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Wladimir I. Lenin 19170724 Brief an die Redaktion der „Nowaja Schisn"

Wladimir I. Lenin: Brief an die Redaktion der „Nowaja Schisn"1

[„Nowaja Schisn", Nr. 71 24. (11. Juli) 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 31-33]

Gestattet, Genossen, Eure Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, da unser Parteiblatt unfreiwillig sein Erscheinen einstellen musste. Die Presse einer gewissen Sorte entfachte gegen uns eine wütende Hetze, indem sie uns der Spionage oder der Beziehungen zu einer feindlichen Regierung beschuldigt. Mit welch unerhörter … Leichtfertigkeit (es ist ein ungeeignetes, viel zu schwaches Wort) diese Hetze betrieben wird, beweisen folgende einfache Tatsachen:

Das „Schiwoje Slowo" schrieb erst, dass Lenin ein Spion sei, erklärte aber dann in einer Notiz unter dem Schein einer an der Sache nichts ändernden „Berichtigung", dass er der Spionage nicht beschuldigt werde! Erst werden die Aussagen Jermolenkos vorgeschoben, dann ist man gezwungen, zuzugeben, dass es geradezu peinlich und beschämend ist, in solchen Aussagen eines solchen Menschen einen Beweisgrund zu erblicken. Der Name Parvus wird hinein verwickelt, aber es wird verschwiegen, dass niemand Parvus bereits im Jahre 1915 mit so schonungsloser Schärfe verurteilt hat, wie der Genfer „Sozialdemokrat", den wir redigierten und der in einem Artikel „Auf den Hund gekommen" Parvus als Renegat, „Stiefellecker" Hindenburgs usw. gebrandmarkt hat. Jeder einigermaßen intelligente Mensch weiß oder kann es leicht erfahren, dass es absolut keinerlei politische oder sonstige Beziehungen zwischen uns und Parvus geben kann. Der Name irgendeiner Sumenson wird herangezogen, mit der wir nicht nur nie etwas zu tun gehabt, sondern die wir auch nie gesehen haben. Die Handelsgeschäfte Haneckis und Kozlowskis werden hineingezogen, ohne dass auch nur eine Tatsache angeführt wird, worin denn, wo, wie und wann die Geschäfte ein Deckmantel für Spionage waren. Nicht nur, dass wir uns niemals weder direkt noch indirekt, an Handelsgeschäften beteiligt haben, wir haben überhaupt von keinem der genannten Genossen weder für uns persönlich noch für die Partei auch nur einen Pfennig erhalten.

Man geht so weit, dass man den entstellten Nachdruck von Telegrammen der „Prawda" durch deutsche Zeitungen uns zur Last legt, vergisst aber zu erwähnen, dass die „Prawda" im Auslande ein Bulletin in deutscher und französischer Sprache herausgibt und dass der Nachdruck aus diesen Bulletins jedem ganz freisteht.2

Und das alles unter Mitwirkung und sogar auf Initiative eines Alexinski, der zum Rat nicht zugelassen worden ist, mit andern Worten, eines Mannes, der für einen notorischen Verleumder erklärt worden ist!

Ist es denn möglich, nicht zu begreifen, dass ein solcher Weg gegen uns ein Justizmeuchelmord ist? Die Erörterung der Frage im Zentralexekutivkomitee über die Bedingungen, unter denen Mitglieder des Zentralexekutivkomitees überhaupt gerichtlich belangt werden können, trägt zweifellos ein Element des Geordneten in die Sache hinein. Werden die Parteien der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki an dem Versuch eines Justizmordes mitwirken wollen? Werden sie mitwirken wollen an der Auslieferung an das Gericht, sogar ohne Angabe darüber, ob wir der Spionage oder des Aufruhrs beschuldigt werden, überhaupt, dass man dem Gericht übergeben wird ohne jede juristisch genaue Qualifikation des Verbrechens? Werden sie mitwirken wollen an einem offenkundigen Tendenzprozess, der Personen an ihrer Kandidatur zur Konstituierenden Versammlung hindern könnte, von denen feststeht, dass sie von ihren Parteien als Kandidaten in Aussicht genommen sind? Werden diese Parteien den Vorabend der Einberufung der Konstituante in Russland zum Beginn einer Dreyfusiade auf russischem Boden machen wollen? Die nicht ferne Zukunft wird auf diese Fragen antworten; ihre offene Aufrollung erscheint uns eine Pflicht der freien Presse.

Von der bürgerlichen Presse sprechen wir nicht. Selbstverständlich glaubt Miljukow ebenso wenig an unsere Spionage oder daran, dass wir deutsches Geld bekommen haben, wie Markow und Samyslowski daran glaubten, dass die Juden Kinderblut trinken.

Aber die Miljukow und Co. wissen, was sie tun.

N. Lenin

G. Sinowjew

L. Kamenew

1 Der Brief an die Redaktion der „Nowaja Schisn", der in dieser Zeitung am 24. (11.) Juli 1917 erschien, wurde am 26. (13.) Juli in der Zeitung des Moskauer Komitees der Bolschewiki, „Sozialdemokrat", Nr. 106, abgedruckt.

2 Um die Internationalisten im Auslande über die russische Revolution zu informieren, gab die „Prawda" in Stockholm ein Bulletin in fremden Sprachen heraus. Das deutsche Bulletin trug den Titel: „Russische Korrespondenz ,Prawda'. Herausgegeben von der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Bolschewiki). Erscheint in Stockholm zweimal wöchentlich." Vom 16. (3.) Juni bis zum 16. (3.) November 1917 waren 33 Nummern erschienen.

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