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Wladimir I. Lenin 19180224 Ein unglücklicher Friede

Wladimir I. Lenin: Ein unglücklicher Friede

[„Prawda" Nr. 34, 24 Februar 1918. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 310 f.]

Trotzki hatte recht, als er sagte: der Frieden kann ein noch so unglücklicher Frieden sein, aber ein Frieden, der diesen hundertfach schändlichen Krieg beendet, kann kein schändlicher, schimpflicher, unsauberer Frieden sein.

Es ist ungeheuer, unglaublich schwer, einen unglücklichen, unendlich schweren, unendlich erniedrigenden Frieden zu unterzeichnen, wo der Starke dem Schwachen das Knie auf die Brust setzt. Aber es ist nicht erlaubt, in Verzweiflung zu geraten, es ist unzulässig, zu vergessen, dass die Geschichte Beispiele noch größerer Demütigungen, noch unglücklicherer, schwererer Friedensbedingungen kennt. Und trotzdem haben es die von brutalen, grausamen Siegern erdrückten Völker verstanden, sich wieder zu erholen und zu erheben.

Napoleon I. zertrat und erniedrigte Preußen unendlich stärker als Wilhelm jetzt Russland. Napoleon I. war im Laufe einer Reihe von Jahren völliger Sieger auf dem Kontinent, sein Sieg über Preußen war viel größer als der Sieg Wilhelms über Russland. Aber nach einigen Jahren erholte sich Preußen und warf im Befreiungskrieg das Joch Napoleons ab, nicht ohne Unterstützung durch Raubstaaten, die keineswegs einen Befreiungskrieg, sondern einen imperialistischen Krieg gegen Napoleon führten.

Die imperialistischen Kriege Napoleons dauerten viele Jahre, umfassten eine ganze Epoche, zeigten das außerordentlich komplizierte Netz der sich mit den nationalen Befreiungsbewegungen verflechtenden imperialistischen* Verhältnisse. Und letzten Endes ging die Entwicklung der Geschichte über diese, an Kriegen und Tragödien (Tragödien ganzer Völker) ungewöhnlich reiche Epoche hinweg vom Feudalismus zum „freien" Kapitalismus.

Die Geschichte marschiert jetzt noch viel rascher, die Tragödien ganzer Völker, die durch den imperialistischen Krieg zertreten werden und zertreten worden sind, sind viel, viel entsetztlicher. Die Verflechtung der imperialistischen Strömungen und der nationalen Freiheitsbewegungen und Bestrebungen haben wir ebenfalls, nur mit dem gewaltigen Unterschied, dass die nationalen Befreiungsbewegungen unendlich schwächer, die imperialistischen unendlich stärker sind. Aber die Geschichte schreitet unaufhörlich vorwärts, und in allen fortgeschrittenen Ländern reift – trotz alledem -– die sozialistische Revolution heran, eine unendlich tiefere, mächtigere Volksrevolution als die früheren bürgerlichen Revolutionen.

Deshalb sagen wir aber und abermals: am allerwenigsten ist Verzweiflung angebracht. Die Friedensbedingungen sind unerträglich schwer. Trotzdem wird sich die Geschichte durchsetzen. Die unaufhörlich heranreifende sozialistische Revolution in den anderen Ländern wird uns zu Hilfe kommen, wenn auch vielleicht nicht so schnell, wie wir es alle wünschen.

Ein Räuber hat uns umringt, zu Boden getreten und erniedrigt. Wir werden imstande sein, alle diese Lasten zu ertragen. Wir stehen nicht allein da in der Welt. Wir haben Freunde, Anhänger, treue Helfer. Sie haben sich verspätet – infolge einer Reihe von Bedingungen, die nicht von ihrem Willen abhängen –, aber sie werden uns zu Hilfe kommen.

An die Organisation, Organisation und abermals Organisation! Die Zukunft wird trotz aller Prüfungen unser sein.

* Als Imperialismus bezeichne ich hier den Raub anderer Länder überhaupt, als imperialistischen Krieg einen Krieg von Räubern wegen der Aufteilung der Beute.

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