5. Wie soll man „die Revolution vorwärtstreiben"?

5. Wie soll man „die Revolution vorwärtstreiben"?

Wir bringen einen weiteren Abschnitt der Resolution: „Unter solchen Bedingungen muss die Sozialdemokratie danach streben, während des ganzen Verlaufes der Revolution eine solche Position zu bewahren, die ihr am besten die Möglichkeit sichert, die Revolution vorwärtszutreiben, die ihr im Kampfe gegen die inkonsequente und eigennützige Politik der bürgerlichen Parteien nicht die Hände bindet und sie davor schützt, in der bürgerlichen Demokratie aufzugehen.

Deshalb darf sich die Sozialdemokratie nicht das Ziel setzen, in der provisorischen Regierung die Macht zu erobern oder sich in dieselbe zu teilen, sondern sie muss die Partei der äußersten, revolutionären Opposition bleiben."

Der Rat, eine Position zu beziehen, die uns am besten die Möglichkeit sichert, die Revolution vorwärtszutreiben, gefällt uns ganz außerordentlich. Wir würden bloß wünschen, dass außer diesem guten Rat ein direkter Hinweis da wäre, wie die Sozialdemokratie gerade jetzt, in der gegebenen politischen Situation, in der Epoche der Gerüchte, Mutmaßungen, Gespräche und Pläne über die Einberufung von Volksvertretern die Revolution vorwärtstreiben soll. Kann jetzt jemand die Revolution vorwärtstreiben, der nicht begreift, welche Gefahr die „Oswoboschdjenije"-Theorie vom „Kompromiss" des Volkes mit dem Zaren in sich birgt, der schon den „Beschluss", eine konstituierende Versammlung einzuberufen, als einen Sieg bezeichnet, der sich nicht die aktive Propaganda der Idee von der Notwendigkeit einer provisorischen revolutionären Regierung zur Aufgabe setzt und die Parole der demokratischen Republik im Dunkel lässt? Solche Leute treiben die Revolution in Wirklichkeit zurück, weil sie praktisch-politisch auf dem Niveau der „Oswoboschdjenije"-Position stehengeblieben sind. Was nützt es, dass sie sich zu einem Programm bekennen, das die Beseitigung der Selbstherrschaft und die Errichtung der Republik fordert, wenn in ihrer taktischen Resolution, die die gegenwärtigen und die nächsten Aufgaben der Partei im revolutionären Augenblick festlegt, die Losung des Kampfes für die Republik fehlt? Gerade die „Oswoboschdjenije"-Position, die Position der konstitutionellen Bourgeoisie, ist doch jetzt faktisch dadurch charakterisiert, dass der Beschluss, eine allgemeine konstituierende Versammlung einzuberufen, als ein entschiedener Sieg erachtet wird, während man sich über die provisorische revolutionäre Regierung und über die Republik wohlweislich ausschweigt! Um die Revolution vorwärtszutreiben, das heißt über jene Grenze hinaus, bis zu der die monarchistische Bourgeoisie sie treibt, muss man aktiv solche Losungen aufstellen, betonen und in den Vordergrund rücken, die die „Inkonsequenz" der bürgerlichen Demokratie ausschließen. Im gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es nur zwei solche Losungen: 1. die provisorische revolutionäre Regierung und 2. die Republik; denn die Losung der allgemeinen konstituierenden Versammlung hat die monarchistische Bourgeoisie übernommen (siehe Programm des Oswoboschdjenije-Bundes), und zwar im Interesse der Eskamotierung der Revolution, im Interesse der Verhinderung ihres vollen Sieges und im Interesse des Schachergeschäftes der Großbourgeoisie mit dem Zarismus. Und da sehen wir nun, dass die Konferenz von diesen beiden Losungen, die einzig und allein geeignet sind, die Revolution vorwärtszutreiben, die Losung der Republik gänzlich vergessen und die Losung der provisorischen revolutionären Regierung direkt der „Oswoboschdjenije"-Losung von der allgemeinen konstituierenden Versammlung gleichgesetzt hat, indem sie das eine wie das andere einen „entscheidenden Sieg der Revolution" nannte!!

Jawohl, das ist eine unleugbare Tatsache, die, das steht für uns fest, dem künftigen Historiker der russischen Sozialdemokratie als Markstein dienen wird. Eine Konferenz von Sozialdemokraten nimmt im Mai 1905 eine Resolution an, die schöne Worte spricht über die Notwendigkeit, die demokratische Revolution vorwärtszutreiben, die sie jedoch in Wirklichkeit zurücktreibt und die in Wirklichkeit nicht über die demokratischen Losungen der monarchistischen Bourgeoisie hinausgeht.

Die Neu-Iskristen machen uns gern den Vorwurf, dass wir die Gefahr eines Aufgehens des Proletariats in der bürgerlichen Demokratie ignorieren. Wir möchten den sehen, der es unternimmt, für diesen Vorwurf auf Grund der vom 3. Parteitag der SDAPR angenommenen Resolutionstexte den Beweis zu erbringen. Wir werden unseren Opponenten erwidern: die Sozialdemokratie, die auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft tätig ist, kann nicht an der Politik teilnehmen, ohne in einzelnen Fällen neben der bürgerlichen Demokratie einher zugehen. Der Unterschied zwischen uns und euch ist der, dass wir in einer Reihe mit der revolutionären und republikanischen Bourgeoisie gehen, ohne uns mit ihr zu verschmelzen, ihr jedoch in einer Reihe mit der liberalen und monarchistischen Bourgeoisie einhergeht, auch ohne euch mit ihr zu verschmelzen. So liegen die Dinge.

Eure taktischen Losungen, die im Namen der Konferenz verkündet worden sind, decken sich mit den Losungen der „konstitutionell-demokratischen" Partei, d.h. der Partei der monarchistischen Bourgeoisie, und dabei habt ihr dieses Zusammentreffen nicht bemerkt, seid euch seiner nicht bewusst geworden und habt euch somit faktisch im Schlepptau der „Oswoboschdjenije"-Leute erwiesen.

Unsere taktischen Losungen, die im Namen des 3. Parteitages der SDAPR verkündet worden sind, stimmen mit den Losungen der demokratisch-revolutionären und republikanischen Bourgeoisie überein. Diese Bourgeoisie und auch die Klein-Bourgeoisie haben in Russland noch nicht eine große Volkspartei gebildet.*

Aber dass Elemente einer solchen vorhanden sind, daran kann nur der zweifeln, der keine Ahnung davon hat, was jetzt in Russland vorgeht. Wir beabsichtigen (im Falle eines erfolgreichen Verlaufes der großen russischen Revolution), nicht nur das Proletariat zu führen, das von der sozialdemokratischen Partei organisiert worden ist, sondern auch jenes Kleinbürgertum, das in der Lage ist, mit uns zu gehen.

In ihrer Resolution sinkt die Konferenz unbewusst auf das Niveau der liberalen und monarchistischen Bourgeoisie herab Der Parteitag hebt durch seine Resolution die Elemente der revolutionären Demokratie, die fähig sind zu kämpfen und nicht zu feilschen, bewusst zu sich empor.

Solche Elemente gibt es zumeist unter der Bauernschaft. Ohne in einen großen Irrtum zu verfallen, können wir bei der Einteilung der großen Gesellschaftsgruppen nach ihren politischen Tendenzen die revolutionäre und republikanische Demokratie mit der Masse der Bauernschaft identifizieren – selbstverständlich in demselben Sinne, mit denselben Vorbehalten und unter denselben stillschweigenden Voraussetzungen, unter denen die Arbeiterklasse mit der Sozialdemokratie identifiziert werden kann. Wir können unsere Schlussfolgerungen mit anderen Worten auch in folgender Weise formulieren: die Konferenz sinkt mit ihren allgemeinen** staatlich-politischen Losungen in einem revolutionären Augenblick unbewusst auf das Niveau der Masse der Gutsbesitzer herab; der Parteitag hebt mit seinen allgemeinen staatlich-politischen Losungen die Bauernmasse auf sein revolutionäres Niveau. An denjenigen, der uns wegen dieser Schlussfolgerung beschuldigt, dass wir zu Paradoxen neigen, richten wir die Forderung, die folgende These zu widerlegen: Wenn wir nicht die Kraft aufbringen, die Revolution zu Ende zu führen, wenn die Revolution im Sinne des „Oswoboschdjenije" mit einem „entscheidenden Sieg" in der Form einer vom Zaren einberufenen Vertreterversammlung endet, die nur ironisch eine Konstituante genannt werden kann – dann wird es eine Revolution sein, in der das grundherrliche und das großbürgerliche Element überwiegt. Umgekehrt, wenn uns beschieden ist, eine wirkliche große Revolution zu erleben, wenn die Geschichte diesmal keine „Fehlgeburt" zulässt, wenn wir die Kraft haben, die Revolution zu Ende zu führen, bis zum entscheidenden Sieg, aber nicht im Sinne des »Oswoboschdjenije" und der Neu-Iskristen, dann wird es eine Revolution sein, in der das bäuerliche und proletarische Element überwiegt.

Vielleicht werden manche darin, dass wir den Gedanken an ein solches Überwiegen zulassen, einen Beweis dafür erblicken, dass wir die Überzeugung vom bürgerlichen Charakter der bevorstehenden Revolution aufgegeben haben? Bei dem Missbrauch, der in der „Iskra" mit diesem Begriff getrieben wird, kann so etwas sehr wohl möglich sein. Deshalb ist es durchaus nicht überflüssig, bei dieser Frage des längeren zu verweilen.

* Die „Sozialrevolutionäre" sind eher eine terroristische Intellektuellengruppe als der Keim einer solchen Partei, obwohl die objektive Bedeutung der Tätigkeit dieser Gruppen gerade in der Verwirklichung der Aufgaben der revolutionären und republikanischen Bourgeoisie besteht.

** Wir sprechen nicht von den besonderen Losungen für die Bauernschaft, denen eine besondere Resolution gewidmet ist

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