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Wladimir I. Lenin 19141031 Erklärung

Wladimir I. Lenin: Erklärung1

[Sa Prawdu", Nr. 13, 18./31. Oktober 1913. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 32-34]

Werte Genossen!

Ein Jahr gemeinsamer Arbeit in der Reichsduma hat eine ganze Reihe von, Konflikten und Reibungen zwischen uns und euch, d. h. den übrigen sieben sozialdemokratischen Abgeordneten, zutage gefördert. Es kam bis zur offenen Polemik in der Presse, und eure letzten Beschlüsse, die von euch unmittelbar vor Schluss der Reichsduma im Juni 1913, als ein Teil der Abgeordneten bereits abgereist war, durchgesetzt wurden, haben endgültig die Unmöglichkeit und Ausweglosigkeit der entstandenen, Lage erwiesen. Diese Beschlüsse, die ihr mit 7 Stimmen gegen 6 gefasst habt, sind: die Weigerung, den Bolschewiki (d. h. den 6 Abgeordneten) einen von den zwei Plätzen in der Budgetkommission zu überlassen, und die Wahl eines (anstatt zweier) Vertreter in eine wichtige Institution.

Nachdem ihr wiederholt mit 7 gegen 6 Stimmen den 6 Arbeiterabgeordneten den einen von den zwei in der Duma zu stellenden Rednern genommen habt, war der erwähnte Beschluss der Tropfen, der den Becher zum Überlaufen brachte.

Es ist euch bekannt, dass wir völlig und ausschließlich im Geiste des konsequenten Marxismus gehandelt haben und handeln und uns ideell in allem an seine allgemeinen Entscheidungen halten.

Es ist euch, Genossen, bekannt, dass ganz objektive Tatsachen vorhanden sind, die beweisen, dass wir nicht übertreiben, wenn wir von einer völligen Übereinstimmung unserer Tätigkeit mit dem Bewusstsein und dem Willen der gewaltigen Mehrheit der marxistischen, vorgeschrittenen Arbeiter Russlands sprechen. Das hat auch die Geschichte der „Prawda" bewiesen, der ersten Arbeiterzeitung, die durch den Aufschwung der Arbeiterbewegung im April–Mai 1912 geschaffen worden ist und die Mehrheit der Arbeiter um sich vereinigt hat. Das bat die Verbreitung der „Prawda" in 40.000 Exemplaren bewiesen. Das haben die gruppenweisen Geldsammlungen der Arbeiter für die „Prawda" bewiesen, über die diese Zeitung stets öffentlich berichtet hat. Das haben die Wahlen der Arbeiterkurie in die IV. Reichsduma bewiesen, aus denen ausschließlich Bolschewiki als Kurienabgeordnete hervorgingen und die, verglichen mit den Wahlen der Arbeiterkurie in die II. und III. Reichsduma, ein unbestreitbares, von niemandem bestrittenes gewaltiges Wachsen des Marxismus und der antiliquidatorischen Überzeugung unter den klassenbewussten Arbeitern Russlands gezeigt halben. Das haben schließlich die Wahlen in die Leitung des Metallarbeiterverbandes im St Petersburg und die Geschichte der ersten Arbeiterzeitung im Moskau in diesem Jahre bewiesen. Es versteht sich von selbst, dass wir es für unsere unbedingte Pflicht halten, im strengster Übereinstimmung mit dem Willen der Mehrheit der auf marxistischer Grundlage zusammengeschlossenen Arbeiter Russlands zu handeln.

Dagegen handelt ihr, die sieben Abgeordneten, unabhängig u diesem Willen und gegen ihn. Ihr fasst kühn Beschlüsse, die den Willen der Mehrheit der klassenbewussten Arbeiter durchkreuzen. Wir erinnern nur daran, dass ihr den Nicht-Sozialdemokraten Jagello, den bisher kein einziger Sozialdemokrat Polens anerkannt hat, unter gewissen verklausulierten Bedingungen aufgenommen habt, oder dass ihr – entgegen dem Willen der Mehrheit der Arbeiter – nationalistische Losungen, die sogenannte national-kulturelle Autonomie u. ä. m. angenommen habt. Wir kennen eure Stellung zu der liquidatorischen Strömung nicht genau und glauben, dass ihr eher zur Seite des Liquidatorentums hin schwankt, als dass ihr völlige Anhänger desselben seid. Wie dem aber auch sei, es bleibt unbestreitbare Tatsache, dass ihr die Meinungen und Forderungen der Mehrzahl der klassenbewussten Arbeiter Russlands, mit denen wir Hand in Hand gehen, für euch nicht als verpflichtend betrachtet.

Es erübrigt sich zu sagen, dass unter solchen Bedingungen jeder Sozialist eines beliebigen Landes der Welt, jeder klassenbewusste Arbeiter der Ansicht sein wird, dass es von euch ein ungeheuerliches Bestreben ist, uns mit Hilfe einer Stimme an die Wand zu drücken, uns eines von den zwei Plätzen in den Dumakommissionen oder anderen Institutionen sowie in der Rednerliste der Duma usw. zu berauben und uns eine Taktik und Politik aufzuzwingen, die von der Mehrheit der klassenbewussten Arbeiter Russlands verurteilt wird.

Wir anerkennen und müssen anerkennen, dass heute nicht nur unsere Meinungsverschiedenheiten über die Tätigkeit in der Duma unversöhnlich sind. Wir sind zu der Feststellung gezwungen, dass euer Bestreben, uns zu unterdrücken und uns eines der zwei Plätze zu berauben, unbedingt zur Spaltung führt und jede Möglichkeit einer gemeinsamen Arbeit ausschließt. In Berücksichtigung jedoch des dringenden Wunsches der Arbeiter, die Einheit der sozialdemokratischen Abgeordneten wenigstens nach außen hin und wenigstens in der Tätigkeit in der Duma aufrechtzuerhalten, und in Anbetracht unserer Erfahrung während eines Jahres, die gezeigt hat, dass es mittels einer Vereinbarung möglich ist, diese Einheit im Auftreten in der Duma zu erreichen, schlagen wir euch vor, ein für allemal genau und unzweideutig festzulegen, dass jedes An-die-Wand-Drücken der sechs Abgeordneten der Arbeiterkurie durch die sieben Stimmen unzulässig ist. Die Aufrechterhaltung einer wirklichen Einheit der sozialdemokratischen Fraktion der IV. Reichsduma ist nur dann möglich, wenn die Gleichberechtigung der Sieben und der Sechs vollständig und unwiderruflich anerkannt wird und in allen Fragen der Tätigkeit in der Duma das Prinzip der Vereinbarung zwischen ihnen zur Anwendung gelangt.

1 Die Erklärung mit der Forderung der Gleichberechtigung als notwendiger Voraussetzung für die weitere gemeinsame Arbeit der Fraktion, die der menschewistischen „Sieben" in der Duma am 29. (16.) Oktober von den bolschewistischen Dumaabgeordneten überreicht wurde wurde der bolschewistischen „Sechs" vom ZK zugeschickt und war von Lenin in Poronin geschrieben worden.

Infolge der Ablehnung der Forderung der „Sechs" durch die „Sieben" wurde die Erklärung mit der Unterschrift der „Sechs" in der Form eines Aufrufes an die „Genossen Arbeiter" in Nummer 13 der Zeitung Sa Prawdu" vom 31. (18.) Oktober 1913 veröffentlicht, und zwar mit einem kleinen Zusätze, in welchem sich die „Sechs" an die Arbeiter mit der Bitte wandte, ihre Forderung an die „Sieben" zu diskutieren

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