt sie immer schärfer in eine Klasse von ausgebeuteten Werktätigen, die einen immer geringeren und geringeren Anteil an den durch ihre Arbeit geschaffenen Gütern erhalten, und in ausbeutende Klassen, die den Besitz an den Naturkräften und den gesellschaftlichen Produktionsmitteln monopolisieren.

Sofern sich in dem engen Rahmen der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse, wenn auch einseitig und unvollständig, Formen der Kollektivarbeit und Produktion auf großer gesellschaftlicher Stufenleiter entwickeln, zeigt die moderne wirtschaftliche Entwicklung ihre positiven, schöpferischen Seiten, indem sie gewisse materielle Elemente für eine höhere, sozialistische Lebensordnung vorbereitet und die Industriearmeen der Lohnarbeiter zu einer kompakten sozialen Kraft vereinigt.

Sofern jedoch die bürgerlich-kapitalistischen Formen die Entwicklung der kollektiven Formen der Arbeit und der gesellschaftlichen Produktivkräfte einengen, beschränken und verzerren, zeigt die moderne wirtschaftliche Entwicklung ihre negativen, zerstörenden Seiten: die Anarchie der Warenproduktion und der Konkurrenz; die nutzlose Vergeudung wirtschaftlicher Kräfte; die Krisen, die die Volkswirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern; die Steigerung der Ausbeutung, der Abhängigkeit und der Unsicherheit der Arbeitermassen; die alle moralischen Grundsätze zersetzende Macht des Geldes; den selbstsüchtigen Kampf aller gegen alle um das Dasein und eine bevorzugte Stellung.

Das gegenseitige Verhältnis zwischen diesen positiven und negativen Seiten der modernen wirtschaftlichen Entwicklung ist für die verschiedenen Industriezweige wie für die verschiedenen Länder verschieden. Relativ günstig in den höheren Industriezweigen und in den Ländern des klassischen Kapitalismus, wird sie immer weniger und weniger günstig in anderen Industriezweigen, besonders aber in der Landwirtschaft, und in ganzen Ländern, die im internationalen ökonomischen Kampf weniger günstig gestellt sind.

Doch unabhängig von diesen Unterschieden nimmt das Missverhältnis und der Widerspruch zwischen den positiven und negativen Seiten der modernen wirtschaftlichen Entwicklung zu und stellt eine allgemeine Tatsache dar, die ungeheure historische Folgen in ihrem Schoße birgt.

Mit dem Wachstum des sozialen Abstandes zwischen den Ausbeutern und den Ausgebeuteten, mit dem Wachstum des Widerspruchs zwischen der Produktivität der Arbeit und dem verschwindend geringen Anteil der Werktätigen selber am Produkt, mit dem Wachstum ihrer Ausbeutungsrate, wächst ihre Unzufriedenheit mit ihrer Lage in der modernen Gesellschaft.

Auf dem Boden des spontanen Prozesses der Verschärfung der Klassenbeziehungen entwickelt sich immer mehr das bewusste und planmäßige Eingreifen der organisierten kollektiven Kräfte in den Gang der Ereignisse, im Namen des einen oder anderen gesellschaftlichen Ideals, eines Endzieles, mit einer systematisch ausgearbeiteten Taktik. Ihr zweckmäßig geleiteter Kampf erfasst gleichzeitig alle Seiten des Lebens der Gesellschaft – die ökonomische, politische und geistige.

Die ausbeutenden Klassen sind bestrebt, die Grundlage ihrer Existenz – die Ausbeutung durch Rente, Kapitalprofit in allen seinen Formen und steuerliche Belastung der werktätigen Massen – zu verewigen. Mittels der Syndikate, Kartelle und Trusts suchen sie in ihren egoistischen Absichten sich der Bedingungen der Produktion und des Absatzes zu bemächtigen. Sie sind bestrebt, alle Einrichtungen des modernen Staates ihren Klasseninteressen anzupassen und ihn vollständig in ein Werkzeug ihrer Herrschaft und der Versklavung der Ausgebeuteten zu verwandeln. Schließlich sind sie bestrebt, sich die Literatur, die Kunst, die Wissenschaft, die Rednertribüne geistig und materiell zu unterwerfen, um die werktätigen Massen nicht nur in ökonomischer, sondern auch in geistiger Sklaverei zu halten.

Ohne andere Mittel zu besitzen, oder nachdem sie diese im Kampfe erschöpft haben, greifen sie zu Bündnissen mit den reaktionären Kräften der absterbenden Vergangenheit, indem sie den religiösen und Rassenhass wieder aufleben lassen, das Volksbewusstsein durch den Chauvinismus und Nationalismus vergiften, Kompromisse mit den Überresten der monarchischen, feudalen und kirchlich-klerikalen Einrichtungen schließen.

Die bürgerliche Ordnung, die ihren ganzen einstigen fortschrittlichen Inhalt verloren hat, führt zur intellektuellen Entartung der in ihr herrschenden Klassen, sie stößt immer stärker die geistige und moralische Blüte der Nation von sich und treibt sie in das der Bourgeoisie feindlich gegenüberstehende Lager der Unterdrückten und Ausgebeuteten.

Die ausgebeuteten Klassen sind natürlich bestrebt, sich gegen die auf ihnen lastende Unterdrückung zu schützen, und in dem Maße, wie ihr Bewusstsein wächst, vereinigen sie diesen Kampf immer mehr und richten ihn gegen die Grundlagen der bürgerlichen Ausbeutung selbst. Diese ihrem Wesen nach internationale Bewegung erweist sich immer mehr und mehr als die Bewegung der ungeheuren Mehrheit im Interesse der ungeheuren Mehrheit, und darin liegt die Gewähr ihres Sieges.

Der bewusste Ausdruck, die wissenschaftliche Beleuchtung und Verallgemeinerung dieser Bewegung ist der internationale revolutionäre Sozialismus. Indem er sich die geistige, politische und ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse zur Aufgabe stellt, tritt er vor allem als eine initiative revolutionäre Minderheit, als kämpfende Avantgarde der werktätigen Massen auf, zugleich stets bestrebt, sich mit diesen Massen zu verschmelzen und sie vollständig in seinen Reihen zu erfassen. Seine praktische Grundaufgabe läuft darauf hinaus, dass alle Schichten der werktätigen und ausgebeuteten Bevölkerung sich als einheitliche Arbeiterklasse erkennen, in ihrer Klasseneinheit die Gewähr für ihre Befreiung erblicken und durch planmäßigen, organisierten Kampf die sozial-revolutionäre Umwälzung vollziehen, deren Programm es ist: Befreiung aller gesellschaftlichen Einrichtungen von der Macht der ausbeutenden Klassen; Aufhebung, zugleich mit dem Privateigentum an den Naturkräften und den gesellschaftlichen Produktionsmitteln, der Teilung der Gesellschaft in Klassen selbst; Aufhebung des heutigen klassenmäßigen Zwangs- und Repressionscharakters der gesellschaftlichen Institutionen, unter Beibehaltung und Entwicklung ihrer normalen kulturellen Funktionen, – das heißt, der planmäßigen Organisation der allgemeinen Arbeit zum allgemeinen Wohl.

Nur die Verwirklichung dieses Programms wird eine ununterbrochene, freie und ungehinderte Entwicklung aller geistigen und materiellen Kräfte der Menschheit ermöglichen; nur sie wird das Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums aus einer Quelle der Abhängigkeit und Unterdrückung der Arbeiterklasse in eine Quelle ihres Wohlstandes und der allseitigen, harmonischen Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit verwandeln; nur sie wird der Entartung der Menschheit – einerseits durch Müßiggang und Übersättigung, andrerseits durch übermäßige Arbeit und ein Hungerdasein – ein Ende machen; nur bei der Verwirklichung eines freien sozialistischen Gemeinwesens wird die Menschheit sich ungehindert in physischer, geistiger und sittlicher Beziehung entwickeln können und immer vollkommener Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität in den Formen ihres gesellschaftlichen Lebens verkörpern. Und in diesem Sinne ist die Sache des revolutionären Sozialismus die Sache der Befreiung der gesamten Menschheit. Sie führt zur Beseitigung aller Formen des Bruderkampfes zwischen den Menschen, aller Formen der Gewalt und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, zur Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller, ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Religion und Nationalität.

Die Partei der Sozialrevolutionäre in Russland betrachtet ihre Sache als organischen Bestandteil des Weltkampfes der Arbeit gegen die Ausbeutung der menschlichen Person, gegen die ihrer Entwicklung hinderlichen gesellschaftlichen Formen, und sie führt sie im Geiste der allgemeinen Interessen dieses Kampfes, in Formen, die den konkreten Bedingungen der russischen Wirklichkeit entsprechen.

Die gegenseitige Anpassung der Formen des patriarchalischen adlig-bürokratischen Absolutismus und der neuesten bürgerlichen Ausbeutung verschärft die soziale Frage 'in Russland. Die Entwicklung des Kapitalismus zeigt in Russland mehr als irgendwo sonst ihre dunklen Seiten, da sie weniger als irgendwo sonst durch den schöpferischen, organisierenden Einfluss des Wachstums der gesellschaftlichen Produktivkräfte einen Ausgleich erfährt. Der kolossal entwickelte Mechanismus des bürokratischen Staates, in Verbindung mit den Bedingungen der Bauernbefreiung und mit der Entwicklung des Kulakentums in allen seinen Formen und Gestalten, lähmt die Produktivkräfte des Dorfes immer mehr. Die werktätige Bauernschaft ist gezwungen, in wachsendem Maße zu Nebengewerben und Lohnarbeit ihre Zuflucht zu nehmen, wobei sie von allen Arten ihres Verdienstes ein Einkommen erhält, das kaum dem elenden Lohn des Proletariers entspricht. Dadurch wird der innere Markt der Industrie, die unter dem Mangel an äußeren Märkten leidet, eingeengt und untergraben. Die Übervölkerung und die kapitalistisch überflüssige proletarische Reservearmee, die durch ihre Konkurrenz das Lebensniveau des städtischen Proletariats herabdrückt, wächst progressiv. Die Arbeiterbewegung ist gezwungen, sich unter den Bedingungen des absolutistischen Regimes zu entwickeln, das auf einer alles umfassenden polizeilichen Bevormundung und Unterdrückung der persönlichen und gesellschaftlichen Initiative beruht. Die mehr als irgendwo anders reaktionäre Klasse der Großindustriellen und Großkaufleute benötigt immer stärker den Schutz des Absolutismus gegen das Proletariat. Der Landadel und das Dorfkulakentum benötigen immer stärker die gleiche Unterstützung gegen die werktätigen Massen des flachen Landes. Im Interesse des Selbstschutzes greift der Absolutismus zur verstärkten Unterdrückung der vom kaiserlichen Russland unterjochten Nationalitäten, indem er ihre geistige Wiedergeburt und gesellschaftliche Entwicklung lähmt, den nationalen, religiösen und Rassenantagonismus züchtet und dadurch das wachsende Bewusstsein der sozial-politischen Interessen der Arbeitermassen trübt. Die Existenz des Absolutismus gerät in einen unlösbaren und sich ständig verschärfenden Widerspruch mit dem ganzen wirtschaftlichen, sozial-politischen und kulturellen Wachstum des Landes. Der russische Absolutismus, der sichere Bundesgenosse und die Stütze der ausbeutenden und parasitären Klassen im Innern Russlands, wird auch jenseits der Grenzen zu einem der Hauptbollwerke der Reaktion und zur stärksten Bedrohung für den Befreiungskampf der Arbeiterparteien der anderen Länder. Sein Sturz ist nicht nur die nächste und unaufschiebbare Aufgabe der sozialrevolutionären Partei, als erste notwendige Voraussetzung zur Lösung der sozialen Frage in Russland, sondern auch ein äußerst wichtiger Faktor des internationalen Fortschritts.

Die ganze Last des Kampfes gegen den Absolutismus fällt, trotz des Bestehens einer liberal-demokratischen Opposition, die vorwiegend die klassenmäßig eine Zwischenstellung einnehmenden Elemente der „gebildeten Gesellschaft" umfasst, auf das Proletariat, die werktätige Bauernschaft und die revolutionär-sozialistische Intelligenz. Die notwendige Aufgabe einer sozialistischen Partei, auf die die führende Rolle in diesem Kampfe übergeht, ist infolgedessen im revolutionären Moment die Erweiterung und Vertiefung jener sozialen und Besitzveränderungen, mit denen der Sturz des Absolutismus verbunden sein muss.

Die vollständige Verwirklichung ihres Programms, d. h. die Expropriation des kapitalistischen Eigentums und die Reorganisation der Produktion und der gesamten Gesellschaftsordnung auf sozialistischen Grundlagen, setzt voraus den vollständigen Sieg der Arbeiterklasse, die zu einer Sozialrevolutionären Partei organisiert ist, und, wenn es erforderlich sein sollte, die Errichtung ihrer vorübergehenden revolutionären Diktatur.

Solange die organisierte Arbeiterklasse, als revolutionäre Minderheit, nur zum Teil Einfluss auf die Veränderung der Gesellschaftsordnung und auf den Gang der Gesetzgebung üben kann, wird die Partei der Sozialrevolutionäre danach streben, dass die Politik der Teilerrungenschaften vor der Arbeiterklasse ihr grundlegendes Endziel nicht überschattet; dass sie durch ihren revolutionären Kampf auch in dieser Periode nur solche Veränderungen anstrebt, die ihren Zusammenschluss und ihre Fähigkeit zum Befreiungskampf entwickeln und verstärken werden, indem sie eine Erhöhung des Niveaus ihrer intellektuellen Entwicklung und ihrer kulturellen Bedürfnisse fördern, ihre Kampfpositionen verstärken und die Hindernisse, die auf dem Wege zu ihrer Organisation stehen, beseitigen.

Soweit der Umgestaltungsprozess Russlands unter der Führung nichtsozialistischer Kräfte vor sich gehen wird, wird die Partei der Sozialrevolutionäre, ausgehend von den oben entwickelten Erwägungen, durch ihren revolutionären Kampf folgende Reformen verfechten, unterstützen oder durch ihren revolutionären Kampf erzwingen:

A. Auf politischem und rechtlichem Gebiet:

Errichtung einer demokratischen Republik, mit weitgehender Autonomie der Gebiete und der Gemeinden, der städtischen sowohl wie der ländlichen; möglichst weitgehende Anwendung des föderativen Prinzips auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Nationalitäten; Anerkennung ihres unbedingten Rechts auf Selbstbestimmung; direktes, geheimes, gleiches, allgemeines Stimmrecht für jeden Staatsbürger nicht unter zwanzig Jahren – ohne Unterschied des Geschlechts, der Religion und Nationalität; proportionale Vertretung; direkte Volksgesetzgebung (Referendum und Initiative); Wählbarkeit, jederzeitige Absetzbarkeit und gerichtliche Verantwortung aller beamteten Personen; vollständige Gewissens-, Rede-, Presse-, Versammlungs-, Streik- und Vereinsfreiheit; vollkommene und allgemeine staatsbürgerliche Gleichberechtigung; Unantastbarkeit der Person und der Wohnung; völlige Trennung der Kirche vom Staat und Erklärung der Religion zur Privatsache jedes einzelnen; Festsetzung einer obligatorischen, für alle gleichen, allgemein weltlichen Schulbildung auf Staatskosten; Gleichberechtigung der Sprachen; Unentgeltlichkeit des Gerichtsverfahrens; Aufhebung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch eine Volksmiliz.

B. Auf volkswirtschaftlichem Gebiet:

1. In den Fragen der Arbeitergesetzgebung setzt sich die Partei der Sozialrevolutionäre zum Ziel den Schutz der geistigen und physischen Kräfte der Arbeiterklasse und die Erhöhung ihrer Fähigkeit zum weiteren Befreiungskampf, dessen Gesamtinteressen alle eng-praktischen, unmittelbaren, örtlichen und beruflichen Interessen der einzelnen Arbeiterschichten untergeordnet werden müssen. Zu diesem Zweck wird die Partei eintreten für: möglichst große Verkürzung der Arbeitszeit innerhalb der Grenzen der Mehrarbeit; gesetzliche Festsetzung einer Höchstarbeitszeit, entsprechend den von der wissenschaftlichen Hygiene festgestellten Normen (in nächster Zeil die achtstündige Norm für die meisten Industriezweige und eine entsprechend geringere in den gefährlicheren und gesundheitsschädlichen Betrieben); Festsetzung eines Mindestarbeitslohnes im Einvernehmen zwischen den Organen der Selbstverwaltung und den Gewerkschaftsverbänden der Arbeiter; staatliche Versicherung aller Art (gegen Unfälle, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter usw.) auf Kosten des Staates und der Unternehmer und auf den Grundlagen der Selbstverwaltung der Versicherten; gesetzlicher Arbeiterschutz in allen Zweigen der Produktion und des Handels, entsprechend den Forderungen der wissenschaftlichen Hygiene, unter Aufsicht einer Fabrikinspektion, die von den Arbeitern gewählt wird (normale Arbeitsbedingungen, hygienische Einrichtung der Arbeitsräume, Verbot der Arbeit von Jugendlichen unter 16 Jahren, Beschränkung der Arbeit der Minderjährigen, Verbot von Frauen- und Kinderarbeit in gewissen Produktionszweigen und in gewissen Perioden, ausreichende, ununterbrochene wöchentliche Ruhe und ähnliches mehr); gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter und ihre progressiv sich erweiternde Mitbestimmung bei der Festsetzung der Arbeitsordnung in den industriellen Betrieben.

2. In den Fragen der Agrarpolitik und der Agrarverhältnisse setzt sich die Partei der Sozialrevolutionäre zum Ziel, im Interesse des Sozialismus und des Kampfes gegen die bürgerlichen Eigentumsprinzipien die Anschauungen, Traditionen und Lebensformen der russischen Bauernschaft und insbesondere ihre Auffassung vom Grund und Boden als einem Gemeingut aller Werktätigen, die der Feldgemeinschaft wie überhaupt ihrem Charakter als Werktätige entspringen, auszunützen. Zu diesem Zweck wird die Partei eintreten für die Sozialisierung aller Privatländereien, das heißt für ihre Entziehung aus dem Privateigentum einzelner Personen und ihren Übergang in gesellschaftlichen Besitz und in die Verfügung der demokratisch organisierten Gemeinden und territorialen Gemeindeverbände auf den Grundlagen der ausgleichenden Nutznießung. Sollte sich diese Haupt- und Grundforderung des Agrar-Minimalprogramms nicht sofort als revolutionäre Maßnahme verwirklichen lassen, wird die Partei der Sozialrevolutionäre in ihrer weiteren Agrarpolitik sich von den Erwägungen leiten lassen über eine möglichste Annäherung an die Verwirklichung dieser Forderung in vollem Umfange, indem sie für mögliche Übergangsmaßnahmen dazu eintreten wird, wie z. В.: Erweiterung der Rechte der Gemeinden und der territorialen Gemeindeverbände zur Expropriierung der Privatländereien; Konfiskation der klösterlichen, der Apanage-, Kabinetts- und ähnlicher Ländereien und Verwendung derselben, ebenso wie der Staatsdomänen, für die Versorgung der Gemeinden mit ausreichendem Grund und Boden, sowie für die Bedürfnisse der Um- und Ansiedlung; Beschränkung des Entgelts für die Bodenbenutzung auf den Umfang der Nettoeinkünfte der Wirtschaft (unter Abzug der Produktionskosten und einer normalen Entschädigung für die Arbeit von den Bruttoeinnahmen); Entschädigung für vorgenommene Verbesserungen des Bodens bei Übergang der Bodenbenutzung von einer Person zur anderen; Umwandlung der Rente durch eine Sondersteuer in einen Einnahmeposten der Gemeinden und der Selbstverwaltungsorgane.

3. In den Fragen der Finanzpolitik wird die Partei agitieren für die Einführung einer progressiven Einkommens- und Erbschaftssteuer, bei völliger Steuerfreiheit der kleinen Einkommen unter einer gewissen Norm; für Abschaffung der indirekten Steuern (mit Ausnahme der Besteuerung von Luxusartikeln), der Schutzzölle und überhaupt aller Steuern, die die Arbeit belasten.

4. In den Fragen der Munizipal- und Semstwowirtschaft wird die Partei eintreten für die Entwicklung der öffentlichen Leistungen aller Art (unentgeltliche ärztliche Hilfe, agronomische Semstwoorganisation, Kommunalisierung der Wasserversorgung, der Beleuchtung, der Verkehrsmittel usw.); für die Gewährung weitestgehender Rechte an die Stadt- und Landgemeinden zur Besteuerung des immobilen Besitzes und zu dessen Zwangsenteignung, besonders im Interesse der Behebung der Wohnungsnot der Arbeiterbevölkerung; für eine Kommunalpolitik, der Semstwos sowie des Staates, die die Entwicklung des Genossenschaftswesens auf streng demokratischen Grundlagen begünstigt.

5. Was die verschiedenen Maßnahmen betrifft, welche die Nationalisierung der einen oder anderen Zweige der Volkswirtschaft schon im Rahmen des bürgerlichen Staates zum Ziele haben, so kann die Partei der Sozialrevolutionäre sich für diese Maßnahmen nur dann und nur insofern erwärmen, als die Demokratisierung der politischen Ordnung und das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft sowie der Charakter der betreffenden Maßnahmen selbst genügend Garantien gegen eine Vergrößerung der Abhängigkeit der Arbeiterklasse von der herrschenden Bürokratie auf diesem Wege bieten werden. Im allgemeinen jedoch warnt die Partei der Sozialrevolutionäre die Arbeiterklasse vor jenem „Staatssozialismus", der zum Teil ein System von halben Maßnahmen zur Einlullung der Arbeiterklasse ist, zum Teil ein eigenartiger Staatskapitalismus, der zu fiskalischen und politischen Zwecken verschiedene Zweige der Produktion und des Handels in den Händen der regierenden Bürokratie konzentriert.

Die Partei der Sozialrevolutionäre, die den unmittelbaren revolutionären Kampf gegen den Absolutismus beginnt, agitiert für die Einberufung eines Semski Sobor (einer konstituierenden Versammlung), der vom ganzen Volke ohne Unterschied des Geschlechts, des Standes, der Nationalität und der Religion frei gewählt werden soll, zur Liquidierung des absolutistischen Regimes und zur Reorganisation der ganzen jetzigen Zustände. Sie wird ihr Programm dieser Reorganisation sowohl in der Konstituierenden Versammlung verfechten als auch bestrebt sein, es in der revolutionären Periode unmittelbar durchzuführen.

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