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Wladimir I. Lenin 19180109 Wie soll man den Wettbewerb organisieren?

Wladimir I. Lenin: Wie soll man den Wettbewerb organisieren?1

[Abgefasst am 25.-28. Dezember 1917/7.–10. Januar 1918. Zum ersten Mal veröffentlicht in „Prawda" Nr. 17, 20. Januar 1929. Gezeichnet: W. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 22, 1934, S. 160-170]

Die bürgerlichen Schriftsteller haben Berge von Papier verschrieben und auf die Konkurrenz, die private Unternehmungslust und sonstige wundervolle Tugenden und Herrlichkeiten der Kapitalisten und der kapitalistischen Ordnung Loblieder angestimmt. Die Sozialisten beschuldigte man, dass sie die Bedeutung dieser Tugenden nicht verstehen und mit der „Natur des Menschen" nicht rechnen wollen. In Wirklichkeit aber hat der Kapitalismus längst die selbständige kleine Warenproduktion, unter der die Konkurrenz in halbwegs großen Ausmaßen die Unternehmungslust, die Energie, die kühne Initiative entwickeln konnte, durch die große und ganz große fabrikmäßig betriebene Produktion, durch Aktiengesellschaften, Syndikate und andere Monopole ersetzt. Die Konkurrenz unter einem soIchen Kapitalismus bedeutet eine unerhört brutale Unterdrückung der Unternehmungslust, der Energie, der kühnen Initiative der Masse der Bevölkerung, der gigantischen Mehrheit der Bevölkerung, von neunundneunzig Prozent der Werktätigen, bedeutet ferner die Ersetzung des Wettbewerbs durch Finanzschwindeleien, Despotismus, Lakaientum auf der Spitze der sozialen Leiter:

Der Sozialismus beseitigt keineswegs den Wettbewerb, im Gegenteil, er schafft zum ersten Mal die Möglichkeit, ihn wirklich im breiten Umfange, wirklich im Massenumfang anzuwenden, wirklich der Mehrheit der Werktätigen ein Arbeitstfeld zu geben, auf dem sie sich hervortun, ihre Fähigkeiten entfalten, ihre Talente offenbaren können, die in ungeheurer Zahl im Volke vorhanden sind und die der Kapitalismus zu Tausenden und Millionen zertreten, erdrückt und erdrosselt hat.

Jetzt, wo eine sozialistische Regierung am Ruder ist, besteht unsere Aufgabe darin, den Wettbewerb zu organisieren.

Die Lakaien und die Kostgänger der Bourgeoisie schilderten den Sozialismus als eine eintönige, graue Staatskaserne. Die Lakaien des Geldsacks, die Knechte der Ausbeuter, die Herren bürgerlichen Intellektuellen „schrecken" das Volk mit dem Sozialismus, das gerade unter dem Kapitalismus zum Zuchthaus, zur Kaserne, zu übermäßiger, widerwärtiger Arbeit, einem halb hungrigen Leben und schlimmster Armut verurteilt ist. Der erste Schritt zur Befreiung der Werktätigen von diesem Zuchthaus ist die Konfiskation des Bodens der Gutsbesitzer, die Einführung der Arbeiterkontrolle, die Nationalisierung der Banken. Die nächsten Schritte werden sein: die Nationalisierung der Fabriken, der Betriebe, die zwangsweise Zusammenfassung der gesamten Bevölkerung in den Konsumgenossenschaften, die gleichzeitig Absatzgenossenschaften sind, die Einführung des Staatsmonopols für den Getreidehandel und andere notwendige Bedarfsgegenstände.

Erst jetzt ist in breitem, wahrhaft großzügigem Umfange die Möglichkeit gegeben, die Unternehmungslust, den Wettbewerb, die kühne Initiative zu entfalten. Jede Fabrik, in der man den Kapitalisten zum Teufel gejagt oder wenigstens durch eine wirkliche Arbeiterkontrolle gezugelt hat, jedes Dorf, in dem man den Ausbeuter von Gutsbesitzer ausgeräuchert und ihm das Land weggenommen hat, ist erst jetzt ein Feld, auf dem der Mensch der Arbeit sich entfalten, das Rückgrat ein wenig geraderichten, sich als Mensch fühlen kann. Zum ersten Mal nach Jahrhunderten der Arbeit für andere, der unfreien Arbeit für die Ausbeuter, besteht die Möglichkeit der Arbeit für sich selbst, und zwar einer Arbeit, die sich auf alle Errungenschaften der modernen Technik und Kultur stützt.

Gewiss, diese gewaltige Erscheinung in der Geschichte der Menschheit, diese Ablösung der unfreien Arbeit durch die Arbeit für sich selbst, kann nicht ohne Reibungen, Schwierigkeiten, Konflikte, ohne Gewaltanwendung gegen die eingefleischten Müßiggänger und ihre Lakaien vor sich geben. Darüber bestehen bei keinem Arbeiter Illusionen. Die Arbeiter und armen Bauern, die durch die langen Jahre Zuchthausarbeit für die Ausbeuter, die zahllosen Peinigungen und Verhöhnungen durch die Ausbeuter gestählt worden sind, die durch die schwere Not gestählt worden sind, wissen, dass man Zeit braucht, um den Widerstand der Ausbeuter zu brechen. Die Arbeiter und Bauern sind keineswegs von den sentimentalen Illusionen der Herren Intellektuellen, von den Illusionen dieses ganzen Geschmeißes der Leute von der „Nowaja Schisn" u. a. angesteckt, die sich gegen die Kapitalisten heiser „schrien", gegen sie „gestikulierten", sie „vernichteten", um dann drauflos zu heulen und sich wie ein verprügelter jünger Hund zu benehmen, als es zum Handeln kam: zur Verwirklichung der Drohungen, zur praktischen Durchführung des Sturzes der Kapitalisten.

Die gewaltige Erscheinung der Ablösung der unfreien Arbeit durch die Arbeit für sich selbst, durch die planmäßig organisierte Arbeit in riesigem Maßstab im ganzen Lande (in einem gewissen Grade auch im internationalen, im Weltmaßstabe), erfordert ebenfalls außer den „militärischen" Maßnahmen zur Unterdrückung des Widerstandes der Ausbeuter gewaltige organisatorische Anstrengungen des Proletariats und der armen Bauernschaft. Die organisatorische Aufgabe verwächst zu einem unzerreißbaren Ganzen mit der Aufgabe der erbarmungslosen, militärischen Unterdrückung der Sklavenhalter von gestern (der Kapitalisten) und ihrer Lakaienmeute – der Herren bürgerlichen Intellektuellen. Wir waren immer die Organisatoren und Leiter, wir haben kommandiert – sagen und denken die Sklavenhalter von gestern und ihre Kommis aus der Intelligenz –, wir wollen es auch weiter bleiben, wir werden nicht auf das „gemeine Volk", auf die Arbeiter und Bauern hören, wir werden uns ihnen nicht unterwerfen, wir werden unser Wissen zu einer Waffe der Verteidigung der Vorrechte des Geldsacks und der Herrschaft des Kapitals über das Volk machen.

So reden, denken und handeln die Bourgeois und die bürgerlichen Intellektuellen. Vom egoistischen Standpunkt ist ihr Verhalten begreiflich: den Speichelleckern und Kostgängern der Feudalherren, den Popen, Amtsschreibern, Beamten vom Schlage der Gogolschen Typen, den „Intellektuellen", die Bjelinski hassten, war es ebenfalls „schwer", sich von der Leibeigenschaft zu trennen. Aber die Sache der Ausbeuter und ihres Intellektuellengesindes ist eine hoffnungslose Sache. Die Arbeiter und Bauern brechen ihren Widerstand – leider noch nicht entschieden, energisch und rücksichtslos genug – und werden ihn brechen.

Sie" glauben, dass das „einfache Volk", die „einfachen" Arbeiter und armen Bauern mit der gewaltigen, wahrhaft heroischen – im weltgeschichtlichen Sinne des Wortes – organisatorischen Aufgabe, die die sozialistische Revolution den Werktätigen gestellt hat, nicht fertig werden. „Ohne uns geht es nicht", trösten sich die Intellektuellen, die gewöhnt sind, den Kapitalisten und dem kapitalistischen Staat zu dienen. Ihre unverschämten Erwartungen erfüllen sich nicht: es gibt jetzt schon gebildete Menschen, die auf die Seite des Volkes, auf die Seite der Werktätigen treten und helfen, den Widerstand der Lakaien des Kapitals zu brechen. Organisatorische Talente aber gibt es unter der Bauernschaft und der Arbeiterklasse viel, und diese Talente fangen eben erst an, sich ihrer selbst bewusst zu werden, zu erwachen, sich nach lebendiger, schöpferischer, gewaltiger Arbeit zu drängen, selbständig den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in Angriff zu nehmen.

Eine der wichtigsten Aufgaben, wenn nicht die wichtigste, besteht jetzt darin, diese selbständige Initiative der Arbeiter und überhaupt aller Werktätigen und Ausgebeuteten bei der schöpferischen organisatorischen Arbeit in möglichst breitem Umfange zu entfalten. Man muss um jeden Preis das alte, sinnlose, barbarische, schändliche und niederträchtige Vorurteil zerschlagen, dass nur die sogenannten „höheren" Klassen, nur die Reichen oder diejenigen, die die Schule der reichen Klassen durchgemacht haben, imstande seien, den Staat zu verwalten, den organisatorischen Aufbau der sozialistischen Gesellschaft zu leiten.

Das ist ein Vorurteil. Es wird durch die faule Routine, die Verknöcherung, die sklavische Gewohnheit und noch mehr durch den schmutzigen Eigennutz der Kapitalisten genährt, die daran interessiert sind, zu verwalten und gleichzeitig zu stehlen, zu stehlen und gleichzeitig zu verwalten. Nein. Die Arbeiter werden keinen Augenblick vergessen, dass sie die Macht des Wissens brauchen. Der ungewöhnliche Drang nach Bildung, den die Arbeiter gerade jetzt an den Tag legen, ist ein Beweis dafür, dass in dieser Hinsicht unter dem Proletariat keine irrtümlichen Auffassungen bestehen und auch nicht bestehen können. Aber auch der einfache Arbeiter und Bauer, der lesen und schreiben kann, Menschenkenntnis und praktische Erfahrung besitzt, ist der organisatorischen Arbeit gewachsen. Es gibt unter dem „gemeinen Volk", von dem die bürgerlichen Intellektuellen so hochmütig und verächtlich reden, eine Masse solcher Leute. Die Arbeiterklasse und die Bauernschaft ist ein noch unberührter, unerschöpflicher Quell solcher Talente.

Die Arbeiter und Bauern sind noch „schüchtern", haben sich noch nicht daran gewöhnt, dass sie jetzt die herrschende Klasse sind, sie sind noch nicht entschieden genug. Diese Eigenschaften in aber und aber Millionen Menschen, die ihr ganzes Leben lang durch Hunger und Not gezwungen waren, unter der Fuchtel zu arbeiten, konnte der Umsturz nicht auf einmal schaffen. Aber gerade darin besteht die Stärke, die Lebensfähigkeit, die Unbesiegbarkeit der Oktoberrevolution von 1917, dass sie diese Eigenschaften weckt, alle alten Hindernisse beseitigt, die alten Fesseln zerreißt, die Werktätigen auf den Weg des selbständigen schöpferischen Aufbaues eines neuen Lebens führt.

Rechnungslegung und Kontrolle – dass ist die wirtschaftliche Hauptaufgabe eines jeden Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates, einer jeden Konsumgenossenschaft, einer jeden Gewerkschaft, eines jeden Versorgungsverbandes oder -ausschusses, eines jeden Betriebsrates oder Organs der Arbeiterkontrolle überhaupt.

Der Kampf gegen die alte Gewohnheit, das Arbeitsmaß, die Produktionsmittel vom Standpunkt des unfreien Menschen zu betrachten, der sich irgendwie von einer übrigen Mühe befreien, der Bourgeoisie wenigstens irgend etwas wegreißen will, – dieser Kampf ist notwendig. Diesen Kampf haben bereits die fortgeschrittenen, klassenbewussten Arbeiter begonnen, die die Neulinge unter den Arbeitern entschieden zurückweisen, die während des Krieges besonders zahlreich in die Fabriken gekommen sind und jetzt sich zu der Fabrik des Volkes, zu der Fabrik, die Eigentum des Volkes geworden ist, genau so verhalten wollen, wie früher, wo man nur daran dachte, „möglichst viel herauszuschlagen und sich davonzumachen". Alle zielbewussten, ehrlichen, denkenden Elemente der Bauernschaft und der werktätigen Massen werden in diesem Kampfe auf der Seite der fortgeschrittenen Arbeiter stehen.

Die Rechnungslegung und Kontrolle, wenn sie von den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten als oberste Staatsgewalt oder auf Anweisung, im Auftrage dieser Staatsgewalt durchgeführt wird, die allgemeine, allumfassende Rechnungslegung und Kontrolle, die Rechnungslegung und Kontrolle über die Menge der Arbeit und die Verteilung der Produkte – darin besteht das Wesen der sozialistischen Umgestaltung, wenn die politische Herrschaft des Proletariats bereits begründet und gesichert ist.

Die Rechnungslegung und Kontrolle, die für den Übergang zum Sozialismus notwendig ist, kann nur das Werk der Massen sein. Nur die freiwillige und gewissenhafte, mit revolutionärem Enthusiasmus durchgeführte Mitarbeit der Masse der Arbeiter und Bauern an der Rechnungslegung und der Kontrolle über die Reichen, die Gauner, die Müßiggänger, die Rowdys kann diese Überbleibsel der verfluchten kapitalistischen Gesellschaft, diesen Auswurf der Menschheit, diese rettungslos verfaulten und verkommenen Elemente, diese Pest, diese Eiterbeule überwinden, die der Kapitalismus dem Sozialismus hinterlassen hat.

Arbeiter und Bauern, Werktätige und Ausgebeutete! Das Land, die Banken, die Fabriken, die Betriebe sind Eigentum des ganzen Volkes geworden! Geht selbst an die Rechnungslegung und Kontrolle über die Produktion und die Verteilung der Produkte – darin und nur darin besteht der Weg zum Siege des Sozialismus, die Bürgschaft für seinen Sieg, die Bürgschaft für den Sieg über jede Ausbeutung, jede Not und jedes Elend! Denn in Russland ist genug Getreide, Eisen, Holz, Wolle, Baumwolle und Flachs für alle da. Man muss nur die Arbeit und die Produkte richtig verteilen, eine allgemeine gründliche praktische Kontrolle über diese Verteilung durchführen und nicht nur in der Politik siegen, sondern auch im täglichen wirtschaftlichen Leben die Feinde des Volkes, die Reichen und ihre Kostgänger, sodann die Gauner, Müßiggänger und Rowdys besiegen.

Keine Schonung dieser Feinde des Volkes, des Sozialismus, der Werktätigen. Erbarmungsloser Kampf gegen die Reichen und ihre Kostgänger, gegen die bürgerlichen Intellektuellen, gegen die Gauner, Müßiggänger und Rowdys. Die einen wie die anderen sind leibliche Brüder, Kinder des Kapitalismus, Söhnchen der feudalen und bürgerlichen Gesellschaft, einer Gesellschaft, in der ein kleines Häuflein das Volk ausplünderte und peinigte, einer Gesellschaft, in der die Not und das Elend Tausende und aber Tausende auf den Weg des Rowdytums, der Käuflichkeit, des Gaunertums, des Vergessens der Menschlichkeit brachte, einer Gesellschaft, in der unvermeidlich bei den Werktätigen das Bestreben entwickelt wurde: sich der Ausbeutung sogar durch Betrug zu entziehen, sich herauszuwinden, sich wenigstens auf einen Augenblick von der widerwärtigen Arbeit zu befreien, wenigstens ein Stück Brot auf irgendeine Weise herauszureißen, koste es, was es wolle, um nur nicht zu hungern, um nur nicht mit der Familie halb hungrig zu bleiben.

Die Reichen und die Gauner sind zwei Seiten ein und derselben Medaille, zwei Hauptsorten von Parasiten, die der Kapitalismus aufgepäppelt hat, sind die Hauptfeinde des Sozialismus. Diese Feinde muss die gesamte Bevölkerung besonders scharf überwachen. Man muss rücksichtslos mit ihnen abrechnen, sobald sie die Regeln und Gesetze der sozialistischen Gesellschaft auch nur im Geringsten verletzen. Jede Schwäche, jedes Schwanken, jede Sentimentalität in dieser Hinsicht wäre das größte Verbrechen gegen den Sozialismus.

Um die sozialistische Gesellschaft vor diesen Parasiten zu sichern, muss man eine allgemeine, von Millionen und aber Millionen Arbeitern und Bauern freiwillig, energisch, von revolutionärem Enthusiasmus getragene Rechnungslegung und Kontrolle über die Menge der Arbeit, die Herstellung und die Verteilung der Produkte organisieren. Um aber diese Rechnungslegung und Kontrolle zu organisieren, die jedem ehrlichen, verständigen, geschickten Arbeiter und Bauer durchaus zugänglich ist, der er durchaus gewachsen ist, muss man ihre eigenen, aus ihren Reihen hervorgehenden organisatorischen Talente ausfindig machen, muss man unter ihnen den Wettbewerb zur Erweiterung der organisatorischen Erfolge – anregen und im allgemein staatlichen Maßstabe organisieren, müssen die Arbeiter und Bauern ganz klar den Unterschied zwischen dem notwendigen Rat des gebildeten Menschen und der notwendigen Kontrolle des „einfachen" Arbeiters und Bauern über die Schlamperei, die bei den „Gebildeten" eine so gewöhnliche Erscheinung ist, erkennen.

Diese Schlamperei, Liederlichkeit, Unordentlichkeit, Unpünktlichkeit, diese nervöse Hast, diese Neigung, die Tat durch Diskussion, die Arbeit durch Gerede zu ersetzen, diese Neigung, alles in der Welt anzufangen und nichts zu Ende zu führen, ist eine jener Eigenschaften der „Gebildeten", die sich keineswegs aus ihrer schlechten Natur und noch weniger aus Böswilligkeit, sondern aus allen ihren Lebensgewohnheiten, ihren Arbeitsverhältnissen, ihrer Übermüdung, der unnatürlichen Trennung der geistigem Arbeit von der körperlichen usw. usw. ergeben.

Unter den Fehlern, Mängeln, Missgriffen unserer Revolution spielen diese und ähnliche Fehler eine nicht geringe Rolle, die durch diese traurigen – aber im gegebenen Augenblick unvermeidlichen – Eigenschaften der Intellektuellen in unseren Reihen und durch das Fehlen einer genügenden Kontrolle der Arbeiter über die organisatorische Arbeit der Intellektuellen hervorgerufen werden.

Die Arbeiter und Bauern sind noch „schüchtern". Von dieser Schüchternheit müssen sie sich befreien und werden sich zweifelsohne befreien. Ohne Ratschläge, ohne Anleitung durch die Gebildeten, die Intellektuellen, die Fachleute kann man nicht auskommen. Jeder halbwegs vernünftige Arbeiter und Bauer versteht diese Überlegenheit, und die Intellektuellen in unseren Reihen können sich nicht über Mangel an Aufmerksamkeit und kameradschaftlicher Achtung bei den Arbeitern und Bauern beklagen. Aber Ratschläge und Anweisungen – und praktische Organisierung der Rechnungslegung und Kontrolle sind zwei verschiedene Dinge. Intellektuelle können durchweg ausgezeichnete Ratschläge und Anweisungen erteilen, aber ihre „Hilflosigkeit", Unfähigkeit bei der Durchführung dieser Ratschläge und Anweisungen, bei der praktischen Durchführung der Kontrolle , ob das Wort auch in die Tat umgesetzt wird, ist geradezu lächerlich, unglaublich, schändlich.

Hier kann man auf keinen Fall ohne die Hilfe und ohne die führende Rolle der praktischen Organisatoren „aus dem Volke", aus den Reihen der Arbeiter und werktätigen Bauern auskommen. „Nicht die Götter brennen die Tontöpfe"! Diese Wahrheit müssen sich die Arbeiter und Bauern fester einprägen. Sie müssen begreifen, dass jetzt alles auf die Praxis ankommt, dass gerade jener geschichtliche Augenblick gekommen ist, wo die Theorie zur Praxis wird, durch die Praxis belebt, korrigiert, erprobt wird, wo insbesondere die Worte Marxens sich als richtig erweisen: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme." Jeder Schritt der praktischen, wirklichen Zügelung und Beschränkung, der völligen Registrierung und Überwachung der Reichen und Gauner ist wichtiger als ein Dutzend ausgezeichneter Betrachtungen über den Sozialismus. Denn „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum".

Man muss unter den Organisationspraktikern aus den Reihen der Arbeiter und Bauern den Wettbewerb organisieren. Man muss gegen jede Schablonisierung und gegen die Versuche kämpfen, alles von oben nach einem Schema zu behandeln, wozu die Intellektuellen so sehr neigen. Mit dem demokratischen und sozialistischen Zentralismus hat weder das Schablonisieren noch das Festlegen eines Schemas von oben irgend etwas gemein. Das Grundlegende, das Wesentliche der Einheit wird nicht verletzt, sondern gesichert durch die Mannigfaltigkeit der Einzelheiten, der lokalen Besonderheiten, der Methoden des Anpackems der Dinge, der Methoden der Durchführung der Kontrolle, der Wege zur Ausrottung und Unschädlichmachung der Parasiten (der Reichen und Gauner, der Schlampigen und Hysterischen unter der Intelligenz usw. usw.).

Die Pariser Kommune war ein großes Vorbild der Verknüpfung der Initiative, der Selbständigkeit, der Freiheit der Bewegung, des energischen Aufschwungs von unten mit einem freiwilligen, von Schablonen freien Zentralismus. Unsere Räte gehen denselben Weg. Aber sie sind noch „schüchtern", sie haben sich noch nicht entfaltet, haben sich noch nicht in ihre neue, große, schöpferische Arbeit der Schaffung einer sozialistischen Ordnung „hinein gebissen". Die Räte müssen mit größerer Kühnheit und Initiative an die Arbeit gehen. Jede „Kommune", jede Fabrik, jedes Dorf, jede Konsumgenossenschaft, jeder Versorgungsausschuss, sie alle müssen im Wettbewerb miteinander als praktische Organisatoren der Rechnungslegung und Kontrolle über die Arbeit und die Verteilung der Produkte hervortreten. Das Programm dieser Rechnungslegung und Kontrolle ist einfach, klar, jedem verständlich: jeder soll Brot haben, alle sollen haltbares Schuhwerk und ganze Kleidung erhalten, eine warme Wohnung haben, gewissenhaft arbeiten, kein einziger Gauner (auch solche, die sich vor der Arbeit drücken) darf frei herumspazieren, sondern muss im Gefängnis sitzen oder als Strafe schwerste Zwangsarbeit verrichten, kein einziger Reicher, der die Bestimmungen und Gesetze des Sozialismus umgeht, darf dem Schicksal des Gauners entgehen, das mit Recht das Schicksal des Reichen werden muss. „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen" – das ist das praktische Gebot des Sozialismus. Das muss man in der Praxis durchführen. Auf solche praktischen Erfolge können unsere „Kommunen" und unsere Organisatoren aus den Reihen der Arbeiter und Bauern und um so mehr der Intellektuellen stolz sein um so mehr, weil sie sich zu sehr, nur allzu sehr daran gewöhnt haben, auf ihre allgemeinen Anweisungen und Resolutionen stolz zu sein).

Tausende Formen und Methoden der praktischen Rechnungslegung und Kontrolle über die Reichen, die Gauner und Müßiggänger müssen von, den Kommunen selbst, von den kleinen Zellen in Stadt und Land ausgearbeitet und in der Praxis erprobt werden, Mannigfaltigkeit ist hier Bürgschaft für Lebensfähigkeit, Bürgschaft für den Erfolg bei der Erreichung des allgemeinen, einheitlichen Ziels: der Reinigung der russischen Erde von allen schädlichen Insekten, den Flöhen – d. h. den Gaunern, den Wanzen – d. h. den Reichen usw. usw. An einem Orte wird man ein Dutzend Reiche, ein Dutzend Gauner, ein halbes Dutzend Arbeiter, die sich vor der Arbeit drücken, (die sich genau so rabiat vor der Arbeit drücken, wie viele Setzer in Petrograd, besonders in den Parteidruckereien) ins Gefängnis stecken. An einem anderen Ort wird man sie die Toiletten reinigen lassen. An einem dritten Ort wird man ihnen nach Abbüßung der Karzerstrafe gelbe Karten aushändigen, damit das ganze Volk sie bis zu ihrer Besserung als schädliche Elemente überwache. An einem vierten Ort wird man einen von zehn, die sich des Müßigganges schuldig machen, sofort erschießen. An einem fünften Ort wird man eine Kombination verschiedener Mittel ersinnen, und z. B. durch eine bedingte Befreiung eine rasche Besserung jener Elemente unter den Reichen, den bürgerlichen Intellektuellen, den Gaunern und Rowdys erzielen, die der Besserung fähig sind. Je mannigfaltiger, desto besser, desto reicher wird die allgemeine Erfahrung sein, desto sicherer und rascher wird der Erfolg des Sozialismus sein, desto leichter wird die Praxis – denn nur die Praxis ist dazu imstande – die besten Methoden und Mittel des Kampfes schaffen.

In welcher Kommune, in welchem Viertel einer großen Stadt, in welcher Fabrik, in welchem Dorfe gibt es keine Hungrigen, keine Arbeitslosen, keine reichen Müßiggänger, keine Halunken unter den Lakaien der Bourgeoisie, den Saboteuren, die sich als Intellektuelle bezeichnen? Wo ist mehr getan worden für die Steigerung der Produktivität der Arbeit, für den Bau neuer guter Wohnungen für die Armen, für ihre Unterbringung in den Häusern der Reichen, für die regelmäßige Versorgung eines jeden Kindes der armen Familien mit einer Flasche Milch? Das sind die Gebiete, auf denen der Wettbewerb der Kommunen, der Gemeinden, der Konsum- und Produktivgenossenschaften, der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte sich entfalten muss. Das ist das Arbeitsgebiet, auf dem sich in der Praxis die organisatorischen Talente für die Staatsverwaltung entwickeln und emporarbeiten müssen. Es gibt viele solcher Talente unter dem Volke. Sie sind nur niedergedrückt. Man muss ihnen helfen, sich zu entwickeln. Sie, nur sie können mit Unterstützung der Massen Russland retten, die Sache des Sozialismus retten.

1 Der Artikel „Wie soll man den Wettbewerb organisieren?" ist offenbar ebenso wie der Artikel „Die durch den Zusammenbruch des Alten Erschrockenen und die Kämpfer für das Neue" während eines viertägigen Urlaubs, von Lenin in Finnland in der Zeit vom 7.–10. Januar 1918 (25.–28. Dezember 1917) geschrieben worden. Nach der Rückkehr Lenins aus dem Urlaub führte die Krise der Friedensverhandlungen und der Kampf innerhalb der Partei über die Frage der Unterzeichnung des Separatfriedens dazu, dass die Fragen der Innenpolitik in den Hintergrund rückten. Die in diesen Artikeln behandelten Gedanken wurden von Lenin später ausführlich erst nach dem Abschluss des Brester Friedens in seiner Schrift „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" behandelt.

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