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Wladimir I. Lenin 19180604 Schlusswort zum Bericht vom 4. Juni 1918

Wladimir I. Lenin: Schlusswort zum Bericht vom 4. Juni 1918

Gemeinsame Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees, des Moskauer Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und Rotarmistendeputierten und der Gewerkschaften. 4. Juni 1918

[Veröffentlicht 1918 in dem Buch: „Protokolle der Sitzungen des Allrussischen Zentralexekutivkomitees, IV. Session. Stenographischer Bericht". Staatsverlag. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 79-83]

Genossen, die Reden der Fraktionsredner haben, meiner Ansicht nach, das gezeigt, was auch zu erwarten war.

Ungeachtet des Unterschiedes, der zwischen den Bolschewiki und gewissen Parteien und Gruppen besteht, haben wir uns davon überzeugt, dass der gewaltige Aufschwung in den Massen im Kampf gegen die Hungersnot zusammenschweißt, und nicht nur die bolschewistischen Organisationen zusammenschweißt. Und wir zweifeln nicht daran, je weiter der Kampf gegen den Hunger fortschreiten, je weitgehender sich die Konterrevolution entlarven wird, die sich hinter dem Rücken der tschechoslowakischen und anderen Banden versteckt, desto stärker wird sich die Scheidung vollziehen zwischen den Anhängern der Bolschewiki, den werktätigen Arbeiter- und Bauernmassen und jenen Feinden – wie immer sie sich auch bezeichnen mögen –, deren Argumente wir bekämpfen. Diese Feinde führen nach wie vor dieselben alten abgedroschenen Argumente gegen den Brester Frieden und gegen den Bürgerkrieg ins Feld, als hätten in diesen drei Monaten, die seit dem Abschluss des Brester Friedens verflossen sind, die Ereignisse nicht eindeutig denjenigen recht gegeben, die da sagten, dass nur die Taktik der Kommunisten dem Volk Frieden bringen und es befreien wird für die Arbeit an der Organisation und an dem Zusammenschluss, für die Vorbereitung neuer und gewaltiger Kämpfe, die schon in einer anderen Situation ausbrechen werden. Die Ereignisse zeigen vollauf, dass das europäische Proletariat, das damals noch nicht zu Hilfe kommen konnte, mit jedem Monat – das kann man heute ohne Übertreibung sagen – mit jedem Monat jener Situation näher kommt, wo der Aufstand als eine Notwendigkeit klar erkannt wird, und wo er unvermeidlich wird. Die Ereignisse haben durchaus bewiesen, dass es nur die eine Wahl gab, die Gewaltfrieden, Raubfrieden heißt.

Jeder denkende Mensch fühlte, dass die rechten Sozialrevolutionäre auf dem III. Sowjetkongress eine konterrevolutionäre Resolution eingebracht hatten; jeder Denkende muss angesichts der Resolution der Menschewiki das gleiche empfinden, die bis heute „Nieder mit dem Brester Frieden" schreien und so tun, als ob sie tatsächlich nicht wüssten, dass sie uns eben dadurch in einen Krieg mit der deutschen Bourgeoisie hinein zerren werden mit Hilfe der tschechoslowakischen Aufrührer sowie der eigens zu diesem, Zweck gedungenen Agenten.

Es lohnt nicht, auf die Vorwürfe gegen die Kommunisten einzugehen, als ob sie die Schuld am Hunger trügen. Genau so war es auch während der Oktoberrevolution. Ein Sozialist oder Anarchist – nennt ihn, wie es euch beliebt –, der nicht den Verstand verloren hat, kann nicht die Stirn haben, vor einer beliebigen Versammlung zu behaupten, man könne zum Sozialismus ohne Bürgerkrieg gelangen.

Ihr mögt die gesamte Literatur aller einigermaßen verantwortlichen sozialistischen Parteien, Fraktionen und Gruppen durchsehen, bei keinem einzigen verantwortlichen und ernsten Sozialisten werdet ihr einen solchen Unsinn finden, dass irgendwann der Sozialismus anders kommen könne als durch den Bürgerkrieg, und dass die Gutsbesitzer und Kapitalisten ihre Privilegien freiwillig abtreten würden. Das ist eine Naivität, die an Dummheit grenzt. Und jetzt, nach einer Reihe von Niederlagen der Bourgeoisie und ihrer Anhänger, bekommen wir solche Eingeständnisse zu hören, wie z. B. das von Bogajewski, der zwar am Don für die Konterrevolution den besten Boden von ganz Russland hatte, aber ebenfalls zugab, dass die Mehrheit des Volkes gegen sie sei, – und darum werden ihnen keinerlei Wühlereien der Bourgeoisie ohne die ausländischen Bajonette helfen. Hier aber fällt man über die Bolschewiki wegen des Bürgerkrieges her. Das bedeutet, auf die Seite der konterrevolutionären Bourgeoisie überzugehen, mit welchen Losungen man das auch immer bemänteln mag.

Wie vor der Revolution, so weisen wir auch jetzt darauf hin, dass es mehr als seltsam ist, in einer Zeit, da das internationale Kapital den Krieg auf die Tagesordnung der Geschichte setzt, da Hunderttausende von Menschenleben zugrunde gehen, da der Krieg die Sitten umgestaltet und die Menschen daran gewöhnt, Fragen mit Waffengewalt zu entscheiden, in einer solchen Zeit zu glauben, man könne aus diesem Krieg anders herauskommen als durch seine Verwandlung in den Bürgerkrieg. Und das, was in Österreich, in Italien und in Deutschland heranreift, zeigt, dass der Bürgerkrieg dort noch viel schärfere Formen annehmen, noch viel schroffer sein wird. Für den Sozialismus gibt es keinen anderen Weg. Wer gegen den Sozialismus Krieg führt, der verrät den Sozialismus vollständig.

Was die Maßnahmen auf dem Gebiet der Ernährung betrifft, so hat man mich darauf verwiesen, ich wäre auf diese Maßnahmen nicht ausführlich eingegangen. Das gehörte aber durchaus nicht zu meiner Aufgabe. Den Bericht über die Ernährungslage haben meine Kollegen gegeben, die an diesem Problem speziell gearbeitet – und nicht Monate, sondern Jahre gearbeitet haben, – die dieses Problem nicht nur in den Kanzleien von Petrograd und Moskau studierten, sondern die auch an Ort und Stelle sich praktisch mit dem Studium der Frage beschäftigt haben, wie das Getreide geschüttet werden muss, wie die Schüttpunkte eingerichtet werden müssen usw. Diese Berichte wurden im Allrussischen Zentralexekutivkomitee und im Moskauer Sowjet gegeben, dort findet man auch Materialien zu dieser Frage. Was aber die fachliche Kritik und die praktischen Hinweise betrifft,, so war das nicht meine Aufgabe. Für mich galt es, die Aufgabe, vor der wir stehen, prinzipiell zu umreißen, und ich habe hier weder eine irgendwie beachtenswerte Kritik noch eine vernünftige Bemerkung gehört, die eine prinzipielle Wertung verdient hätte. Zum Schluss, Genossen, will ich meiner Überzeugung Ausdruck geben – ich bin sicher, dass das die Überzeugung der gewaltigen Mehrheit sein wird –, dass die Aufgabe unserer Versammlung nicht darin besteht, eine bestimmte Resolution anzunehmen – obgleich auch das gewiss wichtig ist, zeigte es doch, wie das Proletariat es versteht, seine Kräfte zusammenzuschweißen .–, aber das ist wenig, das ist unendlich wenig: wir müssen jetzt praktische Aufgaben lösen.

Wir wissen, besonders die Genossen Arbeiter wissen, wie im praktischen Leben auf Schritt und Tritt, in jeder Fabrik, auf jeder Versammlung, bei jeder zufälligen Straßenansammlung sich immer wieder die Frage des Hungers in den Vordergrund drängt, dass sie immer schärfer gestellt wird. Und darum muss unsere Hauptaufgabe darin bestehen, auch diese Versammlung, auf der wir mit den Vertretern des Allrussischen Zentralexekutivkomitees, des Moskauer Sowjets und der Gewerkschaften zusammengekommen sind, zum Ausgangspunkt einer Umwälzung in unserer ganzen praktischen Arbeit zu machen. Alles Übrige muss gänzlich dem Einen untergeordnet werden, dass unsere Propaganda, unsere Agitation und unsere organisatorische Arbeit erfolgreich sei, dass die Frage des Kampfes gegen den Hunger völlig in den Vordergrund gestellt und voll und ganz mit der Frage des proletarischen, schonungslos harten Kampfes gegen die Kulaken und Spekulanten verbunden werde.

Unser Ernährungskommissariat hat sich schon an die Betriebskomitees, an die Gewerkschaften und an jene großen proletarischen Zentren gewandt, wo wir unmittelbar wirken müssen, hat an die engen und zahlreichen Verbindungen appelliert, welche die Moskauer Arbeiter mit Hunderttausenden von organisierten Arbeitern der Fabriken und Werke sämtlicher bedeutenden Industriebezirke verknüpfen.

Um so mehr müssen wir das ausnutzen.

Die Lage ist kritisch. Der Hunger droht nicht nur, der Hunger ist da. Es ist nötig, dass jeder Arbeiter, jeder Parteifunktionär sich sofort praktisch die Aufgabe stellt, die Grundrichtung seiner Tätigkeit zu ändern,

Hinein in die Fabriken, hinein in die Massen, alle müssen sich sofort praktisch an die Arbeit machen! Die Arbeit wird uns eine Menge praktischer Fingerzeige geben, die weitaus ergiebiger in ihrer Anwendung sein werden, und sie wird gleichzeitig neue Kräfte erkennen und aufrücken lassen. Mit diesen neuen Kräften werden wir die Arbeit breit entfalten. Wir sind fest davon überzeugt, dass die drei Monate – von denen Genosse Trotzki so richtig sagte, dass sie viel schwerer sein werden, als die vorhergehenden – uns dazu dienen werden, unsere Kräfte zu stählen, dass sie uns zum vollen Sieg über den Hunger führen und die Erfüllung aller Pläne der Sowjetmacht erleichtern werden.

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