Lenin‎ > ‎1917‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19170613 Brief an die Bezirkskomitees der Petrograder Organisation der SDAPR

Wladimir I. Lenin: Brief an die Bezirkskomitees der Petrograder Organisation der SDAPR

[Zum ersten Mal veröffentlicht 1923 in der Zeitschrift „Krassnaja Ljetopis" Nr. 3 (14). Nach Sämtliche Werke, Band 20.2, Wien-Berlin 1928, S. 82-85]

Werte Genossen!

Indem ich anbei eine Resolution des Petersburger Komitees über die Gründung einer eigenen Zeitung und zwei Resolutionen, die ich im Namen des ZK der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands in der Sitzung des PK am Dienstag, dem 30. Mai, vorgeschlagen habe, beilege, bitte ich euch, alle diese Resolutionen zu besprechen und euch hierzu möglichst ausführlich und begründet zu äußern.

Wegen der Frage, ob das PK in Petersburg eine besondere Zeitung braucht, ist ein Konflikt zwischen dem PK und dem ZK im Entstehen begriffen. Es wäre außerordentlich wichtig und im höchsten Grade erwünscht, dass möglichst viele Parteimitglieder in Petersburg an der Diskussion über diesen in Entstehung begriffenen Konflikt aktiv teilnehmen und durch ihre Beschlüsse zu seiner Beilegung beitragen.

Der Vollzugsausschuss des PK hat sich einstimmig für die Gründung eines besonderen Organs des PK in Petersburg ausgesprochen, entgegen dem Beschlüsse des ZK, an Stelle der „Prawda", deren Umfang offenbar nicht genügt, zwei Zeitungen zu schaffen: die schon bestehende „Prawda", das Zentralorgan der Partei, und eine kleine „Narodnaja Prawda" (der Titel beider Zeitungen ist noch nicht endgültig festgelegt), als populäres Blatt für die breitesten Massen. Die Redaktion beider Zeitungen soll, laut Beschluss des ZK, die gleiche sein, und zur Redaktion beider Zeitungen soll ein Vertreter des PK gehören (im Zentralorgan mit beratender, im populären Organ mit beschließender Stimme). Es soll eine „Pressekommission" gebildet werden (aus Arbeitern von den Bezirken, die mit den Massen aufs Engste verbunden sind), ferner soll in beiden Zeitungen der Behandlung der rein örtlichen Bedürfnisse der örtlichen Arbeiterbewegung eine bestimmte Zahl von Spalten eingeräumt werden.

Das ist der Plan des ZK.

Der Vollzugsausschuss des PK will statt dessen seine eigene Zeitung, eine besondere Zeitung des PK gründen. Der Vollzugsausschuss hat das einstimmig beschlossen.

In der Sitzung des PK vom 30. Mai, nach dem Referat und dem Schlusswort des Genossen M. Tomski, nach meiner Rede und nachdem eine große Anzahl von Genossen an der Diskussion teilgenommen hatten, teilten sich die Stimmen in zwei gleiche Teile: 14 für den Vollzugsausschuss und 14 gegen ihn. Meine Resolution dagegen wurde mit 16 gegen 12 Stimmen abgelehnt.

Meiner Überzeugung nach ist eine besondere Zeitung des PK grundsätzlich nicht notwendig, denn in der Hauptstadt braucht man, infolge ihrer führenden Bedeutung für das ganze Land, ein Parteiorgan, und zwar das Zentralorgan, während eine zweite besonders volkstümlich gehaltene Zeitung von derselben Redaktion gemacht werden muss.

Ein besonderes Organ des PK wird unvermeidlich die völlige Übereinstimmung in der Arbeit erschweren, wird vielleicht sogar eine Verschiedenheit der politischen Linie (oder Schattierungen in der Linie) erzeugen, der Schaden aber, der dadurch entsteht, wird, besonders in revolutionärer Zeit, sehr groß sein.

Warum sollen wir unsere Kräfte zersplittern?

Wir sind alle furchtbar mit Arbeit überlastet, haben wenig Kräfte; die Literaten gehen immer mehr von uns zu den Oboronzy über. Geht es unter solchen Verhältnissen an, die Kräfte zu zersplittern?

Die Kräfte müssen zusammengefasst und nicht zersplittert werden.

Kann man dem ZK zutrauen, dass es die Redaktion nicht richtig zusammensetzt, oder in beiden Zeitungen der örtlichen Arbeit nicht genügend Platz einräumen, oder dass es die in der Minderheit befindlichen Redakteure des PK „benachteiligen" wird und..…1

Im zweiten Entwurf meiner Resolution habe ich absichtlich eine Reihe ähnlicher Argumente aufgezählt (die ich in der Sitzung des PK am 30. Mai hörte), um offen vor allen Mitgliedern der Partei die Frage zu stellen, um sie zu veranlassen, jede der beiden Meinungen sorgfältig zu prüfen und einen Beschluss zu fassen, den sie verantworten können.

Wenn ihr, Genossen, schwerwiegende und ernste Gründe habt, dem ZK zu misstrauen, so sagt es offen. Das ist die Pflicht eines jeden Mitgliedes unserer demokratisch organisierten Partei, und dann wird es Pflicht des ZK unserer Partei sein, über euer Misstrauen eine besondere Beratung abzuhalten, dem Parteitag darüber zu berichten, besondere Verhandlungen aufzunehmen, um dieses bedauerliche Misstrauen einer Ortsorganisation gegen das ZK zu beseitigen.

Wenn aber ein solches Misstrauen nicht vorhanden ist, dann ist es ungerecht und falsch, verlangen zu wollen, dass das ZK das ihm vom Parteitag gegebene Recht, die Arbeit in der Partei im Allgemeinen und in der Hauptstadt im Besonderen zu leiten, nicht ausüben soll.

Fordert denn unser ZK Überflüssiges, Übermäßiges, wenn es die Petersburger Zeitungen leiten will? Nein. In der deutschen sozialdemokratischen Partei, in ihrer besten Zeit, als Wilhelm Liebknecht jahrzehntelang an der Spitze der Partei stand, war er Redakteur des Zentralorgans der Partei. Das Zentralorgan erschien in Berlin. Die Berliner Organisation hatte niemals eine besondere Berliner Zeitung. Es bestand eine „Pressekommission" aus Arbeitern und es gab einen lokalen Teil im Zentralorgan der Partei. Warum sollen wir von diesem guten Beispiel unserer Genossen in anderen Ländern abweichen?

Wenn ihr, Genossen, besondere Garantien vom ZK haben wollt, wenn ihr die Änderung dieser oder jener Punkte (im Plane des ZK über die Einrichtung beider Zeitungen) wünscht, so bitte ich euch im Auftrage des ZK, eure Wünsche genau zu prüfen und uns mitzuteilen. Den Beschluss des Vollzugsausschusses des PK über die Gründung einer besonderen Zeitung in Petersburg halte ich für außerordentlich falsch, für unerwünscht, für kräftezersplitternd; er wird eine Reihe von Konfliktstoffen in unsere Partei hinein tragen Es wäre meines Erachtens erwünscht (auch in diesem Punkt vertrete ich nur die Auffassung des ZK), dass die Petersburger Organisation den Beschluss des ZK unterstützt, eine gewisse Zeit abwartet, um die Resultate der Erfahrung der Arbeit beider Zeitungen nach dem Plane des ZK zu sehen, und dann, wenn es notwendig sein sollte, einen besonderen Beschluss über die Ergebnisse dieser Erfahrung fasst.

Mit sozialdemokratischem Gruß

N. Lenin




1 Lücke im Text. Die Red.

Kommentare