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Wladimir I. Lenin 19050426 Rede über die Rechtsgültigkeit des Parteitages

Wladimir I. Lenin: Rede über die Rechtsgültigkeit des Parteitages

auf dem III. Parteitag der SDAPR, 12./25. April–27. April/10. Mai 1905

13./26. April 1905

[Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 345-347]

Ich will auf die Bemerkungen über die Rechtsgültigkeit des Parteitages antworten. Das ZK hat zugegeben, dass der Parteitag nicht rechtsgültig sei. Das ZK selber nannte seine Epistel an den Parteirat eine „Beichte". Aber hatte das ZK etwas zu beichten? Der Parteitag ist durchaus rechtsgültig. Allerdings, nach dem Buchstaben des Statuts kann man ihn für rechtsungültig halten, aber wir würden in karikaturenhaften Formalismus verfallen, wollten wir das Statut so auffassen. Dem Sinne des Statuts nach aber ist der Parteitag vollständig rechtsgültig. Nicht die Partei ist für den Parteirat da, sondern der Parteirat für die Partei. Schon auf dem II. Parteitag wurde anlässlich des Zwischenfalls mit dem Organisationskomitee darauf hingewiesen, und zwar von demselben Genossen Plechanow, dass die Disziplin gegenüber einer unteren Körperschaft hinter der Disziplin gegenüber der höheren Körperschaft zurücktrete. Das ZK erklärte, dass es bereit sei, sich dem Parteirat zu fügen, wenn der Parteirat sich der Partei, d. h. dem Parteitag fügen werde. Das war eine durchaus berechtigte Forderung. Der Parteirat hatte dies jedoch abgelehnt. Aber, sagt man, das ZK habe den Parteirat der Illoyalität verdächtigt und ihm das Misstrauen ausgesprochen. Aber in allen konstitutionellen Ländern haben doch die Bürger das Recht, diesen oder jenen Amtspersonen oder Körperschaften das Misstrauen auszusprechen. Dieses Recht kann ihnen nicht genommen werden. Endlich, selbst wenn das ZK rechtswidrig gehandelt hat, gab dies denn dem Parteirat das Recht, ebenfalls rechtswidrig zu handeln? Wo ist die Garantie jenes Punktes des Statuts, wonach der Parteirat den Parteitag einzuberufen hat, wenn die Hälfte der voll berechtigten Stimmen sich dafür ausspricht? Im Statut der deutschen Sozialdemokratischen Partei gibt es einen Punkt, der dеr Kontrollkommission das Recht einräumt, den Parteitag einzuberufen, falls der Vorstand ihn nicht einberufen will. Wir haben einen solchen Paragraphen nicht, und die Garantie für die Einberufung des Parteitages liegt voll und ganz bei der Partei selbst. Vom Standpunkt des Geistes des Statuts und sogar dem Buchstaben nach, wenn man es als Ganzes nimmt, ist es klar, dass der Parteirat der Beauftragte der Parteikomitees ist. Der Beauftragte der Komitees weigert sich, den Willen seiner Auftraggeber auszuführen. Wenn der Beauftragte den Willen der Partei nicht ausführt, bleibt der Partei nichts anderes übrig, als diesen Willen selbst zu verwirklichen. Die Komitees unserer Partei hatten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, selbst den Parteitag einzuberufen. Und ich behaupte, dass der Parteitag vollkommen rechtmäßig einberufen worden ist. Wer ist der Richter bei der Behandlung dieses Streites zwischen dem Parteirat und den Komitees? Nun, dieselben Parteikomitees. Der Wille der Partei ist schon seit langem zum Ausdruck gekommen. Die Verzögerungen und Verschleppungen durch die ausländischen Zentralinstanzen konnten ihn nicht ändern. Die Komitees waren verpflichtet, selber den Parteitag einzuberufen, und er ist rechtmäßig einberufen worden.

Eine Erwiderung an den Genossen Tigrow. Genosse Tigrow sagt, man dürfe den Parteirat nicht richten, das Organisationskomitee richte aber durch seinen Bericht den Parteirat. Ich glaube, der Genosse Tigrow irrt, wenn er meint, dass man in Abwesenheit des Angeklagten nicht richten dürfe. In der Politik ist man immer genötigt, in Abwesenheit zu richten. Richten wir denn nicht immer in unserer Publizistik, in unseren Versammlungen und überall die Sozialrevolutionäre, die Bundisten und andere? Was soll werden, wenn man nicht in Abwesenheit richten darf? Der Parteirat will ja zum Parteitag nicht erscheinen, in diesem Falle käme man nie dazu, über jemand ein Urteil zu fällen. Selbst offizielle Gerichte urteilen in Abwesenheit, wenn der Angeklagte sich weigert, vor Gericht zu erscheinen.

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