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Wladimir I. Lenin 19050428 Resolutionsentwurf und Reden über die Stellung der SDAPR zum bewaffneten Aufstand

Wladimir I. Lenin: Resolutionsentwurf und Reden über die Stellung der SDAPR

zum bewaffneten Aufstand1

auf dem III. Parteitag der SDAPR, 12./25. April–27. April/10. Mai 1905

[I: geschrieben 18. April/1. Mai–19. April/2. Mai 1905, wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 349-352]

I

Resolutionsentwurf

In Erwägung:

1. dass das Proletariat, infolge seiner ganzen Stellung die vorgeschrittenste und konsequenteste revolutionäre Klasse, berufen ist, die Rolle des Führers und Leiters in der allgemein-demokratischen revolutionären Bewegung in Russland zu spielen;

2. dass nur die Durchführung einer solchen Rolle während der Revolution dem Proletariat die günstigste Position zum weiteren Kampf um den Sozialismus gegen die besitzenden Klassen des im Entstehen begriffenen bürgerlich-demokratischen Russlands sichern wird;

3. dass das Proletariat diese Rolle nur durchführen kann, wenn es zu einer selbständigen politischen Kraft unter der Fahne der Sozialdemokratie organisiert ist und bei Streiks und Demonstrationen möglichst vollkommen einheitlich auftritt, –

beschließt der III. Parteitag der SDAPR, dass die Aufgabe, die Kräfte des Proletariats für den unmittelbaren Kampf gegen den Absolutismus durch politische Massenstreiks und den bewaffneten Aufstand zu organisieren und die Schaffung eines informatorischen und leitenden Apparats zu diesem Zweck eine der Hauptaufgaben der Partei im gegenwärtigen revolutionären Moment bildet; der Parteitag beauftragt daher sowohl das ZK wie die lokalen Komitees und Verbände, die Vorbereitung des politischen Massenstreiks, sowie die Organisierung besonderer Gruppen zur Beschaffung und Verteilung von Waffen, die Ausarbeitung eines Plans des bewaffneten Aufstandes und der unmittelbaren Leitung desselben in Angriff zu nehmen. Die Erfüllung dieser Aufgabe kann und muss vor sich gehen nicht nur ohne jede Beeinträchtigung der allgemeinen Arbeit zur Aufrüttelung des Klassenbewusstseins des Proletariats, sie soll im Gegenteil diese Arbeit vertiefen und erfolgreicher gestalten.

Erste Rede

15./28. April 1905

I

Hier wurde gesagt, dass grundsätzlich die Frage genügend klar sei. In der sozialdemokratischen Literatur sind jedoch Erklärungen zu verzeichnen (siehe „Iskra" Nr. 62 und das Vorwort des Genossen Axelrod zur Broschüre des „Arbeiters"), die beweisen, dass die Frage gar nicht so klar ist. Die „Iskra" und Axelrod redeten von Verschwörertum, sie äußerten die Befürchtung, man werde viel zu viel an den Aufstand denken. Es hat sich jedoch gezeigt, dass man zu wenig gedacht hat Im Vorwort zur Broschüre des Arbeiters sagt Genosse Axelrod, das es sich nur um einen Aufstand der „verwilderten Massen des Volkes" handeln könne. Das Leben hat gezeigt, dass es sich nicht um den Aufstand „verwilderter Massen" handelt, sondern um den Aufstand der klassenbewussten Masse, die eines organisierten Kampfes fähig ist. Die ganze Geschichte des letzten Jahres hat gezeigt, dass wir die Bedeutung und die Unvermeidlichkeit des Aufstandes unterschätzt haben. Man muss die Aufmerksamkeit der praktischen Seite der Sache zuwenden. Hier ist die Erfahrung der Praktiker und der Arbeiter – der Petersburger, der Rigaer, der kaukasischen – äußerst wichtig. Deshalb würde ich empfehlen, dass die Genossen ihre Erfahrungen mitteilen – das wird unserer Diskussion einen praktischen und keinen scholastischen Charakter verleihen. Es muss geklärt werden, wie die Stimmung des Proletariats ist, ob sich die Arbeiter fähig fühlen, zu kämpfen und den Kampf zu leiten. Man muss die kollektive Erfahrung zusammenfassen, die bis heute nicht verallgemeinert wurde.

Zweite Rede

16./29. April 1905

II

In den Debatten wurde die Frage auf eine praktische Grundlage gestellt – die Stimmung der Massen. Genosse Leskow hat Recht, dass die Stimmung nicht einheitlich ist. Aber auch der Genosse Scharkow hat recht, dass wir damit rechnen müssen, dass der Aufstand zweifellos kommen wird, ganz gleich, wie wir uns dazu stellen. Es entsteht die Frage: bestehen zwischen den beantragten Resolutionen prinzipielle Meinungsverschiedenheiten? Ich sehe sie absolut nicht. Obwohl ich als der Unversöhnlichste gelte, will ich doch versuchen, die beiden Resolutionen zu versöhnen und in Einklang miteinander zu bringen. Ich habe nichts gegen den Abänderungsantrag zur Resolution des Genossen Woinow. Ich sehe in dem Zusatzantrag auch keine prinzipiell abweichende Meinung. Aus der energischsten Teilnahme folgt noch keine Hegemonie. Genosse Michailow hat sich meines Erachtens positiver ausgedrückt – bei ihm ist die Hegemonie unterstrichen, und zwar in konkreter Form. Das englische Proletariat ist berufen, die sozialistische Revolution zu verwirklichen, – das ist unzweifelhaft; aber seine Unfähigkeit, in diesem Augenblick die Revolution durchzuführen, wo es nicht sozialistisch organisiert und durch die Bourgeoisie korrumpiert ist, steht ebenfalls außer Zweifel. Derselbe Gedanke ist auch beim Genossen Woinow; die energischste Teilnahme ist zweifellos auch die entscheidende. Dass das Proletariat den Ausgang der Revolution entscheiden wird – das kann man nicht unbedingt behaupten. Dasselbe gilt von der Rolle des Führers. In der Resolution des Genossen Woinow ist der Ausdruck vorsichtiger. Die Sozialdemokratie kann den Aufstand organisieren, ja sie kann ihn sogar entscheiden, ob aber ihr die führende Rolle gesichert wird, das lässt sich nicht im Voraus bestimmen – das wird von der Kraft, von der Organisation des Proletariats abhängen. Das Kleinbürgertum kann besser organisiert sein und ihre Diplomaten können sich als stärker, als besser vorbereitet erweisen. Genosse Woinow ist vorsichtiger – er sagt: „Du kannst es machen". „Du wirst es machen", sagt Genosse Michailow. Es ist wohl möglich, dass das Proletariat den Ausgang der Revolution entscheiden wird, doch kann man das nicht absolut behaupten. Die Genossen Michailow und Sosnowski verfielen in denselben Fehler, den sie dem Genossen Woinow zuschrieben: „Prahle nicht, wenn du in den Kampf ziehst." – „Zur Sicherung ist notwendig", sagt Genosse Woinow, sie aber sagen: „notwendig und hinreichend". Was die Bildung von besonderen Kampfgruppen betrifft, so kann ich sagen, dass ich sie für notwendig halte. Wir brauchen die Bildung besonderer Gruppen nicht zu fürchten.

1 A. Lunatscharski berichtet in einem Erinnerungsartikel: „Die Bolschewiki im Jahre 1905" („Proletarskaja Rewoluzija", Jahrg. 1925, Nr. 11) u. a.: „Die erste Resolution über den bewaffneten Aufstand wurde auf Grund meines Referats angenommen. Wladimir Iljitsch (Lenin) gab mir alle wesentlichen Thesen zum Referat. Mehr noch er verlangte ..,, dass ich meine ganze Rede niederschreibe und ihm vorher zum Lesen gebe. In der Nacht vor der Sitzung, in der ich mein Referat halten sollte, hatte Wladimir Iljitsch mein Manuskript durchgelesen und gab es mir dann mit zwei, drei geringfügigen Änderungen zurück, was nicht verwunderlich ist, da ich, soweit erinnerlich, mich in meiner Rede an die genauen und ausführlichen Direktiven Wladimir Iljitschs gehalten habe." Der Resolutionsentwurf über den bewaffneten Aufstand, den wir nach Lenins Manuskript bringen, deckt sich fast wörtlich mit dem von Lunatscharski auf dem Parteitag vorgeschlagenen und zeigt, dass Lenin Lunatscharski nicht nur genaue Thesen, sondern auch einen fertigen Resolutionsentwurf gegeben hatte.

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