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Zentralkomitee der SDAPR 19051123 Zur Einberufung des 4. Parteitages der SDAPR

Zentralkomitee der SDAPR: Zur Einberufung des 4. Parteitages der SDAPR

An alle Parteiorganisationen und alle sozialdemokratischen Arbeiter*

[„Nowaja Schisn", Nr. 9, 10./23. November 1905. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 8, 1931, S. 599-601]

Der erste glänzende Sieg, den das kämpfende Proletariat in den Oktobertagen errungen hat, hat eine neue politische Lage geschaffen und der Partei neue politische Aufgaben gestellt. Der alte Absolutismus ist gefallen, die bürgerliche Freiheit ist auf gewaltsamem Wege bis zu einem gewissen Grade verwirklicht worden. Die Partei muss ihre Taktik und ihre Organisation den geänderten Bedingungen anpassen.

Die gewaltige Arbeit, die die Partei in dieser Richtung zu erfüllen hat, würde ihre wirkliche Bedeutung zum großen Teil verlieren, wenn die Sozialdemokratie Russlands verurteilt wäre, auch in Zukunft gespalten zu bleiben.

Die Spaltung der Partei, die in grobem Widerspruch steht zu der unveränderlichen Losung. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" ist schon jetzt für die Partei nicht nur unerträglich und für ihre gesamte Arbeit verderblich, sie ist außerdem jetzt vollkommen sinnlos, weil die Hauptursache, durch die sie aufrechterhalten wurde, verschwindet – das tiefe Dunkel der konspirativen Bedingungen, die vollständige Illegalität der Partei.

Wir berufen den 4. ordentlichen Parteitag ein, um über die zur Entscheidung reif gewordenen Fragen und in erster Linie über die Vereinigung der Partei Beschluss zu fassen.

Wir schlagen der gesamten russischen Sozialdemokratie folgenden Verschmelzungsplan vor. Zur gleichen Zeit und an demselben Orte sollen die Parteitage beider Teile der Partei zusammentreten und nach Vereinbarung der Tagesordnung zu einem Parteitag verschmelzen unter der Bedingung, dass jeder der beiden Teile die gleiche Zahl von beschließenden Stimmen erhält. Jede der beiden Seiten übernimmt vorher die feste und unumstößliche Verpflichtung, sich in allem den Beschlüssen der Mehrheit dieses gemeinsamen Parteitages zu unterwerfen. Wir sind fest überzeugt, dass der auf diese Weise organisierte Vereinigungsparteitag imstande sein wird, sowohl die Verschmelzung der Partei als auch die Ausarbeitung der besten Formen der Taktik und der Organisation durchzuführen. Indem jede der beiden Seiten ihren Teil des Vereinigungsparteitages selbständig einberuft, kann auch jede ihre rechtmäßige Vertretung am besten sichern und die schädliche, das alte Misstrauen entfachende Konkurrenz bei den Wahlen vermeiden. Die Gleichheit der Zahl der beschließenden Stimmen wird eine Gewähr dafür sein, dass keine Seite die andere durch eine Mehrheit mechanisch vergewaltigen wird und dass die Beschlüsse des Parteitages nicht von Fraktionsstimmungen abhängen werden.

Dieser Plan ist von den Genossen des anderen Teils der Partei vorläufig noch nicht angenommen worden. Ihre Zentrale, die Organisationskommission, schlägt einen anderen Plan vor: nach diesem Plan sollen sich die Parteitage und Konferenzen beider Teile der Partei nur untereinander über die Art der Wahlen für einen neuen „konstituierenden" Parteitag einigen und einen gemeinsamen Wahlapparat schaffen, der dann die Einberufung des „konstituierenden" Parteitages durchzuführen hätte.

Dabei beabsichtigt die Organisationskommission, ihre „zweite Konferenz" in einer so kurzen Frist einzuberufen, dass es uns technisch unmöglich ist, den 4. Parteitag bis zu diesem Zeitpunkt einzuberufen, um so mehr als wir den festen Beschluss gefasst haben, auf unserem Parteitag eine vollständige, gewählte Vertretung aller organisierten Arbeiter zu sichern, die unserer Partei angehören.

Um diesen Zweck zu erreichen und zugleich den kontinuierlichen Zusammenhang mit der gesamten vorangegangenen ideologischen und organisatorischen Arbeit der Partei aufrechtzuerhalten, haben wir beschlossen, folgendermaßen vorzugehen:

Wir berufen den 4. ordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands auf Grund des Statuts des 3. Parteitages ein, wobei wir auf Grund des uns nach diesem Statut zustehenden Rechtes auf den Parteitag mit beratender Stimme die Vertreter der gesamten Peripherie einladen, das heißt, die Vertreter aller Organisationen, die der Partei angehören, und zwar je einen von je 300 organisierten Genossen (oder von weniger als 300 in jenen Zentren, wo die Gesamtzahl der organisierten Arbeiter weniger als 300 beträgt). Die sozialdemokratischen Arbeiter, die formell der Partei noch nicht angehören, laden wir ein, sofort in die Parteiorganisationen einzutreten, um an der Wahl der Delegierten teilzunehmen. Sobald der Parteitag zusammentritt, werden wir den Vertretern der Parteikomitees, die nach dem Statut beschließende Stimme haben, vorschlagen, allen mit beratender Stimme Eingeladenen das Recht der beschließenden Stimme zu geben.

Wir zweifeln keine Minute daran, dass unser Vorschlag vom 4. Parteitag der SDAPR angenommen werden wird. Das Übergewicht der Delegierten aus der Masse der sozialdemokratischen Arbeiter, die in die Partei eintreten, wird auf dem Parteitag vollständig gesichert sein, und zugleich wird der vollständige Zusammenhang mit der gesamten vorangegangenen Arbeit der Sozialdemokratie und auch mit den Beschlüssen der früheren Parteitage hergestellt sein.

Indem wir die Eröffnung des Parteitages auf den 10./23. Dezember festsetzen, fordern wir alle Parteiorganisationen auf, die bis zu dieser Frist verbleibende Zeit möglichst energisch für die inneren organisatorischen Reformen auszunützen, die für die Einberufung des Parteitages auf neuer Grundlage notwendig sind, sie auszunützen für die Erörterung aller taktischen und organisatorischen Fragen, die sich auf die Aufgaben des Parteitages beziehen, sowohl in den Organisationen selbst als auch auf den Konferenzen mit den Genossen von der „Minderheit".

Wir erlauben uns die Hoffnung auszusprechen, dass die andere Hälfte der Partei es nicht ablehnen wird, eine neue Konferenz oder einen Parteitag zugleich mit unserem Parteitag einzuberufen. Wir hoffen darauf, denn nur durch die Einberufung der beiden Parteitage zu gleicher Zeit und am gleichen Orte können unnötige Verschleppungen vermieden und kann die brennende Frage der Vereinigung mit einem Schlage gelöst werden.

Mit Parteigruß

Zentralkomitee der SDAPR

PS. Für den Parteitag selbst bitten wir die Genossen inständig, zu beachten, dass die bisherigen konspirativen Methoden in vieler Hinsicht veraltet sind und dass die Sache auf neue Weise, breit, kühn, offen und ohne die geringste Verzögerung durchgeführt werden muss. Es werden keinerlei Agenten mit Einladungen ausgesandt werden. Die einzige Einladung wird die vorliegende Erklärung sein. Die Wahl der Delegierten der Parteikomitees muss sofort, noch in diesen Tagen vorgenommen werden. Sofort müssen auch die der SDAPR angehörenden Arbeiter ihre Delegierten wählen. Im Falle des Mangels an Mitteln für die Entsendung der Delegierten sind besondere Sammlungen durchzuführen. Der Unterhalt der Delegierten muss wenigstens für eine Woche gesichert sein. Die Parteitagsdelegierten müssen von ihrer Wahl sowohl die örtlichen Parteikomitees als auch das ZK verständigen und dann zum 8./21. Dezember am Treffpunkt des ZK oder des Petersburger Parteikomitees eintreffen; sollten keine Treffpunkte bekannt sein, dann sollen sie sich bei irgendeinem mit der Partei verbundenen Sozialdemokraten einfinden.

Wir bitten alle Genossen Delegierten, sich sofort sorgfältig mit allen Schriftstücken und den Beschlüssen der Wahlversammlungen für die Kommission zur Überprüfung der Delegiertenvollmachten und für die vorläufige Überprüfung der Vollmachten durch das Zentralkomitee der Partei zu versehen. Ohne Überprüfung der Vollmachten kann selbstverständlich die Teilnahme am Parteitag nicht zugelassen werden.

Wir bitten alle Genossen Sozialdemokraten, sofort mit der Erörterung der Tagesordnung des Parteitages und der Resolutionsentwürfe, die auf dem Parteitag vorgelegt werden sollen, in den Spalten der sozialdemokratischen Zeitungen zu beginnen.

* Von sämtlichen Mitgliedern des ZK einstimmig angenommen.

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